Teasergrafik Altpapier vom 5. Januar 2022: Porträt Autor Klaus Raab
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Das Altpapier am 5. Januar 2022 Reform, Reform und Reform

05. Januar 2022, 10:12 Uhr

Frisch und frech stellt die neue ARD-Vorsitzende, RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, ihr Programm in Stabreimen vor. Und Verlegerlobbyist Mathias Döpfner kündigt an, wieder über Subventionen für die Zeitungszustellung sprechen zu wollen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

No more Prognosen (außer Fußball)

Wer dieser Tage aus einem mehrmonatigen Tiefschlaf erwacht, wird sich verdutzt die Augen reiben, aber es stimmt: Der neue Bundeskanzler heißt Olaf Scholz. Ja, wirklich! Die Hauptstadtjournalistinnen- und -journalistenkombo hat sich geirrt. Ließ sich da am Ende jemand zu oft auf Fragen ein, die nur Kraken seriös beantworten können?

"Bis zum Sommer des zu Ende gehenden Jahres habe ich keinen Pfifferling auf Olaf Scholz und die SPD gesetzt", schrieb Markus Feldenkirchen vom Spiegel zwischen den Jahren, als der Spiegel sein 75-Jähriges (Altpapier von gestern) gerade für ein paar Tage mit Selbstreflexion vorbereitete. "Auf allen Kanälen, die mir zur Verfügung stehen, habe ich mit ernster Miene und innerer Überzeugung erklärt, dass die Sache für Scholz gelaufen sei."

Immerhin, man ist lernfähig: "Seit dieser Bundestagswahl habe ich mir vorgenommen, künftig allenfalls noch Prognosen über den Ausgang von Spielen der Fußball-Bundesliga abzugeben", schreibt Feldenkirchen. Fußballprognosen sind zwar auch eigentlich nur ein Job für Fachkraken. Aber okay, wenn das alle anderen Talkshowfachleute und Morning-Newsletteristen auch so hielten, die – wer weiß, wer weiß – womöglich ebenfalls hin und wieder "die vermeintlichen Erkenntnisse irgendwelcher Umfrageklitschen" (Feldenkirchen) studieren, hätte Scholz’ Kanzlerschaft die Welt schon ein kleines bisschen zumindest nicht schlechter gemacht.

Der Kanzler hat kein Blumengesteck

Ein neuer Kanzler bedeutet natürlich auch: unverbrauchte Beobachtungen aus dem Segment Neujahrsansprachenrezensionsjournalismus. Um Blazerfarben wie in der Ära Merkel kann es schließlich schwerlich weiterhin gehen – der Kanzler hat ja augenscheinlich wenig Bunt im Schrank. Was schreibt also zum Beispiel Dietrich Leder, der wohl keine Ansprache in den vergangenen Jahren verpasst hat?

Statt bei der soeben eingestellten Medienkorrespondenz (Altpapier) hat er für die ebenfalls unter katholischem Dach erscheinende Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) ganz genau hingeschaut, inwiefern sich Scholz von Angela Merkel abhob. Weil’s so schön detailverliebt ist, etwas ausführlicher:

"Wie Merkel wurde er vor dem Hintergrund des nächtlich illuminierten Reichstags aufgenommen, vor dem weiterhin ein von elektrischen Kerzen beleuchteter Tannenbaum steht. Wie bei der Vorgängerin rahmten auf der rechten Seite die Bundes- und die Europafahne das Bild. Wie Merkel las er seine Ansprache vom Teleprompter der Kamera, die ihn, der perfekt eingeleuchtet war, aufnahm. Neu war nur, dass Scholz stand, während Merkel – das sah man nie, konnte es aber vermuten – vor der Kamera 16 Mal saß.

Um den Unterschied zu unterstreichen, begann und endete die Ansprache von Scholz in einer Halbtotale, während es bei Merkel stets bei einer leicht variierten Naheinstellung blieb. Legte Merkel die Hände auf einem unsichtbar bleibenden Tisch aufeinander, umfasste beim stehenden Scholz die rechte Hand die geballte linke. Und: In der Ausstattung fehlte nun das Blumengesteck, das viele Ausgaben lang bei Merkel das Bild links unten abschloss."

Es sind unter Umständen auch die kleinen Dinge, die eine Kanzlerschaft prägen.

Stellt die neue Regierung Subventionen zu?

