Teasergrafik Altpapier vom 25. Februar 2021: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 25. Februar 2021 Hollywood-Journalist*in müsste man sein

25. Februar 2021, 09:34 Uhr

Über die Kritik an der Golden Globes-Verleihung – und die Bestechlichkeit der HFPA-Mitglieder. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Je ne chante pas pour Cremant

"Aint singing for Pepsi / Ain’t singing for Coke". Ich auch nicht, lieber Neil Young! Nie im Leben! Pfui Teufel! "Ain't singin' for Miller / Don't sing for Bud." Ok... mach ich auch nicht! Und Champagner... zut alors, je ne chante pas pour Champagne / je ne chante pas pour Cremant. Anders gesagt: Das würde ich selbstredend ebenfalls ablehnen. Seufz.

Nicht so die 87 Kolleg*innen der Hollywood Foreign Press Association HFPA, deren Organisation seit 78 Jahren die Film- (und Fernseh-)Preise "Golden Globes" vergibt, und dies auch am Sonntag wieder tun wird: Laut eines aufsehenerregenden Artikels in der Los Angeles Times von dieser Woche (hier eine lange Meldung dazu im Spiegel, hier im Standard) hat das exklusive Grüppchen, dessen Entscheidungen seit Urgedenken kritisiert und hinterfragt werden, in diesem Jahr noch mehr Vögel abgeschossen als sonst. Angeblich bekommen die Mitglieder, die als internationale Journalist*innen über die Filme der USA berichten (und einen Wohnsitz in Süd-Kalifornien nachweisen müssen - ich hab natürlich sofort nachgeguckt, ob ich ein geeignetes Mitglied wäre...) rund zwei Millionen Dollar im Jahr für ihre Arbeit, das Filmgucken. Das macht für jede*n ein Sümmchen von ungefähr 2000 Dollar im Monat. Nebenbei. Dazu kommen weitere Zahlungen. Und womit vertrödeln die Mitglieder ansonsten den schönen Tag im kalifornischen Palmenschatten?

"Its members — relatively few of whom work full time for major overseas outlets — are routinely granted exclusive access to Hollywood power players, invited to junkets in exotic locales, put up in five-star hotels and, as Globes nominations near, lavished with gifts, dinners and star-studded parties"

schreibt die LA Times.

(Und unsereiner kämpft mit Redaktionen um die Beteiligung an einem einzigen Berlin-Hamburg-Bahncard 50-Ticket! Aber Neid macht hässlich.) Jedenfalls ist es eben nicht das erste Mal, dass die Unabhängigkeit in der Entscheidung der Kolleg*innen schwerstens in Frage gestellt wurde – zumal die Nominierungen für die diesjährigen Golden Globes wieder für Kritik sorgten: Die Serie "Emily in Paris", eine vor fiesen Froschfresser-Klischees nur so wimmelnde, Gute-Laune-RomCom-Serie aus der Feder des "Sex and the City"-Creators Darren Starr, wurde zwei Mal nominiert. "I May Destroy You", eine energetisch-düstere Dramaserie der Afrobritin Michaela Coel, kein einziges Mal. Woran das liegt: 30 Mitglieder, so heißt es, seien vorab von Netflix nach Paris eingeladen worden, um dort tagelang in 5-Sterne-Hotels im Luxus zu schwelgen, exklusive Gespräche mit Cast und Crew zu führen, und sich überhaupt zu fühlen wie Gott in Frankreich. Womit wir beim eingangs erwähnten Singen für Schampus wären.

Lack of diversity?

Neben dieser angeblich schlecht getarnten Bestechung ging es bei der Kritik um die bereits erwähnten großzügigen "Kompensationen" – und um eine allgemein unzureichende Durchmischung, zum Beispiel sei keines der 87 Mitglieder schwarz, wie die LA Times berichtet, und neben anderen das People-Magazine schreibt:

"The HFPA has long come under fire for its questionable ethics and lack of diversity among its members."

(Das mit dem "lack of diversity among ist members" konnte ich bei einer schnellen Recherche nicht ganz bestätigen, ich möchte zwar keine Hautfarben vergleichen, aber es gibt zum Beispiel neben Mitgliedern aus Ungarn, Singapur, Japan, Südkorea, Deutschland, Österreich, Finnland, Südafrika, Puerto Rico, Kuba und Mexiko auch Kolleg*innen aus Marokko, Ägypten und Tahiti. Und mir ist auch klar dass man Repräsentanz nicht wirklich auf die letzte Kommazahl prozentual ausrechnen kann, dennoch nehme ich an, dass schwarze Filmjournalist*innen aus Russland, Serbien, China, Schweden oder Griechenland vermutlich seltener sind. Hier ist eine Weltkarte mit den Namen der Mitglieder, allerdings stammt sie von 2015.)

Gibt es gerechte Filmpreise?

