Das Altpapier am 13. September 2021 Duell statt Duett
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13. September 2021, 09:31 Uhr
Eine Moderatorin, ein Moderator, keine gute Abstimmung: Das sogenannte Triell von RTL war besser moderiert als das jüngste von ARD und ZDF. Ist das mehrfache Aufeinandertreffen dreier Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten im Fernsehen aber überhaupt so wichtig für den Wahlausgang, wie es wohl gerne wäre? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Nicht so gelungen: eine Doppelmoderation von ARD und ZDF
Am ersten Morgen nach dem zweiten von drei sogenannten Triellen (dem vom Ersten und Zweiten) wollen wir die Lage ein wenig ordnen. Wie waren sie, die Protagonistinnen und Protagonisten? In einer Medienkolumne sind damit selbstredend nicht die Kanzlerkandidantinnen und -en gemeint, die miteinander diskutierten, sondern die Moderatorinnen und Moderatoren. Und sagen wir so: Beim ersten Mal, bei RTL, waren sie besser. Wer es nicht glaubt, kann jede Menge Tweets nachlesen. Und wer Tweets nicht glaubt, muss nun einfach mal mir glauben; mir ist’s, nicht als erstem, aber immerhin nicht als Letztem, auch aufgefallen: Da stimmte was nicht in der Feinabstimmung, und in der Grobabstimmung eigentlich auch nicht. Die Prognose lautet daher: Maybrit Illner und Oliver Köhr, die für ZDF und ARD antraten, werden nie wieder ein TV-Duell, -Triell, -Quatrell, -Wilhelmtell und noch nicht einmal ein -Einzell zusammen moderieren müssen. Und wenn ich mich irre, können Sie mich in vier Jahren abwählen.
Kann sich jemand an die TV-Duelle 2017, 2013 und 2009 erinnern – jeweils mit Angela Merkel und ihrem männlichen Herausforderer? In allen drei Jahren erschienen hinterher sehr viele Kritiken, und ungefähr 87 Prozent davon (Schätzung) waren mit der Zeile "Duett statt Duell" überschrieben. Ich habe das 2017 mal zusammengetragen. Diesmal, 2021, gab es ein Duell statt ein Duett – allerdings eben zwischen Maybrit Illner und Oliver Köhr. Der Kölner Stadt-Anzeiger hat um 21:53 Uhr, wenige Minuten nach dem Ende der Veranstaltung, als erste Redaktion auf die unglückliche Doppelmoderation reagiert. Kleiner Auszug aus dem Text von ksta.de:
"Mehrfach fielen sich beide ins Wort, wenn eigentlich nur von einem der beiden Fragen an die Kandidaten für das Kanzleramt – Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet – hätten gestellt werden sollen. Das war ein anderes Bild als vor zwei Wochen, als für RTL das Moderatoren-Duo Peter Klöppel und Pinar Atalay Scholz, Baerbock und Laschet befragten. War das Gespräch bei RTL sehr stringent durchgetaktet, ging es auf den Sendern ARD und ZDF auch bei den Themen durcheinander. Gerade schien der Block zum Impfen abgehakt und zur Digitalisierung übergeleitet, sprang Illner noch einmal zurück. Und außer ein paar Floskeln zum 5G-Ausbau, gab es dann keine Zeit mehr für das Zukunftsthema."
So ungefähr war’s. Selbst Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker haben als "Wetten, dass..?"-Moderationsteam seinerzeit meines Erachtens besser harmoniert. Auch die taz schreibt von "ziemlich chaotisch wirkenden Moderator*innen". ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, vorab in einem anderen taz-Text fernporträtiert, wirkte für meine Begriffe, als habe er eine to-do-Liste abzuarbeiten, sie aber nicht mit Illner abgestimmt. Ziemlich bürokratisch beendete er etwa den Klimakrisenblock, obwohl die Diskussion nicht beendet war. Und der Tagesspiegel fand’s zu ungefähr 50 Prozent auch nicht gelungen:
"Köhr haspelte, schwomm seinen Fragen hinterher, er zeigte nicht die Qualität seiner Co-Moderatorin, der ZDF-Talkmasterin Maybrit Illner: Souveränität, Intelligenz zur quicken Nachfrage, Gesprächsführung statt Abfragen. Im journalistischen Ergebnis war das RTL-Triell der Veranstaltung von ARD/ZDF voraus."
Schon seltsam.
Ist das Triell ein Format von Format?
