Teasergrafik Altpapier vom 28. Januar 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 28. Januar 2022 Neil Young, Spotify und die NFTs

28. Januar 2022, 09:00 Uhr

Nehmen Reality-TV-Formate seit Neuestem ihre gesellschaftspolitische Verantwortung ernst? Das Wissen über sogenannte NFTs ist ungleich verteilt, weil es als nerdiges Tech-Thema gilt – kann der Journalismus die Kluft schließen? Und: Ein Konflikt zwischen Neil Young und Spotify hat bemerkenswerte mediale Aspekte. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Rassismus im Dschungelcamp: Hat RTL richtig gehandelt?

Die Zeiten, in denen man sich über das Dschungelcamp mit fernsehanalytischen Argumenten streiten konnte, scheinen mir vorüber zu sein. Entweder man schaut es gern, oder man schaut es nicht. Aber das Format noch von einer Position über den Dingen aus zu gucken, auf der Suche nach dem vermeintlich Eigentlichen der Show – das geht so wenig, wie ironisch zu DJ Ötzi zu tanzen.

Samira El-Ouassil hätte es nun aber um ein Haar geschafft, mir die Show als „eine spielerisch geförderte Heldenreise von Prominenten“ zu verkaufen, als antike Tragödie gar, da es auch einen „griechischen Chor“ gebe – die Zuschauer, die „die Geschicke der Helden nicht nur verfolgen, sondern durch ihre Anrufe gewissermaßen schicksalhaft beeinflussen können“. Aber nur um ein Haar. Dass man Elemente der antiken Tragödie in dem Format entdecken kann, macht halt doch noch keine antike Tragödie daraus. Letztlich stellt sie „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ ins Regal mit den Trash-TV-Formaten, und ich denke, da steht es schon richtig.

Ihre Kolumne bei Übermedien schließt an die Diskussion an, die Jenni Zylka hier im Altpapier am Donnerstag zusammengefasst und mitgeführt hat. [In aller Kürze noch einmal das Diskussionsthema: Teilnehmerin A und Teilnehmerin B geraten in Streit. Beide werden ausfällig, aber Teilnehmerin B beleidigt A dann übel rassistisch. RTL zeigt alles äußerst ausführlich und wirft B dann aus der Show, aber nicht A. War das ein angemessener Umgang? Oder wurde die rassistische Beleidigung vor allem medial reproduziert und ausgeschlachtet?]

El-Ouassil vertritt bei Übermedien die Position, die Macher hätten im Kern richtig gehandelt. Der alleinige Ausschluss von B, nicht aber von A, zeuge „von einem Verständnis des Problems“ – nämlich dass irgendeine Beleidigung und eine rassistische Beleidigung unterschiedlich zu bewerten sind. Generell hätten die Macher von Reality-TV-Formaten, nicht nur die von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“, in den vergangenen Jahren gelernt, „dass ihr Trash-TV-typischer Unernst nicht weiter mit den gesellschaftspolitischen Scheuklappen eines eskapistischen Amüsements jenseits von Gut und Böse aufrecht erhalten werden kann.“ Denn was habe sich geändert?

„Die gesellschaftspolitischen Debatten und Prozesse sind Teil dessen, was die Teilnehmenden besprechen, inszenieren und performen. Die Produktion muss dazu eine Position beziehen, die sich in der Art übersetzt, wie sie diese mitgebrachten Debatten abbildet und mit den Aussagen und Handlungen ihrer Kandidaten umgeht. Der Versuch, vornehm apolitisch zu bleiben und die Zuschauer einfach so dem emotionskannibalistischen Spektakel zu überlassen, ist keine Option. Denn als Spielemacher haben sie, so albern das in Bezug auf Ekel-Quatsch-Shows mit Kotzfruchtduschen und Raupenwettessen klingen mag, ebenfalls eine gesellschaftspolitische Verantwortung.“

