Teasergrafik Altpapier vom 12. Februar 2021: Porträt Autor Ralf Heimann
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Das Altpapier am 12. Februar 2021 Durchgerutscht?

12. Februar 2021, 12:23 Uhr

Nach dem Debakel mit der verunglückten Rassismus-Talkshow will der WDR alles noch richtiger machen als vorher. Doch dabei steht einiges im Weg. Und ein Jura-Professor will zeigen, dass er keineswegs rassistisch denkt. Herausgekommen ist das Gegenteil. Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Weiße laden Weiße ein

Nach dem Reinfall mit der Sendung "Die letzte Instanz" (zuletzt hier im Altpapier), hat der WDR eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich um Diversität kümmern soll, berichtet epd Medien, hier zu lesen im Migazin. Und da denkt man gleich an den Satz: "Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis." Zumal in der Meldung dann auch noch steht, Ziel sei unter anderem, Sendungen "noch diverser" zu besetzen – noch diverser. Wenn man nicht ahnen würde, dass es sich um ein Zitat handelt, könnte es genauso gut Ironie sein.

Vielleicht ist das alles auch einfach symptomatisch für die Schwerfälligkeit dieser Anstalt. Enissa Amani hatte dem Sender gleich nach dem Unfall angeboten, der missglückten Talkshow etwas entgegenzusetzen (Altpapier), musste das aber letztlich selbst auf die Beine stellen. Ja, es ist vielleicht alles anders, als man vermuten würde, aber dem Bild nach, das der Sender nach außen abgibt, vermutet man eben, dass vor so einer spontanen Entscheidung möglicherweise noch ein weiterer Arbeitskreis einberufen werden müsste, der ebenso paritätisch mit Bedenkenträgern besetzt wäre, wie spätere Talkshows dann "noch diverser" sein sollen. Ergebnis: Ja, die Sendung mit Enissa Amani können wir ausnahmsweise machen, allerdings erst nach Ende eines anderthalbjährigen WDR-Volontariats.

Ja, es ist möglicherweise alles anders. Ein Hinweis darauf, dass progressive Köpfe im Sender auch spontan etwas bewirken können, wäre die am Donnerstagabend veröffentlichte einstündige Talkrunde "Studio M" mit Georg Restle, dem Leiter des Magazins Monitor. Zu Gast in der Sendung: der queere Comedian Gianni Jovanovic, den wir schon aus Enissa Amanis Runde kennen, die Sängerin und Aktivistin Tayo Awosusi-Onotur, die sich selbst als Afro-Sintezza bezeichnet, und der Sozialwissenschaftler Markus End. Den Ton setzt Georg Restle schon gleich mit seiner Begrüßung, diesmal ist es tatsächlich Ironie: "Hallo und willkommen zur neuesten Ausgabe der letzten Instanz."

Eine Frage ist damit allerdings immer noch nicht beantwortet: Wie konnte es passieren, dass dem WDR so eine Sendung wie "Die letzte Instanz" nicht nur einfach durchgerutscht ist, sondern man sie offenbar aus voller Überzeugung noch ein zweites Mal sendete? In einer Analyse für Zeit Online weist Daniel Bouhs noch einmal darauf hin, dass man das alles hätte wissen können ("spätestens 2019 hätten die Programmverantwortlichen aufwachen müssen"). Die Frage, warum es wie so oft erst zur Kollision kommen musste, bevor sich tatsächlich etwas bewegt, kann oder will man beim WDR offenbar nicht beantworten. Aber ein Teil der möglichen Antwort ergibt sich aus dem Gesamteindruck. Im Grunde scheint man doch der Meinung zu sein, es laufe alles schon recht gut. Und in Zukunft wolle man es eben "noch besser" machen. Das ist jetzt kein Zitat.

"Beim Sender sieht man sich (…) schon länger auf einem richtigen Weg und verweist dabei zum Beispiel auf eine Ausgabe von "Hart aber fair" (…)", schreibt Bouhs. Er hat auch beim ZDF gefragt, und dort hat man ihm ebenfalls versichert, dass es "zum redaktionellen Selbstverständnis gehört ein umfassendes Bild der Gesellschaft abzubilden". Selbstkritik kommt nicht vor. "Auf die Frage, warum das dennoch offensichtlich nicht immer klappt, sagt das ZDF hingegen: nichts."

