Teasergrafik Altpapier vom 18. Februar 2021: Porträt Autorin Nora Frerichmann
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Das Altpapier am 18. Februar 2021 Eine Frage des Selbstzwecks

18. Februar 2021, 12:27 Uhr

Die Diskussion um einen nicht genehmigten Live-Stream wirft Fragen auf und bringt die revolutionäre Erkenntnis: Pressekonferenzen und Datenschutz erfüllen keinen Selbstzweck. In Australien ruckelt sich grade einiges im Streit zwischen Medienunternehmen und Tech-Konzernen zurecht. Google und Facebook gehen dabei unterschiedliche Wege. Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Livestream vs. Datenschutz, wirklich?!

What the Datenschutz?!, dürften sich gestern einige Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion der "Tagesschau" gedacht habe, nachdem sie vergeblich versuchten, einen Livestream von einer Pressekonferenz aus Berlin zu ermöglichen.

Geplant war der Stream für eine PK des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Bezirksamts Berlin-Mitte, die eine Studie zur Verbreitung von SARS-CoV-2 vorstellten. Darin wurden Eckdaten für den Bezirk untersucht, zum Beispiel die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die bereits Antikörper gegen das Virus gebildet haben, die Zahl der ohne Krankheitssymptome Infizierten, die Zahl der Erkrankten, die im Krankenhaus und auf der Intensivstation behandelt wurden, solche fancy Pandemie-Details eben, die die 80 Millionen Hobby-Virolog:innen in der Bundesrepublik latent interessieren dürften.

Die "Tagesschau" plante die PK als Livestream im Netz zu übertragen, wie sie es in den vergangenen Wochen und Monaten bei anderen RKI-, Bundes- und Landespressekonferenzen zur Pandemie auch getan hatte, berichtet Andrej Reisin bei tagesschau.de. Denn das Thema sei "von überragender politischer und gesellschaftlicher Bedeutung." Die Vorstellung fand als Videokonferenz statt.

Nope und jetzt struggelt mit eurer FOMO, so ähnlich sah die Antwort der aufrechten Bürokraten aus dem Bezirksamt aus. Oder, um aus der Antwort des Amtes zu zitieren, wie Reisin es tut: 

"Nach unserer Auffassung wäre eine Einverständniserklärung aller Teilnehmenden erforderlich, die den Mitschnitt und die anschließende Veröffentlichung einiger Passagen gutheißen müssten, würde man Ihnen hier die Erlaubnis zum Mitschneiden und Veröffentlichen erteilen wollen. Dies ist nicht mehr zu bewerkstelligen. Hinzu kämen offene Fragen des Datenschutzes sowie womöglich auch des Urheberrechts, die das RKI als Urheberin der präsentierten Studiendaten primär prüfen und beantworten müsste."

Egal, ob das ganze nun einfach blöd gelaufen ist, oder der Livestream gezielt verhindert wurde: In beiden Fällen ist die Wirkung unschön, denn es erweckt den Eindruck:

  • dass die Studienerkenntnisse bzw. darüber hinausgehende Informationen, wie auf Rückfragen von Journalist:innen gegebene Präzisierungen und Einordnungen etwas Exklusives sind, auf das Max und Erika Mustermann nur in eingeschränktem Maße ein Anrecht haben.

  • dass Pks ein Selbstzweck sind statt der Informationsvermittlung an Bürgerinnen und Bürger zu dienen. Das mag für Informationen unter 2 oder unter 3 gelten, aber nicht für die Ergebnisse einer solchen Studie.

  • dass auch Datenschutz ein Selbstzweck ist bzw. dem Anrecht auf transparente und umfassende Informationen über Forschungsergebnisse öffentlicher Institutionen entgegen steht.