Angelehnt an Pierre Bourdieus Vorträge „Über das Fernsehen“, in denen er zwischen Geschmacksbildung (im Fernsehen der 50er Jahre) und Geschmacksbedienung mit dem Ziel, „die größtmögliche Zuschauerzahl zu erreichen“ (im Fernsehen der 90er), unterscheidet, könnte man freilich fragen: Nimmt RTL seine gesellschaftspolitische Verantwortung deshalb wahr, weil es wirklich den Anspruch dazu hat? Oder nimmt es sie mit der Intention wahr, auf die Art die größtmögliche Zuschauerzahl zu erreichen? Ich hätte eine Tendenz. In Samira El-Ouassils Worten, etwas aus dem Kontext: RTL hat den „Eklat dankbar mitgenommen und ein paar Haltungsnoten kassiert“.

Non-Fungible Tokens: Superhype, aber auch unter dem Radar

Der kleine Suhrkamp-Band „Über das Fernsehen“ mit den zwei Vorträgen Pierre Bourdieus ist mir neulich mal wieder in die Hände gefallen. Er ist immer noch lesenswert, allerdings beschäftigte sich der Soziologe mit der Zeit vor dem Internet für alle. Das journalistische Feld, schreibt er an einer Stelle, die wohl nicht mehr als tagesaktuell durchgehen dürfte, habe „ein faktisches Monopol über die Instrumente und Verbreitung von Informationen (…) und vermittels dieser Instrumente ein Monopol über den Zugang einfacher Bürger, aber auch anderer Kulturproduzenten – Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller – zu dem, was man manchmal ‚Öffentlichkeit‘ nennt, das heißt zum breiten Publikum.“ Die Neunziger. Ja lol ey, wie Rezo sagen würde.

Heute klingt’s in dem, was nach der Zerbröselung des Journalismusmonopols manchmal „Öffentlichkeit“ heißt, ja dann doch oft eher so: „Der Dunkle Parabelritter und Staiy klären auf: Wieso MontanaBlack wahrscheinlich unwissentlich an einem NFT-Scam beteiligt ist.“ Diesen Teaser habe ich gefunden, als ich per Suchmaschine recherchiert habe, was derzeit zum Thema NFTs berichtet wird, also zu Non-Fungible Tokens (hier zwei Links zu Erklärungen von SWR und n-tv.de), also zu diesen Besitzurkunden und Zertifikaten, mit denen Digitales – Kunst, Musik, virtuelle Sammelkarten – über Blockchaineinträge quasi vereinzigartigt wird. Ergebnis: Es wird natürlich allerhand berichtet. Auch medial Relevantes, weil es bei alldem auch um ein Internet geht, das nicht auf den Datensilos der heutigen Konzernriesen fußt, sondern auf dezentralen Blockchains. Es geht also zumindest um die theoretische Möglichkeit von Machtverschiebungen zu Ungunsten der großen Konzerne. Allerdings habe ich von kaum einer Quelle, die auf meinen ersten Suchseiten auftauchen, je zuvor gehört.

NFTs sind einerseits ein Superhype – andererseits nicht wirklich auf dem Radar der breiten Öffentlichkeit. Es ist kein ganz einfach zu verstehendes Thema für all jene, die nicht aus dem Stegreif definieren können, was „Blockchain“ bedeutet. Insofern ist es gut, dass es hin und wieder eine niedrigschwellige Möglichkeit auch für Unbedarftere gibt, sich ein Bild zu machen. In der aktuellen „Zeit“ gibt es im Wirtschaftsressort etwa zwei Seiten über NFTs:

„Gut möglich, dass NFTs nach ihrem aktuellen Höhenflug erst mal einen Niedergang erleben. Das war bei vielen neuen Technologien so. Erst mit der Zeit stellt sich heraus, wofür sie wirklich gut sind. Der Nutzen von NFTs dürfte darin liegen, dass sie den Handel mit virtuellen Gütern jeder Art erleichtern. Veranstalter können zum Beispiel Eintrittskarten als NFTs anbieten und so leichter Schwarzmarktpreise verhindern. Mit NFTs lässt sich aber auch die Echtheit von digitalen Dokumenten und Urkunden garantieren.“

Auch die „Krautreporter“ arbeiten an einem kleinen Schwerpunkt zum sogenannten Web3.0. Rico Grimm ist dort kürzlich unter der anziehend analytisch klingenden Zeile „Warum NFTs eher nicht das Klima zerstören (Bitcoin aber schon)“ der oft geäußerten Behauptung nachgegangen, NFTs seien klimaschädlich. („Die Zeit“ kommt am Rande auch vor in seinem Text, mit dem Label „Amtsblatt der deutschen Technikpiefigkeit“).

Die Frage, die sich für das journalistische Feld stellt, ist: Gibt es eine Möglichkeit, die Informationskluft etwas zu schließen? Es geht ja nicht nur um ein spinnertes Hobby einiger Nerds, wenn es ums Web3.0, das „Metaverse“ und eben auch um NFTs geht. Schon in wenigen Jahren dürfte nicht nur für Eingeweihte von Belang sein, was in dem Bereich derzeit gedacht und entwickelt wird.

In diesem Zusammenhang fragt sich, wenn auch nur sehr am Rande, ob es sinnvoll ist, die „Börse vor acht“ im ARD-Vorabendprogramm zwar in „Wirtschaft vor acht“ umzubenennen (Altpapier), also den Zugriff auf Wirtschaftsthemen zu vergrößern, was mir richtig zu sein scheint – aber das Ganze weiterhin von der Frankfurter Börse zu senden und dadurch mitzuvermitteln, Wirtschaftsthemen seien immer Börsenthemen. Eigentlich stimmt nur die Umkehrung, Börsenthemen sind immer Wirtschaftsthemen. NFTs, nur mal zum Beispiel, werden nicht an der Börse gehandelt.

Warum der Konflikt zwischen Neil Young und Spotify von Belang ist

Wie groß dieses NFT-Dings werden könnte, auch wenn man noch nicht so recht weiß, wo es hingeht: Dazu gibt es ein Beispiel in der aktuellen Berichterstattung. Der Rockstar Neil Young hat sich mit Spotify angelegt. Die schwedische Streamingplattform müsse sich entscheiden: entweder die Musik von Young. Oder weiterhin die Podcasts von Joe Rogan, einem Comedian, in dessen Spotify-Podcast „der US-Virologe und Impfgegner Robert Malone zu Gast war. Hunderte Wissenschaftler hatten Spotify danach heftig kritisiert, weil darin ‚mehrere Unwahrheiten über Covid-19-Impfstoffe’ verbreitet würden“, wie Andreas Borcholte auf den Seiten des „Spiegels“ zusammenfasst (€).

Spotify habe sich „zunächst für den populären Podcaster entschieden“, also Rogan, „nicht für einen Garanten seines bisherigen Kerngeschäfts“, also Young. „Neil Young darf sich nun zunächst als Rebell feiern lassen, der es mit dem mächtigen Streamer aufgenommen und ein Exempel gegen Fake-Informationen statuiert hat.“

Die Sache hat aber darüber hinaus mindestens zwei weitere Aspekte, die medial von Belang sind. Erstens, wie Eike Kühl bei Zeit Online schreibt:

Spotify ist nun endgültig angekommen in der Debatte um die Moderation von Inhalten, die Plattformen wie YouTube, Facebook und Twitter schon länger beschäftigt. Als das schwedische Unternehmen noch ein reiner Musikstreamingdienst war, konnte es die Verantwortung auf die Labels schieben, die die Songs ihre Künstlerinnen und Künstler auf Spotify hochluden. Doch jetzt, da das Unternehmen selbst Inhalte produziert, muss es sich kritischen Fragen hinsichtlich der Moderation und dem Durchsetzen von Regeln und Richtlinien stellen.“

