Teasergrafik Altpapier vom 7. September 2021: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 7. September 2021 Larifari und Bärendienste ohne Not

07. September 2021, 09:52 Uhr

Der WDR bietet einem AfD-Kandidaten im Wahlkampf eine so schöne Bühne, dass der sich dreimal bedankt. Der MDR retuschiert in einem Nachrichtenbeitrag ein Bild und liefert der "Bild" damit eine Steilvorlage. Und Jan Böhmermann wirft Markus Lanz eine False Balance vor. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Baggerjournalismus

Wir wurden ja nun schon mit vielem konfrontiert in diesem Bundestagswahlkampf. Mit lachenden Kandidaten. Gerüschten Lebensläufen. Büchern, in denen dies oder das abgeschrieben wirkte. Gerne mit dem Willen zur Entlarvung. Die "Lokalzeit" des WDR hat da nun mal was ganz anderes gemacht, etwas Nettes. Sie hat einem nordrhein-westfälischen Wahlkreiskandidaten einen Wunsch erfüllt und ihm einen freundlichen Beitrag spendiert: Der AfD-Politiker Kay Gottschalk durfte Bagger fahren und, unterlegt von einem fröhlich treibenden Gitarrenrhythmus, darüber parlieren, was "der für ein Gewicht aufnimmt".

Überaus, naja, kritische Fragen gab es natürlich auch. Zum Beispiel diese: "Von einer europakritischen Partei hat" sich die AfD "entwickelt zu einer, naja, rechtspopulistischen Partei. Wie empfinden Sie das?" Tja, wie empfindet das wohl ein Abgeordneter dieser Partei, die man, naja, auch noch anders benennen könnte als rechtspopulistisch? Als schlimm? Als tragisch? Als abstoßend? Natürlich nicht. Gottschalk nutzt die sich bietende Gelegenheit gerne: Er finde das Wort "populistisch" nicht schlimm und bekundet, dass viele, "die sich in einem konservativen Bereich bewegen", heute ja gerne mal als rechtspopulistisch bezeichnet würden. So großonkelt sich ein Profi aus einer Falle, auf die mit großen Leuchtbuchstaben gepinselt ist: Achtung, hier lieber nicht reintappen!

Darüber hinaus normalt Gottschalk sein großes "Vorbild" namens Helmut Schmidt herbei, hat mit der Erstellung des AfD-Wahlprogramms nichts zu tun, weil er ja nicht daran mitgeschrieben habe, und seinen Aufruf, türkische Geschäfte in Deutschland zu boykottieren, habe er damals doch auch gar nicht so gemeint.

Am Ende des Beitrags sagt Gottschalk "Danke, danke, danke!" – und dass er an den Tag noch in zwanzig Jahren denken werde. Vielleicht ja auch, weil er mal Bagger fahren durfte.

Es gibt, das muss man dazu sagen, noch mehr Beiträge aus der Reihe "Auf die Probe gestellt", in der dieser Gottschalk-Film steht, Beiträge mit Politikerinnen und Politikern anderer Parteien. Die SPD-Kandidatin Gülistan Yüksel wurde etwa kürzlich "zwischen Salat und Kartoffeln" porträtiert. Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, es sei im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus Ausgewogenheitsgründen geboten, dann auch einen AfD-Politiker so lange Bagger fahren zu lassen, bis er sich mindestens dreimal bedankt hat. Aber wenn man so argumentieren möchte, könnte man sich andererseits auch vorher überlegen, ob man überhaupt ein solches erkenntnisarmes Format aufsetzt, in dem sich Politikerinnen und Politiker aller Parteien aussuchen dürfen, in welchem Rahmen sie sich im Wahlkampf produzieren wollen.

Der RBB hat nach einem Larifari-Sommerinterview am Badesee mit einem rechtsextremen AfDler, das ihm viel Kritik eingebracht hat, vor einem Jahr angekündigt, künftig keine solchen Sommerinterviews mehr zu führen, sondern sich stattdessen einfach auf richtige Interviews zu verlegen (Altpapier). Das war nicht die schlechteste Idee.

