Teasergrafik Altpapier vom 16. Februar 2021: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 16. Februar 2021 WDR Alaaf, SR Alleh hopp

16. Februar 2021, 10:55 Uhr

Der WDR erregt unterschiedliche Emotionen und hat am Wochenende eine "Mahnwache" vor der Haustür stehen. Der Saarländische Rundfunk könnte einen echten Fernseh-Promi als neuen Chef bekommen. Die deutschen Medienwächter verschicken spektakuläre "Hinweissschreiben" und Jens Spahn wird mal nicht wegen Corona kritisiert (sondern aus anderen Gründen). Ein Altpapier von Christian Bartels.

Dauerbrenner WDR ("sucht den Mainstream")

Wie klang es gestern abend im sog. Ersten unter üppig eingespieltem Applaus zum Ein-/Umschalt-Zeitpunkt, an dem sonst häufig die "Tagesthemen" beginnen? "WDR, Alaaf!" (hier bei 1:58:50).

Die Kölner Rundfunkanstalt erzeugt eben immerzu und überall Emotionen, allerdings äußerst unterschiedliche. Über die Spiegel-WDR-Auseinandersetzung zur Frage, ob 2019 bereits veröffentlichte Laschet-kritische Beiträge ohne überzeugende Gründe depubliziert wurden, schrieb ich vorige Woche hier: "Als einer der größeren WDR-Pannen wird diese Sache vermutlich nicht in Erinnerung bleiben". Vielleicht war das etwas voreilig. Brisanz dürfte das Thema behalten, nicht nur, weil der WDR den Tagebau auch für VR-Brillen und ähnliche Geräte dreidimensional wie zuvor etwa den inzwischen eingestellten Untertagebau im Ruhrpott aufbereitet hat ("Du kannst einen gigantischen Schaufelradbagger besteigen und über riesige Abbauflächen fliegen. ... Und du kannst ein verlassenes Dorf besuchen oder ein Baumhaus im Hambacher Wald"; "man kann dem WDR jedenfalls nicht vorwerfen, die Jugend hier mit düster-dramatischen Warnungen vor der Klimakatastrophe zu verängstigen", meinte dazu der Tagesspiegel). Sondern auch, weil Klima-Aktivisten eine "Mahnwache" wegen der Beitrags-Löschung am kommenden Samstag auf der Domplatte, also ziemlich nah an Funkhaus Wallrafplatz, angekündigt haben.

Einstweilen nimmt der WDR, ob geplant oder nicht so, die Medienressort-Schlagzeilen aus der schadenfrohen Weitervermeldung der allerjüngsten Panne wg. sog. "Blackfacing" in einer Karnevals-Clips-Wiederholung mit. "Der Westdeutsche Rundfunk macht seit einiger Zeit nach dem Programm: Erst ausstrahlen und dann nachdenken", scherzt der Tsp.; die SZ kann "dem Social-Media-Team des Senders ... da nur gutes Durchhalten wünschen." Immerhin lässt sich gut räsonnieren, ob die Formulierungen, die das Social-Media-Team in die Mediatheken stellt oder twittert,  die Überzeugungskraft der Selbstbezichtigungen von in stalinistischen Schauprozessen Verurteilten entfalten, und gegen wen das eher spräche.

Und hinter den Kulissen der Kölner Anstalt rumort es aus vielen Gründen. Gut zeigt das ein Interview, das die WDR-Abteilung der Journalistengewerkschaft Verdi mit Sabine Rollberg führte. Rollberg, die einst, als der WDR in Zusammenhang mit echten Dokumentarfilmen noch oft positiv auffiel, dort als Redakteurin arbeitete, sagt, dass der WDR "sehr hierarchisch aufgestellt sei und abweichende Meinungen der Belegschaft nicht hören wolle", und:

"Der WDR wurde als Vektor und Vorreiter für eine gesellschaftspolitische Entwicklung diskutiert, das heißt, man ist in eine Tabuzone gegangen, wo eine gesellschaftliche Entwicklung in dieser Richtung dann oft nachfolgte. Ich finde, spätestens mit Omagate hat irgendwas anderes angefangen. Man will im WDR nicht mehr diese intellektuelle Vorhut sein. Man sucht den Mainstream."

