Teasergrafik Altpapier vom 21. Februar 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier am 21. Februar 2022 Überrumpelt

21. Februar 2022, 10:05 Uhr

Nach ihrem Nachrichtenkanal-Mediencoup stellt die ARD sich die kritischeren Nachfragen selber. Die KEF hat ihren neuen Bericht überreicht. Ein prominenter Kolumnist macht ein bisschen Schluss. Außerdem: Nachrufe auf einen Miterfinder der Medienwissenschaft. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Nachfragen zum Nachrichtenkanal-Plan

Das war mal (und bleibt) ein relatives Glanzstück der Öffentlich-Rechtlichen-Kommunikation: wie die noch neue Vorsitzende der keineswegs oft einigen ARD, Patricia Schlesinger, ganz ohne die eher jahre- als monatelangen Diskussionen, die sonst selbst bei kleinsten Reförmchen-Ideen im öffentlich-rechtlichen Verbund üblich sind, eine ziemlich gravierende Veränderung überraschend als so gut wie beschlossen ankündigte. Also die Umwandlung des Verbrauchermagazin-Wiederholungs-Senders Tagesschau24 in einen Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenkanal.

Diese Ankündigung war in einer Reihe von, äh, jeweils exklusiven Interviews bei "FAZ", "Tagesspiegel", "Handelsblatt" orchestriert, in denen jeweils die Top-Metapher "Besteck" prominent vorkam (Altpapier). Die Interviewenden waren offenbar so verdutzt, dass sie naheliegende Fragen gar nicht stellten. Gut, dass RBB-Intendantin Schlesinger im eigenen Haus auch ein Medienmedium hat, das Radio-"Medienmagazin". Da (Audio und Schrifttext) wurden dann auch spannendere Fragen gestellt, womöglich weil die beiden Interviewer sich länger vorbereiten konnten. Jörg Wagner erinnert etwa ans Jahr 2019, als die (wegen des wechselnden Vorsitzes beim Bayerischen Rundfunk ansässige) ARD-Pressestelle äußerte,

"'tagesschau24' sei nicht als Nachrichtenkanal beauftragt worden. Das war damals der offizielle Standpunkt. Was hat sich innerhalb der ARD geändert, dass man es nun doch wagt? Ist das die bevorstehende Flexibilisierung des Auftrags, dass es da keinen Gegenwind mehr gibt, möglicherweise. Oder woher kommt der Impuls, es jetzt zu wagen?"

Was Schlesinger antwortet, ist nicht so überraschend. Intendantinnen und Intendanten antworten im Zweifel längst immer mit ermittelten Nutzungszahlen, allgemeinem Publikumsinteresse und/oder, dass es gut für Demokratie und Gesellschaft sei. Tatsächlich allerdings würde das sog. Duale System im Rundfunk, wie es sich über Jahrzehnte eingespielt bis verkrustet hat, durch die Einführung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals ja umgepflügt werden. Weshalb Daniel Bouhs später nachfragt:

"Was glauben Sie, wie darauf, sagen wir mal, der private Markt reagiert? Wir haben ja in Deutschland, muss man sagen, glücklicherweise den Fall, dass wir auch schon mehrere Nachrichtensender haben: 'n-tv' von der RTL-Gruppe, 'Welt' vom Axel-Springer-Konzern. Dort wird man das doch wohl eher als Angriff auch verstehen, oder? Nehmen Sie das in Kauf?"

Schlesinger antwortet, indem sie Bertelsmanns RTL, das sich ja mit einer großen "Informationsoffensive" bemüht, sehr freundlich umarmt ("...ausgezeichnet. Je mehr gute Nachrichten in diesem Land unterwegs sind, umso besser") und zu Springer schweigt. Springer ist ja angeschlagen oder hat zumindest genug mit sich selbst zu tun.

