Das Altpapier am 24. November 2017 It’s Deutschland II, stupid

Weil Spiegel-Redakteure statt Wein Wasser tranken, muss Thomas Middelhoff sein Buch einstampfen. Wie viel preisverdächtiger Journalismus steckt in Corporate-Magazinen? Der Deutsche Bundestag als der Ort, an dem Claudia Roth über Kleiderfragen bestimmt und Wolfgang Schäuble seine Sudoku-Vergangenheit einholt. Was endlich nicht mehr uncool ist. Heribert Prantl verliert gegen das Vereinsregister. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier

Auf einer Skala von Dieter Nuhr bis John Oliver: Wie lustig ist es eigentlich, dass die FAZ heute auf Ihrer Titelseite eine Karikatur bringt, in der ein Islamist seinem Kollegen am Computer vorgibt

"Los Mustafa, schreibe: Wir übernehmen die Verantwortung für den Wahlausgang und die Sondierung. Der politische Trümmerhaufen Deutschland ist unser Werk. Allahu akbar"?

Ich tendiere zu einem unterdurchschnittlichen Ausbilder Schmidt, und die Weihnachtsmarkt-Saison in Berlin hat noch nicht mal angefangen.

Das sei einfach mal an den Anfang gestellt.

Falsche Spiegel-Beschimpfungen kosten Thomas Middelhoff sein Buch

Offenbar ist diese laufende keine gute Woche für Medien, die etwas mit Thomas Middelhoff zu tun haben. Erst nahm der WDR, wie gestern thematisiert, eine geplante Doku über den wegen Untreue verurteilen Top-Manager kurzfristig aus dem Programm, weil dieser beim Drehbuch mitreden durfte. Nun muss er selbst nach einer Entscheidung des Landgerichts Stuttgart sein schönes Buch "A 115 - Der Sturz" einstampfen, weil er im Kapitel "Die Rolle der Medien: Sieben Jahre am Pranger" behauptet hatte,

"die SPIEGEL-Redakteure hätten unsauber recherchiert, Fakten unterschlagen und sich auf dubiose Quellen gestützt. Die Richter verurteilten die entsprechenden Aussagen als 'unwahr' beziehungsweise 'rechtswidrig'. Den Versuch von Middelhoffs Anwältin, einige der angegriffenen Passagen als bloße 'Meinungsäußerung' zu verteidigen, wiesen sie in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung zurück",

wie das Hamburger Nachrichtenmagazin selbst per Pressemitteilung verbreitet.

Worum es genau geht, hatten die Autoren Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch und Jörg Schmitt bei Spiegel Online bereits im September dargelegt. Das geht von

"Keiner der Reporter hat, wie Middelhoff behauptet, im 'Ressort Deutschland 1' gearbeitet, sondern in den Ressorts Deutschland II und Wirtschaft"

bis zu

"Vollends absurd wird es, als Middelhoff über ein Interview schreibt, das der SPIEGEL 2011 mit seinem ehemaligen Vermögensverwalter Josef Esch geführt hatte. Middelhoff zufolge, der sich auf einen anonymen Esch-Vertrauten als Quelle beruft, habe sich 'das Team des Nachrichtenmagazins auf den Weg nach Troisdorf' gemacht in die Esch-Firmenzentrale. Nach dem Interview habe Esch 'die Redakteure vom SPIEGEL zu einem Abendessen' eingeladen, danach sei die Stimmung 'weinselig, locker und gelöst' gewesen.

Die Fakten indes sind anders: Das Interview fand in Hamburg statt. Es gab kein Abendessen, sondern ein Mittagessen. Bezahlt hat der SPIEGEL, nicht Esch. Und die Redakteure haben auch keinen Wein getrunken, sondern Mineralwasser mit Kohlensäure."

Ganz recht: Man mag beim Spiegel Wasser mit. Rock ’n’ Roll!

Bei Amazon kann man sich noch rasch mit dem Werk bevorraten. Wirklich empfehlen kann ich jeder geschundenen Medienmacherseele hingegen nur den Blick in die Rezensionen. Dort steht nämlich, warum sich Leute das in ein Buch gegossene "Whatever you need to tell yourself" eines unsympathischen Managers kaufen:

"Habe mir das Buch nur bestellt, weil im SPIEGEL ONLINE eine ungewohnt heftige, hasserfüllte Rezension zu lesen war". (ColorM2000)

"Ich habe Herrn Thomas Middelhoff in der Talkshow von Markus Lanz gesehen." (Amazon-Kunde)

"Erst durch Midfelhoffs starken Auftritt in der Talkshow '3 nach 9' wurde mein Interesse geweckt." (Maik)

(Alle Versalien im Original.)

