Das Altpapier am 3. November 2017 That escalated quickly

Die neue Brieffreundschaft zwischen öffentlich-rechtlichen Redakteuren und Mathias Döpfner in der Feinanalyse mit Video-Beweis. Daran angeschlossen: Wofür fünf Prozent des Rundfunkbeitrags auch ausgegeben werden könnten. Außerdem: Ein internationales Medienvielfaltserhaltungsplädoyer für Malta. Gesichtserkennung im Test. Berliner Hunde werfen viele Fragen auf. Alles wird gut, nun auch für Audible. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Vielleicht wäre alles nicht so schnell eskaliert, hätten die Mitglieder der AGRA, der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse, für die Kollegen Zeitungsredakteure einen visuellen Meinungsbeitrag produziert statt ihnen einen offenen Brief zu schreiben und den dann auch noch ins Internet zu stellen. Denn geschriebenes, digitalisiertes Wort von öffentlich-rechtlichen Mitarbeitern, das sieht man bei den Hütern des Gedruckten, auch bekannt als BDZV, nicht gerne.

"Unsere Forderung ist ganz einfach: Die Online-Angebote der ARD sollten so aussehen wie die des ZDF. Das heißt: im Wesentlichen auf Video und Audio-Angeboten basierend, der Textanteil deutlich unter 30 Prozent",

so antwortete Chefdrucker Mathias Döpfner (ebenfalls öffentlich und veröffentlicht auf der Website des BDZV) auf das Schreiben der Redakteure, das sie "Frankfurter Erklärung“ nennen. Darin merkten sie u.a. an, sie fühlten sich "diskreditiert, wenn Sie uns als Staatsfunk bezeichnen und uns damit unterstellen, dass wir uns politisch steuern lassen" und stellten die Frage in den Raum:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen, fällt es Ihnen eigentlich nicht auf, dass Sie mit dieser Kampagne auch den Journalismus insgesamt beschädigen?"

Gestern Mittag veröffentlichte die AGRA ihre Erklärung, nachmittags antwortete Döpfner, um 17.59 Uhr twitterte Stefan Niggemeier "Döpfner lügt" und konnte auch gleich einen dazugehörigen Beitrag bei Übermedien verlinken.

Nicht, dass es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass die Stimmung zwischen ARD, ZDF und BDZV, Stefan N., Matze D. und AGRA (zu lesen bitte in diesem Beat) ziemlich aufgeheizt ist. Aber hier wäre er.

Also: diese Sache mit der Lüge. Dröseln wir mal auf.

Hefte raus, Klassenarbeit: Der Konjunktiv

Nur "ein Missverständnis" sei es, wenn die öffentlich-rechtlichen Journalisten sich in ihrer Arbeit verunglimpft fühlten, teaserte Döpfners Welt, die das Schreiben ihres Chefs ebenfalls im Wortlaut veröffentlichte. Tatsächlich tut dieser gleich zu Beginn explizit seinen "Respekt vor den Leistungen der Journalistinnen und Journalisten von ARD und ZDF" kund, um dann zu erklären:

"Wenn dann irgendwann quasi nur noch öffentlich-rechtliche Online-Zeitungsangebote zur Verfügung stünden, dann und nur dann würde eine Art 'Staatspresse' entstehen, ein Monopol, das von zentral erhobenen Gebühren lebte und unter der Aufsicht von Politikern aller Parteien stünde. Dieses Konjunktiv-Szenario als Vorwurf miss zu verstehen, die Journalisten der ARD seien 'Staatspresse', ist böswillig. Gemeint war es so nie."

Auftritt Stefan Fries, @mediasres (Links im Original):

"Döpfner hatte allerdings beim Zeitungskongress im September (PDF) in Stuttgart im Indikativ gesagt: 'Wir erleben im Netz nach wie vor eine mit öffentlich-rechtlichen Geldern finanzierte Flut textbasierter Gratis-Angebote, nichts anderes als eine gebührenfinanzierte Staats-Presse, die den Wettbewerb verzerrt und uns Presseverlagen kaum Entfaltungsmöglichkeiten lässt.' (Beim NDR auch als Video.)"

Wer nicht den ganzen, verlinkten NDR-Beitrag sehen mag, für den wurden mittlerweile von "Zapp" die zentralen 19 Sekunden extrahiert und vertwittert.

Von Niggemeier zugespitzt wird daraus bei Übermedien :

"Er will das jetzt nicht so gemeint haben. Er hat es aber so gesagt. Seine Empörung darüber, dass man ihm das vorhält, ist Heuchelei. Und basiert auf einer Lüge."

Womit wir auf die Medienseite der FAZ und zu Michael Hanfeld schalten können, der in Bezug auf Döpfners Rede auf dem BDZV-Kongress schreibt (Blendle-Link, you know the drill):

"Da wurde der von Döpfner verwendete Konjunktiv, der Irrealis, in dem er von einem Land mit 'Staatsfunk' und 'Staatspresse' sprach, was eher nach dem Geschmack von Nordkorea 'wäre', als Indikativ ausgelegt. Unter anderem, wenn wir uns nicht ganz falsch erinnern, von lieben Kolleginnen und Kollegen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. 'Für sachliche und konstruktive Kritik sind wir jederzeit offen!', schreiben die Agra-Redakteure. Na denn!"