Selbstkritik scheint in diesem Kosmos, jedenfalls dem Eindruck nach, ein Mittel zu sein, von dem man zwar weiß: Es wirkt lindernd bei sehr starker Kritik von außen. Aber wenn sich dieses Symptom nicht zeigt, möchte man das Mittel offenbar nur ungern anwenden, möglicherweise aus Angst vor Nebenwirkungen (laut Packungsbeilage unter anderem Veränderungen im Arbeitsablauf).

Bouhs beschreibt sehr schön die Mechanismen, die dazu führen, dass im Ergebnis oft vor allem weiße Gesichter in den Sendungen sitzen, die man auch schon aus anderen Sendungen kennt:

"Oft laden weiße Menschen weiße Menschen ein – und zwar am liebsten weiße Menschen, die schon über Erfahrung verfügen."

Erschwerend hinzu kommt noch etwas anderes. Wenn Talkshows Menschen aus der Politik einladen wollen, ist ihre Auswahl schon dadurch begrenzt, dass Gesamtheit der möglichen Gäste aus einer kleinen Gruppe von Menschen besteht, die von Parteien aufgestellt, von den Menschen letztlich gewählt und dann wieder in Entscheidungspositionen gehievt worden sind. Ähnlicher Mechanismus. Es steht so nicht im Text, aber wahrscheinlich stimmt auch der Satz: Oft wählen weiße Menschen weiße Menschen.

Und in diesen Zusammenhängen steckt auch das Grundproblem, das der NDR-Moderator Michel Abdollahi im Beitrag von Bouhs sehr gut beschreibt. "Es wird sich (…) nicht wirklich etwas ändern, bis jemand oben sitzt, der selbst betroffen ist", sagt er. Oder anders gesagt: Weiße Menschen priorisieren die Themen weißer Menschen. Aber eigentlich wissen wir das ja schon.

Der WDR will nun auf sendertypische Weise reagieren, mit einem Themenschwerpunkt zum Rassismus, es soll einen Film geben, alles von langer Hand geplant, und man muss wohl sagen: hoffentlich nicht nur von einer weißen.

Jura oder Steinzeit?

Eine Antwort auf die Frage, wie so etwas durchrutschen kann, hätte man auch gern in einem Fall, den Hendrik Wieduwilt für Übermedien beschreibt. Auch hier geht es um Rassismus. Und um es kurz zu umreißen: Der Beck-Verlag hat in einer Fachzeitschrift den Text des laut Wieduwilt arrivierten Anwalts Prof. Dr. Rüdiger Zuck veröffentlicht, in dem dieser dem Anschein nach versucht hat, sich für die Rassismus-Weltmeisterschaft zu qualifizieren, die allerdings – da können wir Entwarnung geben – nicht stattfinden wird. Das mit der Qualifikation hätte allerdings vermutlich geklappt, das muss man einräumen. Wieduwilt schreibt:

"In seinem Text wirft Zuck mit rassistischen Ausdrücken um sich, als wäre es braunes Konfetti, spricht von ‚Farbigen‘, die ihre weißen Frauen nach Bananen fragen, und behauptet, dass ‚wir‘ uns an Körpermerkmalen wie ‚wulstigen Lippen bei Afrikanern oder die den Chinesen zugeordneten Schlitzaugen‘ stören würden."

Hier können wir gleich an das oben von Daniel Bouhs Beschriebene anknüpfen: Oft beurteilen weiße Menschen Rassismus danach, ob er weiße Menschen betrifft. Oder anders gesagt: Wenn diese Menschen auf der Straße beobachten würden, wie jemandem ein Messer in den Bauch gerammt wird, würden sie möglicherweise denken: So weh kann das gar nicht tun. Denn: Sie selbst spüren ja nichts.

In diesem Fall argumentiert der Anwalt sich um seinen weißen Kopf und den vermutlich weißen Kragen. In einer Betriebsratssitzung hatte jemand einen dunkelhäutigen Kollegen mit den Lauten "Ugah Ugah" bedacht. Das Bundesverfassungsgericht hatte die, nun ja, Formulierung als Affenlaut bezeichnet.

Zuck widerspricht. Er sagt, mit Rassismus habe das nichts zu tun, mit "Ugah Ugah" seien Steinzeitmenschen gemeint (aus dem Zeitalter Jura?). Wie er die Sache sieht, verdeutlicht er mit einem Beispiel. Wieduwilt kommentiert treffend: "Ihm gelingt das vermutlich etwas besser, als er beabsichtigte." Das Beispiel geht wie folgt:

"Wenn der mit einer weißen Frau verheiratete Farbige beim Frühstück für seinen Obstsalat nach weiteren Bananen ruft, und die Ehefrau darauf ‚Ugah Ugah‘ sagt, dann ist das eben in diesem Zusammenhang nicht mehr als harmloser Spott.”

