Das Altpapier am 27. Oktober 2017 Weltuntergang dank ePrivacy

Das "Neo Magazin Royal" ist nicht immer lustig. "Panorama" klärt auf, wer das Geschäftsmodell der Verlage nicht bedroht. Wir werden alle arbeitslos, weil die EU den dummen Datenschützern folgt (eine Sicht auf die gestern verabschiedete ePrivacy-Verordnung). Lokaljournalismus klickt gut. Haargel-Tutorial mit Kai Diekmann und Philipp Jessen. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Zugegebenermaßen, die Lektüre dieser Kolumne erfordert jeden Tag Zeit. Da kann ein Hinweis nützlich sein, wo sich dafür heute 20 wertvolle Mediennutzungsminuten einsparen lassen. Nämlich beim Bento-Bashing aus dem "Neo Magazin Royal" von gestern Abend, das Ihnen eben bei Facebook empfohlen wurde. Das brauchen Sie nicht zu sehen.

Bento-Beiträge wie "Welcher Bürgerkrieg bist du?" mögen nicht sonderlich inspiriert sein. Jan "Ole Reißmann sieht aus wie ein Kugelfisch, höhö" Böhmermann ist es in diesem Fall aber auch nicht, und nein, nur weil dessen Redaktion im Gegenzug Printo samt nicht-klickbarer Website ins Leben gerufen hat, wird es nicht besser. Satire sollte halt nicht stets bemüht, sondern lustig sein.


"Panorama" enthüllt: Die eigentlichen Probleme der Verlage

Damit bleibt Zeit, zu schauen, wo öffentlich-rechtliche Sender und Verlage noch so aufeinander clashen, bei "Panorama" gestern Abend etwa. Dort nahmen Ben Bolz und Daniel Bouhs in einem Beitrag mit dem neutralen Titel "Verleger: Die unheimliche Kampagne gegen die ARD" sich des Themas der vergangenen Wochen an, das in so vielen Altpapieren zur Sprache kam, dass man sie nicht alle verlinken kann (falls Sie sich gerade desorientiert fühlen, suchen Sie nach "Döpfner", "Staatsfunk" oder "Nordkorea").

Nun enthüllen Bolz und Bouhs zum einen, dass die Angebote von ARD und ZDF im Netz gar nicht so erfolgreich seien, wie von den Verlegern behauptet. Denn laut einer von McKinsey erstellten Rangliste der Nachrichten-Apps landete die der "Tagesschau" nur auf Platz 13 und die von "ZDFheute" auf Platz 23, weit hinter Focus und Spiegel Online.

Ex-BDZV-Chef Helmut Heinen kommentiert das mit "So lange sie nicht den Platz 10 überschreiten, haben wir nichts dagegen. Aber wenn sie das dann tun sollten, dann muss endlich Schluss sein." Weil aber niemand zu so einem Zeitpunkt ein erfolgreiches Produkt zurückfahre, gelte es, den Anfängen zu wehren, was in Zeiten wie diesen, in denen es ganz anderen Anfängen zu wehren gilt, schon nach dieser Sache mit den Spatzen und Kanonen klingt.

Zum anderen darf Stefan Niggemeier auf schwindende Werbeeinnahmen und Probleme der Transformation von Abos ins Netz verweisen und damit aufdecken, wer die eigentlichen Gegner der Verlage seien, nämlich Google und Facebook und nicht etwa ARD und ZDF.

Womit ich sagen will: Dass Debatten über Vorhandensein von und Konkurrenz zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Medien in privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Medien stattfinden, bleibt ein Problem. Dass yours truly Altpapier als redaktionell völlig unabhängiges, aber eben bei mdr.de erscheinendes Medium mitten im Getümmel steckt, gehört als Offenlegung dazu.


ePrivacy-Verordnung verabschiedet: Was Datenschützer freut und die FAZ erzürnt

Sie haben es sicher, auch dank der Betonung im Altpapier am Dienstag und Mittwoch, gestern im Livestream verfolgt, aber der Vollständigkeit halber: "(D)ie womöglich zweitgrößte Lobby-Schlacht der EU" (Netzpolitik.org) ist geschlagen.

