Das Altpapier am 7. November 2017 We apologize for any inconvenience!

Jetzt sind auch noch die Gebührenzahler schuld (neue Folge "Staatsfunk"-Debatte). Verlage können sich ja auch bei Weinauktionen engagieren (neue Geschäftsideen vom neuen Zeitschriftenverleger-Chef). Die ARD ist voll engagiert, entschuldigt sich bloß zu oft. Ist Medienpolitik korrupt oder inkompetent oder beides? Außerdem: ein ausrufezeichenreicher Kommentar, neue Dialekt-Untergrenzen-Forderung für den "Tatort". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Wie erwartet und gewohnt ziehen die "Paradise Papers" (Altpapier gestern) ihre Kreise. Die Süddeutsche enthält heute mehr als neun Seiten Extrablatt. Ein paar Lieblinge der Popkultur hat sie sich für den zweiten Tag aufgespart, vom irischen Schlagersänger Bono (der für seine litauischen Geschäftchen nicht etwa irische Steuersparmodelle nutzt, sondern noch andere), über einen Braunschweiger "Hosen-Milliardär", der seine Klamottenladen-Kette pfiffigerweise lieber nach New York benannt hat, bis hin zu Apple:

"Der US-Handykonzern Apple wollte sich im Frühjahr 2014 zusichern lassen, auf der Steueroase Jersey keinerlei Steuern zahlen zu müssen ...",

heißt's auf der gedruckten Titelseite vorn drauf. Das Attribut "Handykonzern" wird der Datenkrake, der doch erfolgreich den schöneren Begriff "Smartphone" in den Sprachgebrauch gedrückt hat, wahrscheinlich wirklich übel nehmen.

Nicht unmittelbar beteiligte Medien von taz bis Bild-Zeitung (die in einem ausrufezeichenreichen Kommentar die überraschende Position "Aber sind diese Superreichen unehrlicher, handeln sie unmoralischer als die Mehrheit von uns? Nein!.." vertritt) steigen ebenfalls ein. Und aus der politischen Sphäre sind die gewohnt erwarteten Sprechblasen ("kündigte ein schärferes Vorgehen gegen Steuerschlupflöcher an. 'Wir müssen uns damit auseinandersetzen', sagte er ...", Tsp.) nicht nur von den hinteren Bänken zu hören, sondern sogar schon von Peter Altmaier, der derzeit geschäftsführender Bundesfinanzminister ist und auch in der kommenden Bundesregierung dabei sein dürfte.


Ein Lob für die ARD!

Wer in der Sache ein Lob verdient: die ARD. Bei den "Panama Papers" vor anderthalb Jahren war sie über den – institutionell nicht unumstrittenen Rechercheverbund – von NDR und WDR mit der Süddeutschen, auch schon im Boot, agierte aber merkwürdig unentschlossen und ohne das Agendasetting-Potenzial auszuschöpfen, das sie ja besitzt.

Nun aber, kaum, dass der internationale Veröffentlichungszeitpunkt am Sonntag um 19.00 Uhr verstrichen war, hat sie mitten in ihrem Ersten Programm das Programmschema umgeschmissen. Gleich nach dem Erfolgs-"Tatort" ("mehr als 10 Millionen Zuschauer"), also exakt zum Zeitpunkt, an dem die politikinteressierte Elite sowieso immer gespannt erwartet, mit welchem Thema Anne Will denn nun wieder die Diskurse der bevorstehenden Woche inspiriert, gab es gleich zwei Reportagen zum Thema. Die erste ("Zocker, Trickser, Milliardäre") fuhr sogar Christoph Lütgert, die allereindringlichste Verkörperung des deutschen  Investigativjournalisten (siehe etwa dieses alte Altpapier), auf.

Den Wermutstropfen, dass diese Dokus wieder den Eindruck vermitteln, immerzu zu sehende Presenter-Reporter und jede Menge nachgestellte Szenen seien die wichtigsten filmischen Mittel im dokumentarischen Genre, wischen wir mal beiseite. Die ARD verdient wie gesagt Lob, schon weil sie, um den Überraschungseffekt zu erhöhen (oder die Zocker und Trickser in Sicherheit zu wiegen), im Programmlisting die Wiederholung eines Degeto-Eskapismuskrimis angekündigt hatte. Am Ende war der "Urbino-Krimi: Mord im Olivenhain" aber überhaupt nicht zu sehen gewesen.