Während die Stiftung Datenschutz das "ärgerlich" findet und der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber mit einem entsetzten Emoticon reagiert, scheint Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) in der Situation kein Problem zu sehen. Er twitterte gestern mit Verweis auf den Twitter-Account des Bezirksamtes:

"Nix Geheimhaltung, wir haben praktisch live berichtet. Das nächste Mal werden wir ein Livestreaming ermöglichen, natürlich unter dem Vorbehalt, dass alle Beteiligten - inklusive angemeldeter Journalist*innen - vor Beginn der PK zustimmen."

Ähm ja, da wären wir mal wieder an einem Punkt angelangt, an dem Öffentlichkeitsarbeit mit unabhängiger Berichterstattung in einen Topf geworfen wird. Es geht nicht darum, dass Bezirksamt oder RKI einen gnädigen Tweet aus der PK veröffentlichen. Es geht um die Möglichkeit der umfassenden Berichterstattung durch Journalist:innen und dazu gehört grade in Zeiten von Kontaktbeschränkungen auch die Möglichkeit eines Livestreams.

Der DJV twitterte dazu:

"Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, die PK nicht im Livestream zu übertragen. Datenschutz und Schutz der Privatsphäre sind bei einer Pressekonferenz keine Hinderungsgründe."

Und die Digital-Chefredakteurin von ARD-aktuell, Juliane Leopold, zeigt sich laut Reisin besorgt über die Signalwirkung des Verbots:

"Wir wollen und müssen die Menschen darüber so gut wie möglich informieren und sie dabei unterstützen, sich selbst ein Bild zu machen. Wir finden einen Präzedenzfall gefährlich, Livestreaming einer Pressekonferenz zur Corona-Lage zu verhindern."

Auch wenn Präzedenzfälle im deutschen Recht keine so bedeutende Rolle spielen, wie etwa in den USA, ist der Fall als Beispiel für ähnliche Situationen trotzdem problematisch. Bei der aktuellen Berichterstattung und Live-Übertragungen muss es in der Regel schnell gehen und bis Argumentationen wie die des Bezirksamts Mitte juristisch geprüft werden, sind wir schon fast wieder in der nächsten Pandemie. *Sarkasmus off*

Google einigt sich mit Murdoch‘s News Corp

Erbarmungsloser Schwenk vom deutschen Behörden-Chaos auf die Entwicklungen bei den größten Medien- und Digitalkonzernen der Welt: Google hat für sein vielbeachtetes und -diskutiertes Projekt News Showcase (siehe Altpapiere) einen neuen Partner: News Corp, den Konzern, der von dem australischen Medienmogul Rupert Mordoch und seinem Sohn Lachlan kontrolliert wird.

Verschiedene Titel werden laut News Corp Teil von Google News Showcase (einem Programm, mit dem Google Medienunternehmen Geld für die Nutzung von Inhalten zahlt, was lange für Streit sorgte und teilweise noch sorgt): in den USA das Wall Street Journal, Barron’s, MarketWatch und die New York Post; in Großbritannien die Times die Sunday Times und The Sun;  in Australien verschiedene Nachrichtenangebote, etwa The Australian, news.com.au, Sky News und   andere überregionale und lokale Titel.

Der Deal stehe erst mal für drei Jahre, hieß es von News Corp neben Jubel über die "significant payments" von Google.

Allerdings hört es sich so an, als gehe die Kooperation deutlich über die Lizenzierung von Inhalten der News-Corp-Medien hinaus. Für Reuters berichtet Helen Coster über die Planungen der Zusammenarbeit:

"The companies will develop a subscription platform, share advertising revenue through Google’s ad technology services, build out audio journalism and develop video journalism by YouTube."

Ähnlich wie mit verschiedenen Medienunternehmen in Deutschland hatten Murdoch mit Google zuvor jahrelang über eine Vergütung für die Nutzung von Medieninhalten in der Suchmaschine gestritten. Aus Mountain View hatte Google zuletzt gedroht, die Suchmaschine in Australien abzudrehen. Grund dafür waren geplante Regeln, die Internetkonzerne verpflichten sollen, fürs Verlinken und Anzeigen von Nachrichteninhalten zu zahlen. Und ähnlich wie bei einigen Medienhäusern in Deutschland zeigt News Corp sich jetzt durch den Geldregen von Google zumindest für den Moment besänftigt.