"Mit 318 zu 280 Stimmen hat das EU-Parlament heute seine Position zur ePrivacy-Reform beschlossen (20 Enthaltungen). Das Parlament folgte der Empfehlung des Innenausschusses, striktere Regeln für die Verwertung von Kommunikationsdaten festzulegen, Nutzern mehr informationelle Selbstbestimmung zu ermöglichen und das Recht auf verschlüsselte Kommunikation zu stärken",

meldet wiederum bei Netzpolitik.org Ingo Dachwitz, wo man die Entscheidung aus Brüssel selbstredend begrüßt.

"Telekommunikationsdaten ließen Rückschlüsse auf den gesamten Lebenswandel zu. Gelangten sie zu Versicherungen oder Werbetreibenden, könnte das für Verbraucher unangenehme Folgen haben. Es müsse Ziel der EU-Politik sein, weltweit starke Standards für Vertraulichkeit und Datenschutz vorzugeben. Das diene auch der eigenen Wirtschaft",

zitieren Karoline Meta Beisel und Thomas Kirchner heute im Wirtschaftsteil der SZ (S. 19) den grünen Europaabgeordneten Jan Albrecht.

Wie es sich für einen ordentlichen Bericht gehört, kommen zudem Kritiker zu Wort, "die befürchten, dass eine überregulierte EU-Wirtschaft den globalen Anschluss verlöre." Was hier auch Erwähnung findet, um weiteren Stoff zu liefern für die an dieser Stelle vor einer Woche in Auftrag gegebene Bachelor-Arbeit zum Thema "FAZismus oder wie wollen wir die Textgattung nennen, die Michael Hanfeld in der rechten Spalte seiner Medienseite zelebriert?"

Schon sein heutiger Einstieg "Was am Mittwoch auf den Medientagen in München noch mit banger Erwartung befürchtet wurde, geriet tags darauf im Europäischen Parlament zur Gewissheit" weist den Weg; es folgen Highlights wie "Käme diese ePrivacy, wäre es mit einem Großteil der digitalen Wirtschaft in Europa vorbei. Darin sind sich alle einig – Sender, Verlage, Werber, Werbetreibende", "Ganz ohne Daten geht im Internet nichts, das weiß inzwischen jeder" und "rund 830 000 Arbeitsplätzen (…) die in Gefahr seien, wenn die ePrivacy so kommt, wie das EU-Parlament es will."

Das Gesamtkunstwerk hat für 0,45 Euro Blendle. Das Audiatur et altera pars (ganz recht, liebe FAZ, Andere haben auch Latinum) können Sie derweil vor den Hunden finden.

Doch zur Freude von Miha und Sorge von Datenschützern ist das Thema mit der Entscheidung gestern noch nicht durch, sondern geht nun in die sogenannten Trilog-Verhandlungen mit der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten. "Die Erfahrungen aus den Trilog-Verhandlungen um die Datenschutzgrundverordnung haben gezeigt, dass nutzerfreundliche Position hier eher verwässert werden und es sie zu verteidigen gilt", kommentiert wiederum Dachwitz im oben bereits zitierten Artikel bei Netzpolitik.org.

In-Kraft-tret-bereit soll die Verordnung im Mai nächsten Jahres sein.


Daten, wir brauchen Daten, und was noch so alles die Zukunft des Lokaljournalismus sein könnte

Was sich angesichts der für viele Großstadtblasenbewohner völlig unverständlichen AfD-Wahlergebnisse auch mal diskutieren ließe, ist der Zustand des Journalismus in der Fläche bzw. die Frage, ob dieser diesen Namen überhaupt noch verdient und was das alles mit der Demokratie macht. Um mal eine gewagte These aufzustellen: Da sieht es heute schon dunkel aus, weshalb es Sinn macht, nun in einen Artikel von Altpapier-Kollegin Nora Frerichmann im aktuellen epd medien zu schauen, der derzeit leider nicht online steht.

Darin stellt sie zwei Ansätze von im Internet erfolgreichem Lokaljournalismus vor. Zum einen geht es um den norwegischen Medienkonzern Amedia, der mit seinen Zeitungen eine konsequente Digital-First-Strategie verfolgt und damit über eine halbe Million (Gesamteinwohnerzahl Norwegens: 5,2 Mio.) zahlende Mitglieder gewonnen hat.

