Teasergrafik Altpapier vom 4. März 2021: Porträt Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 4. März 2021 Nackt im Schaum

04. März 2021, 09:54 Uhr

Wieso sich das Familienministerium dann doch nicht über misogyne Frauenschauen aufregt, und wie AfD-Beilagen bürgerliche Zeitungen verdicken. Ein Altpapier von Jenni Zylka.

25 Jahre: uralt

Heidi Klum ist eine Füchsin. Man muss sie gut beobachten. Die Ankündigung, bei der aktuellen, 16. Staffel ihrer misogynen Frauenschau "Germany’s Next Topmodel" (GNTM) das Thema "Diversity" miteinzubeziehen, beeindruckte dementsprechend wieder mal (hier ein diesbezügliches Altpapier vom letzten Jahr) einige Berichterstatter:innen und veranlasste sie zum Kommentar, beispielsweise den Tagesspiegel:

"Alt, dick, trans natürlich, bleich, tätowiert, klein diesmal auch, und eine niedliche Gehörlose sind dabei, die dafür sorgen dürfte, dass am Ende der Staffel eine Menge Zuschauer wenigstens ein paar Basics in Gebärdensprache draufhaben. Welche andere Primetime-Sendung kann das von sich behaupten?"

(Der Gebärdensprache Mächtige würden jetzt den Daumen und Zeigefinger als Kreis geschlossen vor die Stirn halten: Die Gebärde für "keine Ahnung"). Aber erstens stimmt die Beobachtung nicht – es sei denn, man ließe das geradezu biblische Alter der Greisin unter den Kandidatinnen, 25 Lenze nämlich, gelten, und definierte alles über 50 Kilo als "dick". Und zweitens schützt der rein kosmetische (sic!) Gebrauch des Wortes Diversity nicht vor tiefsitzendem, strukturellem Sexismus. Die neue GNTM-Staffel schaffte es neben den zu Unrecht verteilten Vorschusslorbeeren jedoch sogar noch tiefer in das tagesaktuelle News-Spielfeld: Dass das Familienministerium die Sendung für einen angeblichen, Achtung schlüpfriger Schlüsselreiz. "Nackt-Walk" kritisiert habe, berichteten neben der (dabei sehr ausführlichen) Bild-Zeitung auch die Berliner Morgenpost:

"GNTM: Familienministerium übt Kritik am Nackt-Catwalk"

titelte letztere. Interessanterweise stimmt an diesem Satz rein gar nichts. Das Bundesfamilienministerium hat sich mitnichten zu der Privatfernsehen-Show geäußert, wie der Branchendienst DWDL mitteilte:

"Eine Kritik des Familienministeriums gibt es allerdings nicht, auch wenn die "Bild"-Geschichte, an der gleich drei Redakteurinnen und Redakteure arbeiteten, einen anderen Eindruck suggeriert. "Sexismus ist nichts, das wir einfach tolerieren oder ignorieren können. Gemeinsam müssen wir Sexismus ganz klar als das bezeichnen, was er ist: nämlich eine Form von Gewalt", zitiert das Blatt eine Sprecherin des Ministeriums. Tatsächlich bezieht sich diese Aussage jedoch gar nicht konkret auf die von "Bild" benannte Folge von "Germany's next Topmodel", wie das Familienministerium am Nachmittag auf DWDL.de-Nachfrage klarstellte."

Enge Abendrobe: gut

Dazu war noch nicht mal jemand nackt. Nackt ist man im Deutschen Fernsehen bekanntlich selten. Und abgesehen davon, dass sich der Sexismusgrad einer Frauenschau nur sehr ungenau am Grad der Nacktheit messen lässt (Frauen in engen Abendroben, die über Laufstege stöckeln: Gut!!!?? Frauen in Bikinis: Schlecht!!!??), liefen die Damen in Schaumkostümen und mit hautfarbener Unterwäsche über die Bühne, trugen also all das bedeckt, was nach gesellschaftlichem Konsens anscheinend noch immer den Untergang des Abendlandes einzuläuten vermag (siehe "Wardrobe Malfunction": Die gefährliche Jacksonsche Brustwarze). ProSieben behauptet im erwähnten Beitrag bei DWDL übrigens, über die falsche Berichterstattung der Bild-Zeitung entzürnt zu sein. Nunja.

