Das Altpapier am 8. März 2021 Die Unvernunft der Leitmedien
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08. März 2021, 12:44 Uhr
Warum beim Thema Öffnungen die Medienrealität von der Realität abweicht. Warum Journalismus zum Klimawandel oft analytisch flach ist. Warum der Umgang des fiktionalen Fernsehens mit Geschichte oft ahistorisch ist. Warum die gefaketen Gefühle der Kulturradio-Moderatoren nerven. Ein Altpapier von René Martens.
Inhalt des Artikels:
- Der Druck, der nicht real ist
- Der mediale Anti-Sternchen-Populismus
- Der blinde Fleck der Klimaberichterstattung
- Die "Lebensleistung" eines "DSDS"-Stars
- Neues Opium fürs Volk
- Jahreszahlen sind langweilig
- Altpapierkorb (private Interviewfragen an Managerinnen, Protest gegen frauenfeindliche Arbeitsbedingungen bei Tamedia, "Filmfrauen"-Reihe)
Der Druck, der nicht real ist
Steigen wir heute mal mit zwei uralten Fragen der Medienkritik ein: Folgen die Leitmedien zu sehr den Agenden der Politik, zumal Redaktionen heute ja fast jedes getwitterte Bäuerchen eines Volksvertreters weiter verbreiten? Oder lässt sich vielmehr die Politik zu sehr von den Leitmedien leiten?
Letztere Frage hat Karl Lauterbach gerade mit Ja beantwortet:
"Ich teile (die) Einschätzung, dass wir Politiker dem vermeintlichen Druck auf Lockerungen aus (der) Bevölkerung zu oft nachgeben, auch wenn er nur in den Medien real ist."
Mit dieser Aussage - die er sinngemäß bei "Anne Will" wiederholte - reagierte Lauterbach auf eine "Ad-hoc-Analyse" des Institut für Kommunikationswissenschaft an der LMU München, die dessen Leiter, Carsten Reinemann, bei Twitter verbreitet hat. Reinemann schreibt:
"Vor der letzten MPK hatten viele Menschen und vielleicht auch die Politik einen falschen Eindruck vom Meinungsklima zu den Corona-Maßnahmen. Generell wurde die Zahl der Gegner überschätzt, besonders von den Gegnern selbst (…)"
Es geht in Reinemanns Thread um die allgegenwärtige "Die Menschen wollen Lockerungen"-Botschaft, um "verzerrte Wahrnehmungen" und den "irreführenden Umgang mit Umfragen" sowie den Unterschied zwischen dem "tatsächlichen" und dem "wahrgenommenen Meinungsklima".
Dass die Bevölkerung tendenziell vernünftiger ist, als es manche der "Aber die Wirtschaft!"-Rufer in den Leitmedien eben dieser Bevölkerung weismachen möchten, ist ja immerhin eine gute Nachricht.
Der mediale Anti-Sternchen-Populismus
Ein Beispiel für den, freundlich formuliert: irreführenden Umgang mit Umfrageergebnissen, das bei Reinemann nicht vorkommt, findet sich bei Übermedien. Die Irreführer, um die es dort geht, arbeiten für die Welt am Sonntag.
Dass es, um Formulierungen Lauterbachs und Reinemanns aufzugreifen, einen Unterschied gibt zwischen dem tatsächlichen Meinungsklima und dem Druck, "der nur in den Medien real ist", lässt sich auch beim Thema Gendern beobachten. Christine Olderdissen hat für genderleicht.de ein Gespräch mit drei Personen geführt, die an der Einführung des Gendersternchens bei der Kieler Stadtverwaltung beteiligt waren, und wenn man mal den Bezug zu Stadtverwaltungen außen vor lässt, lässt sich zumindest folgende Passage auch als Generalkritik am Umgang vieler Medien mit dem Thema Gendern lesen:
"Die Presse stellt die Einführung des Genderns in einer Stadtverwaltung immer sehr verkürzt dar, ich möchte schon sagen: zugespitzt, populistisch und reißerisch. Wir beobachten, wie Artikel um gendergerechte Sprache am meisten geklickt werden und auf Twitter am besten gehen. Je provozierender und je negativer, umso besser, das bringt Reichweite, sonst nichts. Ich würde mich freuen, wenn stattdessen ernsthaft nachgefragt werden würde, eine richtige Berichterstattung statt Provokation."