Beim Handelsblatt gibt es einen Überblick über weitere Verhandlungen zwischen Google und Aussie-Medienhäusern. Kritikern zufolge nutze die Vereinbarung aber nicht der ganzen Branche, sondern vor allem News Corp, schreiben Alex Barker, Jamie Smyth und Richard Waters bei der Financial Times. Andere Häuser besäßen in dem Streit keine so starke Verhandlungsposition wie Murdoch:

"In every attempt to take power away from the platforms, it only gives them more,” said Jeff Jarvis, a journalism professor at City University of New York. "Google has the power to decide which news organisations should get money, and which shouldn’t. It is the big old legacy players who have political clout who can cash it in.”

Und was macht Facebook?

Interessant ist dabei auch der Schritt von Facebook in eine zunächst komplett andere Richtung: Aus Menlo Park hieß es gestern, man sperre den Zugang zu "Australian and international news content" auf der Plattform Down Under. Nachrichteninhalte könnten weder angesehen noch geteilt werden, hieß es mit Verweis auf das oben erwähnte Gesetz.

Mit leicht schmollender und andererseits FOMO-Druck aufbauenden Attitüde erklärte Facebook dazu gestern:

"We were prepared to launch Facebook News in Australia and significantly increase our investments with local publishers, however, we were only prepared to do this with the right rules in place."

Das wirkt insgesamt fast ein bisschen wie eine guter Bulle/böser Bulle Strategie. Hinweise auf Absprachen zwischen den beiden Konzernen sind allerdings meines Wissens in diesem Punkt nicht bekannt...


Altpapierkorb (Titanic-App gesperrt, Sigi Maurer freigesprochen, Ranga Yogeshwar über Corona-Berichterstattung, 75 Jahre Zeit)

+++ Google sperrt die App des Satiremagazins Titanic mit Verweis auf "Inhalte, die nicht mit unseren Sexualitäts- und Obszönitätenrichtlinien vereinbar" seien, berichtet Christiane Lutz für die SZ. Auf dem Titelbild des Magazins ist aktuell eine Karikatur mit einem halbnackten Jesus und einem Papst mit entblößtem Hintern zu sehen.

+++ Die österreichische Grünen-Politikerin Sigi Maurer ist nun doch freigesprochen worden, berichtet Cathrin Kahlweit in der Süddeutschen. Der Vorwurf der üblen Nachrede sei aus der Welt, weil die Gegenseite die Klage zurückgezogen habe. Maurer war zuvor verurteilt worden, weil sie sexistische, obszöne Nachrichten veröffentlicht hatte. Als Urheber vermutete sie einen Wiener Wirt, der die Verantwortung von sich wies.

+++ Für das NDR-Medienmagazin "Zapp" analysiert der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar die Entwicklung der Corona-Berichterstattung und ihre Probleme. Die Diagnose, dass ruhige, einordnende Stimmen oft im "medialen Bazar" verhallten und es an prominenten Wissenschaftsjournalist:innen fehle, sind nur zwei seiner Kritikpunkte.

+++ RTL baut um: Dabei soll unter anderem die Streaming-Plattform TVNow zu RTL+ werden, berichtet Thomas Lückerath bei dwdl.de. RTL verbaue sich damit den Weg für Kooperationen im Streaming-Bereich, um sich gegen Player wie Netflix, Amazon Prime oder Disney+ zu behaupten, kommentiert Gregory Lipinski bei Meedia.

+++ Die Zeit wird am Wochenende 75 Jahre alt. Der NDR würdigt den Jahrestag mit einer Dokumentation über die Geschichte und die "aufreibende Arbeit" in Redaktion.

+++ Das Reuters Institute for the Study of Journalism berichtet wie die Journalist:innen-Ausbildung in Subsahara-Afrika gelingen kann.

Neues Altpapier gibt‘s wieder am Freitag.

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