Teasergrafik Altpapier vom 17. August 2021: Porträt der Autorin Jenni Zylka
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Das Altpapier am 17. August 2021 Kuck mal, wer da spricht!

17. August 2021, 10:16 Uhr

Bei der Berichterstattung über die Ereignisse in Afghanistan gehören sämtliche Worte auf eine geeichte Goldwaage. Und ein paar "Radiomädels" sind endlich "unter sich". Ein Altpapier von Jenni Zylka.

Fehleinschätzungen und Not-Visa

Wir sind uns, glaube ich, einig: Der Einsatz am Hindukusch ist eine "Serie von Fehleinschätzungen" (ARD). Observieren und analysieren kann und sollte man als Medienbeobachterin also eh nur Wort- und Bildwahl, sowie inhaltliche Prioritäten. "Der Zusammenbruch" betitelte die ARD gestern ihren Brennpunkt zum Thema, der neben aktuellen Beiträgen ein Gespräch mit Heiko Maas präsentierte, und mit der nicht minder alarmierenden Einschätzung von ARD-Korrespondent:innen aus China, Russland und der Türkei endete. Dem ZDF dagegen wurde ein angefragtes Interview mit Kramp-Karrenbauer abgesagt, hieß es im gestrigen "ZDF Spezial" mit dem Titel "Drama am Flughafen", und die eingesprungene verteidigungspolitische Sprecherin der FDP Strack-Zimmermann nutzt die Screentime für schlecht verhüllte, wahlübliche Parteipolitik.

Das ZDF zeigte zudem ein Bild, auf dem man angeblich erkennt, wie Menschen am Flughafen von Kabul hoch oben im Himmel vom Flugzeug fallen, an das sie sich beim Start geklammert haben sollen – es bleibt in der chaotischen und unklaren Atmosphäre, die man dem Flughafenmaterial ansieht, eine schwierige Verantwortung, ein solches Bild zu zeigen. Und woher es stammt, woher alles stammt, was gerade aktuell aus dem Land herauskommt, bleibt ebenso kompliziert: Nach dem Aufruf einer Medieninitiative in Sachen "Not-Visa" für afghanische Medien-Mitarbeiter:innen (offener Brief in der Zeit bzw. Altpapier von gestern) steht man vor dem bekannten Dilemma, dass jedes Bild aus dem Land eine Gefahr für denjenigen oder diejenige bedeutet, der/die es liefert, dass ohne diese Bilder aber keine Berichterstattung stattfinden kann. Die taz hat dahingehend gestern bei der ARD nachgefragt, die bislang die Initiative noch nicht unterzeichnete:

"Die ARD, die ihre Afghanistan-Berichterstattung vom Studio Neu-Delhi in Indien aus koordiniert, hat für den Bereich Fernsehen in Afghanistan einen Mitarbeiter ("Stringer"). Der Hörfunk hat zwei Mitarbeiter, von denen einer hauptsächlich für eine internationale Nachrichtenagentur arbeitet. "Natürlich blicken die örtlichen Mitarbeiter mit Sorge auf die aktuellen Entwicklungen. Oberste Priorität bei unserer Berichterstattung hat immer die Sicherheit unserer Mitarbeiter", so die ARD auf Anfrage. Drehs und Recherchen würden nur realisiert, wenn die Sicherheitslage es erlaubt. "Das bedeutet auch, dass Berichterstattung ‚von der Front‘ keine Option für uns ist.""

Im gleichen Artikel wird auch das ZDF zitiert:

"Beim ZDF heißt es, die genaue Anzahl der Ortskräfte lasse sich "nur schwer beziffern, da es vor allem Kooperationen mit einheimischen Kräften bei einzelnen Drehvorhaben gibt". Das ZDF versuche auf diplomatischem Weg, die Sicherheit von Ortskräften zu verbessern und gegebenenfalls eine Ausreise zu ermöglichen."