Das sagt der für die Agentur Fairlanguage tätige Berater Michael Martens. So zutreffend das auch ist: Man muss natürlich betonen, dass der Mann kein unabhängiger Experte ist. Er ist nicht zuletzt daran interessiert, dass mehr Kunden die Beratungsleistungen seiner Agentur buchen.
Ein Opfer des medialen Populismus ist die Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum, die Jan Stremmel am Wochenende für den Gesellschafts-Teil der SZ porträtiert hat. Stremmel schreibt.
"Alles begann mit einem Aufmacher in der Welt, Anfang Januar, Überschrift: 'Der Duden wird jetzt zur Dudin'. Online lautete sie, investigativ angespitzt: 'Wie der Duden heimlich gegendert wird'. Kunkel-Razum lacht. Heimlich, da gehe es ja schon los. 'Wir machen gar nichts heimlich. Wir schicken aber auch keine Pressemitteilung raus, wenn wir unsere Website aktualisieren.' Das tun sie nämlich alle paar Tage. Es folgte eine Meldung der dpa, die in Dutzenden Medien verbreitet wurde. Darin ist von 'abenteuerlichen Kreationen' die Rede, etwa 'Bösewichtin'. Dabei steht (…) dieses Wort schon seit 2006 im Duden, weil es nachweislich immer häufiger benutzt wird, besonders in Filmrezensionen. Da wären wir schon beim zweiten Missverständnis: Der Duden bildet ab, was draußen im Sprachraum gesagt und geschrieben wird. Und nicht andersherum. Aber so nahm die Empörung langsam an Fahrt auf."
Die Springersche Witzelei "Dudin", die die SZ aufgreift, fanden sie beim Spiegel ja so töfte, dass sie sie in leicht abgewandelter Form ("Dud*in") auf ihr Cover gepackt bzw. für die Online-Fassung ihrer Titelgeschichte (€) über den "Kulturkampf um die deutsche Sprache" als Illustration verwendet haben.
Aufschlussreich, was den Umgang der Medien mit dem Thema Gendern angeht, ist möglicherweise ein Tweet des Dresdner Linguistik-Professors Alexander Lasch:
"Wenn die Morgenpost Dich anruft wegen Gendersprache und Du meinst, alle sollten einmal ruhig durchatmen. Dann erscheint das Interview halt auch nicht."
Wer bei den alarmistischen Medienspielchen und all dem "Kulturkampf"-Gedengel nicht mitmachen will, der muss hinnehmen, dass er mit seiner Position außen vor bleibt. Die im Tweet erwähnte Morgenpost ist übrigens nicht die aus Berlin oder Hamburg, sondern eine der letzten Zeitungen aus dem Reich von Gruner + Jahr.
Der blinde Fleck der Klimaberichterstattung
Lorenz Matzat hat am Wochenende seinen "Klimajournalismus"-Newsletter gestartet, und wie es sich für ein neues journalistisches Projekt - und erst recht bei diesem Thema - gehört, schlägt er gleich ein paar Pflöcke ein:
"(D)er aktuelle gesellschaftliche Umgang mit der Klimakrise (scheint mir), gelinde gesagt, nicht angemessen. Damit auch nicht der des Journalismus dieser Gesellschaft (…) Selbstredend gibt es nicht den einen Journalismus. Ich meine hier vor allem den Mainstreamjournalismus, der durch die größeren Zeitungen, Zeitschriften, Onlinemedien und Sender abgebildet wird – gemeinhin auch Leitmedien genannt. Derjenigen Medien also, deren Perspektiven und Themen durch die hegemonial vorherrschenden Gesellschaftserzählungen bedingt werden, die diese Hegemonie gleichzeitig in einer Wechselbeziehung mit formen."