Umsonst-Beilagen: Möglicherweise rechts

Aber genug davon, und zu einem anderen Ärgernis: Die Wochenzeitung "KONTEXT" behandelt das Thema der rechten Propaganda, die in Form von Umsonst-Beilagen bürgerlichen Zeitungen untergejubelt wird, zum Beispiel die AfD-Beilage "Seesicht", die den "Südkurier" jüngst kaum in die Konstanzer Briefkastenschlitze passen ließ. Hier findet sich eine umfassende Reportage dazu, in der unter anderem dieses steht:

"Formal kam der Zehnseiter wie eine redaktionelle Beilage daher. Der flüchtige Leser konnte das für eine Beilage der Lokalzeitung halten. 15.193 Euro hatte der für die Beilage verantwortliche AfD-Landtagswahlkandidat Thorsten Otterbach nach eigenen Angaben dafür bezahlt. Finanziert über Partei und nicht näher benannte Spender. Branchenkenner nennen den Preis günstig, aber nicht unanständig."

KONTEXT dokumentiert den Weg, den diese Geschichte von einem Jan Böhmermann-Tweet bis hin zur Berichterstattung durch den Spiegel nahm. Und macht in einem aktuellen Beitrag ein paar Vorschläge für Chefredaktionen, damit solche Peinlichkeiten (immerhin wird die AfD bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet) in Zukunft vermieden werden können:

"Erstens: Bevor solche Beilagen gedruckt werden – lesen. Wer mit einschlägigen Namen nichts verbindet, Kopp-Verlag, Mandic, Otterbach, kann Experten in der Redaktion fragen, die es immer noch gibt. (...) Zweitens: Bevor solche Beilagen gedruckt werden – rechnen. (...) Drittens: Bevor solche Peanuts aus den Ecken gekehrt werden – nachdenken. Über neue Strategien der Kundenbindung zum Beispiel. Bitte nicht immer nur neue Newsletter erfinden, oder neuerdings auf Tiktok-Seminare gehen, um die Generation Z zu erreichen. Und wie gesagt, die braunen Beilagen schmutzen nur."

So ist es. Beim rechtspopulistischen und schweißtreibend verschwörungsschwurbelnden Kopp-Verlag fällt mir noch ein, dass der anscheinend auch irgendeinen Deal mit AOL geschlossen haben muss, denn dort wird er mir andauernd ungefragt als nicht-personalisiertes Werbeerlebnis untergejubelt. Obwohl ich keine bürgerliche Zeitung bin. Aber vermutlich schaut er nicht genau hin.


Altpapierkorb (mit "30 Jahre mediale Spaltung", Neues Deutschland, Dr. Seuss, Karla Wege und Otto Waalkes)

+++ Die Otto-Brenner-Stiftung veröffentlichte gerade ein Arbeitspapier zu "30 Jahre medialer Spaltung", darin untersuchte der Autor Lutz Mükke unter anderem "Partizipation, Repräsentation und System-Loyalität der Ostdeutschen", und fragt,

 "ob westdeutsch geprägte Medien, die im besserwisserisch-belehrenden "Auslandsduktus" über die neuen Bundesländer berichtet haben, mit zu jenen Vertrauensverlusten beitragen, die Lügenpresse- und Staatsfunk-Rufer*innen Raum geben"

Denn:

"In den Führungsetagen der wichtigen bundesrepublikanischen Leitmedien sind so gut wie keine Ostdeutschen zu finden. Fast alle Regionalzeitungen, die im Osten erscheinen, sind in Besitz westdeutscher Medienunternehmen. In den Chefetagen der großen ostdeutschen Regionalzeitungen sind Westdeutsche ähnlich überrepräsentiert wie vielerorts beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Bei der Ausbildung von Journalist*innen sieht es nicht besser aus: Journalistenschulen bilden kaum Nachwuchs mit ostdeutschem Hintergrund aus."

(Für die umfassende Untersuchung wurden übrigens fünf männliche Personen befragt, ich sag’s ja nur.)

+++ Das passt ja dann wie, nunja, die Faust aufs Auge: Der Tageszeitung "Neues Deutschland" drohe das Aus, berichten Spiegel, Tagesspiegel und die taz – die einzige Chance sei die Umwandlung in eine Genossenschaft.

+++ Dass sechs Bücher vom Grinch Erfinder  Dr. Seuss nicht mehr neu aufgelegt werden, weil sie "Menschen auf eine Art und Weise darstellen, die verletzend und falsch ist", wie der Verlag schreibt, berichten mehrere Medien, u.a. die FAZ – Stephen Colbert zieht hier in seiner Talkshow den Zusammenhang zu damit verbundenen "Cancel Culture"-Rufen von Fox News, und unterstreicht die Relevanz der Bekämpfung von strukturellem Rassismus. Denn schließlich muss immer gelten: "A person’s a person. No  matter how small!"

+++ Und die Süddeutsche erinnert an die verstorbene Meteorologin und "Wetterwahrsagerin" Karla Wege, und an Otto Waalkes: "Ein über Schleswig-Holstein liegendes Tief kommt hinten nicht mehr hoch."

Neues Altpapier kommt am Freitag

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