Umso seltsamer, als das "Triell" doch gemeinhin als besonders wichtiges Format des Wahlkampfjournalismus gilt. Das erkennt man schon an den ausufernden Vor- und vor allem Nachbereitungen auf allen Kanälen, die es auch diesmal wieder gab. Michael Hanfeld hatte sich schon vorab in der Druckausgabe der Samstags-FAZ darüber gewundert:
"Am Sonntag werden wir bei ARD und ZDF denselben Zirkus erleben wie beim RTL-Triell, Blitzumfrage inklusive. Wie es aussieht, verzichten die Sender wenigstens darauf, die Befragung danach bei Anne Will zur Comedy zu machen, wie es der Kölner Privatsender mit seiner Plauderrunde tat."
Die Prognose erwies sich als richtig. Der Kern seiner Kritik allerdings bezieht sich auf die Zuspitzung des Wahlkampfs auf die Konkurrenz um Kanzleramt, und die findet in den prominenten Wahlformaten der Öffentlich-Rechtlichen ebenso statt wie bei RTL. Eine Verkürzung, die nach 20 Jahren TV-Duell in Deutschland nicht mehr sehr intensiv problematisiert wird. Hanfeld: "Es geht vor allem oder fast nur noch um die Popularität der Spitzenkandidaten, die Trielle und viele andere Fernsehformate vermitteln den Eindruck, Baerbock, Laschet und Scholz stünden zur Wahl und sonst gar nichts."
Michalis Pantelouris kann sich das freilich schon erklären. In seiner Übermedien-Kolumne beschäftigt er sich mit dem Triell-Format als solchem und argumentiert, es habe schon auch seinen Sinn, dieses Personal-auf-Fernsehpräsenz-Abklopffernsehen: "In einer Demokratie müssen sich die Wähler*innen ein Bild davon machen können, wer sich da um das wichtigste Staatsamt bewirbt." Auch wieder wahr. Und doch sind die Trielle beziehungsweise, wie bislang, Duelle jedes Mal aufs Neue ermüdend. Pantelouris schreibt: "Diese Veranstaltungen sind schlechtes Fernsehen." Für eine Idee wie "Drei Berufspolitiker treffen sich und sagen, was sie immer sagen" würden Fernsehleute sonst an den Fußnägeln aufgehängt.
"Niemand kann von so einem Abend erwarten, dass aufregende Dinge passieren. So lange alle Anwesenden geistig einigermaßen beieinander sind, ist dieses, nun ja, nennen wir es Gespräch, bis in die Details vorhersehbar und eher spröde. Aber kein Sender kann es sich erlauben, ein Triell irgendwie anders zu behandeln denn als Clash der Titanen, der dann nachfolgend unter sportlichen Gesichtspunkten von den Punktrichtern bewertet wird."
Wird das Triell- oder Duell-Format also überbewertet? Tendenz: ja, schon. Lutz Hachmeister, Gründungsdirektor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, hat in den "Kulturfragen" des Deutschlandfunks am Sonntagnachmittag erklärt, warum das Format ungeeignet sei, Neues herauszufinden oder gar den Wahlkampf zu drehen. Die politische Wirkung, so Hachmeister, sei also minimal, sofern sich die Kandidatinnen und Kandidaten so benähmen, wie man es von ihnen erwarte. Stimmungen, die sich vorher aufgebaut haben, würden in der Regel nur bestätigt. "Nur wenn etwas sehr Außergewöhnliches passiert" könne ein solches Format zum "game changer" werden, sagte er.
Es ist wohl auch diesmal keines geworden. Wenn das TV-Triell eine Regierung wäre, könnte man sagen, es wäre eine Regierung des Weiter so. Irgendwie passt das vielleicht auch einfach zu diesem Land.
AfD-Spitzenkandidat 0, Kinderreporter 1
Es gibt natürlich noch andere Wahlformate im Fernsehen. Viele schöne bunte Wahlformate. Eines hat am Wochenende ein Social-Media-Furörchen gemacht und es deshalb auch auf die Seiten von Spiegel Online und allerhand anderen Onlines geschafft. Als "logo!"-Kinderreporter Alexander kürzlich Tino Chrupalla von der AfD traf, stellte er ihm Fragen, die man Erwachsenen mit journalistischer Ausbildung nicht so einfach durchgehen lassen würde. Zum Beispiel Quizfragen wie "Was bedeutet Cringe?" oder "Welcher deutsche Musiker hat vor Kurzem das Album 'Musketiere' herausgebracht?" Von erwachsenen Medienleuten darf man erwarten, dass sie wissen, mit wem sie reden und worüber. Ein Kinderreporter darf viel mehr, im Grunde sogar alles – auch ehrlich neugierige Verständnisfragen stellen.