Hendrik Wieduwilt erklärt in einem Satz, warum das schlicht Unsinn ist: "Es ist rassistisch, wenn man Menschen wegen ihrer Hautfarbe als steinzeitlich (und damit zurückgeblieben) bezeichnet."

Bleibt die Frage, wie so etwas erscheinen konnte. Und um die zu beantworten, erinnert Wieduwilt an ein Erlebnis, über das er vor Jahren in der FAZ berichtet hatte:

"Als (…) der frühere Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer auf einer öffentlichen Festivität kurz nach dem Essen (also nicht etwa spät nachts volltrunken an der Bar) einen Witz erzählte, in dem der US-Präsident Barack Obama von zwei Texanern als "Ni****" bezeichnet wird, interessierte das von den Anwesenden praktisch niemanden. Und als ich in der F.A.Z. nach langem Ringen über diese Tatsache berichtete, musste ich mir von einzelnen Kollegen Kritik anhören."

Möglicherweise ist also gar nichts durchgerutscht. Entweder ist kein Problembewusstsein vorhanden. Oder man ist der Meinung, so etwas spiele nur dann eine Rolle, wenn es in der linken Twitter-Blase landet und Feuer fängt. Beides ist möglich. Der Verlag hat sich inzwischen entschuldigt. Eine andere Möglichkeit aber wäre: Es braucht nicht nur bei der Polizei eine Studie zu strukturellem Rassismus.


Altpapierkorb (Wendler, Facebook, Deutsche Welle, Alain Finkielkraut, New York Times, Kasia Lenhardt, Gastro und Verlage)

+++ Der Facebook-Konzern hat das Instagram-Konto von Schlagersänger Michael Wendler gesperrt, unter anderem, weil er dort Verschwörungserzählungen verbreitet und damit gegen die Richtlinien verstoßen hat, meldet dpa, hier zu lesen bei der SZ. Unter anderem hatte er Deutschland als "KZ" bezeichnet und hinterher behauptet, das sei die Abkürzung für das Wort Krisenzentrum gewesen. Joachim Huber schlägt in seinem Kommentar für den Tagesspiegel den Bogen zur oben erwähnten WDR-Sendung. Er schreibt: "Der Westdeutsche Rundfunk hat nach der scharfen Kritik am Fernsehtalk 'Die letzte Instanz' eine Arbeitsgruppe zum Thema Rassismus gegründet. Mit 'Willkommen Zuhause' startet die RTL-Mediengruppe einen TikTok-Kanal, der über 'Alltagsrassismus' aufklären will. Sich gegen die Jebsens, Wendlers und Trumps zu stellen, ist die eine, die leichtere Übung, sich selbst zu beargwöhnen, fordert das liebgewonnene Selbstverständnis vom rechten, gerechten Tun heraus."

+++ Julia Reuss, Büroleiterin von Digitalstaatsministerin Dorothee Baer  (CSU), wechselt, wie gestern hier schon gemeldet, als Lobbyistin zu Facebook. Michael Borgers hat mich Ulrich Müller fürs Deutschlandfunk-Medienmagazin @mediasres über den Wechsel gesprochen. Müller, sagt, durch Reuss bekomme Facebook Zugang zur Politik, den andere gesellschaftliche Interessen nicht hätten. Daher drohe später eine Schieflage in der Digitalpolitik.

+++ Eigentlich soll die Deutsche Welle demokratische Werte verbreiten und ein annehmbares Bild von Deutschland in der Welt vermitteln. Im Moment gelingt das nicht ganz so gut. Mohamed Amjahid berichtet auf der SZ-Medienseite (€) über die Vorwürfe, die Mitarbeitende gegen den Sender erheben. Es geht um Machtmissbrauch, cholerisches Führungspersonal und den Verdacht, dass Kritik an Senderleitung zur Kündigung führen kann. Die Redaktion hat dazu E-Mails und interne Dokumente ausgewertet. Der Sender verweist auf ein altes Interview und teilt mit der Konflikt sei gelöst. So einfach ist das.