Dennoch stimmt, was an dem Haufen partywütiger Opportunist*innen kritisiert wird – bis zu einem gewissen Punkt: Dass sie überhaupt für ihre Sichtungsarbeit entlohnt werden, finde ich großartig. Ich bezweifle, dass es bei den ebenso oft und traditionell und zurecht kritisierten Oscarentscheidungen, die auf den engen Zeitplänen von rund 10000 Branchen-Mitgliedern beruhen, die versprechen, sämtliche Nominierungen auch ganz bestimmt zu gucken, und das alles umsonst in ihrer Freizeit machen sollen, gerechter zugeht. Gerechte Kunstpreise kann es eventuell kaum geben: Eindeutige Qualitäten sind nicht verhandelbar – aber es sind immer Geschmäcker dabei. Und vielleicht kann man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen – aber die Mitglieder der Deutschen Filmakademie schaffen jedenfalls auch selten alle ihre freiwilligen Hausaufgaben: Sie haben schließlich einen anderen, zeitaufwändigen Beruf, sie sind (hoffentlich gut beschäftigte) Filmschaffende, keine Filmjournalist*innen. Die Frage nach der Höhe der Bezahlung müsste man dennoch nochmal evaluieren. Ich würd’s für weniger machen.

Der Ausgangspunkt ist wichtig

Zurück zu "Emily in Paris" und "I May Destroy You": Der Spiegel schreibt:

"Die viel gelobte HBO-Serie »I May Destroy You« über die Folgen einer Vergewaltigung wurde komplett übergangen, stattdessen wurde die als seicht und klischiert kritisierte Netflix-Produktion »Emily in Paris« mit zwei Nominierungen, darunter der als bestes Comedy-Format, gewürdigt."

Was nicht ganz stimmt – "Emily in Paris" ist in der Kategorie "Comedy" nominiert, Coels eindringliches Drama hätte in die Kategorie "Drama" gehört – das Wort "stattdessen" impliziert jedoch, die gickernde Expat-Emily habe der Londonerin den Platz geklaut.

Wichtiger ist aber, ob das Umgarnen der HFPA-Mitglieder tatsächlich den gewünschten Erfolg hatte, oder nicht – dazu müsste man wissen, ob sie alle die Serie VOR ihrem Paris-Trip kannten und mochten, oder ob weder das eine, noch das andere der Fall war. Denn das sind zwei unterschiedliche Ausgangspunkte: Wenn man ein Kunstwerk eh kennt und liebt, wird man freudig die Einladung annehmen, es besser kennenzulernen. Wenn man es seicht und dumm findet, sollte man konsequenterweise "Non Merci" sagen, wenn Netflix einem das Pariser 5-Sterne-Hotel aufdrängt.

Ungeliebte Tattergreise

Interessant ist zudem, woher die Non-Profit-Organisaton HFPA die Kohle für das Mitgliederstreicheln und das Golden Globe-Verleihen generiert: Aus Spendengalas und den Rechten an der TV-Übertragung ihrer Veranstaltung, die fast genauso viel geschaut wird (über 20 Millionen Zuschauer*innen) wie die Oscarverleihung. Obwohl der Golden Globe branchenintern angeblich als Tattergreis-Show mit zero Relevanz verunglimpft wird, so die die LA Times über den Host von 2016, Ricky Gervais, der spöttelte, der Preis sei:

"a bit of metal that some nice old confused journalists wanted to give you in person so they could meet you and have a selfie with you.”

Und weiter:

"In a 2014 interview, actor Gary Oldman said the group was "90 nobodies having a wank” and called for a boycott of the "silly game” their awards represent." (Der Schlingel Oldman hat übrigens ein paar Jahre später trotzdem dankbar einen Globe angenommen....)

Ohnehin dachte ich immer, die die den Globes nachfolgende Party sei die Wucht in Tüten... Aber was weiß ich denn schon.


Altpapierkorb (... mit WhatsApp, Facebook-Sperrungen und dem neuen ZDF-Star Mai-Thi Nguyen-Kim)

+++ Die taz kommentiert den "neuesten Move" bei den "kryptischen Änderungen der Nutzungsbedingungen" bei WhatsApp:

"Das Unternehmen kündigte an, Nutzer:innen, die die neuen Bedingungen nicht rechtzeitig akzeptieren, trotzdem nicht komplett zu deaktivieren, wie es eigentlich folgerichtig wäre. Vielmehr sollen sie "für kurze Zeit Anrufe und Benachrichtigungen erhalten, aber in der App weder Nachrichten lesen noch welche senden können". Es wird also die Möhre vor der Nase des Esels sein: Hier, direkt vor dir, liegen diese appetitlichen Nachrichten, Anrufe, Bilder, Sprach-Memos. Und du kannst auch ran – nach dem Bestätigen der neuen Nutzungsbedingungen."

+++ Den absurden Fall der Facebook-Sperrung eines Monitor-Beitrags über den rassistischen Anschlag in Hanau, der (also der Beitrag!) angeblich gegen die Richtlinien verstieß, und der dann doch wieder zugelassen wurde, dokumentiert der Tagesspiegel.

+++ Und der ZDF-Programmdirektor kündigt in einem Interview mit der FAZ stolz eine Art Coup seines Lebens an: Man habe Dr. Mai Thi Nguyen-Kim für die neue "Bildungs- und Wissenschaftsoffensive" des ZDF gewinnen können. "Dauerhaft", sagt er hier sogar. Na hoffentlich.

Neues Altpapier gibt es am Freitag.

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