"Ein Baustein für den Erfolg der Strategie ist erwartungsgemäß eine präzise Analyse der Nutzerdaten: Wie viele Visits braucht es etwa, bis ein Nutzer sich registriert? Wie tief sinkt die Zahl der Visits, bevor Abonnenten kündigen? Für welche Inhalte genau sind Nutzer bereit zu zahlen?"

Zum anderen geht es um das Portal Merkurist.de, dass die Leser Themen vorschlagen lässt und nur die mit den meisten "Interessiert mich"-Klicks auch ausrecherchiert, was vor allem zu Texten über Blaulicht, Blut und Brüste führt. Und nebenher beweist, warum sich Journalismus nicht ausschließlich klickgetrieben betreiben lässt, wenn man neben dem Geldverdienen auch die elende Sache mit der vierten Gewalt im Hinterkopf hat.

"Bei 'Merkurist' liegt der Fokus nicht auf der Optimierung der journalistischen Inhalte und deren Qualität. Stattdessen sollen die Inhalte bei einem gewissen Qualitätsstandard günstig zu produzieren sein",

fasst Frerichmann das Problem zusammen und lässt Pal Nedregotten, Innovationsdirektor bei Amedia, dagegenhalten, der Daten zwar nutzt, aber sich offenbar nicht von diesen vor sich hertreiben lassen möchte:

"Die Nutzerdatenanalyse des Unternehmens zeige deutlich, dass die Finanzierung von Onlinejournalismus nicht durch kurzsichtiges Klickbaiting funktioniere. Das treibe die Klickzahlen zwar kurzfristig in die Höhe, binde die Leser aber nicht langfristig an die Zeitung und erzeuge somit keine Zahlungsbereitschaft. (…) Stattdessen sei genau das Gegenteil wichtig: 'Gute, starke, kreative Überschriften, guter, starker, kreativer Journalismus und die Berichterstattung über Themen, die die Menschen in den lokalen Gemeinschaften wirklich wichtig sind.'"

Wenn diese Erkenntnis mal rasch jemand an die Funkes, Madsacks und Ippens dieser Welt faxen könnte?

Zumindest bei Ersteren kann jedoch vermutlich gerade niemand Nachrichten entgegen nehmen, weil alle viel zu beschäftigt sind, noch Einspar-, äh, Optimierungspotential durch Verschmelzung von Redaktionen aufzudecken, so wie aktuell bei den frisch zugekauften Frauenzeitschriften Myself und Donna. Die sollen bald aus einer Redaktion befüllt werden und ihre Themen auch an alle angeschlossenen Funke-Lokaltitel weiterreichen (Benedikt Müller, SZ-Medienseite).

Zu den langfristigen Folgen, s. oben.


Altpapierkorb (Mafia-Berichte, Jörg Kachelmanns Ruf, Prantls neuer Job, Sendeplätze für Luther und Hitler)

+++ "So wie die Urteile aussehen, ist daraus zu schließen, dass Verdachtsberichterstattung in der Materie Mafia in Deutschland nicht möglich ist." Das ist der Schluss, den die Journalistin Petra Reski aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der vergangenen Woche (s. Altpapier) zieht. Dieser hatte einem italienischen Gastronomen Recht gegeben, der Spekulationen über Verbindungen zwischen ihm und der Mafia in Reskis Buch "Mafia. Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" geschwärzt sehen wollte. Lisa Ecke von der taz hat sie dazu interviewt.

+++ Bei "Panorama" war gestern Medienthementag, und daher hat man sich auch gleich noch "Jörg Kachelmann: Verurteilt trotz Freispruch" angenommen. Verschriftlicht findet sich die Problematik ("Und so haftet an Kachelmann in der Öffentlichkeit weiter der Verdacht, ein 'Vielleicht-Doch-Vergewaltiger' zu sein. Auch die ARD hat ihn nach dem Freispruch nicht mehr als Moderator beschäftigt") bei Zeit Online.

+++ Die Schlagzeile des Tages hat welt.de: "Ufa findet keinen Sender für ihre Hitler-Serie". Dass wir das noch erleben dürfen (cc N24, nt-v, ZDF info).