+++ Der französischen Philosoph Alain Finkielkraut, der nach einer Äußerung zu einem prominenten Missbrauchsfall in Frankreich in einem Fernsehinterview gefeuert worden war (Altpapier), hat mit Jürg Altwegg für die FAZ (€) über den Fall gesprochen. In dem Fernsehinterview war der Eindruck entstanden, der Philosoph gebe dem Opfer eine Mitschuld. Finkielkraut sagt, der Eindruck sei nur entstanden, weil unvollständige Ausschnitte im Netz herumgegangen seien. Zu einer Antwort in einer Zeitung kam es nicht mehr, auch der Ausschnitt, um den es ging ist nicht mehr online. Und das ist in solchen Fällen tatsächlich ein Problem, denn nach dem Eklat wird der inkriminierten Person der Stecker gezogen, eine Möglichkeit zur Korrektur, Einordnung oder Konkretisierung bleibt nicht, wobei man auch wieder einwenden kann: Im Internet publizieren geht ja weiterhin, und immerhin hat die FAZ sich ja gemeldet. Finkielkraut sagt in dem Interview: "Meine Freunde haben mich nicht missverstanden und auch nicht fallengelassen. Aber es gab Einwände, in der Tat: Warum einen üblen Sexualverbrecher verteidigen, der seine Taten nicht abstreitet? Meine Wortwahl wurde als nicht angemessen empfunden. Ich sei ungeschickt vorgegangen. Um auf diese Kritik zu antworten, schrieb ich einen Text, in dem ich wiederholte und präzisierte, was ich im Fernsehen gesagt hatte. Alle großen Zeitungen haben sich geweigert, ihn zu publizieren."

+++ Ein renommierter Wissenschafts-Redakteur der New York Times hat nach 45 Jahren seinen Job verloren, möglicherweise weil er vor einiger Zeit bei einer Diskussion mit Schülern das N-Wort gesagt hat. So schildert es Nicolas Freund auf der SZ-Medienseite. Und das sieht auf den ersten Fall nach einem ähnlichen Fall aus wie dem oben erwähnten aus Frankreich. Tatsächlich scheint es dann aber doch um mehr als ein Wort zu gehen. Freund: "Laut US-Medien standen auch andere Vorwürfe gegen McNeil im Raum: Er solle sich herablassend über Schwarze geäußert haben und das Konzept ‚white privilege‘ hinterfragt haben, das besagt, Weiße seien schon privilegiert, weil sie weiß seien."

+++ Als vor einigen Tagen das Model Kasia Lenhardt starb, die Ex-Freundin des Fußballers Jerome Boateng, klang das alles in den Boulevard-Medien, allen voran der "Bild"-Zeitung, ganz nüchtern, als wäre sie die junge in irgendetwas Schreckliches hineingeraten, das so nicht beeinflusst werden konte. Imre Grimm erklärt für das Redaktionsnetzwerk Deutschland, wie die Boulevard-Berichterstattung und die von ihr angestoßenen Folgen wirken. Grimm: "Auffallend ist, mit welcher Sachlichkeit 'Bild' den Tod von Lenhardt vermeldete: auf Seite 4 rechts oben. Plötzlich hieß die Frau, die zuvor noch als 'Boateng-Ex' firmierte und als Protagonistin zahlloser Beiträge einer der meistventilierten Namen im 'Bild'-Kosmos war, nur noch ‚das Model Kasia Lenhardt‘. Als sei die Meldung über ihren Tod der Erstkontakt für'‚Bild'-Leser: 'Kasia Lenhardt stand zuletzt in der Öffentlichkeit durch ihre Beziehung mit Fußballstar Jérôme Boateng (32)', heißt es da. Ach, tat sie das? Wie kam das bloß? Der Tod ist nur noch eine Randnotiz. Die bigotte Nüchternheit der Nachricht suggeriert, das Blatt hätte mit dem aggressiven Schlagzeilen-Dauerfeuer der letzten Tage überhaupt nichts zu tun." Carolina Schwarz beschäftigt sich für die taz mit dem Fall: "Auch nach Lenhardts Tod hört das nicht auf. Das Portal Promiflash hat in den vergangenen zwei Tagen knapp 20 Texte zu Lenhardt veröffentlicht, im Netz gehen die Spekulationen weiter, ebenso das Victimblaming."

+++ Thomas Knüwer hat war im Restaurant nicht ganz zufrieden mit dem Essen, hat das angemerkt, und das war erfolgreich. Er bekam eine Entschuldigung und eine Entschädigung. Im Umgang mit Verlagen hat er andere Erfahrungen gemacht. In einem Blogbeitrag erklärt er, wie Verlage von Produzenten zu Dienstleistern geworden seien, möglicherweise ohne es zu bemerken, wie sich sich aber weiter verhielten, als wären sie Produzenten. Und Knüwer erklärt, was Verlage seiner Meinung nach aus der Gastronomie lernen könnten. Im eigenen Saft schmoren gehört nicht dazu.    

Neues Altpapier gibt es am Montag.

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