Die in den vorherigen Interviews so wichtige "Besteck"-Metapher kommt im RBB-Interview der RBB-Intendantin nicht mehr vor, bloß ein auch nicht übles "Regenschirm"-Bild ("An nachrichtennormalen Tagen, ist ein Nachrichtenkanal wie ein Regenschirm ..."). Sie verdient aber nochmal Erwähnung, weil sie kongenial beiläufig sozusagen der schwäbischen Hausfrau (wichtige Allegorie aus den 2010er Jahren, die zweifellos sparsame Hausmänner und Häuslebauer mitmeint!) versinnbildlicht, dass die ARD für die sich selbst gestellte neue Zusatzaufgabe erst mal keine Rundfunkbeitragserhöhung fordert. Wenn hochwertig silbernes Besteck in der Schublade vor sich hinglitzert, bekommt es ja kaum jemand mit. Wenn man damit den Tisch deckt und viele einlädt, rentiert es sich gleich besser.

Tatsächlich hat der kämpferische Springer-Verlag bislang offenbar nur mit einem Nebensatz auf die ARD-Ankündigung reagiert.

464 neue Seiten von der KEF

Am Freitagnachmittag wurden in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung  in Berlin gutgelaunte Glam-Fotos geschossen. Ministerpräsidentin Dreyer bekam den neuen, stolze 464 Seiten dicken Bericht der Rundfunkanstalten-Finanzbedarf-Ermittlungs-Kommission KEF überreicht. Bereits gründlich angelesen hat ihn Michael Hanfeld für die "FAZ":

"In ihrem Bericht hält die KEF fest, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio in der Beitragsperiode von 2021 bis 2024 'bedarfsgerecht finanziert' sind. Das heißt: Die KEF erwartet einen Gesamtaufwand der Sender von 38,76 Milliarden Euro. Davon entfallen 27,65 Milliarden auf die ARD, etwas mehr als zehn Milliarden aufs ZDF und etwas mehr als eine Milliarde Euro aufs Deutschlandradio."

Wenn die ARD da für eine neue Aufgabe mehr Geld fordern würde, würde sich nicht nur in Sachsen-Anhalt jede Menge Widerstand formieren. Kritik an diversen Öffentlich-Rechtlichen-Projekten, vor allem an teuren Bauvorhaben ("... hat die KEF Baukostenunterschiede von sage und schreibe bis zu 157 Prozent ermittelt"), enthalten der Bericht und Hanfelds Zusammenfassung. Und das oft noch wenig beachtete Problem, "dass die Kosten für Telemedien und Livestreams deutlich steigen". Streamen, was ja überall forciert wird, ist grundsätzlich teurer als Senden.

Für die "Welt" weist Christian Meier in seinem Bericht-Bericht darauf hin, dass die kommende, medienstaatsvertraglich vorgesehene Sender-Flexibilisierung "eher zu Aufwandssteigerungen" führen werde:

"Gerade eine Verlagerung in digitale Verbreitungswege führt voraussichtlich zu mehr Kosten. Oder eine veränderte Konzeption – so plant die ARD, aus dem Kanal Tagesschau24 ein vollwertiges Nachrichtenangebot zu machen. Angeblich ohne zusätzliche Kosten. Dies ist freilich zu belegen, denn wo ausgebaut wird, entstehen in der Regel zusätzliche Kosten, die anderswo eingespart werden müssten."

Was die bislang einzige Springer-Reaktion auf den Nachrichtenkanal-Plan der ARD zu sein scheint.

Wo und wie wird Martenstein weiter kolumnieren?

Großes Kolumnisten-Kino? Zumindest lautes Kolumnisten-Kino sorgte am Wochenende für Medienmedien-Schlagzeilen.

"Sollte die Redaktion die Größe besitzen, mir diese Abschiedsworte zu gestatten und sie nicht zu löschen, danke ich ihr dafür",

lautet der Schluss-Satz in Harald Martensteins "Schlusskolumne" im "Tagesspiegel" (€), die frei online derzeit auf der Startseite seines Blogs harald-martenstein.de steht, unterhalb der zwei Wochen alten Kolumne, die kürzlich den Anlass für diese Aufregung (Altpapier) gab. Solche – übeschaubare – Größe besitzt die "Berliner Regionalzeitung" ("SZ") "Tagesspiegel" natürlich. Ungefähr mit dem Satz "Wo man glaubt, nur man selber sei im Besitz der Wahrheit, bin ich fehl am Platz", haben sich also nun, nach nicht ganz 34 Jahren, die Zeitung und ihr Kolumnist bzw. der Kolumnist von der Zeitung getrennt. Damit hatte er recht, meint "taz"-Meinungschefin Silke Mertins, das Blatt sei beim Löschen der Kolumne "feige" gewesen.

