Das Altpapier am 17. März 2021 Darf Streeck eine journalistische Rolle spielen?
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17. März 2021, 10:54 Uhr
Die Art und Weise, wie das ZDF den Wissenschaftler Hendrik Streeck in Szene setzt, wirft Fragen auf. Außerdem: Neues von der WDR-Kulturwelle. Und ein Entwurf der Staatskanzleien für eine "große" Reform der Öffentlich-Rechtlichen. Ein Altpapier von René Martens.
Eine Verletzung der journalistischen Unabhängigkeit
Warum müssen die Macher von TV-Dokumentationen sich eigentlich immer "auf Reisen begeben", "Reisen unternehmen" oder Ähnliches? "Der Virologe Hendrik Streeck nimmt die Zuschauer*innen mit auf eine Reise in die geheimnisvolle und gefährliche Welt der Viren" - so bewarb das ZDF die am Dienstag ausgestrahlte und mit sehr früher, im Altpapier beschriebener Voraberichterstattung bedachte Dokumentation "Corona - Pandemie ohne Ende? Fakten mit Hendrik Streeck". Da fragt man sich doch: Macht der gefährliche Experimente an sich selbst?
Im Film selbst heißt es dann bloß: "Der Virologe unternimmt eine Reise in die Welt der Viren." Aber unpassend ist der Grabbeltisch-Begriff "Reise" in diesem Kontext natürlich weiterhin. Wenn ARD und ZDF bei ihren Doku-Einstiegen ein Jahr lang auf den Begriff "Reise" verzichteten, wäre einiges gewonnen.
Den, tja, Reisenden Streeck bekommt der Doku-Zuschauer im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden und in einem Labor zu sehen, er spricht dort direkt zum Publikum. Er ist eine Art Presenter, Diese Passagen dienen als Überleitung, es sind Zwischenmoderationen mit eher allgemein gehalten Erläuterungen.
"Streeck spielt – anders als es der Titel andeutet – keine Hauptrolle in der 45-minütigen Reportage",
schreibt Altpapier-Kollege Christian Bartels bei t-online. Streeck ist, auf sieben Passagen verteilt, tatsächlich nur wenige Minuten zu sehen und hören. Das ändert aber nichts an dem formalen fatalen Grundproblem dieses Films: Streeck kommt hier in einer journalistischen Rolle zum Einsatz, als Teil des Filmteams. Was geradezu zwangsläufig Folgendes mit sich bringt:
"Mit keinem Wort erwähnt der Film (…), dass Hendrik Streeck selbst kritisiert wird; wegen Zusammenarbeit mit einer PR-Firma, oder wegen falscher Prognosen und gewagten Ratschlägen",
schreibt die WAZ. Was also gar nicht vorkommt: zum Beispiel die dubiosen Umstände rund um die erste Heinsberg-Studie (beschrieben in einem mit dem Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus ausgezeichneten Riffrepoter-Text); zum Beispiel seine "mediale Astroturfing-Kampagne" (Volksverpetzer) aus dem Herbst. Und dass Streeck der Mann ist, "der dauernd falsch liegt, aber immer wieder als Corona-Experte gebucht wird" (Übermedien). Und dass er in Sachen Corona lediglich eine "krasse Minderheit" unter den Wissenschaftlern vertritt (Altpapier).
Was natürlich erst recht nicht Thema ist im Film: Was die Spiegel-Redakteurinnen Rafaela von Bredow und Veronika Hackenbroch im Januar in einem Interview mit Christian Drosten formuliert haben:
"Einen größeren Schaden als Corona-Leugner haben im vergangenen Jahr wohl Experten angerichtet, die immer wieder gegen wissenschaftlich begründete Maßnahmen argumentiert haben, zum Beispiel Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck."
Konsequenterweise ist Schmidt-Chanasit in der ZDF-Doku dann ebenfalls zu sehen.
Es ist nicht die erste Dokumentation, in der ein Experte, der kein Journalist ist, als Presenter in Erscheinung tritt und eine journalistische Rolle einnimmt. Das Problem an den entsprechenden Passagen mit Streeck ist aber, dass er ein politischer Player ist, ein "Agenda-Setting-Wizard" (Altpapier). Obwohl der Titel des Films seine Rolle überhöht: Indem das ZDF Streeck auf diese Weise einsetzt, verletzt es seine journalistische Unabhängigkeit. Bietet der Sender demnächst etwa Armin Laschet als Presenter auf?
Worauf Christian Bartels in seinem Text noch eingeht:
"Albern muten nachgestellte Szenen im Stil der ZDF-‚Terra X‘-Historienreportagen an: So wie sonst verkleidete Kleindarsteller römische Legionäre oder mittelalterliche Handwerker verkörpern, wird nun Karneval in Heinsberg anno 2020 rund um den dauerhustenden fiktiven Narren ‚Peter N.‘ nachgestellt."
Da ist mit dem Springer-Mehrheitseigner KKR, der seit 2019 die Ex-Günther-Jauch-Firma I&U gehört, die diesen Film produziert hat, ein großer Player mit großem Portemonnaie im Spiel, und dann hat’s bei den Spielszenen doch bloß wieder nur für Laientheater gereicht. Das Gute daran: Wer bei dem Stichwort "Reise" noch nicht ausgestiegen ist, tut es wohl dann, wenn zum ersten Mal Peter N. hustet.
Wirkt Medienkritik?
Die Berichterstattung über die geplante Abschaffung der Literaturrezensionen im Programm der Kulturwelle WDR 3, die intern am 13. Januar verkündet wurde, hat bundesweit viel Kritik auf sich gezogen. Wir sind im Altpapier oft darauf eingegangen - zum Beispiel in dieser, dieser und dieser Kolumne.
Nun sagt Valerie Weber, die NWK-Direktorin des WDR (die also zuständig ist für die Programmbereiche NRW, Wissen und Kultur), in einem Interview, das Stefan Fischer für die SZ-Medienseite mit ihr geführt hat:
"Die Literaturrezensionen werden statt am frühen Morgen künftig in gleicher Zahl in der Kultur am Mittag ausgestrahlt. Eine Zeit mit dreifachem Publikum, in der viele bestimmt mehr Muße zum bewussten Zuhören haben werden."
Heißa! Hat der öffentliche Druck, für den Verleger und eine von freien Autoren in Gang gebrachte Petition und zu einem gewissen Teil möglicherweise auch Journalistinnen und Journalisten gesorgt haben - hat also dieser öffentliche Druck gewirkt? So sieht man das jedenfalls intern bei WDR 3. Weber artikuliert dagegen eine andere Sichtweise: Sie sagt nämlich: War doch alles gar nicht so gemeint! Konkret: Es sei gar nicht geplant gewesen, die Rezensionen abzuschaffen.
"Das war eine irritierende Information und so auch nicht geplant (…) Aber da wollte sich niemand mehr stoppen lassen, es wurde sofort zur Gegenoffensive geblasen und eine Petition gestartet."
Für die meisten Außenstehenden dürfte das eine verwirrende Gemengelage sein: Jene, die aus der Sicht der einen dank einer "Gegenoffensive" einen Anteil daran haben, dass es weiterhin Literaturrezensionen gibt (nur halt auf einem anderen Sendeplatz, der wohl tatsächlich besser ist als der vorherige), haben nach Darstellung anderer eine "Falschinformation" verbreitet. Letzteren Begriff verwendet Weber in dem Interview wörtlich.
Was für Bücher künftig besprochen werden - das ist dann wieder eine ganz andere Frage. Denn: Bei WDR 3 haben seit dem Frühjahr 2020 CvDs, also administrative Kräfte, die inhaltliche Hoheit. Der Einfluss von Fachredakteuren ist nur noch gering. Ich bin für die Medienkorrespondenz kürzlich auf diese strukturellen Fragen eingegangen.
Altpapierkorb (heutige Sitzung der Rundfunkkommission der Länder, ein Interview zur Zukunft des ND, eine weitere "Mann auf der Couch"-Rezension, eine dokumentarische "Patchworkfamilien-Tragikomödie")
+++ Die FAZ (€) hat einen "Entwurf mehrerer Staatskanzleien" für die heutige Sitzung der Rundfunkkommission der Länder zugespielt bekommen. Dieser sehe einen zweistufigen Weg "zur großen Reform" vor. Helmut Hartung referiert aus dem Entwurf unter anderem: "Um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ‚zukunftsfähig‘ zu gestalten, setzt das Papier auf eine größere Flexibilität der Anstalten bei den nicht konkret beauftragten Programmen. Das heißt, die Sender könnten selbst entscheiden, über welchen Weg sie diese Angebote verbreiten."
+++ Bei Analyse & Kritik gibt es ein Interview zur unsicheren Zukunft des ND (Altpapier). Marie Frank, Leiterin des Berlin-Ressorts, sagt zu den Plänen der bisherigen Gesellschafter (unter anderem die Partei Die Linke), den Betrieb als Genossenschaft weiterzuführen: "Zehn Monate sind echt wenig Zeit, um mal schnell eine Genossenschaft zu gründen, die alle Fehler ausbügelt, die bisher gemacht wurden (…) Zugleich kann es nicht darum gehen, dass die Leute künftig noch weniger verdienen als jetzt schon beim ND, wo es seit Jahren keine Lohnerhöhung mehr gab." Frank sagt auch, dass es den Noch-Gesellschaftern an "Transparenz" mangele: "Alles muss auf den Tisch, damit wir eine tragfähige Lösung entwickeln können."
+++ Um beim ND zu bleiben und an einer Quasi-Tradition festzuhalten: Wir sind an dieser Stelle schon mehrmals (unter anderem hier) auf "Mann auf der Couch" eingegangen, den autobiographischen Roman des früheren Zeitgeistjournalisten Michael Hopp, und daher sei auch Marit Hofmanns Rezension aus dem ND an dieser Stelle aufgegriffen: "Als Fallstudie aufschlussreich ist hier das Aufbäumen eines alternden weißen Mannes, den die Angst vor Verarmung, Impotenz und Imageverlust antreibt."
+++ Der Tagesspiegel hat mit der Grimme-Preisträgerin Annekatrin Hendel über ihren neuen Dokumentarfilm "Vertreibung ins Paradies" gesprochen, einen "persönlichen Pandemie-Film" bzw. "eine Patchworkfamilien-Tragikomödie in wunderschönem Schwarz-Weiß und großzügigem Cinemascope". "Vertreibung ins Paradies" läuft heute spät im RBB. Hendel sagt: "Ich wollte keinen Film darüber machen, was für tolle Typen wir sind. Nein, ständig wurde übers Essen geredet und gekocht, genau das ist ja überall gleich. Dass unsere Bude nie aufgeräumt ist, dass die Nebensächlichkeiten und die eigenen Abgründe nicht ausgeblendet sind, macht vielleicht den Charme des Films aus."
Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.