Der neue Zeitschriftenverleger-Präsident ist da

Harter Schnitt: Duale Systeme gibt's viele in Deutschland, zum Beispiel auch bei den Verlegerlobbys. Bei deren zwei großen Verbänden hatten sich die Rollen zuletzt vertauscht: Die Zeitungsverleger, denen lange Jahre der nicht ungeheuer schillernde kölnische Verleger Helmut Heinen vorstand, tummeln sich unter dessen Nachfolger auf einmal im Fokus der Öffentlichkeit: Mathias Döpfner sprüht dermaßen vor Eigenschaften wie Provokanz, aber auch Charisma, dass er etwa auch von den Collagen, mit denen die Erfurter MDR-360-Grad-Redaktion das Altpapier illustriert, kaum noch wegzudenken ist. Umgekehrt erging's den Zeitschriftenverlegern, seitdem nicht mehr Hubert Burda, der mit einer leibhaftigen "Tatort"-Kommissarin verheiratete Kunsthistoriker und Bunte-Verleger, ihr Präsident ist.

Die Wahl des Nachfolgers führte zum Ausstieg von Zeit- und Spiegel-Verlag sowie Gruner + Jahr; der gewählte Stephan Holthoff-Pförtner (von den Funkes) versprühte weniger Glamour und wollte dann lieber Medienminister in Nordrhein-Westfalen werden, was sich mit dem Verbands-, also Lobbyposten nicht verträgt. (Und musste schließlich auch noch erfahren, dass sich so ein Ministerposten mit der Verleger-Eigenschaft auch nicht verträgt; siehe Altpapier).

Jedenfalls hat der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) nun, pünktlich zu seinem "Publishers’ Summit", einen neuen Präsidenten. Rudolf Thiemann heißt er und kommt von der Liborius-Verlagsgruppe. Liborius-Verlagsgruppe? Hier haben wir ja Zeit für Schlenker, hier könnten Sie eintauchen in diese "katholische Erlebniswelt" ...

"Heute sucht der Verlag seine Nische unter den kirchengebundenen, meist älteren Menschen, die weniger Kirchenkritik wünschen, sondern vielmehr Stärkung und Bestätigung im Glauben, Informationen zum Kirchenjahr sowie ein bisschen Theologie in leichter Sprache",

informiert die Süddeutsche (€), die Thiemann ("gilt als unspektakulär, aber bestens vernetzt") auch aus dem eigenen Verlagshause kennt.

Seine Antritts-Rede ("Print ist nicht alles, aber ohne Print ist alles nichts") wurde spannend kontrovers aufgenommen. Jetzt, wo Spiegel und Zeit nicht mehr dazugehören, versuche der VDZ "scheinbar, so ziemlich alle Gattungen und Spielarten der Printmedien mit dem Stempel der Relevanz zu versehen", kommentiert Stefan Winterbauer bei meedia.de.

Andere Stimmen fanden die Rede halt "kämpferisch" (Tsp.), und dass Thiemann "eine Lanze auch für bunte Blätter" brach (horizont.net). Anschließend geht Roland Pimpl aufs sonstige Kongressgeschehen ein, nämlich die Rede des politischen Stargasts, der Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters ("'Die E-Privacy-Verordnung kann nicht so bleiben wie im aktuellen Entwurf', so Grütters. Da können Verleger und Wirtschaft nur hoffen, dass sich diese CDU-Stimme in den Jamaika-Verhandlungen in Berlin durchsetzt ..."). Das zählt zu den Forderungen des VDZ, der natürlich tut, was Lobbyverbände eben tun, um die Geschäfte der Mitglieder zu stützen.

Aktuelle Geschäftsideen für Verlage zählte Thiemann in seiner Rede auf (meedia.de, anderer Text):

"Veranstaltungen und Kongresse, Weiterbildungsseminare, Datenbank gestütztes Targeting, Lead Generierung, Content-Marketing, Corporate-Publishing, Research Services sowie Reisen, Möbelmessen und Weinauktionen."

