Teasergrafik Altpapier vom 13. April: Porträt Autor Christian Bartels
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Das Altpapier am 13. April 2021 Aus der Seele

13. April 2021, 10:21 Uhr

Die Bild-Zeitung will jetzt aber wirklich ins klassische Fernsehen – und bemüht eine eher metaphysische Maßeinheit. Huch, läuft "Was nun, Frau Baerbock?" nächste Woche bei einem Privatsender? Und weit unter dem Radar der meisten Medien kommt die allerumstrittenste netzpolitische Frage der vergangenen Jahre jetzt in den Bundestag. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Bild-Zeitung wird Glotze

Ein bisschen klingt "Axel Springer bringt Bild ins Fernsehen" nach Neuerfindung des Rads. Allein die visuelle Ebene, das Bild also, unterschied und unterscheidet die Rundfunkart Fernsehen ja von der älteren Rundfunkart Radio. Aber in Original-Schreibweise lautet die Pressemitteilungs-Überschrift auch "Axel Springer bringt BILD ins Fernsehen". Und will besagen, dass der Springer-Konzern seine Boulevardzeitung, die wegen der geschrumpften Bedeutung klassischer Zeitungen längst auch oder eher ein Onlinemedium ist, nun aber wirklich ins klassische Fernsehen bringen will. Und das noch vor der Bundestagswahl, die Springer optimistisch (dass die Pandemie-Bekämpfung gelingt und sonst nichts passiert) als das "größte Nachrichtenereignis des Jahres" bezeichnet.

Der "inhaltlich gesamtverantwortliche" Hauptchefredaktionsvorsitzende Julian Reichelt (zu dem die kleine Meldung, dass der vorübergehend Freigestellte nun auch in einen Rechtsstreit gegen den Spiegel zieht, zeitlich passend in die Medienmedien gelangt), äußert sich in der PM am ausführlichsten:

"Wir wollen Fernsehen machen, das Menschen nicht belehrt, sondern zeigt, was ist. Das Menschen eine Stimme gibt und ihnen aus der Seele spricht. 500 BILD-Reporter im ganzen Land werden unsere Zuschauer mitnehmen, ihnen live zeigen und erzählen, was geschieht, aber ihnen auch zuhören und sie zu Wort kommen lassen, wo immer sie betroffen sind."

Womit Reichelt nicht nur einen alten Spiegel-Werbespruch remixt, sondern auch geschickt eine eher metaphysische Maßeinheit beansprucht. Sprechen Fernsehsendungen sonst, außer vielleicht "Um Himmels Willen", dem Publikum "aus der Seele"? Konkretere Details lauten, dass es täglich "bis zu sechs Stunden" Live-Fernsehen geben soll, ganz der hier nebenan aufgestellten These "Die Zukunft des Fernsehens ist live" entsprechend. Und dass dafür der Kanal-Platz von N24 Doku, dem längst vorhandenen "Timeshift-Sender von WELT", genutzt werden soll. Also nicht der Nachrichtensender namens Welt, in den Springer das 2013 übernommene N24 umbenannt hatte.

Dann steht noch der Satz "Der Sendestart steht unter dem Vorbehalt der medienrechtlichen Erteilung einer Sendelizenz durch die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB)" in der PM. Doch dürfte eine Lizenzverweigerung, anders als in den mittleren Nuller Jahren, als Kartellbehörden und die (ein einziges Mal wichtige) kleine Kommission KEK in Verkennung der Medienzukunft und der Rechtslage Springers Kauf des ProSiebenSat.1-Konzerns so lange verhinderten, bis er sich erledigt hatte, ausgeschlossen sein. Schließlich ist Springer im Hechtteich der Datenkraken ein eher kleiner Karpfen, und das bereits online verbreitete Bild Live-Fernsehen hat ja eine Lizenz.

Weil über dieses Bild Live schon in der Vergangenheit dies und das geschrieben wurde (zuletzt dieses Altpapier) und jenseits der PM-Infos noch nicht viel Neues bekannt ist, gibt es noch nicht viele redaktionelle Artikel zum Thema. Bei spiegel.de haben sie den alten Gerhard-Schröder-Spruch "Bild, Bams, Glotze" um einen Pfeil ergänzt als Meldungs-Überschrift gewählt. Und das "nicht nur online" in der dwdl.de-Überschrift trifft ganz gut, dass lineares Fernsehen in der Gesamtbevölkerung eben doch noch das Leitmedium ist.

Aber in den sog. soz. Medien formierten sich Springers zahlreiche Gegner natürlich. Nur zwei Beispiele:

"Natürlich wollen die das noch vor der Bundestagswahl starten. Das deutsche Fox News muss/will schließlich noch ein paar erfundene Kampagnen platzieren",

twitterte ein "stellvertretender Landesvorstand B90/Die Grünen SH", offen lassend, ob er da eher mutmaßliche Methoden des neuen Senders oder seine Wirkungsmacht im Auge hat. Das echte Fox News hatte zum Ausgang der vorletzten US-amerikanischen Wahl schließlich einiges beigetragen. Der kämpferische Mario Sixtus meint:

"Die @BILD startet eine aufwändige Aktion um Bürger*innen immer wieder neu daran zu erinnern, was sie am öffentlich-rechtlichen Fernsehen haben!"