Wobei, Vorreiter ist der WDR natürlich weiterhin, schon durch seine schiere Größe, bloß eben woanders hin. Rasch noch mal in den gestern hier erwähnten René-Martens-Artikel aus der Medienkorrespondenz zur Kulturradio-Lage:

"So entsteht der Eindruck, dass der WDR gerade mit aller Gewalt versucht, seine Kulturwelle WDR 3 zu einem Programm umzumodeln, das tendenziell jedem gefallen soll, aber bloß nicht der kulturinteressierten Kulturradio-Zielgruppe. ... Als eine Art Höhepunkt der aktuellen Strategie kann wohl die derzeit massiv beworbene Aktion '3x33. Ihre Klassik-Hitparade' gelten. Noch bis Ende Februar können die Hörerinnen und Hörer von WDR 3 'ihr klassisches Lieblingsstück nennen' ... Vom 3. bis 5. März laufen in der Zeit zwischen 6.00 und 18.00 Uhr dann jeweils 33 der am meisten gewählten Stücke. ... Die 'größte Klassik-Hitparade in Nordrhein-Westfalen' bei WDR 3 – das ist ungefähr so, als würde Arte eine Karnevalssendung übertragen."

Hier geht es zur "3 x 33"-Aktion, die auch in der Anmutung ("Unter 'Bemerkungen' können Sie uns erzählen, warum es Ihr Lieblingsstück ist") aufschlussreich ist. Allerdings: bitte nicht mitmachen. Sonst würden sich die Boulevardisierungs-Vorreiter ja bestätigt fühlen!

Neues von den saarländischen Anstalten

Ein Intendanz-Chefsessel, auf dem es zumindest vordergründig gemächlicher zugeht als rund um den Kölner, wird am kommenden Montag neu besetzt. Eine gewaltige Herausforderung für den neuen Chef des Saarländischen Rundfunks wird freilich darin bestehen, die Unabhängigkeit des SR zu verteidigen, an der außerhalb des Saarlands höchstens noch in Bremen strategisches Interesse bestehen könnte. Es gibt für den Posten eine Kandidatin und zwei Kandidaten, darunter einen Fernseh-Promi nicht ganz vom Kaliber des einstigen "Tagesthemen"-Moderators Tom Buhrow, aber doch mit allerhand Bildschirmpräsenz. Rainald Becker, bekannt aus viel gesehenen "Farbe bekennen"-Interviews, tritt also tatsächlich gegen Armgard Müller-Adams und Martin Grasmück an.

Passend zur Wahl debattierte just der Saarbrücker Landtag über die Landesrundfunkanstalt. Der Antrag der Linkspartei, dass das Intendanten-Gehalt  künftig "die Amtsbezüge eines Landesministers nicht überschreiten" dürfte, wurde erwartungsgemäß abgelehnt, meldet der Tagesspiegel. Doch bekam Fraktionschef Oskar Lafontaine noch mal eine größere Bühne und etwa sagte: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht staatsfern. Er wurde und wird überall von den Parteien gesteuert." Womit er aber ... übertreibt.

Erwarten ließ die Ablehnung sich, weil im Saarland eine Groko, die so groß ist wie nirgends sonst in Deutschland, mit Zwei-Drittel-Mehrheit regiert. Wer die aktuelle Medienkorrespondenz zur Hand hat (Titelseite), kann das im sechsseitigen, blendend informierten Artikel "Verfassungswidrig: der Einfluss von CDU und SPD auf den SR-Verwaltungsrat" lesen, in dem Volker Nünning das Saarland medienpolitisch als "Sonderpolitikzone" beschreibt – ziemlich entgegen dem, was gerade die Regierungsparteien im Landtag so sagten. Da dieser Artikel noch nicht frei online steht, lässt sich hier der in der MK zitierte Blog saarlandinside.de verlinken, und Nünnings kürzerer aktueller Artikel über den aktuellen Stand der Kritik an der ebenfalls geringen Staatsferne bei der Besetzung des Chefpostens der saarländischen Landesmedienanstalt.

Spektakuläre neue Medienwächter-Aufgabe

Immerhin mischt die Medienanstalt des Saarlands unter den zahlreichen deutschen Landesmedienanstalten vergleichsweise auffällig mit. Diese meist unauffälligen Anstalten sind ja vor allem für den privaten Rundfunk zuständig, dessen Bedeutung in der Medienlandschaft zurückgeht, und suchen nach neuen Aufgaben. Am gestrigen Montagmittag schritten die Medienwächter zu einer spektakulären Aktion:

"Neben der Medienanstalt Berlin-Brandenburg haben am Montagmittag auch die Landesmedienanstalten Nordrhein-Westfalen, Saarland und Hamburg/Schleswig-Holstein insgesamt 13 sogenannte Hinweisschreiben an Online-Medien, die nicht Mitglieder des Presserats sind, verschickt",

berichtet Deutschlandfunks "@mediasres" unter der Überschrift "Medien-Aufseher gehen gegen rechte Online-Medien vor". Als Beispiel für die Adressaten zeigt der DLF den prominenten Nicht-mehr-Youtuber Ken Jebsen. Wie kommt es zu dieser Aktion? Durch § 19 des neuen Medienstaatsvertrags, teilten die Anstalten vorige Woche mit, und Christoph Sterz präzisiert nun:

"Bei ihrem Vorgehen orientieren sich die Landesmedienanstalten vor allem am Pressekodex und an den bisherigen Entscheidungen des Deutschen Presserates, dem in Deutschland etliche Medienhäuser freiwillig angehören. Es geht also nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern um das Schließen einer Lücke – und um die Anwendung fest etablierter journalistischer Regeln",

so der DLF. Na ja, wie fest etabliert die Regeln des zahnlosen Tigers Presserat sind, ist einer der Punkte über die sich streiten ließe. Die Kölner Journalistikprofessorin Marlis Prinzing nennt im Beitrag mehrere weitere. Sie

"würde interessieren, wer genau die Entscheidung trifft, welche Online-Medien angeschrieben werden", "wie genau die Kriterien sind" und "wer sich denn da eigentlich gegebenenfalls an diese Regulierungs-Einrichtung dann wenden kann."

Worauf die Landesmedienanstalten laut Deutschlandfunk antworteten, dass eine "Veröffentlichung interner Maßgaben ... aktuell nicht geboten und auch nicht sehr sinnvoll" sei. Hm. Einigen Wirbel werden die Medienwächter mit dieser Initiative gewiss auslösen. Unklar ist allerdings schon, warum der Deutschlandfunk von dreizehn Adressaten drei nennt, die politisch jeweils weit rechts stehen, während die übrigen "Hinweisschreiben"-Empfänger ungenannt bleiben. Weil die Medienwächter sich in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommene positive Schlagzeilen erhoffen? Dann sollten sie tatsächlich dringend die eigene Transparenz erhöhen.

Spahn-Kritik mal nicht wg. Corona

Thomas Fuchs von der MA HSH, der sich ebenfalls im DLF-Beitrag äußert, kann als eine Art Vorreiter in sinnvollere Richtungen gelten. Nicht nur, dass die Medienanstalt aus Norderstedt bei Hamburg den Schritt, den das Saarland vermeiden möchte, hinter sich hat und immerhin zwei Bundesländer vertritt – die MA HSH ist für Hamburg und Schleswig-Holstein zuständig. Überdiese demonstrierte sie kürzlich beispielhaft Staatsferne, indem sie ebenfalls medienstaatsvertragshalber "ein medienrechtliches Verfahren gegen die Google Ireland Ltd. (Dublin)" sowie sozusagen gegen das Bundesministerium für Gesundheit anstrengte (Anstalts-PDF).

In diesem Verfahren scheint noch keine Entscheidung gefallen zu sein. Schnelligkeit spielt in der Medienaufsicht keine Hauptrolle. Gefallen war bloß ein erstes Gerichtsurteil vorm Landgericht München (Altpapier). Dazu kommentiert nun Jost Müller-Neuhof, der als äußerst prinzipieller Streiter für Transparenz hier schon häufig erwähnt wurde, im Tagesspiegel:

"Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im November feierte man die Idee. 'Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal des Bundes landen', verkündete Spahn. Bringe ja nichts, 'wenn wir bei Google an Stelle 783.000 auftauchen'. Der Minister zeigte sich bewegt von der Großzügigkeit des Netzgiganten, der mit neunzig Prozent Marktanteil konkurrenzlos ist. Spahn habe 'wiederholt deutlich seine Dankbarkeit' zum Ausdruck gebracht, heißt es im Urteil. Genau diese technische Handreichung, verbunden mit Spahns vielfältigem Dank bezeichnet das Gericht als das, was es auch ist: Eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung, wie sie laut Gesetz ausdrücklich verboten wird."

Völlig unabhängig von der quer durchs Land seit Monaten und gewiss leider noch monatelang weiter diskutierten Frage, ob Spahn und sein Ministerium in der Pandemie-Zeit mehr richtig oder mehr falsch machten und machen, zeugte genau diese Pressekonferenz im November, von der grundsätzlichen digitalen Unbedarftheit der aktuellen Bundesregierung (wie ich im AP-Jahresrückblick schrieb; Müller-Neuhof schreibt sogar von "Einfalt" Spahns).