Mathias Döpfner ist nach eigenem Bekunden frohen Mutes, dass mit der neuen Regierung endlich alles gut wird. Also gut im Sinn seines Bundesverbands der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (Frauen mitgemeint), dem er immer noch vorsteht. Immer noch – denn da war doch was (siehe den Altpapier-Jahresrückblick von Ralf Heimann auf die Turbulenzen im Hause Springer)? Döpfner hatte seinen damaligen Bild-Chef in einer Handynachricht zum letzten und einzigen Journalisten in Deutschland erklärt, der "gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt", das aber natürlich überhaupt nicht so gemeint. Trotzdem "blieben viele Kritiker übrig, die zweifelten, ob er wirklich der richtige Mann für das Amt ist", wie Meedia nun noch einmal erinnert.

"Jetzt", mutmaßt dort allerdings Gregory Lipinski, könnte Döpfner "auch diese letzten Zweifler besänftigen" – indem er die neue Bundesregierung davon überzeugt, Staatshilfen für die Zeitungszustellung zu gewähren. Das war in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert. "Die von der neuen Bundesregierung beschlossene Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro verteuert den Zustellung noch einmal erheblich", schreibt Lipinski. "Daher ist es für die Zeitungshäuser überlebenswichtig, dass Döpfner hier mit dem Bund rasch eine Lösung aushandelt. Dabei sollte Döpfner darauf achten, dass der Vertrieb von Gedrucktem direkt pro ausgelieferten Exemplar gefördert wird. Dies würde auch den Absatz von Printprodukten in struktur-schwachen und ländlichen Regionen weiter sichern."

Döpfner ließ die Verlegerverbandsmitglieder in seinem Neujahrsgruß wissen, er sei "optimistischer denn je". Zu bedenken wäre freilich, dass die Förderung vergangenes Jahr nicht nur, aber auch deshalb gescheitert war, weil rein digitale Medienangebote nicht zum Zug kommen sollten (Altpapier vom April 2021). Wer wirklich optimistisch sein wollte, müsste davon ausgehen, dass sich jemand ein innovativeres und besser durchdachtes Programm ausdenkt als eine Zustellförderung für Printprodukte. Dass die Grünen, deren Vorsitzender das Wirtschaftsministerium leitet, und die FDP sich mit der Materie etwas besser auskennen als die Union, ist denkbar. Aber man darf schon gespannt sein, wie die Fallstricke einer staatlichen Presseförderung, die noch dazu keine sein soll, aufgeknotet werden sollen.

Drei Rs und drei Ds: Die neue ARD-Vorsitzende ist da

Was Mathias Döpfner auch mal wieder mitteilt, wo er schon am Neujahrsgrüßen ist: dass ihm "die Klärung des Verhältnisses privater und öffentlich-rechtlicher Medienangebote zueinander" weiterhin wichtig sei. "Hier drohe – nicht zuletzt durch presseähnliche Online-Angebote der ARD – eine Schieflage zulasten der privat finanzierten digitalen Nachrichten-Angebote zu entstehen." Wer mag, kann einen kleinen Willkommensgruß an RBB-Intendantin Patricia Schlesinger darin sehen, die zum Jahreswechsel turnusgemäß den ARD-Vorsitz übernommen hat.

Schlesinger kriegt in diesen Tagen erst einmal Besuch von Journalistinnen – auch das gehört zur Übernahme des ARD-Vorsitzes. Die dpa war schon da. Die Süddeutsche Zeitung hat sie etwa für die Dienstagsausgabe (Abo, der Text war gestern schon kurz im Altpapierkorb erwähnt) zu einem Interview empfangen. Daraus ist ein ausführlicher porträtierender Artikel entstanden, dessen Überschrift "Zeit für die Sprechstunde" lautet. Ein Stabreim hätte aber auch etwas hergemacht: "Senderverbund, Sparmaßnahmen, Strukturfragen" vielleicht? Oder "Ausspielwege, Angebote, ARD"? Oder "Effizienz, Exzellenz, Euros"?

Nein, das klänge alles zu bürokratisch, und das passt nicht recht zu einer ARD-Vorsitzenden, die mit der Feuerwehr Genthin bei Stollen und Plätzchen übers Programm diskutierte, wie Aurelie von Blazekovic und Claudia Tieschky in der SZ berichten. "Gegen die Wahrnehmung, der Senderverbund sei steingrau und schwer, oder wahlweise links und alt, kämpft die öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaft seit einigen Jahren einen echten Existenzkampf", schreiben sie.