Das könnte sogar breiter Konsens werden – falls die Öffentlich-Rechtlichen sich in der praktischen Programmplanung ihrer zahlreichen Kanäle ebenfalls daran erinnert fühlen sollten.

"Was nun Frau Baerbock?" auf Pro Sieben?

Zumindest wird die Konkurrenz im nachrichtlich gemeinten lineare Fernsehen immer größer. Da verdient noch eine Pressemitteilung Aufmerksamkeit. Wenn stimmt, was ProSieben behauptet: dass es am nächsten Montag "exklusiv in der Prime Time das erste Gespräch mit der Kanzler-Kandidatin oder dem Kanzler-Kandidaten der Grünen" zeigen wird, dürfte das einige öffentlich-rechtliche Sendeplanung über den Haufen werfen. Ein paar "Was nun?"-"Brennpunkt"-"Extra"-Sendungen dürften die Hauptstadtstudios zur Kandidatenkür der mutmaßlich zweitstärksten Partei eingeplant haben, dann aber nicht nach den "heute" und "Tagesschau"-Hauptausgaben senden können.

Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke, die bei Pro Sieben moderieren, dürfte eine Überleitung zur anschließenden, linear dann verspäteteten Sendung wiederum leicht fallen. Es handelt sich um die (aktuell nochmals bei piqd.de gelobte) Serie "Chernobyl".

Für Nachrichtenmedien beginnt mit den anstehenden letzten KanzlerkandidatInnen-Kürungen ein monatelanges Fest, das über den Bundestags-Wahlkampf, zu dem sich ja noch Bundesländer-Wahlkämpfe gesellen, vermutlich bis in den Post-Wahlkampf mit komplexen, wahrscheinlich mehreren konkurrierenden Koalitionsverhandlungen reichen dürfte. Da kann publizistischer Wettbewerb, der sich von der "notorisch um sich selbst kreisenden Blase der Hauptstadt-Presse" (wie Rüdiger Suchsland bei Telepolis zur Laschet-Söder-Frage kommentiert) entfernt, tatsächlich gut tun.

Wobei natürlich nicht ausgemacht ist, dass der Wettlauf zu höheren Ansprüchen führt, wie Joachim Huber im Tagesspiegel anhand der Berichterstattungs-Pläne zur Prinz-Philip-Beerdigung am Samstag zeigt. Da hat zwar das ZDF gegenüber unserer ARD die Nase vorn, aber eine knapp zweistündige "Brisant extra"-Ausgabe vor der "Sportschau" ist dennoch drin. Und RTL berichtet sowieso.

Jetzt im Bundestag: die Uploadfilter-Frage

Hopsala, Mobiltelefon-Nummern von 54 Bundestagsabgeordneten frei im Netz? Und Besitzer von Mobiltelefonen mit Android als Betriebssystem, also die allermeisten, werden vom Google-Konzern durch den Android Advertising Indentifier online wie offline noch mehr getrackt als bislang bekannt war?

So was sorgt, solange Pandemie und Wahlkampf die Schlagzeilen bestimmen, für wenig bis gar kein Aufsehen auf den Titel- und Startseiten der klassischen Medien. Die konzernbestimmten Narrative, dass das Facebook-Datenleck ja schon alt ist und sich bei Android einiges abstellen lässt, wenn man tief in die Menüs wischt und tippt, werden kaum hinterfragt. (Okay, ersteres in der Welt doch). Digital- und netzpolitische Themen kommen wenn irgendwo, dann in Form wiederum Corona-/ Wahlkampf-getriebener Fragen zur Luca-App größer vor (für die Markus Söders Bayern übrigens am meisten zahlt).

Dabei kommt eines der in den vergangenen Jahren allerumkämpftesten Themen des Ressorts, die Frage der sog. Uploadfilter, nun noch in den Bundestag. Noch vor der Wahl soll bis muss das EU-Recht in ein deutsches Gesetz gegossen werden. Dazu gab es am Montag eine Anhörung im Bundestag. Über das "breite Für und Wider" berichtet am ausführlichsten Stefan Krempl bei heise.de. Weiter hinten in den Wirtschaftsressorts berichten auch FAZ und Süddeutsche, wie aus dem Raufladen eines tönenden Videos etwa auf Youtube eine ziemlich irre Prozedur mit Rechtsbegriffen wie "mutmaßlich erlaubten Nutzungen" und einem neuen "Roten Knopf" werden dürfte.