Um solche Kritik auch ins Konstruktive zu wenden: Die Idee der aktuellen Merkel-Groko, das Themenfeld Digitales/Internet als Querschnitts-Aufgabe zu betrachten, zu der jedes Ministerium für sich selber entscheidet, was es für richtig hält und wie es sich ggf. um dessen Umsetzung bemüht, ist krachend gescheitert. Wer auch immer die nächste Bundesregierung stellt, sollte ein Digital-/Internet-Ministerium mit genügend eigenen Kompetenzen schaffen (und das, auch wenn die CSU wieder mitregieren sollte, bitte nicht mit VertreterInnen des für sämtliche großen Lobbys scheunentorweit offenen Bundesverkehrs-Infrastruktur-Staatskanzlei-Ministeriums besetzen).


Altpapierkorb (Australiens Gesetze, Ungarns & Polens Medienpolitik, New York Times, Bryan-Cranston-Serie, Ulrich-Tukur-Film)

+++ Sieh an, als gestern die "Tagesthemen" spät begannen, erblickte das neue "Pro & Contra"-Format das Licht der Bildschirme (turi2.de).

+++ Australien ließ sich bei seinen Gesetzen nicht von der massiven Lobbykraft Googles und Facebooks, die dann auch Druck der (neuen) US-amerikanischen Regierung hinzubemühten, beeinflussen. Von neuen Entwicklungen und "Eile, mit der Google nun entsprechende Unterschriften erlangen will", berichtet golem.de.

+++ Wie das ungarische Klubrádió seinen Radiobetrieb zwangsweise (Altpapier) einstellte, berichtet der Standard: "Ein namenloser Mitarbeiter in Henkerskutte und -kapuze trat Sonntagnacht im Studio des unabhängigen Budapester Klubrádió an den Kasten mit dem kleinen Hebel und der Aufschrift 'Hauptschalter'...".  Und: "Nemzeti Együttmüködési Rendszer" bzw. "System der Nationalen Zusammenarbeit" heißt das Programm der Orban-Regierung zur Medienvielfalts-Reduzierung. +++ "Media bez wyboru", d.i. "Medien ohne Wahl" heißt die Protestaktion unabhängiger polnischer Medien gegen den "Solidaritätsbeitrag der Medien", den die polnische Morawiecki-Regierung mit ähnlicher Wortwahl aus offenbar ähnlichen Gründen einführen will (taz). +++ In der Türkei werden immer noch mehr Journalistinnen und Journalisten langjährig eingekerkert (FAZ).

+++ "Der digitale Kapitalismus macht seine Nachrichten in Zukunft selbst" und orientiert sich dabei am frühen und mittleren Donald Trump, schreibt die SZ über Pläne des Andreessen Horowitz-Risikokapitalfonds a16z. +++ "Wie sehr sich die Freiheit der Medien teilweise den Diskursen beugt, die gerade en vogue sind – und zwar auf höchster Ebene, vor einem Millionenpublikum, vor der amerikanischen Wählerschaft", entnimmt Sarah Pines der Berichterstattung klassischer US-amerikanischer Medien über die neue Biden-Regierung (NZZ). +++ Das umstrittene Netzwerk Parler ist wieder da, zumindest im Internet, allerdings weiterhin nicht als App (Standard).

+++ "Will die 'New York Times' eine nationale Zeitung mit internationaler Geltung bleiben, deren Leser das ganze Spektrum der Meinungen abdecken, die sich auf Tatsachen stützen lassen? Oder will sie sich nur noch an ein progressives Segment des Publikums wenden, das sich mit dem Blatt identifizieren möchte und die eigene Identität als Sensibilität bestimmt?" Fragt Patrick Bahners auf der FAZ-Medienseite (Blendle), auf der es außerdem um die Auseinandersetzung der NYT mit der französischen Macron-Regierung geht, in der das US-Medium arg zu Islamismus-Verharmlosung neigt. +++ Frei online: Kommentare von welt.de, die "in ihrer empathielosen Gleichgültigkeit bis zur Erbarmunglosigkeit ... typisch für Online-Hetze" seien und die die FAZ exemplarisch zitiert.

+++ In der ersten Serie mit Bryan Cranston in der Hauptrolle seit "Breaking Bad" "steckt einiges an deutscher Kreativität", allerdings noch mehr an israelischer, denn von dort kommt das Original, das nun auch in Wien mit Sebastian Koch in derselben Rolle auf deutsch verfilmt wird, informiert Michael Ridder bei epd medien.

+++ Und dass die ARD am morgigen Mittwoch um 20.15 Uhr einen Film zeigt, der offenbar weder Krimi noch Schmonzette ist, wie das SZ-Interview (€) mit Hauptdarsteller Ulrich Tukur zeigt, verdient unbedingt Lob.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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