Zweitens stellt sich die Frage nach dem Masterplan der Musikrechteinhaber. Neil Young selbst hat 50 Prozent seiner Songrechte an den Musikfonds Hipgnosis verkauft. Borcholte bei spiegel.de:

„Allein hätte Young seine Drohung an Spotify also nicht in die Tat umsetzen können. Seine Anwälte hätten ihn daran erinnert, dass er nicht mehr selbst die Entscheidungsgewalt hat, seine Musik zu entfernen. Er brauchte die Unterstützung der Firmen, die seine Musik verwalten. Dass diese Unternehmen, die mit Youngs Musik viel Geld einnehmen, ihm in seiner Entscheidung folgten, ist daher der bemerkenswerteste Aspekt dieser Affäre.“

Bemerkenswert ist etwa, dass der Gründer des Musikfonds Hipgnosis, Merck Mercuriadis, der Teile von Neil Youngs Rechten erworben hat, vor Kurzem wissen ließ, dass er einen Teil der Zukunft der Musikindustrie im Handel mit NFT-Zertifikaten sehe, also womöglich mit dezentralen, exklusiveren Zugängen zu Songs, Konzerten, Sammlerobjekten. Optimistisch gewendet: Künstlerinnen und Künstler könnten unabhängiger von großen Plattformen wie Spotify werden, weil die dann nicht zwischen Fan und Künstler stünden. Weniger optimistisch gewendet: Mal sehen, welche Machtasymmetrien es noch so gibt.

Altpapierkorb (Berichterstattung über Migration, Dislike-Buttons, Lisa Fitz, „Wannseekonferenz“, AG Dok/Wikimedia-Debatte)

+++ Der Mediendienst Integration hat eine „neue Expertise“ von Thomas Hestermann (zuletzt in diesem Altpapier) von der Hochschule Macromedia in Hamburg vorgelegt, die zum Fazit komme, dass „die Medien die Chance von Migration neu gewichten“ und „Deutschlands Leitmedien sehr viel gelassener über Migration“ berichteten, wie die taz berichtet. Die Expertise gibt es hier.

+++ netzpolitik.org fasst den Stand der (wissenschaftlichen) Debatte zum Sinn von Dislike-Buttons zusammen.

+++Lisa Fitz tritt nicht mehr in der SWR-Sendung „Spätschicht“ auf, wird u.a. vom Tagesspiegel gemeldet. Neil Young hat wohl nichts damit zu tun.

+++ Dietrich Leder schreibt bei der KNA Differenziertes über den ZDF-Film „Die Wannseekonferenz“ (und meint die Dokumentation, nicht den Fernsehfilm): „Der Film erwähnt alles das, was wichtig ist, um die Wannseekonferenz richtig einzuordnen (…). Problematisch an diesem Film ist etwas, was viele Dokumentationen zu diesem Thema betrifft. Es benutzt Propaganda-Bilder der Nazis.“

+++ Nachdem David Bernet vom Dokumentarfilmer-Verband AG Dok in der FAZ die Wikipedia bzw. deren Betreiberorganisation Wikimedia für ihre „Lobby-Kampagne … für sogenannte 'freie Lizenzen’“ kritisiert hat (Altpapier), gab es nun unter dem Titel „Freie Lizenzen für das Gemeinwohl" (€) die Erwiderung von Christian Humborg von Wikimedia Deutschland: „Dass … die Kreativen in der Auseinandersetzung zwischen Inhalteverwertern wie Filmgesellschaften oder Verlagen, Plattformen, den Öffentlich-Rechtlichen und der Politik zerrieben werden, ist bedenklich. Dass David Bernet mit dem Finger ausgerechnet auf Wikipedia und Wikimedia zeigt, ist aber unverständlich.“

(Transparenzhinweis: Ich war Redakteur von Zeit Online.)

Das nächste Altpapier erscheint am Montag.

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