+++ Mit 64 hat man noch Träume, zum Beispiel vom Aufbau eines neuen SZ-Meinungsressorts. So ergeht es Heribert Prantl, der nach 22 Jahren seinen Posten als Ressortleiter Innenpolitik an Ferdos Forudastan, zuletzt Sprecherin von Joachim Gauck, abtritt. Das melden die SWMH sowie (u.a.) DWDL. Bei kress.de dokumentieren sie bei Gelegenheit noch weiteres SZ-Stühlegerücke.

+++ Der Kampf um Katalonien erreicht die Pressefreiheit: "Die Empörung ist groß: Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy beabsichtigt, den Fernsehkanal TV3 und Catalunya Radio mit insgesamt 2300 Mitarbeitern direkt dem Staatssekretariat für Kommunikation zu unterstellen. Auch die 60 Mitarbeiter der katalanischen Nachrichtenagentur will er an die Kandare nehmen." (@mediasres)

+++ Während Mitarbeiter der New York Times nur noch redaktionell betreut twittern dürfen (Altpapier vom vorvergangenen Montag), werden die Mitarbeiter des Schweizer Fernsehens im Überlebenskampf gegen die No-Billag-Initiative (Altpapier gestern) von der sozialmedialen Leine gelassen, berichtet die Medienwoche.

+++ Wenn Orthopäde Dr. Thomas Schneider etwa in der Berliner Zeitung oder bei Focus Online als Experte auftritt, dann ist der dazugehörige Artikel voraussichtlich von seinem Pressesprecher verfasst worden, enthüllt Mats Schönauer bei Übermedien.

+++ "Wer einen der besten deutschen Fernseh-Luthers sehen möchte, muss früh aufstehen", informiert Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Medien-Kolumne bei evangelisch.de.

+++ Warum muss Kai Diekmann sein Gesicht festhalten? Wie viel spart Philipp Jessen, indem er dessen alte Haarmode aufträgt? Und warum lassen die beiden ihren Kumpel Michael Mronz nicht an ihrem Jahresvorrat Haargel teilhaben? Klicken Sie rasch rüber zu Meedia und Sie sehen, warum sich solche Fragen aufdrängen. By the way, die drei machen jetzt gemeinsam in "strategischer Beratung".

+++ Diekmanns Nachfolgerin Tanit Koch darf derweil bei @mediasres Folgendes, intensiv zu Befacepalmendes zum Bestem geben. "Ich glaube, man muss unterscheiden zwischen dem Populismus, der verantwortungslos ist, der jeden Pluralismus ablehnt, und dem Populismus, der sich als nah am Volk begreift." Guter Populismus, schlechter Populismus. Demnächst zu sehen bei Bild-TV. Aber erst, nachdem sie ausgewürfelt haben, ob Julian Reichelt nun Philip Höfer oder doch eher Joe Gerner geben darf.

+++ "Insbesondere die Schauplätze von 'Assassin's Creed II' – das Florenz, Venedig und Rom der Renaissance, das Konstantinopel des späteren Sultans Süleyman – waren Sehnsuchtsorte, deren Screenshots und Ausschnitte den richtigen Code für den Zugang in eine geschlossene Gesellschaft enthielten. Sie machten nicht jeden zum Spieler, der sie irgendwo abgedruckt sah, trugen aber doch dazu bei, die Videospiel-Branche als ernstzunehmenden Teil der Kulturwelt zu legitimieren." Das erklärt, warum Matthias Hannemann heute auf der FAZ-Medienseite das Videospiel "Assasin's Creed: Origins" bespricht (0,45 € bei Blendle).

+++ Über seine neue Pro7-Show "Beginner gegen Gewinner" und weitere Stationen seiner Solo-Karriere spricht Joko "Wo ist Klaas?" Winterscheidt im DWDL-Interview mit Alexander Krei.

+++ Eine lustige Indischer-Austauschschüler-Clash-of-Culture-Geschichte, hinter der sich eigentlich ein Ehedrama versteckt, sendet das Erste heute Abend mit "Ein Herz für Inder", findet Tilmann P. Gangloff im Tagesspiegel.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.