Et voilà: Auch der Konjunktiv findet sich im Bewegtbild festgehalten, ausgerechnet bei tagesschau.de ab Sekunde 30.

Es wäre also bewiesen: Mathias Döpfner beherrscht nicht nur Indikativ und Konjunktiv, sondern ebenso die Kunst des selektiven Vergessens. Damit ist er jedoch nicht alleine, denn auch, nur zum Beispiel, Stefan Fries hätte mit einer einfachen Suche nach "Staats-Presse" in dem von ihm als PDF-verlinkten Rede-Manuskript neben dem zitierten Indikativ auch das Zitat im Konjunktiv finden können.

Beide Seiten tun sich nichts, vor allem keinen Gefallen. Im Internet nennen wir so etwas ja einen gepflegten Clusterfuck.

Wo Döpfners Brief aus der Zeit gefallen ist und was zu besprechen wäre

Besonders ärgerlich ist an der Tatsache, dass nun alle schon wieder höchst empört auf Palmen hocken, dass die öffentlich-rechtlichen Redakteure recht haben, wenn sie schreiben, dass diese ganze Debatte - oder nennen wir sie Kampagne? - dem Journalismus schadet und darunter noch ganz andere Dinge leiden.

In einem weiteren Artikel bei welt.de findet sich etwa folgendes Zitat von Sergej Lochthofen, Mitglied des Deutschen Presserats und zwischen 1990 und 2009 Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen:

"'Ein Frontalangriff' auf die öffentlich-rechtlichen Sender sei gerade mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Situation im Osten Deutschlands 'brandgefährlich', sagte Lochthofen in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur. 'Das Fernsehen ist inzwischen das einzige Medium, dass im Osten noch eine gewisse Relevanz besitzt.'"

Hier lohnt sich nun ein weiterer Blick in Döpfners Brief, der sein Problem mit durch Rundfunkgebühren finanzierten Texten wie folgt erklärt:

"Das ist deshalb so problematisch, weil die gebührenfinanzierte ARD es mit ihren extrem umfangreichen regionalen und vermehrt lokalen Nachrichtenangeboten jedem Zeitungsverleger sehr schwer macht, für seine digitalen Angebote Abo-Gebühren zu erheben. Denn das gefühlt kostenlose Angebot der ARD-Sender stünde sonst neben einem zu bezahlenden Angebot der Zeitungsverlage. Warum sollte sich eine Leserin oder ein Leser für ein solches Bezahlangebot entscheiden?"

Döpfner weiß, wovon er spricht, schließlich ist er nicht nur Chef des BDZV, sondern auch der Axel Springer SE, die sich bereits 2013 von ihren Regionalzeitungen trennte und dabei sicher wusste, was sie tat. Nämlich Unrentables loswerden.

Wenn man nicht gerade Lobbyist der Printindustrie ist, könnte man Döpfners Zitat von gestern als aus dem Jahr sagen wir 1985 zu uns gereist bezeichnen, denn wenn die Öffentlich-Rechtlichen vermehrt Lokales machten, dann wäre das zu diesem Zeitpunkt kein Angriff auf die Verlage, sondern ein Füllen der Lücke, die diese seit Jahren beständig vergrößern.

(Diese Konjunktive werden Ihnen präsentiert von der Tatsache, dass ich gestern Abend die RBB-"Abendschau" sah und dort einen Beitrag über einen, uiuiui, Piercer! Das ist echt nicht der Lokaljournalismus, den wir gerade brauchen, Einschub Ende.)

Es wäre also angebracht, den Fokus vom Erhalt des privaten Geschäftsmodells ab und an auch mal auf den des Systems Journalismus und - Hallo, Pathos! - damit auch der Demokratie zu lenken. Journalisten aller Länder kämen mir persönlich als für eine solche Debatte prädestiniert als erstes in den Sinn.

"Gerne bin ich bereit, diesen Dialog auch mit Ihnen persönlich und öffentlich fortzusetzen. Es geht um viel", schreibt (wirklich das letzte Zitat von ihm, versprochen) Döpfner.

Wie toll wäre es, wenn er das wirklich ernst meinte und nicht gleich des Gegenteils überführt werden könnte (Daniel Bouhs bei Twitter):

"'Gerne bereit, diesen Dialog auch ... öffentlich fortzusetzen'? Seit Monaten: Ablehnung unserer Interview-Anfragen".