Schlesinger selbst hat handlichere Alliterationen parat, um ihre Arbeit anzukündigen:

"Wer der ARD vorsitzen will, muss Formeln finden, die überall funktionieren: 'Wir sind ein Teil des Rückgrats unserer Demokratie', ist so eine, die Schlesinger benutzt. Die andere ist die mit den drei Rs und drei Ds: 'Erstens Reform, zweitens Reform, drittens Reform'. Und mit D: Digitalisierung, Dialog, Diversität."

Diese drei Ds nennt Schlesinger auch im heute erscheinenden Interview mit der Super-Illu gleich in ihrer ersten Antwort. Sie sind also wohl die Message Nr. 1. Weshalb auch Joachim Huber im Tagesspiegel an diesen drei Ds ansetzt und meint, mit ihnen habe Schlesinger "das Aufgabenfeld für ihren ARD-Vorsitz umrissen". Vor allem der Dialog sei allerdings kompliziert:

"Nicht nur die Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfahren Beleidigung, Belästigung, Bedrohung, wenn sie zur Corona-Pandemie reportieren, berichten, kommentieren. Das hat auf allen Seiten zu Freund-Feind-Denken geführt. Schlesinger macht mit Blick auf die Berichterstattung zu Recht darauf aufmerksam, dass 'wir vielleicht zu spät auf jene Menschen eingegangen sind, die Impf-Vorbehalte haben'."

Das Zitat geht eigentlich noch weiter: "Wir hätten ihnen früher erklären können, warum Impfen richtig und wichtig ist." Wurde das wirklich nicht ausreichend erklärt? Die Angebote gab es doch unentwegt – aber vielleicht spielt mir da auch mein exzessiver Medienkonsum einen Streich. Halten wir einfach fest: Auch darüber gehen die Meinungen womöglich auseinander…


Altpapierkorb (Rundfunkdialog, Katja Wildermuth, RT, NDR-Personalien, Homöopathie-Magazine)

+++ Den Dialog mit den Öffentlich-Rechtlichen empfiehlt auch Michael Hanfeld in der gedruckten Mittwochs-FAZ fortzusetzen, der dort darauf hinweist, dass sich noch bis zum 14. Januar "jeder, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren möchte, bei der Landesregierung von Rheinland-Pfalz melden und Vorschläge machen" könne. Das geht nach wie vor hier. "Zu beachten gilt es bei der Umwandlung für alle interessierten Beitragszahler, dass dabei nicht Inhalte und Produktionen, die wirklich den Kern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausmachen, flöten gehen", schreibt Hanfeld. "Der Umgang mit den Radio-Kulturwellen der ARD gibt da ein eher negatives Beispiel."

+++ Was Michael Hanfeld auch am Rande erwähnt: ein dpa-Interview mit BR-Intendantin Katja Wildermuth. Darin schließt sie nicht aus, dass Spartenprogramme wie ZDFneo, KiKA, Alpha oder tagesschau24 vom TV ins Netz wandern oder gar eingestellt werden. Allerdings erst "in ein paar Jahren". Das Interview gibt es etwa bei Meedia.

+++ Die "bizarre Eskalation um RT", ehemals Russia Today, arbeitet die Süddeutsche (€) ausführlich auf: "Im Fall von Verboten oder Sperrungen jedenfalls, so wirkt es, hat das Moskauer Sendernetzwerk erstaunlich schnell neue Strategien und Ausweichoptionen parat. Und während Deutschland noch überlegt, wie auf russische Drohungen zu reagieren ist, sendet RT längst weiter."

+++ Joachim Huber kommentiert im Tagesspiegel zum Thema: "Ist RT DE dem deutschen Publikum zumutbar? Das rechtlich gültige Argument der Medienanstalten, mit der Staatsfinanzierung sei keine Lizensierung möglich, reicht nicht. … Im Konzert der demokratisch ausgerichteten und journalistisch arbeitenden Medien Deutschlands kann ein Staatssender wie RT DE kann ertragen werden. Im Netz, im Kabel, über Satellit."

+++ Und nochmal Öffentlich-Rechtliche: "Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) verschmilzt zum Jahreswechsel seine beiden bisherigen Programmdirektionen zu einer einzigen. Geführt wird sie von einer Doppelspitze: Katja Marx, bisher Hörfunkdirektorin, und Frank Beckmann, bisher Fernsehdirektor." Schreibt, wiederum, die SZ (€).

+++ Last, but not least: Hinnerk Feldwisch-Dentrup hat sich für Übermedien Magazine angesehen, die sich an die Anhängerschaft von Homöopathie und Anthroposophie richten. "Hier wird eher dafür geworben, sich nicht impfen zu lassen. Mit teils kruden Theorien."

Neues Altpapier erscheint am Donnerstag.

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