Alles fließt, auch die Grenzen zwischen Journalismus und PR

Noch kurz bei Middelhoff verweilend, dabei aber schon eine Überleitung bauend, sei nun Fernsehautor Stephan Lamby zitiert, der gestern im Gespräch mit Henning Hübert bei @mediasres noch einmal bestätigte, warum eine von der Hauptperson abgenommene Doku einfach nicht geht:

"Wir sagen dem Protagonisten oder der Protagonistin, dass es eine klare Grenze gibt (…). Es muss der Grundsatz der unabhängigen Berichterstattung gewahrt bleiben. Und dieser Grundsatz ist gefährdet, wenn man einem Protagonisten oder einer Protagonistin ein Mitspracherecht bei einem Film oder einem Text eingesteht. Das hat nichts mit Fernsehen oder Hörfunk zu tun. Das betrifft die Print-Kollegen ebenso."

Der Nachsatz ist wichtig, wenn man ihn auch auf Online-Medien erweitern sollte, denn die Frage nach dem Gegenlesen vor der Veröffentlichung ist zumindest nach meiner bescheidenen Lokalzeitungs-Erfahrung Standard, gerne ergänzt um "Aber bei *Piep* war das kein Problem".

Doch Journalismus ist nun mal Fremd- und nicht Selbstdarstellung, und damit wären wir nun bei den fließenden Grenzen zur PR und einem Text von Peter Weissenburger aus der taz gelandet.

Ihm ist aufgefallen, dass für den Reporterpreis des Reporterforums in der Kategorie "Essay" auch ein Text von Lena Niethammer nominiert ist, der im Greenpeace-Magazin erschien. Nun fragt er sich:

"Das Greenpeace-Magazin gehört zumindest formal zu den Corporate Media. (…) Unternehmen entdecken den Bereich immer häufiger und stellen fest, dass sie anstatt ihrer langweiligen Kundenmagazine auch spannende Publikationen mit qualitativ hochwertigen Texten verlegen können, die zuallererst das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis ihrer LeserInnen befriedigen und – ganz nebenbei – auf positive Weise die Marke transportieren. Kommen diese Medien für einen journalistischen Preis infrage? Im Medienkodex des Netzwerk Recherche (NR) von 2006 heißt es kategorisch: Journalisten machen keine PR. Vom NR heißt es auf Nachfrage, man sehe im Fall Niethammer kein Problem, denn in dem Text könne man keine PR erkennen. Und doch erübrigt sich damit nicht die Frage: Sollten Journalistenpreise auch an Texte aus PR-ähnliche Publikationen gehen?"

Gute Frage, stecken darin doch so viele weitere, die alle mit der Krise des Journalismus, der gleichzeitigen Aufstockung in den PR-Abteilungen und der Tatsache zu tun haben, dass ein freier Journalist von einem dieser Corporate-Magazine nunmal ein Vielfaches von dem Hungerlohn überwiesen bekommt, den ein journalistisches Produkt zu zahlen bereit ist.

Als jemand, der sich schon länger darüber wundert, warum im Deutschen Journalisten-Verband eigentlich Pressesprecher organisiert sind, tendiere ich ja zum Ziehen einer ganz klaren Grenze. Andererseits kann guter Journalismus nur entstehen, wenn er auch bezahlt wird, und wenn Niethammers Stück journalistisch ist, warum sollte es dann keine Journalisten-Preise gewinnen können?

Eine kurzfristige Lösung hätte ich schon mal: diese affigen Preise einfach abschaffen. Die Zeit, das SZ-Magazin und der Spiegel können sich ja einmal im Jahr verabreden, um sich gegenseitig zu ihrer Großartigkeit zu beglückwünschen.

Über etwas Langfristiges müssten wir aber wohl nochmal nachdenken. Die Print-versus-Öffi-Debatte könnte beispielsweise ein wenig frischen Wind aka neue Aspekte vertragen.

In den Bundestag bitte nur ohne Handy

Bleibt noch die Frage: Welches Schweinderl hätten’s denn gerne? Durchs Dorf wurden gestern wieder zwei getrieben, und weil ich aus Prinzip "Nein!" sage zu Til Schweiger, schauen wir kurz auf die Mitteilung, die Wolfgang Schäuble den 709 Abgeordneten des Bundestages zukommen ließ, die das Hauptstadtbüro des Deutschlandradios bei Twitter in Umlauf brachte, und die da lautet:

"Den Verhandlungen des Bundestages unangemessen und daher unerwünscht ist die Nutzung von Geräten zum Fotografieren, Twittern oder Verbreiten von Nachrichten über den Plenarverlauf."

In anderen Worten: Handys raus.

Dass das den Twitter-Affineren unter den Abgeordneten nicht passt, kann man im dpa-Bericht bei Meedia nachlesen, während sich Patrick Gensing für den "Tagesschau"-Faktenfinder tatsächlich die Mühe gemacht hat, herauszufinden, ob Schäuble solche Ansagen machen darf. Sein Ergebnis, das man allein aufgrund der schönen Kleiderordnungs-Anekdoten (was geht und was nicht liegt im Ermessen des Bundestagspräsidiums. Zu dem gehören aktuell "unter anderem Claudia Roth, Petra Pau und Hans-Peter Friedrich, die in modischen Fragen möglicherweise recht unterschiedliche Positionen einbringen") ruhig in Gänze lesen darf:

"'Die Geschäftsordnung des Bundestages macht keine detaillierten Vorgaben über die Nutzung technischer Geräte im Plenarsaal', teilte ein Sprecher des Bundestagspräsidenten auf Anfrage des ARD-faktenfinders mit. Solche Vereinbarungen würden vielmehr interfraktionell, also auf der politischen Ebene, getroffen."

Schäuble scheint also die Grenzen seiner neuen Kompetenzen noch nicht ganz verinnerlicht zu haben. Zudem war er früher selbst ein Elch (Markus Beckedahl bei Netzpolitik.org):

"Über Sanktionen, was passiert, wenn z.B. die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin per SMS Parteifreunde, Journalisten und mögliche Koalitionäre über den Plenarverlauf informiert, wurde bisher noch nicht aufgeklärt.

Wolfgang Schäuble hat selbst Erfahrungen mit der Nutzung eines Tablet-Computers im Bundestag gemacht, als er mal gelangweilt auf der Regierungsbank Sudoko spielte und dabei gefilmt wurde."

Altpapierkorb (Russische Facebook-Propaganda, uncoole Deutsche, ab ins Vereinsregister)

+++ Ob man in der Vergangenheit bei Facebook mit Teilen und Liken zur Verbreitung russischer Propaganda-Posts  beigetragen hat, soll schon bald ein spezielles Tool ersichtlich machen. Darüber berichten der Tagesspiegel, Meedia und der britische Guardian. "Dem privaten Unternehmen Facebook geht es nicht um Demokratie – es hat einfach große Angst davor, durch die Politik reguliert zu werden, und verfällt deshalb in einen Aktionismus, dessen Nutzen fragwürdig ist", meint in der taz Dinah Riese.

+++ "Dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe liegen nun die Stellungnahmen vor, die im Rahmen des Verfahrens zur Überprüfung des allgemeinen Rundfunkbeitrags unter anderem"…. HALLO?! SIND SIE NOCH WACH?! Ja, die Medienkorrespondenz hat es nicht so mit packenden Einstiegen, möchte uns aber mitteilen, dass nach den Verfassungsbeschwerden gegen den Rundfunkbeitrag u.a. die ARD-Anstalten, die Bundesregierung und die KEF ihre Einschätzungen zu Fragen wie "Warum zahlen alle Haushalte das gleiche, egal, wie viele Leute da wohnen?" an das Gericht übermittelt haben. Noch sei nicht klar, ob die Beschwerden mündlich verhandelt würden, schreibt die Medienkorrespondenz. Wenn ja, dann sei es im kommenden Frühjahr soweit.

+++ "'We were uncool for a very long time,' Mr. Odar said. 'But I think it’s changing.'" Die New York Times nimmt die erste deutsche Netflix-Serie "Dark" zum Anlass, mal was über den deutschen Serienfrühling feat. "Deutschland 83" und "Babylon Berlin" zu schreiben.