Altpapierkorb (Rundfunkgebühr für Innovationsagentur, Medienvielfalt für Malta, Roboter-Frau für Saudi-Arabien)

+++ Worüber man zum Beispiel bei der Gelegenheit sprechen könnte: "Fünf Prozent des Rundfunkbeitrages sollten nicht den Anstalten zugewiesen werden, sondern einer Innovationsagentur. (…) Dafür sehe ich drei Schwerpunkte: (…) die Förderung audiovisueller Inhalte und innovativer Formate insbesondere für Zielgruppen, die die Anstalten nicht oder nicht mehr erreichen (…), die Stärkung der Zivilgesellschaft als Gegenkraft zu global dominierenden Medienunternehmen (…), die Förderung unabhängiger Forschung zu Medien und Kommunikation." Das schlägt der ehemalige Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Hans Hege, heute im Tagesspiegel vor.

+++ Was derweil die neue nordrhein-westfälische CDU/FDP-Landesregierung medienpolitisch plant, hat Volker Nünning für die Medienkorrespondenz zusammengefasst. Zum oben formulierten Zweikampf wolle man etwa "in einen strukturierten Dialog mit der Medienbranche in Nordrhein-Westfalen" eintreten.

+++ Offener Brief II: Zahlreiche internationale Chefredakteure wenden sich in einem solchen an die EU-Kommission, damit diese nach dem Mord an der Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia (s. Altpapier) die Unabhängigkeit der maltesischen Medien im Blick behält. "Wie Sie wissen, hat die Überprüfung der Medienvielfalt durch die Europäische Kommission im Jahr 2016 Befürchtungen geweckt hinsichtlich der fehlenden Unabhängigkeit maltesischer Medien von der Politik", heißt es dort u.a. Den ganzen Brief hat sueddeutsche.de veröffentlicht.

+++ "Oleksandr Chornovalov von der ukrainischen Redaktion von Radio Liberty wird bedroht. Der in Kiew tätige Reporter, Fachmann für Korruptionsskandale, der für seine Recherchen über illegale Abholzungen 2015 mit einem ukrainischen Umweltpreis ausgezeichnet worden war, wird laut dem Sender seit Tagen von Unbekannten verfolgt." Die taz berichtet.

+++ Falls Sie sich dafür interessieren, was Gesichtserkennung so alles kann, hat das Digitalteam der Berliner Morgenpost da schon mal etwas vorbereitet.

+++ Warum sich ein Journalist, der gerne Pressereisen nutzt, besser nicht darüber aufregen sollte, dass man Autojournalisten Käuflichkeit vorwirft, klärt Ulrike Simon in ihrer Spiegel-Daily-Kolumne.

+++ Öffentlich-rechtliche Krimiflut auf der einen, Probleme bei der Berichterstattung über reale Kriminalität auf der anderen Seite ist das Thema der evangelisch.de-Kolumne von Altpapier-Kollege Christian Bartels. "Zum Eindruck der Unwucht trägt noch etwas bei: dass ARD und ZDF im fiktionalen Bereich in einem irrsinnigen Ausmaß auf das setzen, worauf sie in ihren Nachrichten weitgehend verzichten, und insgesamt mehr ausgedachte Morde zu Unterhaltungszwecken verfilmen als in Deutschland vermutlich überhaupt geschehen. (…) Gibt es nicht andere fiktionale Genres und andere Fernsehformen, zum Beispiel dokumentarische, genug?"

+++ Für alle, die nach dieser Woche immer noch nicht genug von Martin Luther haben, bietet sich die Lektüre der aktuellen Ausgabe epd medien an, in der Norbert Schneider ausführlichst das "Reformationsjubiläum im Spiegel der Medien" analysiert (derzeit nicht online).

+++ Saudi-Arabien hat eine neue Staatsbürgerin. Sie heißt Sophia, ist Roboterin, und was das über künstliche Intelligenz sowie Frauenrechte in dem arabischen Königreich aussagt, diskutiert Adrian Lobe auf der Medienseite der FAZ (Blendle-Link).

+++ "Stecken Neonazis aus Marzahn dahinter? Der türkische Familienclan des Fußball-Superstars? Irre Fußballfans? Die Berliner Mafia? Oder führt die Beweiskette gar in die höchsten Ämter der Hauptstadt?" Solche Fragen drängen sich in der neuen, deutschen Netflix-Serie "Dogs of Berlin" nach dem Mord an einem deutsch-türkischen Fußballer auf, schreibt Timo Niemeier bei DWDL. In dieser Woche war Drehbeginn. Für den Tagesspiegel berichtet Kurt Sagatz.

+++ Katrin Bauerfeinds neue 3sat-Sendung "Bauerfeind - die Leseshow" ist Hannah Beitzers Thema auf der SZ-Medienseite.

+++ Nina Ruge wusste schon immer, dass alles gut wird, und daher hat sie nun einen neuen Job als eine von 21 Podcast-Bespielerinnen bei der Amazon-Tochter Audible (Horizont). Bei @mediasres wird daraus die Frage entwickelt, was ein solches Engagement eigentlich fürs etablierte Radioprogramm bedeutet.

+++ Welche Schlagzeile die Neue Post aus der Wiederwahl Angela Merkels zu machen vermag und weiter Abstrusitäten aus der Welt hinter dem Regenbogen hat Mats Schönauer bei Übermedien.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende!