Das Altpapier am 13. Januar 2022 Gewalt in einer neuen Dimension
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13. Januar 2022, 11:43 Uhr
Die Arbeit für Medien ist in Deutschland so gefährlich wie lange nicht mehr. Das liegt auch an der Polizei. Und: 80 Faktencheck-Organisationen fordern Youtube auf, mehr gegen Desinformation zu unternehmen. Das scheint dort noch nicht angekommen zu sein. Ein Altpapier von Ralf Heimann.
40 Prozent mehr Angriffe
Die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten in Deutschland ist nicht nur gefühlt gefährlicher geworden, es lässt sich auch mit Zahlen belegen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) hat im vergangenen Jahr 119 Meldungen zu Bedrohungen, Angriffen, Beleidigungen oder Behinderungen gezählt, dazu gehören auch juristische Attacken, so sagte es Monique Hofmann, die Bundesgeschäftsführerin des Verbands im Gespräch mit der Nachrichtenagentur epd, hier zu lesen bei der FAZ. Das sind knapp 40 Prozent mehr Angriffe als im Jahr zuvor, da waren es 72. Und nicht nur die Zahl ist gestiegen. Seit die Anti-Corona-Proteste begonnen haben, sieht Monique Hoffmann "eine neue Dimension der Gewaltbereitschaft". Hemmschwellen seien gefallen. "Physische Attacken haben deutlich zugenommen", sagt sie. Und das gilt für die gesamte Bundesrepublik.
Um das alles zu verstehen, lohne sich ein Blick zurück in die Zeit der Pegida-Demonstrationen, das hat Frank Überall, Chef der Deutschen Journalistenverbands (DJV), in dieser Woche bei einer Pressekonferenz in Berlin zur Lage der Pressefreiheit gesagt. Volkan Agar hat sie für die taz dokumentiert. Zu Pediga-Zeiten seien Angriffe noch ein "exotisches Thema" gewesen, inzwischen sei es für seinen Verband eines der wichtigsten. Damals sei es noch um Anfeindungen gegangen, heute gehe es um konkrete Gewalt.
Er selbst sei am Montag vor dem ZDF-Hauptstadtbüro mit einem "Ständchen" empfangan worden, in dem die Sätze vorkommen: "Der Rundfunkstaatsvertrag ist ein Vertrag zulasten Dritter. Sie handeln selbstermächtigt, wie damals Adolf Hitler." Ein anderes Zitat, das von Applaus begleitet worden sei, war: "Der Tag kommt auf jeden Fall, wo ihr für eure Lügen zur Rechenschaft gezogen werdet." Hinzu komme das Unverständnis bei der Polizei. In Gera habe ein Beamter gesagt, dass ihn der Presseausweis eines Journalisten "einen Scheiß interessiere".
Fünf Berichte über die Lage
Dass dies keine Einzelfälle sind, belegt der Spiegel mit den Berichten von fünf Journalistinnen und Journalisten über deren Erfahrungen.
Franziska Klemenz von der Sächsischen Zeitung erzählt, sie habe ihren Namen vom Türschild entfernt und fahre nacht nicht mehr mit der Bahn. Im Rucksack habe sie immer einen Fahrradhelm, für den Fall, dass mit Steinen geworfen werde. Sie benutze keinen Block mehr, sondern tippe alles ins Handy, um nicht als Journalistin erkannt zu werden. Eine wichtige Regel sei: Gehe nie allein auf solche Veranstaltungen.
Im vergangenen April sei sie von einem rechten Youtuber angepöbelt und gefilmt worden. Den Film hätten viele Leute gesehen, bei der nächsten Demo sei sie gleich erkannt worden. Die Dresdner Polizei habe der Zeitung angeboten, Reporterinnen und Reporter auf Demonstrationen zu begleiten, aber das sei wenig praktikabel. Viele Medienhäuser überlegten, private Sicherheitsdienste zu engagieren, aber es sei gar nicht so leicht, vertrauenswürdige Firmen zu finden. In Sachsen seien die Dienste durchsetzt mit Rechten.
Alexander Roth vom Zeitungsverlag Waiblingen in Baden-Württemberg berichtet, er sei mehrfach gefilmt worden, auch vor dem Verlagsgebäude. Es gehe darum, zu zeigen, wo er arbeitet. Die Leute hätten ihn auch schon besucht und am Empfang angegeben, sie seien mit ihm zum Kaffee verabredet. Er wisse nicht, ob solche Leute ihm Gewalt antun würden. "Aber es geht um Einschüchterung.", sagt er.
Sebastian Schiller vom RBB lebt in Cottbus und sagt: "Normales Arbeiten ist nur eingeschränkt möglich." Manchmal werde er auf offener Straße angepöbelt, mit Sätzen wie: "Das ist doch der Sebastian Schiller, das Arschloch." Im Dezember habe er mit Freunden Glühwein trinken wollen, aber der Wirt wollte ihm keinen verkaufen, weil er ihn die Berichterstattung über eine Anti-Corona-Demonstration geärgert hatte. Beschimpfungen wie "Scheiß Lügenpresse!" seien mittlerweile normal. Neulich habe man ihm auf dem Weg zu einer Demo zugerufen: "Euch müsste man auf die Fresse hauen. Euch müsste man jagen."
Die freie Hörfunk-Reporterin Katrin Aue aus Saarbrücken berichtet, sie gehe mittlerweile mit einem Sicherheitsdienst zu Demonstrationen. Einmal sei ein Foto von ihr bei Telegram verbreitet worden. Bei einer Demonstration habe man der Polizei und ihr zugerufen: "Wenn wir erst mal dran sind, dann werdet ihr alle hängen."
Der Münchener Fotojournalist David Speier erzählt von einer Demonstration in der Maxvorstadt, bei denen er und andere zwischen die Fronten von Polizei und Demonstrierenden geraten sei. Die Polizei habe sie trotz Presseausweis nicht durchgelassen, ein Kollege haben einen Schlagstock abbekommen.
Schutzkonzepte und Presserecht
Nicht nur die Demonstrierenden stellen für Journalistinnen und Journalisten eine Gefahr dar. In der taz berichtet David Muschenich über die Journalistin Lea Remmert, die im vergangenen Jahr bei einer Demonstration von einem Polizisten geschlagen wurde. Durch den Schlag ging sie zu Boden, zwei Zähne brachen ab. Es gibt zwei Videos von der Situation. Eines zeigt nicht den Schlag, auf dem anderen sei dieser nur schwer zu erkennen, das räumt Lea Remmert selbst ein.
Der Senat für Finanzen gehe davon aus, dass hier keine Absicht vorliege. Laut Zeugenaussagen habe der Polizist sich in den Kabeln verheddert, die Lea Remmert trug. Sie hatte eine Mikrofonangel in der Hand. Zeugenaussagen gäben das gar nicht her, sagt Remmerts Anwalt. Sie könnte klagen, aber das würde 20.000 Euro kosten, schätzt sie. So viel Geld habe sie nicht. Schadenersatz wird sie damit nicht bekommen. Die neuen Zähne musste sie selbst bezahlen.
Was kann man gegen all das tun? Monique Hoffmann fordert "Schutzkonzepte sowie Aus- und Weiterbildungen von Polizisten im Umgang mit Journalisten und zum Presserecht". Frank Überall sagt, das Thema Presse spiele bei Einsatzbesprechungen "nur eine randständige Rolle". Man führe Gespräche, verteile Aufklärungsflyer in Dienststellen, besuche Polizeischulen, das sei eine kleinteilige Arbeit. Aber: "Ohne Nachdruck der für die Sicherheitsbehörden politisch Verantwortlichen wird sie nur begrenzt Wirkung entfalten." Das Thema Pressefreiheit müsse "jenseits ritualisierter Bekundungen" auf die politische Agenda. In der vergangenen Legislaturperiode habe es im Medien- und Kulturausschuss zwei Anhörungen gegeben. Danach sei nichts passiert.
Youtubes Inkonsequenz
Wenn Youtube Verstöße gegen die eigenen Richtlinien sieht, dann drückt es auf die Löschtaste. Das ist nun wieder einmal passiert. Der Dienst hat vorübergehend den Kanal der fragwürdigen Corona-Protest-Aktion #allesaufdentisch mit einem Schloss versehen, wie der Spiegel berichtet. Dort darf nun eine Woche lang nicht geschwurbelt werden. Das hatten der US-Regisseur Sean Stone und der Kardiologe Peter A. Mc Cullough nämlich getan, schon vor längerer Zeit, und sie hatten anscheinend mit der Reaktion gerechnet. In dem Video äußern sie die Vermutung, dass Youtube ihre Unterhaltung wohl "zensieren" werde.
Das ist allerdings nicht passiert. So viel lässt sich sagen, denn eine staatliche Stelle hat nicht eingegriffen. Trotzdem bleiben Fragen. Warum sperrt Youtube den Kanal erst jetzt? "Kritiker werfen YouTube seit Längerem vor, die eigenen Regeln inkonsequent und nicht einheitlich umzusetzen", schreibt der Spiegel. Antworten gibt Youtube nicht. Aber es ist nicht schwer, Hinweise darauf zu finden, dass Youtubes Vorgehen nicht nur uneinheitlich, sondern auch rechtlich fragwürdig ist.
Andreas Marx berichtet für Meedia, dass der Dienst den rechten Kanal "Achse des Guten" zu Unrecht gelöscht habe. Henryk M. Broder hat seinen juristischen Pitbull von der Leine gelassen, den Anwalt Joachim Steinhöfel. Der Fall liefert einen schönen Beleg für das, was die "Kritiker" offenbar meinen, wenn sie "inkonsequent" und "nicht einheitlich" sagen.
Youtube hatte laut Marx zunächst im vergangenen Mai einen Beitrag vom "Achse des Guten"-Kanals gelöscht, einen Einspruch abgelehnt, den Beitrag Mitte Dezember wieder freigeschaltet und ihn eine Woche später mit einer Verwarnung versehen. Das verstößt laut Steinhöfel zum einen gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass niemand zwei Mal verurteilt werden darf.
Und: Youtube hat Broder vor der Löschung nicht angehört. Das hätte nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs im vergangenen Juli aber machen müssen. Der aktuelle Fall werfe abermals die Frage auf, "inwieweit YouTube mit seiner Löschpraxis von Videos und Kanälen entgegen der deutschen Rechtsprechung arbeitet und wie Tech-Riesen dazu zu bringen sind, diese zu respektieren", schreibt Marx.
Löschen – der falsche Weg?
Eine andere Frage wäre, wie sinnvoll es überhaupt ist, einen Kanal einfach zu löschen. David Schraven hält es nicht für ratsam. Er vertritt als Correctiv-Geschäftsführer eine der 80 Faktencheck-Organisationen, die Youtube einen offenen Brief geschrieben haben (Altpapier). Damit wollen sie erreichen, dass der Dienst etwas gegen Desinformation unternimmt – und möglichst etwas anderes, als Löschen. Youtube sei das Netzwerk, das von allen "am meisten Desinformation überhaupt" verbreite, sagt Schraven im Interview mit Stefan Fries für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres". Die Dimension könne man sich kaum vorstellen. "Das ist so groß, dass mithilfe dieser Falschinformation gewalttätige Mobs aufgewiegelt werden in einigen Ländern, wo es zu Übergriffen kommt, zu Gewalt." Und damit sind wir wieder beim ersten Thema, wenn Schraven hier auch nicht Deutschland meint.
Aber was könnte man machen? Löschen jedenfalls nicht, sagt Schraven, denn damit werde ein "Narrativ bedient von Zensur", wobei auch hier nicht Zensur gemeint ist. Gleichzeitig werde nichts effektiv gegen die verbreitete Desinformatoin getan. Sie laufe auf anderen Youtube-Kanälen einfach weiter, in einer "Endlosschleife".
Und was wäre sinnvoll? Wenn man "die Desinformation annotiert, also ihr Kontext gibt, mehr Inhalte dazugibt und damit halt die Desinformation widerlegt, ist nachgewiesenermaßen – da gibt es mittlerweile Studien drüber – wirkungsvoller als einfach das Löschen", sagt Schraven. Konkret würde das bedeuten, so erklärt er es: Man würde die Faktenchecks mit den Videos verknüpfen und so Hinweise einblenden, in denen steht, dass ein Video falsche Informationen enthalte.
Zur Kritik von Michael Hanfeld in der FAZ gestern, der den offenen Brief "dreist" nannte, weil die Organisationen sich damit seiner Meinung nach bei Youtube als Faktenchecker bewerben, das aber als Dienst am Gemeinwohl deklarieren, sagt Schraven: "Ich finde es absolut gerechtfertigt, wenn jemand, der Desinformation verbreitet, dass der auch die Leute bezahlt, die die Information wegarbeiten." Das könnten alle möglichen Organisatinen machen, "meinetwegen kann die FAZ das machen, wenn sie das machen möchte", sagt er. Und schiebt noch hinterher: "Ich weiß nich, wat der Hanfeld hat."
Altpapierkorb (Heike Raab, Unsere Medien, Google Showcase, die neue RTL-Führung, Corona und Paywall, SWMH streicht Stellen)
+++ Die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD) hat mit Helmut Hartung für Medienpolitik.net über das gesprochen, was uns in der Medienpolitik in diesem Jahr erwarten wird. Das Indexmodell zur Finanzierung des Rundfunkbeitrags hält sie etwa nicht mehr für relevant. Joachim Huber schreibt für den Tagespiegel: "Eine erfreuliche wie notwendige Botschaft. Die Erhebung wie die Höhe des Rundfunkbeitrages entgeht damit zwei Gefahren. Manche Rundfunkpolitiker in manchen Ländern hätten den Beitrag gerne an die Inflation gekoppelt, damit sie in aller Unschuld auf diesen Wert hätten verweisen können, wenn die gestiegenen Energiepreise den Rundfunkbeitrag getrieben hätten. Zudem steckt in Raabs Aussage eine Stärkung des einstimmigen Votums aller Länder zu einer Erhöhung des Beitrags drin."
+++ Daniel Bouhs berichtet für "@mediasres" über die Initiative "Unsere Medien", die sich für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzt und auch Vorschläge hätte, zum Beispiel: Die Sender sollen die Angebot besser aufeinander abstimmen. Und sie sollen frei werdende Ressourcen in mehr Vielfalt investieren, vor allem in digitale Angebote. ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger sagt dazu laut Daniel Bouhs: "Einzelne Forderungen möchte sie nicht kommentieren."
+++ Eine Meldung, drei Lesarten. Auf der FAZ-Medienseite (€) geht es um Googles Ärger mit dem Bundeskartellamt (Altpapier). Dort heißt es: "Kartellamt schränkt Googles Verträge ein." Auf der SZ-Medienseite steht: "Google geht auf das Kartellamt zu." Horitzont schreibt: "Kartellamt prüft Google-Vorschläge" Das Unternehmen wolle die Bedenken gegen sein Nachrichtenangebot Google News Showcase ausräumen, schreibt die SZ. Das steht auch in der FAZ-Meldung, und dort ist auch erklärt, was unter anderem Google vorhat. Der Dienst Showcase, bei dem Medien einzelne kostenpflichtige Beiträge aus ihrem Angebot ohne Bezahlschranke zur Verfügung stellen, weil Google dafür zahlt, werde nicht mehr mit der Google-Suche verbunden. Die Verwertungsgesellschaft Corint Media, in der 25 Medienunternehmen organisiert sind, und die von Google 420 Millionen Euro haben möchte, damit dort deren Inhalt zu sehen sind, freut sich: Googles Kerngeschäft sei die Suche. "Google News Showcase ist damit weder für Google noch für Verleger attraktiv", zitiert die FAZ.
+++ Thomas Lückerath stellt für DWDL das das Führungspersonal "im vereinten RTL" vor (Altpapier). Lückerath: "Beim Fotoshootings des neuen Führungsteams für Social Media und Presse wurden fünf Kollegen und vier Kolleginnen ausgewählt. Die Macht der Bilder vermittelt ein ausgewogenes Bild. Die Geschäftsführung von RTL Deutschland und das jetzt darunter sortierte Führungsteam besteht nach dem angekündigten Abgang von Julia Reuter allerdings aus 18 Männern und nur vier Frauen, keine davon in der Geschäftsführung."
+++ Marieke Reimann, "Zweite Multimedia-Chefredakteurin beim SWR", nannte es bei Twitter "widerlich", wenn private Medien wie der Spiegel Info-Artikel über Corona hinter eine Paywall stellen. Christian Meier hält das für "völlig daneben", wie er in einem Beitrag für die Welt (hinter der Paywall) schreibt. Ihre Kritik "offenbart auch eine irritierende Selbstgerechtigkeit", schreibt er. Reimann rüstet etwas ab und schreibt in einem weiteren Statement, sie finde es "wirklich besorgniserregend, wenn wichtige Informationen etwa zur Pandemie, als Bezahlinhalte angeboten werden".
+++ Die Südwestdeutsche Medienholding will in ihren Regionalzeitungen Stellen streichen, berichtet Markus Wiegand für kress pro. Das betrifft, dem Bericht nach, unter anderem die Nürnberger Zeitung und die Nürnberger Nachrichten. Ein Grund ist: Das Digitalgeschäft läuft offenbar nicht so gut. Das soll sich ändern, aber das geht offenbar nicht mit dem vorhandenen Personal. Wiegand: "Das Dilemma: Dort (im Digitalen, Anm. Altpapier) sind oftmals andere Qualitäten gefragt als von altgedienten Medien erbracht werden können."
Neues Altpapier gibt es am Freitag.