Alexander macht aus dieser Möglichkeit das Beste und fragt kindgerecht nach, als Chrupalla bekundet, in Schulen sollen wieder "mehr deutsche Volkslieder" und Gedichte gelernt werden und "dass wir unsere deutschen Dichter und Denker auch wieder mehr an den Schulen würdigen". Alexander: "Was ist denn Ihr Lieblingsgedicht eigentlich, deutsches Lieblingsgedicht?" Chrupalla sagt, da müsste er jetzt mal überlegen, "da fällt mir jetzt gar keins ein." – Sehr schön ist dann auch das folgende "Nicht?" des Kinderreporters.
Es ist schwer zu fassen, wie wenig Welt in einem politischen Programm stecken kann. Aber das ist an dieser Stelle nicht das Thema. Das Schöne an der Szene ist, dass sie sich kaum umdeuten lässt. Hier hat kein vermeintlich "linksgrüner Journalist" mal wieder nur Böses gewollt; hier hat auch kein AfD-Politiker der Journaille gezeigt, wo der Hammer hängt, indem er die Antwort verweigert hat – nein, da saß ihm ja ein Kind gegenüber. Das übliche Erfolgsrezept zu kochen und sich zum Opfer der Medien zu machen, dürfte Chrupalla angesichts dieser Interviewkonstellation nicht gelingen. Von einem Kinderreporter zum Opfer gemacht zu werden, das schafft wahrscheinlich auch kein AfD-Spitzenkandidat.
Altpapierkorb (Horse Race, Privatempirie zu Demoskopie, taz-Journalist festgesetzt, Sonnabendzeitungen, Journalist Laschet)
+++ Gutes, ausführliches Feature des Deutschlandfunks über die Pferderennanmutung des Wahlkampfs, auch jenseits der sogenannten Trielle: "Befürworter dieser Art von Journalismus finden, Medien würden so mehr Menschen für Politik interessieren. Andere kritisieren, die Orientierung an der Sportmetapher trivialisiere die Politik."
+++ "Bei der FDP halten sich die Demoskopen viel zu sehr zurück", steht über einem als "Meinung" ausgewiesenen Beitrag von Ex-Zeit-Journalistin und Ex-SPD-Bürgermeisterin Susanne Gaschke in der Welt. Das wäre interessant, wäre es so. Nur, worauf gründet sie diese Meinung? Weiß sie mehr, als alle anderen? Dann wären Belege oder ernstzunehmene Indizien schön. Gaschkes erstaunliche Begründung allerdings: "Ich halte es (…) für möglich, dass die Demskopen deren Arbeit ich im Allgemeinen sehr schätze, diesmal in einem Punkt allzu vorsichtig sind: bei der Bewertung der FDP, die sie zwischen neun und 13 Prozent verorten (…). Als Beleg für meine Vermutung habe ich lediglich Küchentisch-Empirie anzubieten, aber: Noch nie zuvor habe ich von so vielen Leuten gehört, die aus vollkommen unterschiedlichen Gründen den Liberalen ihre Stimme geben wollen – darunter sogar Personen, bei denen in der Vergangenheit eine heftige kulturelle Abneigung gegen die FDP festzustellen war." Gaschke kennt also fünf oder dreizehn Leute, die neuerdings die FDP zu wählen behaupten, und deutet deshalb an, dass es ein Demoskopieproblem geben könne. Ernstgemeinte Frage: was?
+++ "Ein Journalist der Tageszeitung 'taz' ist bei Protesten gegen die Automesse IAA in München im Umfeld einer Hausbesetzung … zeitweise von der Polizei festgehalten worden. Er habe am Freitag unberechtigt ein Haus betreten und stehe im Verdacht, Hausfriedensbruch begangen zu haben, teilte die Polizei am Freitagabend auf einer Pressekonferenz in München mit." Das berichtet die FAZ (dpa). Die taz schreibt natürlich selbst.
+++ "Seit dieser Woche aber erscheint nicht nur die 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung' (FAS), sondern auch die 'Welt am Sonntag' (WamS) schon samstags", schreibt Stefan Niggemeier im Übermedien-Newsletter. Die WamS nennt das "Frühausgabe", die aber für den Sonntag überarbeitet wird. Niggemeier hat die Samstags- und Sonntagsausgaben der Welt-Sonntagszeitung teilweise verglichen: "Man kann nun, wenn man zuviel Wochenendfreizeit hat, beide Zeitungen nebeneinander legen und vergleichen, was sich (jenseits der Bundesliga-Ergebnisse und an diesem Wochenende etwa einem Bericht vom CSU-Parteitag) verändert hat. Die Dachzeile auf Seite 1 etwa änderte sich von 'Gesundheit: Wie Sie sich gegen trübe Gedanken im Herbst wehren können' zu 'Gesundheit: Wie Sie sich vor trüben Gedanken im Herbst schützen können'."
+++ Und der Spiegel hat den Überblick, was Armin Laschet alles geschrieben hat, als er noch Journalist war.
Neues Altpapier erscheint am Dienstag.