+++ Kika-Chef Michael Stumpf wechselt zum ZDF (DWDL)

+++ Jan Böhmermann macht jetzt auch was mit Ausstellungen. Für Springers Welt war Katja Belousova im NRW-Forum in Düsseldorf und meint, die Zeitgruppe von "Deuscthland" seien nur Fan-Boys: "Das liegt zum einen daran, dass die Schau mit Reminiszenzen an das 'Neo Magazin Royale' gespickt ist – von der Ecke, in der der fiktive 'Reichspark' als 4-D-Erlebnis vorgestellt wird, bis zu Zeilen wie 'We are proud of not being proud' aus dem Lied 'Be Deutsch'. Und zum anderen daran, dass das restliche Dutzend neuer Objekte – wie der Sessel, auf dem Björn Höcke samt Deutschlandflagge bei Günther Jauch gesessen haben soll – an die dazugehörigen Gags aus seiner Show erinnert."

+++ Was macht eigentlich… der Journalismus, der sich ohne große Verlage im Rücken durch die Medienkrise schlägt? Ulrike Simon hat für ihre Spiegel-Daily-Kolumne nachgefragt.

+++ Der Streit zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern hat die Provinz erreicht, konkret den Remscheider General-Anzeiger, der schöne Begriffe wie "Staatsfunk" für Überschriften-tauglich hält, wie Stefan Niggemeier bei Übermedien aufzeigt.

+++ "Geht man nach den namentlich genannten Referent*innen, so diskutieren auf den zahlreichen Podien der Veranstaltung dreizehn Männer mit drei Frauen und einer Moderatorin. Das ist eine Quote von 23,5 Prozent – wenn man die Moderation mit zählt. Ohne sie landet man bei knappen 19 Prozent." Nein, das ist keine Meldung aus dem Jahr 1952, sondern sie bezieht sich auf den Verdi-Journalistentag 2018 und stammt aus der taz.

+++ Vor- und Nachteile der unlängst verabschiedeten E-Privacy-Verordnung hat Karoline Meta Beisel heute noch einmal auf der Medienseite der SZ.

+++ Auf der Medienseite der FAZ erklärt Bülent Mumay, warum die Türkei sich gerade politisch an Russland kuschelt und die USA meidet, und am Rande auch, wie schnell die türkische Presse solche Umschwünge mitmacht (Blendle-Link).

+++ Hat das Radio eine Zukunft, und wenn ja, wie muss die aussehen? Das ist Felicia Reinstädts Thema im aktuellen epd medien (derzeit nicht online): "Radio ist für viele zu einem Klischee geworden, mit dem es sich zwar aushalten lässt, das sich aber immer weiter von dem entfernt, was das Medium eigentlich sein möchte: nah dran am Menschen und seiner Lebenswelt. Das müssen wir ändern." Zudem berichtet in der Ausgabe Fritz Wolf von der 41. Duisburger Filmwoche.

+++ Über Marc-Jan Eumann und den für ihn vorgesehenen Posten als Direktor der rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalt (s. Altpapier) berichtet nun auch @mediasres.

+++ Menschen aus Eritrea, Albanien oder dem Kosovo sind mehr als bemitleidenswerte Flüchtlinge oder abschiebungswürdige Straftäter. Damit das auch in den Schweizer Medien deutlich wird, engagieren sich die Plattform Albinfo und der Eritreische Medienbund. Die Medienwoche stellt beide vor.

+++ Wem "Desperate Housewives", "Girls" oder "Sex and the City" gefallen, dem gefällt vielleicht auch "Smilf". Die Serie über die "single mom I’d like to fuck with" (oder eben nicht) läuft bei Sky Atlantic und wird von Sophie Krause im Tagesspiegel und Katharina Riehl in der SZ besprochen.

+++ Der Vollständigkeit halber: Paul-Josef Raue hat immer noch eine Kolumne bei kress.de. Leider wird er dort immer noch nicht redigiert, und daher bin ich schon im dritten Absatz ausgestiegen, in dem zu erfahren war, dass sich Ombudsleute aus ganz Deutschland "(a)uf Einladung von Thomas Soyer, dem Leserredakteur der 'SZ'-Lokalredaktionen" bei der SZ getroffen haben "und beschlossen, im Frühjahr nächsten Jahres eine Vereinigung zu gründen und ins Vereinsregister eintragen zu lassen". Später erzählt Heribert Prantl wohl noch, wie er sich sein neues Meinungsressort vorstellt, aber hey, wenn das hinter dem Vereinsregister steht, kann das so spannend nicht sein.

Frisches Altpapier gibt es wieder am Montag. Schönes Wochenende!