Was sich nicht wiederholen darf

Das Wort "gegebenenfalls" ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, denn wenn es stimmt, was alle unabhängigen Beobachter:innen, Expert:innen, Menschenrechtler:innen und Exil-Afghan:innen sagen, nämlich dass jedem Menschen in einem Taliban-Regime-Afghanistan Gefahr droht, der je mit der westlichen Presse zusammengearbeitet hat, dann wird einem ganz kalt.

Und Armin Laschets Aussage am Montag machte die Dinge nicht besser. Seinem Statement bezüglich einer rettenden Luftbrücke, die sich nicht nur beziehen dürfe

"auf Ortskräfte, nicht nur auf deutsche Staatsangehörige, die noch in Afghanistan sind, sondern muss auch aktive Frauen-, Menschenrechtlerinnen, Aktivistinnen, Bürgermeisterinnen und andere umfassen. Das muss im Mandat mit vermerkt sein",

fügte er nämlich noch einen wichtigen Satz hinzu: "2015 darf sich nicht wiederholen." (hier der entsprechende Laschet-Videoclip in der Süddeutschen).

Der CDU-Kanzlerkandidat führte zwar aus, dass es dabei, WAS sich denn nicht wiederholen dürfe, um den "geordneten Schutz für die, die Richtung Europa streben" ginge. In der die FAZ klingt der von der taz hier als "reaktionäres Stoßgebet" bezeichnete Satz mit dem "nicht wiederholen" noch ein wenig anders:

"Unionskanzlerkandidat Armin Laschet sagte am Montag nach einer Sitzung der CDU-Führungsgremien, die "Fehler von 2015" dürften nicht wiederholt werden. Damit meinte er den Rückzug der internationalen Gebergemeinschaft von der Finanzierung von Flüchtlingslagern in der Region um das vom Bürgerkrieg erschütterte Syrien."

(Hier ist übrigens die gesamte Laschet-Pressekonferenz vom Montag nochmal zum Selbernachhören – einige der Äußerungen haben hier eine Twitterdiskussion mit einer ähnlichen Fragestellung ausgelöst, es ging im Ursprung dabei um einen Tweet von WDRaktuell, den man hier nachlesen kann.)

Vielleicht kann man zusammenfassen: Selbst wenn Laschet eventuell gemeint hat, man dürfe keinesfalls nochmal so viele Geflüchtete auf ihrer gefährlichen Flucht allein lassen und nicht unterstützen, klingt es unterm Strich wie: Es dürfen keinesfalls nochmal so viele Geflüchtete nach Deutschland kommen. Und Laschet wird schon wissen, warum er sagt, was er sagt. Aber wir wollten ja uns ja mit inhaltlichen Kommentaren zurückhalten.

Kinder Kirche Küchenradio

Stattdessen hüpfe ich jetzt kess zum zweiten Thema, ich flatterhafte und emotionale Frau. Die vielen so genannten "Frauenzeitschriften", und ich meine jetzt überraschenderweise weder Publikationen wie das Missy Magazin oder die Emma (eigene Unterzeile übrigens: "Das politische Magazin für Menschen"!), sondern die Goldenen Frauen Barbara, Petra und Brigitte im Spiegel der Emotionen (Quizfrage: wie viele Zeitschrifttitel halten sich hier versteckt?!), die reichen jedenfalls anscheinend nicht mehr aus. Wie Übermedien länger und ein Altpapier etwas kürzer im Juli berichteten, gibt es seit ein paar Wochen zwei neue Radiosender, die sich gezielt an Frauen richten: anna.fm und Femotion.de. Beide, fangen wir mal mit dem an, was uns am meisten interessiert, tragen pastellige, fröhliche Farben in ihren Designs, bei Anna leuchtet ein kleines, türkis-lachsfarbenes Herzchen, bei Femotion werden die Reiter pink, wenn man sie anklickt. Beide behaupten in etwas unterschiedlichem Wording von sich, "Deutschlands erstes Frauenradio" beziehungsweise das "erste deutschlandweit empfangbare Frauenradio" zu sein, beide spielen unkuratierte Formatradiomusik (man kann auch "Dudelsender" sagen, ganz wertfrei), und beide müssen bislang noch mit recht wenigen Sprachbeiträgen auskommen, wollen das aber ändern. Ein Bericht in der Süddeutschen beginnt mit der mild konsternierten Eingangsfrage:

"Mit der Diversität ist es so eine Sache. War die Idee nicht eher, dass Gruppen - vorzugsweise die privilegierten Gruppen - divers werden, und nicht die Neugründung diverser Gruppen?"