Und falls Ihre Stimmung immer noch gut ist, hätte Ulrike Simon (horizont.net) dann noch eine Zusammenfassung der neuesten der traditionsreichen Allensbacher-Institut-für-Demoskopie-Präsentationen. Der zufolge gibt es leserseits "hohe Erwartungen an Journalismus" bei allerdings geringer Zahlungsbereitschaft:

"Lediglich ein Viertel derer, die sich im Internet über Politik informieren, ist bereit, für journalistische Angebote im Internet Geld auszugeben oder tut dies bereits. Zwei Drittel lehnen das grundsätzlich ab. ... Die Untersuchung belegt die hohen Erwartungen an Journalismus bei gleichzeitig geringem Wissensstand, wie er sich finanziert und noch geringerem Bewusstsein, wie viel qualifizierter Journalismus auch in digitaler Form wert ist."


"Lügen" u.a. wunde Punkte (neue Runde "Staatspresse"-Streit)

Und das ist der Hintergrund, vor dem die Lobbyschlachten und "Staatspresse"-Debatten zwischen Verlegern, vor allem Döpfners Verband, und den Öffentlich-Rechtlichen geführt werden. Sie wurden von bewährten Kräften auch jetzt wieder breiter getre... weitergetrieben.

"Natürlich gibt es Wichtigeres als die Frage, was Döpfner in einem seiner apokalyptischen Vorträge wirklich gesagt hat", schreibt Stefan Niggemeier unter der Überschrift "Wahrheitssucher, die eine Lüge verteidigen" bei uebermedien.de. Aber Wichtigeres klickt eben oft schlechter als Nebenstränge es tun, zumal, wenn sich schon so viele hineinverbissen haben.

Von der anderen Seite kommt mit Karacho Hans-Peter Siebenhaar, der "Medien-Kommissar" vom Handelsblatt, angedüst und spricht, natürlich in die geläufige Polemik gekleidet, den durchaus wunden Punkt an, "dass ARD und ZDF in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu den Parteien stehen". Bei der Staatsferne von ARD und ZDF gäbe es auf institutioneller Seite verdammt viel Luft nach oben. Wobei Siebenhaar dann jedoch eine argumentativ nicht völlig überzeugende, dafür überraschende Wendung macht und Kritik an den "Gebührenzahlern" übt:

"Das Gute für die Anstalten: die politische Unabhängigkeit spielt für die Gebührenzahler keine zentrale Rolle. Sie scheinen sich mit der staatsnahen Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgefunden zu haben",

klagt er fast schon resigniert. (Und dass "Gebührenzahler" korrekt inzwischen "Beitragszahler" heißen müssten, weiß natürlich, wer bis hierher gelesen hat. Und Streit wär das wirklich nicht wert).


Die neuen Medienkonzerne-Hot 100

Froh kann jedenfalls Stephan Holthoff-Pförtner sein, dass er dann doch nicht Medienminister geworden ist (sondern bloß der "für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales"). Denn Medienpolitik ...

"Medienpolitik, ganz nüchtern gesagt, war in Deutschland bislang korrupt oder inkompetent, häufig beides zusammen",

sagte jedenfalls kürzlich, wie die Medienkorrespondenz notierte, Lutz Hachmeister, der ja ein guter Medienminister wäre, falls es dabei auf Kompetenz ankommen sollte.

Hachmeister ist "Direktor des in Köln ansässigen Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, das u.a. für seine jährlichen Medienkonzern-Charts, also die Liste der 100 größten Medienkonzerne, bekannt ist. Die neue Liste war gestern bereits per Spiegel-Vorabmeldung hier im Korb erwähnt. Jetzt sind die Hot 100 auf mediadb.eu frei online zu finden, und einen ausführlichen Chartskommentar gibt's ebenfalls.

"Mit einem Umsatz von umgerechnet 81,9 Mrd. Euro konnte sich [Googles] Mutterkonzern Alphabet erneut den ersten Platz in der Rangliste sichern. Trotz der aktuellen Kontroverse um die offenbar von Moskau mittels Anzeigentools gesteuerten Manipulation der öffentlichen Meinung während des US-Präsidentschaftswahlkampfs, floriert Googles Werbegeschäft weiter",

heißt es darin. Und:

"Die im Ranking vertretenden Online- und Wissenskonzerne konnten ihre Platzierungen im Vergleich zum Vorjahr allesamt verbessern oder stabilisieren. Dazu gehören insbesondere Netflix, das sich mit einem Umsatz von 7,9 Mrd. Euro um zwei Plätze auf Rang 28 verbessern konnte sowie Facebook (Rang 9), dessen Umsatz von umgerechnet 24,9 Mrd. Euro nun schon ein Drittel höher ist als der von Bertelsmann (Rang 15), dem größten deutschen Medienkonzern."


Altpapierkorb (Allerneueste "Tatort"-Debatten, Facebook, "Islam-Weinstein", Werberdiskriminierung)

+++ Was geht sonst noch beim neunundzwanziggrößten Medienkonzern der Welt, der ARD? Schon wieder 'ne "Tatort"-Debatte: "Jetzt entschuldigt sich die ARD für ihre Entschuldigung wegen Eilmeldung während des 'Tatorts'" (meedia.de); "ARD kritisiert eigenes Social-Media-Team wegen 'Tatort'-Entschuldigung" (SPON, nicht ohne "Alle 'Tatort'-Teams im Überblick"-Klickstrecke). Es geht darum, dass erst eine ins Fernsehbild eingeblendete "Eilmeldung über die Schüsse in einer Kirche in Texas" während des "Tatorts", dann aber auch Entschuldigungen der "Social-Media-Redaktion" deswegen Irritationen ausgelöst hatten. +++ "Für die Eilmeldung eines Massakers darf es keine Entschuldigung geben, klingt so, als wollte man das Massaker selbst entschuldigen" (Joachim Huber, Tagesspiegel). +++ Vielleicht kann die ARD künftig einfach die  Erfolgs-Formulierung "[We] apologize for any incovenience!", die die strukturell nicht ganz unähnliche Deutschen Bahn bei jeder Gelegenheit hinausposaunt, übernehmen? +++

+++ Indes schlägt Diemut Roether (epd medien) im Rahmen einer der anderen jüngeren "Tatort"-Debatte (Obergrenze für "experimentelle" "Tatorte", wozu sich zuletzt sogar Dominik Graf in der Bild am Sonntag äußerte, siehe ebenfalls AP-Korb gestern), "im Sinne der regionalen Vielfalt" lieber "eine Untergrenze für regionale Dialekte" vor. +++

+++ Inzwischen frei online: das taz am wochenende-Interview mit Wolfgang Schorlau, dem Autor der Vorlage des (wie so vieles) umstrittenen gestrigen ZDF-"Dengler"-Montagskrimis. +++

+++ Der VZBV ist der Verbraucherzentralen-Bundesverband und hat wieder einen juristischen Sieg über Facebook errungen: "Das Kammergericht stellt in diesem Zusammenhang auch grundsätzlich fest, dass Facebook sich an das deutsche Datenschutzrecht halten muss. Was nach einer Selbstverständlichkeit klingt, ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Rechtsdurchsetzung bei global agierenden Digitalkonzernen. Wie in vielen Verfahren in anderen Ländern auch, hatte Facebook in diesem Fall argumentiert, dass es sich nicht an deutsches Recht halten muss, weil der EU-Firmensitz in Irland liegt. Das Kammergericht hat nun befunden, dass das schon allein deshalb nicht zutrifft, weil Facebook in Deutschland eine Tochterfirma unterhält, die für die Vermarktung von Anzeigenplätzen und die Betreuung von Werbekunden zuständig ist" (netzpolitik.org). +++

+++ Auf der prallvollen FAZ-Medienseite geht's heute zweimal um internationale Sexismus-Affären und deren Folgen: Jürg Altwegg berichtet über Frankreich (wo Charlie Hebdo "abermals bedroht" wird, weil die Satirezeitung "Tariq Ramadan als 'Islam-Weinstein' auf den Titel" brachte, und die u.a. von Arte bekannte Nadia Daam ebenfalls bedroht wird). Nina Rehfeld berichtet über eine "Sexismus-Affäre in Amerikas öffentlichem Rundfunk". +++ Außerdem geht's um sage und schreibe drei US-amerikanische Serien ("White Famous" und "Tin Star", jeweils auf Sky Atlantic, sowie eine für Amazon geplante "Herr der Ringe"-Serie). +++

+++ Da kann die SZ-Medienseite nicht mithalten. Sie schreibt nur über eine einzige. +++

+++ Und Werber in Hamburg-Ottensen fühlen sich auf einem Plakat mit dem Text "Früher gab es hier ehrliche Arbeiter. Jetzt gibt es Werber" drauf diskriminiert (horizont.net). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.