"Ein Upload auf eine große Plattform wird zunächst wohl einen Filter passieren, der feststellt, ob der Plattformbetreiber Lizenzen für den betreffenden Inhalt erworben hat. Falls nein, wird der Inhalt gesperrt - es sei denn, er ist 'mutmaßlich erlaubt'. Dafür muss er unter eine Bagatellgrenze fallen. Es darf sich nur um einen kleinen Schnipsel - kürzer als 15 Sekunden oder 160 Zeichen, kleiner als 125 Kilobyte - innerhalb eines mindestens doppelt so großen, neu zu schaffenden Werks handeln. Die Nutzerin kann den Inhalt aber auch als gesetzlich erlaubt kennzeichnen ('flaggen'), indem sie beteuert, es handle sich beispielsweise um ein Pastiche, worunter laut der Begründung des Gesetzesentwurfs 'Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mashup, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling' zu verstehen seien. Dann geht der Upload online, obwohl der Filter anschlägt - zumindest bis ein 'vertrauenswürdiger' Rechteinhaber einen 'Roten Knopf' drückt, um dieser Interpretation zu widersprechen."

Schreibt Philipp Bovermann in der SZ. Die Bagatellgrenzen, bis zu denen urheberrechtliche Fragen keine Rolle spielen dürfen, waren heftigst umstritten und sind wohl noch nicht final festgelegt. Ein Beispiel, das für enge Grenzen spricht, schildert Corinna Budras in der FAZ:

"Campino, der Sänger der Rock-Band Die Toten Hosen, müsste etwa dulden, dass bis zu 15 Sekunden aus dem Kulthit 'Hier kommt Alex' für x-beliebige Politikveranstaltungen genutzt werden könnten, obwohl sich der eigenwillige Künstler explizit dagegen ausgesprochen hat, für politische Zwecke vereinnahmt zu werden."

Und umstrittene Parteien, deren Führungspersonen Alexander heißen, gibt es. Damit habe sozusagen auch zu tun, dass die vor wenigen Jahren breite, nicht zuletzt durch vom Google-Konzern alarmierte Youtuber angefeuerte Allianz gegen Uploadfilter inzwischen klein ist, weiß wiederum die SZ:

"Die Fundamentalgegnerschaft zu den Uploadfiltern hat auch die Opposition inzwischen weitgehend aufgegeben, nur die AfD ist der Ansicht, die Bundesregierung wolle über das Urheberrecht die Meinungsfreiheit 'abschaffen', wie die Digitalpolitikerin Joana Cotar sich ausdrückt."


Altpapierkorb ("Die Unbeugsamen"-Debatte, Journalistenmord, Kritik am Katapult-Macher, "Druckausgleich", wo Google aufgab, ein Händchen für Hündchen)

+++ "Der Anwalt von [Marc] Wiese hat die 'Zeit' zuerst um Unterlassung ersucht und am Montag beim Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung beantragt": Auf der FAZ-Medienseite (Blendle) hat sich Michael Hanfeld in die von der Zeit aufgeworfene Debatte um den Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" hineingearbeitet und auch mit René gesprochen, der im Altpapier vom Freitag als erster den Bericht kritisierte. "Die Geschichte in der 'Zeit', lautet Martens’ Einschätzung im Gespräch mit dieser Zeitung, 'steht auf schwachen Füßen'". Hanfeld widerspricht da nicht.

+++ Was bislang eher wenig deutsche Medien-Aufmerksamkeit erfuhr: der Mord am griechischen Journalisten Giorgos Karaivaz. Deutschlandfunks "@mediasres" befasst sich damit.

+++ "Deutschland ist das führende fiktionale Produktionsland in Europa in Bezug auf die Anzahl der produzierten Titel, Episoden und Stunden zwischen 2015 und 2019. Allerdings sind die Titel zurückgegangen, wobei ein Wechsel von Fernsehfilmen zu Zwei- bis 13-Episoden-Serien stattgefunden hat": Da hat der Standard eine EU-Statistik zur Produktion von Fernsehfilmen und -serien auch grafisch gut aufbereitet.

+++ Das Katapult-Magazin aus Greifswald erfährt für seine mutigen und dennoch oft verwirklichten Pläne viel Lob. Nun kritisiert Jürn Kruse bei uebermedien.de (€) den Gründer Benjamin Fredrich, einen "Poster-Boy der Medienbranche", dessen "Stärke: Er denkt nicht an die Konsequenzen" auch eine Schwäche sei. Es geht um Fredrichs Roman "Die Redaktion" und um ein Interview, das er dann doch nicht so gegeben haben wollte.

+++ In einer der immer mal wieder im Altpapier erwähnten Streitigkeiten zwischen Gesundheitsminister Spahn und seinen Kumpels von Google auf der einen und Medienwächtern sowie Verlagen wie Burda auf der anderen Seite hat Google aufgegeben (businessinsider.de).

+++ "Rauf auf die großen Bühnen der Selbstdarsteller, rein in die 'Top 30 unter 30', so wird es schließlich in der Journalistenausbildung bereits seit Jahrzehnten gepredigt": Mit Problemen junger JournalistInnen befasst sich der Podcast "Druckausgleich", den Ellen Nebel bei epd medien empfiehlt.

+++ RTL holt Jan Hofer und solche Galionsfiguren des Fernsehens. Und das ZDF? Holt Sonja Zietlow. "Ich glaube, dass ich ein ganz spezielles Händchen für die Vermittlung von" Hündchen?.. nein, sogar von "Vierbeinern habe", zitiert die SZ aus der Pressemitteilung.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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