Matzat weiß natürlich, dass die Formulierung "Mainstreamjournalismus" nicht unproblematisch ist, weshalb er mit einem Link zu dieser Fachbuch-Rezension deutlich macht, in welchem Sinne er den Begriff verwendet. Trotzdem wäre ich dafür, nicht mehr von "Mainstreamjournalismus" zu sprechen, weil der Begriff von rechts gekapert wurde. Was wäre denn ein guter Ersatz: vielleicht Leitmedienbetrieb? Der würde wohl auch nicht immer funktionieren. Vorschläge nehme ich auf den bekannten Wegen gern entgegen.
Matzat schreibt weiter:
"Die erste Grenze des Journalismus ist die seines Selbstverständnisses. Das kreist in parlamentarischen Demokratien um Begriffe wie Unabhängigkeit, Neutralität, Objektivität, Unparteilichkeit usw.. Diese Selbsterzählungen funktionieren nur durch die Setzung der eigenen hegemonialen Weltansichten als einzige Wahrheit (Demokratie gut, Marktwirtschaft gut usw.). In diesem Sinne sind die Auswirkungen der zentralen Wirkweisen des Wirtschafts- und Konsumsystem, das einen Eckpfeiler unserer Gesellschaft bildet, tabu: Im Kapitalismus war über Jahrhunderte lang das Klima keine Größe und damit kam sein Umweltverbrauch als Kostenfaktor nicht vor. Die ihm innewohnenden Bereicherungsmechanismen, die zwangsläufig Ausbeutung und Ungleichheit hervorbringen, sind kein Thema. So bleibt auch Journalismus zum Klimawandel oft analytisch flach und wirkt hilflos. Weil er seinen blinden Fleck nicht erkennen kann, ihn aber doch immer umschiffen muss: Der menschengemachte Klimawandel geht ursächlich auf das rücksichtslose Wirtschaftssystem zugunsten des konsumorientierten Lebenswandels der Einwohner*innen der westlichen Industriestaaten zurück."
Matzat schlägt bei seiner Newsletter-Premiere dann gleich auch noch einen Bogen zu anderen grundsätzlichen (und mit den bereits genannten zusammen hängenden) Schwächen der leitmedialen Politik-Berichterstattung:
"Die Belange und Interessen von grob geschätzt der Hälfte der Gesellschaft hierzulande – das Prekariat, die Unterschicht, das einkommensschwache Milieu, die Subalterne oder wie auch immer – finden im Mainstreamjournalismus kaum statt."
Die "Lebensleistung" eines "DSDS"-Stars
Bei 54books würdigt Victor Sattler die "Lebensleistung" Lana Kaisers für die hiesige LGBTQ+-Bewegung. "Lana Kaiser" ist der Wahlname jener Person, die dem Großteil der Altpapier-Leserschaft eher unter dem Namen Daniel Küblböck bekannt sein dürfte, und Anlass für den Text ist eine nach diesem Wahlname benannte Videoinstallation des Künstlers Philipp Gufler. Sattler schreibt
"Das Material, an dem sich (…) Gufler bedient hat, kann man längst von RTL und anderen Privatsendern kennen. Der Effekt der Bilder hingegen ist neu (…) Die Interviews und Clips aus den Nullerjahren bieten Zeugnis genug für eine ganze Laudatio. Damals waren diese Szenen kleine Portale in die Zukunft, in unsere Gegenwart."
Kaiser, so Schaller, sei es gelungen,
"früh eine Identität (zu) formulieren (…), die man heute als 'Nichtbinär' oder auch 'Genderqueer' bezeichnet – und das, ohne die Fachausdrücke zu benötigen, ohne den Segen der 'DSDS'-Jury abzuwarten, geschweige denn eine bessere Zeit. Zu Beginn der Nullerjahre gehörte es noch zum Fernsehbrauchtum, dass Entertainer:innen wie Stefan Raab ihren Vorurteilen über LGBTQIAP+ ganze Beiträge widmeten. Auch bei Raab saß Kaiser 2004 auf der Couch. Wurde Moderator:innen und Interviewer:innen die Genderqueerness erklärt, reagierten sie oft mit mildem Unverständnis, einer gerunzelten Stirn, eine Moderatorin unterbrach Kaiser. Dabei waren diese Coming-Outs, denen man schon 2003 und 2004 auf RTL und ProSieben lauschen konnte, so besonnen und eingängig, dass sie jedes Kind verstanden hätte."
So zu tun, als ob man nicht versteht, was jedes Kind versteht - das ist ja bis heute Teil des leitmedialen Kerngeschäfts, jedenfalls bei nahezu allen gesellschaftlich relevanten Themen.
Der 54books-Autor kritisiert in seinem Text zudem die Berichterstattung über den mutmaßlichen Suizid Kaisers im Herbst 2018:
"Als vor zwei Jahren über das Kreuzfahrt-Unglück geschrieben wurde, nahmen die Berichte und Nachrufe, sei es bei BILD oder bei der BBC, keinerlei Notiz von der geschlechtlichen Identität, zu der Kaiser sich mehrmals öffentlich und zuletzt auf Instagram bekannt hatte. Warum eigentlich nicht? 2018 ließ sich bereits ein Mindestmaß an Aufklärung und Sensibilität von den Redaktionen erwarten. Es wäre ein Leichtes gewesen, wie in diesem Text auch den selbstgewählten Namen 'Lana Kaiser' zu nutzen oder auf ausschließlich männliche Pronomen zu verzichten. Es geht ohne."
Neues Opium fürs Volk
Der wichtigste fernsehkritische Text der jüngeren Vergangenheit ist beim Monopol-Magazin erschienen, also an einem Ort, an dem Fernsehkritik eher selten stattfindet. Leider erscheinen in Medien, bei denen Fernsehkritik eine etwas größere Rolle spielt, keine so monumentale Fundamental-Verrisse, wie ihn Oliver Koerner von Gustorf für die Kunstzeitschrift über die Amazon-Prime-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" verfasst hat. Der Text ist 31.000 Zeichen lang; im Folgenden seien "Stellen" gewürdigt, die über die genannte Serie hinaus relevant sind:
"Mich stört, dass die Produzenten, der Regisseur und das Team die ganze Geschichte, diese Ära (…) lediglich als Folie für eine Art Karneval, Freak-Show oder Diversity-Spektakel sehen – für visuelle Effekte, für pseudo-schockige Szenen, surreale Einfälle. Jede Sekunde ist aufgeregt, überhöht, wie ein einziger Werbespot."
Dieser Umgang mit dieser Geschichte ist für Koerner von Gustorf symptomatisch für einen fiktionalen Umgang mit Geschichte überhaupt. Karl Marx' Bezeichnung von Religion als "Opium des Volkes" könnte "heute durch post-faktisches Fernsehen ersetzt werden". Gemeint sind damit
"Filme und Streaming-Serien, die Geschichte, soziale, kulturelle, biografische Zusammenhänge bewusst für null und nichtig erklären, die eine ahistorische, völlig subjektive Parallelwelt erschaffen, die nur wahr ist, weil man es so will. Man hat keine Verpflichtung gegenüber der Wirklichkeit, man schafft sie sich. Eine Stadt etwa ist ein Topos von Geschichte und Erinnerung. Doch darauf wird gepfiffen, Architekturen, Looks, Geschichten, Menschen werden wie ein Patchwork zusammen gemorpht, weil es sexy aussehen, etwas hermachen soll (…)
Koerner von Gustorfs Zwischenfazit:
"'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' ist nur eine von vielen Serien oder Filmen, die reale historische oder biografische Zusammenhänge und Ereignisse als eine kommerzielle Schlachtplatte nutzen, um superglatte Ausstattungsfilme zu schaffen, die in einer hybriden, bereinigten, kunterbunten Parallelwirklichkeit spielen (…) (und) ganz beiläufig auch heiße soziale Themen bearbeiten und Diversität zeigen."
"Bridgerton" ist eines der anderen Beispiele, das der Autor in diesem Kontext nennt.
Jahreszahlen sind langweilig
Zur Lage und zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Kulturradios haben wir an dieser Stelle in den vergangenen Wochen viel gesagt, zugespitzt und interpretiert (zuletzt hier). Etwas ungerecht war dabei möglicherweise, dass die Kritik vor allem dem WDR galt. Dabei setzt auch zum Beispiel auch der RBB alles daran, den Moderierenden und dem Publikum seiner Kulturwelle das Leben schwer zu machen. In der vergangenen Woche ist in VAN, einem Online-Magazin für klassische Musik, ein Artikel erschienen, der ausführlich aus Leitfäden zitiert, an denen sich die Moderierenden bei WDR 3 und RBB Kultur orientieren sollen. Da wir, wie bereits angedeutet, schon viel über den WDR geschrieben haben, konzentrieren wir uns an dieser Stelle auf den RBB.
Der möchte zum Beispiel nicht, dass in Moderationen erwähnt wird, wann ein Stück entstanden oder aufgenommen wurde:
"(Jahreszahlen) sind ein sicheres Indiz dafür, dass die Sache, über die geredet wird, vorbei ist. Gleiches gilt für historische Erzählungen, die man auch an anderer Stelle nachlesen kann. Damals? Langweilig!"
Ist letzteres Zitat möglicherweise Ausdruck eines ähnlichen Umgangs mit Geschichte, wie ihn Oliver von Koerner Gustorf für Film- und Serienproduzenten beschreibt? Plädieren auch Radiomacher, die solche Moderationsregeln aufstellen, dafür, sich aus der Geschichte zu bedienen, aber eben auf ahistorische, Zusammenhänge ignorierende Weise?
Der Passus mit den "langweiligen" Jahreszahlen wird übrigens noch getoppt von folgendem:
"Niemand kann alles wissen. Auch wir nicht. Es gibt also auch keinen Grund, so zu tun. Unser Publikum prüft uns nicht, ob wir kulturbeflissen alles richtig machen. Und die drei Studienräte, die es dennoch tun, halten wir aus."
Hatten jene, die das verfasst haben oder verfassen ließen, eine schwere Kindheit, und machen sie möglicherweise "Studienräte" dafür verantwortlich? Oder wie ist diese Abneigung gegen Wissen und Bildung, die hier zum Ausdruck kommt, sonst zu erklären?
Charakteristisch für die Moderationen, wie sie sich die Feinde der Studienräte wünschen, sind gefakete Gefühle, sind Sätze wie "Ich weiß nicht, ob Sie heute schon den Sonnenaufgang gesehen haben" (die Formulierung stammt aus dem Leitfaden für WDR 3). Auf diesen Trend geht auch Helmut Mauró in einem Text für die SZ-Kolumne "Unser Beitrag" ein. Es geht um die Sendung "Wunschmusik" bei BR-Klassik:
"'BR-Klassik gratuliert allen, die sich heute das Ja-Wort geben', sagt die Moderatorin in diesem zerdehnten BR-Sprech, der selbst dem 'Betthupferl' die falsche Würde einer Neujahrsansprache gibt. Es gibt kaum Übergriffigeres als Moderationseuphorie, zumal, wenn sie auf den wackeligen Stelzen hohler Begeisterung dahertappst. Das ist dürre Empfindungslosigkeit, versteckt unter dem leeren Pathos persönlichster Empathie."
Dass hier von den Moderierenden ständig verlangt wird, Euphorie zur Schau zu stellen, ist das eine. Es stellt sich aber natürlich noch die Frage nach dem Sinn so eines Formats: Warum braucht man in Zeiten von Spotify und Co. noch Sendungen, in denen man sich Musikstücke wünschen kann?
Altpapierkorb (private Interviewfragen an Managerinnen, Protest gegen frauenfeindliche Arbeitsbedingungen bei Tamedia, "Filmfrauen"-Reihe)
+++ Die SZ (€) geht auf eine Studie ein, mit der die Kommunikationsberatung Finsbury Glover Hering anhand von "mehr als 600 Interviews" in deutschsprachigen Medien untersucht hat, inwiefern sich in diesen Gesprächen die Fragen an männliche und weibliche Personen unterscheiden: "Statt zur Strategie des geführten Unternehmens und anderen klassischen 'harten Themen' fragen Journalistinnen und Journalisten ihre Gesprächspartnerinnen deutlich häufiger nach ihrer Kindheit und Herkunft, ihrem Führungsstil, der Unternehmenskultur - also stereotypischen Frauenthemen. Gründerinnen und Unternehmensmanagerinnen werden mehr als sechs Mal so häufig als Privatperson dargestellt wie ihre männlichen Kollegen."
+++ 78 Journalistinnen der Tamedia-Gruppe (Tages-Anzeiger, Basler Zeitung) protestieren in einem Brief an die Chefredaktion gegen die frauenfeindlichen Arbeitsbedingungen in den Redaktionen des Hauses, die bereits für viele Kolleginnen ein Grund gewesen seien, ihren Job zu kündigen. persoenlich.com schreibt dazu: "Nun kommen Details zu dieser Arbeitsatmosphäre im Schreiben auf den Tisch. Wie aus dem Brief hervorgeht, werden etwa in Sitzungen 'Frauenthemen unverhältnismässig hart kritisiert, teilweise niedergemacht. Der Umgangston sei harsch. Es sei vorgekommen, dass Mitglieder der Chefredaktion es tolerierten, wenn Frauen von Vorgesetzten beleidigt wurden. Solche und viele weitere Beispiele listen die Frauen auf acht Seiten auf. So auch folgende Schilderung einer Themenrunde: "Ein Teamkollege schlägt ein Stück zu Corona-Krediten mit einer Umfrage bei verschiedenen Banken vor. Ich übernehme das Thema. Ein anderer Teamkollege sagt daraufhin: 'Dann musst du das Kleine Schwarze hervorholen'."
+++ Der Beitrag der Online-Plattform ZDFkultur zum Internationalen Frauentag ist eine neue Staffel der 2020 für den Grimme-Preis nominiert gewesenen Interviewreihe "Filmfrauen". Eine der hier Interviewten ist die in zahlreichen DEFA-Filmen mitwirkende Carmen-Maja Antoni, die auch mehr als ein Vierteljahrhundert Mitglied des Berliner Ensembles war. Anlässlich der zweiten Staffel hat Christiane Peitz für den Tagesspiegel mit Antoni gesprochen - unter anderem über die Zeit unmittelbar nach der Wende. Antoni sagt dazu: "Die West-Intendanten hatten in Berlin vielleicht mal die Schaubühne besucht, aber sie kannten die Ensembles im Osten nicht. Deshalb begegneten sie uns mit Misstrauen. Wir hingegen hatten West-Fernsehen geguckt und uns Nächte lang Videokassetten mit Theateraufzeichnungen angeguckt. Wir kannten die Regisseure, waren ganz erpicht darauf, mit einem George Tabori, einem Peter Zadek zu arbeiten. Wir mussten uns wieder vom Wickelkind zum Schulkind hocharbeiten. Einer hat mich mal gefragt, ob ich auch singen könne. In allen Brecht-Stücken wurde gesungen! Da wird man auch mal grantig."
Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.