Steilvorlagenjournalismus

Auch nicht mit Ruhm bekleckert hat sich kürzlich der "Sachsenspiegel" unseres MDR, als ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin in einem Nachrichtenbeitrag das "Bild"-Logo von einem Mikrofon wegretuschiert hat. Einem Bild-Redakteur ist das aufgefallen, und der MDR hat sich entschuldigt, auch in einer darauf folgenden "Sachsenspiegel"-Ausgabe. Aber bemerkenswert ist es doch und sollte angesichts der diversen Reaktionen darauf auch hier noch einmal festgehalten werden. Der Medienjournalist Daniel Bouhs bemüht sich, wie immer, um Differenzierung und twitterte in einem Thread, es habe sich weder um eine "harte inhaltliche Manipulation" gehandelt, noch stehe der Fall für "den MDR" oder "den ÖRR". Dass es "eine ordentliche Dummheit – und der berühmte Bärendienst" – gewesen sei, schreibt er aber auch.

Als Dummheit und Bärendienst sieht die Sache auch Stefan Niggemeier, der im Übermedien-Podcast "Holger ruft an" am Wochenende befand: Eine solche Veränderung des Bildes – "das geht gar nicht". Man hätte, wenn man das Bild-Logo nicht zeigen wollte, einen anderen Bildausschnitt wählen können, sodass das Bild-Mikrofon gar nicht zu sehen gewesen wäre. Man müsse sich immer für einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit entscheiden, also könne man auch einen ganz ohne Mikrofone wählen.

"Aber in dem Moment, wo ich mit meinem Video-Bearbeitungsprogramm sage, ich schneide hier was aus, ich lege hier eine rote Fläche hin, wo keine war, ist das völlig indiskutabel. Und das ist, glaube ich, erstmal das Wichtige. Das Schlimme. Und das andere ist das schlimm Dumme: es nämlich mit dem Bild-Logo zu machen und nicht zu denken, dass die Bild-Zeitung das womöglich merkt und sich in all ihren Aufregern über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk natürlich bestätigt sieht. Und ich würde sagen, dass viele von diesen Aufregern von Bild zu Unrecht sind, aber dieser ist total berechtigt."

Nun. Über die Größenordnung der Aufregung könnte man nochmal reden. Bild-Chefredakteur Julian Reichelts Russia-Today-Vergleich zum Beispiel, den DWDL zitiert hat, ist vielleicht ein leises Häuchlein zu dick aufgetragen. Aber um eine Steilvorlage für Bild handelte es sich jedenfalls. So sah es auch die FAZ: "Denn mit seiner Bild-Bearbeitung erreicht der MDR nun genau das Gegenteil dessen, was die Retusche mutmaßlich bezwecken sollte: Statt die Bild im Bild zu entfernen, liefert der MDR Springer eine PR-Vorlage auf Kosten des Beitragszahlers."

False-Balance-Journalismus?

Und dann noch das: Jan Böhmermann und Markus Lanz haben sich im Rahmen einer Veranstaltung der Zeit über False Balance im Journalismus und verwandten Bereichen ausgetauscht. Böhmermann warf Lanz vor, immer wieder Gäste einzuladen, die nicht den wissenschaftlichen Stand wiedergäben, wie etwa die Virologen Streeck und Kekulé. Und erweiterte seine Kritik in Anwesenheit von Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo um einen gewissen berühmten "Oder soll man es lassen?"-Artikel der Wochenzeitung. Lanz hielt dagegen. Man kann sich das Ganze hier anschauen und sich eine Meinung bilden, die natürlich auch irgendwo dazwischen liegen darf.