Erwartungsgemäße Streitigkeiten in den sog. soz. Medien liefen natürlich an. "Provokationen um der Provokation Willen", das sei "Martensteins Geschäftsmodell seit dem Dreißigjährigen Krieg", schrieb René vergangene Woche hier. Wobei so etwas ja von wesentlich größeren Fischen im Rahmen wesentlich größerer Geschäftsmodelle gefördert und belohnt wird. 

Spannender dürfte sein, was folgt. Schließlich sind in der Rubrik "Kolumnen" auf Martensteins Webseite unter dem Satz "Die Kolumnen von Harald Martenstein erscheinen wöchentlich bei folgenden Medien" vier Medien aufgelistet. Wenn der "Tagesspiegel" künftig entfällt, bleiben drei. Und dass die Überschrift der "taz" zu ihrer diesbezüglichen Meldung "Journalist bleibt bei Holtzbrinck" lautet, bedeutet, wie Martenstein auch selber schreibt, dass er im "Zeit"-Magazin weiter kolumnieren will und wohl wird. Doch die "Zeit" gehört zur Hälfte derselben Verlagsgruppe Dieter von Holtzbrincks, der auch der "Tagesspiegel" gehört (und zur anderen Hälfte dem anderen Holtzbrinck-Bruder Georg).

Überdies kommt hier wieder Patricia Schlesingers RBB ins Spiel. Die beiden übrigen wöchentlichen Martenstein-Kolumnen laufen im RBB-Radio (sowie online als "Podcast") und im NDR Kultur-Radio, wobei es sich aber um Übernahmen vom RBB zu handeln scheint. Wird Martenstein ("Genau dazu ist die Meinungsfreiheit ja da: um Dinge zu sagen, die manche nicht hören möchten") also in der überregionalen, strahlkräftigeren Wochenzeitung und/oder im öffentlich-rechtlichen RBB beweisen wollen, was er vermutlich jetzt erst recht beweisen zu müssen glaubt? Wird der RBB, der in seiner alltäglichen Berichterstattung selten einen Deut anders tickt als die rot-rot-grünen bzw. rot-schwarz-grünen Landesregierungen Berlins und Brandenburgs, andererseits aber die Überfülle der Comedy-Kabarett-Programme in der ARD um den vergleichsweise kontrovers diskutierten, eher überdurchschnittlich unterhaltsamen Dieter Nuhr bereichert, das ausbaden müssen und aushalten wollen? Da dürfte Potenzial für allerhand Geschäftsmodelle schlummern.

Nachrufe auf einen Medienwissenschafts-Mitbegründer

Was macht eigentlich die Medienwissenschaft? Das ist natürlich eine noch unbeantwortbarere Frage als die bisher gestellten rhetorischen, schon weil es "die Medienwissenschaft" institutionell niemals gab, sondern bloß in der (schon vorm Dreißigjährigen Krieg hochgradig föderalistisch strukturierten) deutschen Universitäten-Landschaft allerhand Studiengänge, wo dieses oder jenes, nicht nur Literatur- oder Theaterwissenschaft, mal mit dem Zugpferd Medien kombiniert wurde.

Jedenfalls ist einer der Erfinder oder ein "Mitbegründer der Medienwissenschaft", und zwar einer auf der Höhe der Gegenwart, am 1. Februar gestorben. Einen großen Nachruf auf Friedrich Knilli schrieb nun Jochen Meißner für die neue "epd medien"-Ausgabe (Titelseite). Der Text steht einstweilen nicht online. Meißner ist vor allem Hörspielkritiker. Daher geht er von Knillis 1961 erschienenem Buch "Das Hörspiel - Mittel und Möglichkeiten eines totalen Schallspiels" aus. Damals waren Hörspiele ja ein führendes Massenmedium, und Knilli sah eine Art Sender bzw. ein "gigantisches, elektronisches Sende- und Empfangssystem" (Meißner) voraus, das

"nur von einer kybernetischen Maschine gesteuert, ununterbrochen läuft und nach einem eingestellten Programm Spielnummern speichert, kombiniert, auswählt und ausstrahlt und gleichzeitig die in Millionen gehenden Reaktionen, Wünsche und Impulse der Empfänger mitverarbeitet".

Was ja, so Meißner, inzwischen eingetroffen ist:

"Inzwischen haben Spotify und andere Musikstreaming-Plattformen Knillis Maschine virtuelle Realität werden lassen und ihre Funktionsweise in Algorithmen gegossen."

Auf der Höhe der aktuellen Gegenwart (und vermutlich weiterer Gegenwarten) ist und vermutlich bleibt die von Knilli mitbegründete Medienwissenschaft, weil darin die Geräte und die Software (die früher, schöner eigentlich, Kybernetik hieß) darin eine große Rolle spielen. Zu Knillis "wahrlich transdisziplinärem Karriereweg" ("Tagesspiegel"-Nachruf, einer von drei auf der Trauer-Webseite der TU Berlin verlinkten) gehörte übrigens auch ein Maschinenbaustudium.

"Man wünschte den Universitäten und vor allem den Studenten von heute viele Friedrich Knillis", lautet dort der Schluss-Satz, der in Meißners "epd medien"-Nachruf:

"Er kann sich nun von seinen Kämpfen ausruhen, die im und um das Hörspiel gehen weiter."

Nicht allein die, natürlich.


Altpapierkorb (Journalisten-"Safe Spaces", "russophile Beiträge", französische Presse-Subventionen, "Instyles" Ende, ARD-One)

+++ Landesinnenministerien und Landeskriminalämter bieten Journalistinnen und Journalisten bei Kundgebungen inzwischen "spezielle Schutzzonen" namens "Safe Spaces" (bzw. in Baden-Württemberg "Medien Safety Points") an, damit sie sicher berichten können, hat der epd erfahren ("Tagesspiegel").

+++ Die Medienanstalten der deutschen Bundesländer hätten gute Gründe, sich außer mit dem staatlich russischen Auslandsfernsehen auch mit dem deutschen Auslandsfernsehen zu befassen, meint dwdl.de, und sie planen das offenbar auch, "denn die Medienhüterinnen und Medienhüter wollen den Eindruck vermeiden, dass der eine, vermeintlich gute Staatsfunk (Deutsche Welle) anders behandelt wird als der vermeintlich böse (RT DE)."

+++ Altpapier-Autor René Martens beschäftigt sich in der "taz" ausführlich mit der "Berliner Zeitung" und stört sich außer daran, dass es dort nicht so zugeht wie in übersichtlichen Supermärkten, auch an "tendenziell russophilen Beiträgen". +++

+++ Rund um Deutschland herum wird über Mediensubventionen diskutiert, hieß es kürzlich im Altpapier mit Bezug auf die Schweiz und Dänemark. Da passt dieser informative dokdoc.eu-Bericht über "erhebliche" Unterschiede und infrastrukturelle Gemeinsamkeiten zwischen französischen und deutschen Tageszeitungen. Pressesubventionen gibt es in Frankreich demzufolge seit dem 19. Jahrhundert: "Die Angaben beginnen bei 250 Millionen Euro im Jahr und enden bei unglaublichen 1,8 Milliarden für 2019 und 411 Titel, wenn alle indirekten Subventionen einbezogen werden". +++

+++ Die gute Frage "Welchen Anteil hat Social Media am Ende von Magazinen wie 'Instyle'?" stellt der "Standard" mit Bezug auf US-amerikanische wie auch deutsche und deutschsprachige Zeitschriften.

+++ Und was die ARD mit ihrem besonders unprofilierten Beiboot-Sender namens One anstellt, ist kein Glanzstück, schreibt Peer Schader bei dwdl.de unter der Überschrift "Wie die ARD Anlauf nimmt, um den Fehler der BBC noch mal zu machen". +++

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Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.

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