Weiter stellt der Text fest:

(…)"oben steht zwar einiges darüber, dass es bei Femotion Radio um Gleichstellung und Karrierechancen als Frau geht, aber untendrunter werden dann genau dieselben Rubriken geboten, die Frauenzeitschriften seit eh und je beackern: Gesundheit, Familie, Ernährung. Heißt hier "Fem Health", "Fem Family" und "Fem Food". Ändert aber nichts. In "Kinder Küche Kirche" wurde das dritte K durch Karriere ersetzt. Bei Anna.fm ist das ähnlich."

Radio Themiskyra

(Dass an dem Wort "beackern" ganz knapp das Anagramm zu "altbacken" verloren gegangen ist, sieht man, wenn man den Satz mit zusammengekniffenen Augen liest, ha.) In beiden Impressen, stellt die SZ zudem fest, stehen als Geschäftsführer ausschließlich Männernamen, die Redaktionen sind dagegen rein weiblich. Inhaltlich kann man sich in den Onlineangeboten bislang vor allem zwischen Lifehacks (wie kriege ich klumpigen Zucker wieder bröselig?), Elterntipps und "Ernährungstrends" entscheiden, der Claim bei anna.fm lautet: "Mädels! Endlich unter uns!"

Und die Frage, die auch im SZ-Artikel anklingt, bleibt, ob die "Mädelsabend!"-Idee in Bezug auf ein Medium, vor allem ein Massenmedium, nicht schlichtweg kontraproduktiv ist. Indem man sich auf die Idee stürzt, sich "endlich" nicht mehr von Männern ärgern oder die Jobs wegnehmen zu lassen, überlässt man ihnen das Feld. Schlimmer: Man weicht jedweder nötigen Konfrontation aus, anstatt sie zu führen. Nichts gegen Gesundheit, Familie und Ernährung, nichts gegen Lifehacks, Design und Mode, und erst recht nichts gegen Diskussionen über Karrierechancen und Gleichstellung oder designierte aktuelle Berichterstattung über Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Sport, Musik, die ganze Welt (kann ja noch kommen bei Anna und Konsortinnen!). Aber wieso sollte man das ausschließlich mit Frauen besprechen? Der einzige Ort, wo ein solcher Sender sinnvoll wäre, ist die Amazonen-Insel Themiskyra. Hoffentlich haben die DAB+.

Altpapierkorb (... mit einem enttäuschenden Jan Hofer und keinen Pornos bei der Bachelorette)

+++ Sehr enttäuscht ist der Tagesspiegel von der Premiere des Nachrichtenjournals "RTL Direkt" mit Jan Hofer und seinem Gast Annalena Baerbock. Fazit:

"Die RTL-Verantwortlichen, die - siehe "RTL Aktuell" und "Nachtjournal" - sonst sehr wissen, was Nachrichten sind und sein müssen, haben die Premiere sauber vergeigt. Und wenn sie schon die 20 Minuten mit einem versöhnlichen Schlussakkord beschließen wollen, dann bitte mit einer positiven Nachricht und nicht mit dem derzeit überstrapazierten Comedian Abdelkarim."

+++ Und hier, zur Entspannung und um bei RTL zu bleiben, der "geheime Bachelorette-Vertrag", der angeblich der Bildzeitung vorliegt. Danach dürfen die Kandidat:innen der Datingshow während der gesamten Produktion nicht ab- oder zunehmen. Und es herrscht ein Pornoverbot. Was machen die dann da bloß die ganze Zeit?!

Neues Altpapier kommt am Mittwoch.

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