Imre Grimm beschäftigt sich recht ausführlich mit Böhmermanns Lanz-Kritik, die vielleicht an dieser Stelle den Falschen treffe, wie er meint. Er schreibt bei rnd.de:

"In der Sache hat Böhmermann Recht. In der Wissenschaft gibt es keine Meinungen, die gleichwertig wären mit evidenzbasierten Erkenntnissen. Wer das behauptet, ignoriert 300 Jahre Aufklärung. Wenn eine überwältigende Mehrheit von Wissenschaftler denselben Kenntnisstand teilt, gilt dieser als gesicherter Sachstand. Mit einer reinen, noch so provokanten "Position" ohne anerkannten Beweis lässt sich dieser Sachstand nicht valide herausfordern. (…) Die Konsequenz daraus kann aber nicht sein, Fachpersonal wie Kekulé oder Streeck grundsätzlich in keine Talkshow einzuladen. Hier überreißt Böhmermann. Selbstverständlich kann man sie einladen. Man muss sie dann nur auffordern, ihre strittigen Punkte auch zu beweisen."

Alle anderen Themen des Tages nun im…


Altpapierkorb (Rundfunkbeitragsfachjournalismus, Fußball bei RTL, Streit in Ostfriesland)

+++ Den Beitragszahler und gewiss auch die Beitragszahlerin könnte das Interview anspringen, das heute auf der FAZ-Medienseite (aktuell nur in der gedruckten Ausgabe) steht. Dort geht es, motiviert durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Altpapier), um Sparpotenziale bei den Öffentlich-Rechtlichen. Unterzeile: "Heinz Fischer-Heidlberger, Chef der Gebührenkommission KEF, verrät, wie es mit dem Rundfunkbeitrag weitergeht". Das will man natürlich schon wissen. Wer einen fluffigen Beitrag mit drei wichtigen News und einem Witz erwartet, kennt die FAZ-Medienseite allerdings schlecht. Das Gespräch, geführt von Helmut Hartung, ist etwas spezialistisch – was kein Vorwurf sein soll: Keine andere Medienseite schert sich so wenig um die Exit-Rate und geht immer wieder einmal derart ins Detail wie die der FAZ, wenn es um Medienpolitik geht, und das kann man ihr durchaus hoch anrechnen.

Wie also geht es nun weiter mit dem Rundfunkbeitrag und dem Sparen? Fischer-Heidlberger sagt zum einen, dass er die Rolle der KEF gestärkt sehe. Die KEF fragt den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten ab, gleicht ihn dann mit der Realität ab und errechnet schließlich eine Beitragshöhe. Eine Alternative dazu wäre zum Beispiel das Index-Modell mit einem automatisch steigenden Beitrag, wie es in den vergangenen Jahren in der Diskussion gewesen ist. Ein solches Verfahren, so Fischer-Heidlberger, sei vom Verfassungsgericht aber nun "nicht mehr als mögliche Alternative erwähnt" worden: "Das Verfassungsgericht hat keine Entscheidung gegen den pauschalisierten Index getroffen, aber es empfiehlt dieses Verfahren auch nicht mehr."

Und was das Sparen betrifft, sagt er: "Ein einzelner ARD-Intendant kann heute relativ wenig ausrichten. Deshalb hat die KEF immer wieder darauf hingewiesen, stärker zusammenzuarbeiten, die Potentiale einer engen Kooperation zu nutzen. In mehreren Bereichen finden so heute bereits Reformen statt. Aber beispielsweise bei modernen Technologien, der Informationsverarbeitung oder digitalen Verbreitungswegen könnte noch enger zusammengearbeitet werden."

+++ RTL überträgt Fußballspiele, allerdings nicht auf die schlechte Boulevard-Art, die einen vor dem Bildschirm fesselt, weil man einfach nicht weggucken kann. Sondern langweilig – findet Peter Ahrens beim Spiegel online (€). Immerhin: Der vielmeinende Experte Steffen Freund geht ihm dann doch auf den Keks.

+++ kress.de berichtet über einen Konflikt zwischen Nordwest-Zeitung und Ostfriesen-Zeitung: "Ein publizistischer Wettbewerb wie jetzt in Ostfriesland ist selten geworden in einer Zeit, in der regionale Zeitungsverlage angesichts ihres schrumpfenden Kerngeschäfts eher nach Kooperationsmöglichkeiten mit ihren Nachbarn statt nach Streit mit ihnen suchen."

Neues Altpapier erscheint am Mittwoch.

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