Das Altpapier am 4. Mai 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
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Das Altpapier am 4. Mai 2022 Kliemann macht den Scheuer

04. Mai 2022, 10:59 Uhr

Dass Allround-Unternehmer Fynn Kliemann eine ZDF-Bitte um Stellungnahme in einem Video veröffentlicht, finden seine Fans großartig – einige lassen dabei tief blicken, wie sie Journalismus verstehen. Ein Altpapier von Annika Schneider.

Kliemanns "smarter Move"…

"Investigativer Journalismus ist total wichtig, und wenn man niemanden durchleuchtet, dann machen alle, was sie wollen."

Dieses Bekenntnis stammt nicht aus einer Rede zum gestrigen Tag der Pressefreiheit, sondern aus einem Instagram-Video von Fynn Kliemann, dem umtriebigen Unternehmer, Musiker und Selbermacher. Mehr als 51.000 Menschen gefällt das.

Ob Kliemann das Prinzip investigativer Recherche vollumfänglich verstanden hat, ist angesichts des kompletten Videos allerdings zu bezweifeln. Er reagiert damit nämlich auf einen Fragenkatalog, den ihm das "ZDF Magazin Royale" am Freitag geschickt hat, wohl in Vorbereitung einer Sendung zu Kliemann.

"Normalerweise – wurde mir von ein paar Leute gesagt – sagt man seinem Anwalt Bescheid und der antwortet darauf, aber das finde ich irgendwie blöd",

erklärt Kliemann im als "Stellungnahme" betitelten Video. Anstatt die Fragen schriftlich zu beantworten, geht er sie eine knappe halbe Stunde lang öffentlich durch, blendet dabei auch immer wieder den Fragenkatalog ein. Er sei Fan von transparenten Gesprächen, betont er. (Dass ein Video, in dem er ausschließlich selbst zu Wort kommt, von einem "Gespräch" weit weg ist, erwähnt er nicht.)

Seiner Community gefällt das. "Smarter Move" lobt ein Fan sein Vorgehen, "recht frech" findet ein anderer die Fragen des ZDF. Dass Kliemann am Ende sagt, er schätze Kritik und wolle sich stetig verbessern und weiterentwickeln, wertet ein Kommentar als "geiler Impuls zum Schluss über Kritik als Quelle der Inspiration".

…ist eigentlich "Foulplay"…

Dass an der ganzen Sache auch etwas faul sein könnte, dämmert einigen aber auch:

"Kann es nicht sein, dass du damit dem Neo Magazin Royale was vorweg nimmst. Weil du ja in der Öffentlichkeit IHRE Fragen beantwortest",

fragt einer. Genau dieser Frage hat sich Übermedien-Redaktionsleiter Frederik von Castell ausführlich gewidmet. Kliemann sei feige, schreibt er, und weiter:

"Wenn Kliemann, wie er selbst sagt, nicht wie ein Verschwörungstheoretiker wirken möchte, sollte er auch nicht agieren wie einer. Das tut er aber, wenn er an einer Redaktion, die ihn seriös vorab mit ihren Recherchen konfrontiert, derart Foul spielt."

Worin dieses "Foul" besteht, liegt auf der Hand: Wer es öffentlich macht, zu welchen Vorwürfen eine Redaktion um Stellungnahme bittet, bringt das Medium um den Effekt einer exklusiven Veröffentlichung – gerade das "ZDF Magazin Royale" spielt ja gerne damit, dass das Thema der Sendung vorher nicht bekannt ist.

Im konkreten Fall ist das womöglich kein größeres Drama. Zum einen ist das ganze auch als Ego-Scharmützel zwischen Kliemann und dem Moderator des "ZDF Magazin Royale", Jan Böhmermann, zu sehen. 2017 saßen die beiden noch beim trauten Baumarkt-Shopping-Talk zusammen, aber vor einem halben Jahr hatte Böhmermann Kliemann schon einmal auf dem Kieker – damals bezeichnete er ihn mit typischem Böhmermann-Sarkasmus als "Niedersachsens kultigstes Allround-Genie", "sympathischen Tischkicker-Start-Upper" und "Gesamtkunstwerk".

Dem "ZDF Magazin Royale" wiederum wird der Wirbel, den Kliemann veranstaltet, wohl eher nutzen als schaden – der Fragenkatalog macht neugierig auf die Sendung und Kliemann hat mit seinem Video feinstes Bewegtbildmaterial geliefert, das sich schön verwerten lässt.

Trotzdem ist die Sache keine Lappalie, denn Kliemanns Vorgehen und die Reaktionen seiner Fans offenbaren ein paar fragwürdige Einstellungen zu journalistischer Arbeit – und das, obwohl der YouTube-Kanal "Kliemannsland" bis 2020 Teil des öffentlich-rechtlichen Angebots Funk war.

Kliemann sagt in dem Video, er wolle nicht, dass seine Antworten von Böhmermann aus dem Zusammenhang gerissen würden – genau das tut er aber, wenn er die Fragen einzeln abarbeitet. Dabei zieht er die Anfrage immer wieder ins Lächerliche, indem er es so darstellt, als wäre die Redaktion nur zu faul zum Googeln gewesen.

…und somit ein schlechtes Vorbild

Einer Person, über die Berichterstattung geplant ist, die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, gehört allerdings zum kleinen Einmaleins des journalistischen Handwerks. Dafür gerade bei langen Fragenkatalogen mehrere Tage Zeit einzuräumen, ist fair – dabei müssen sich Journalistinnen und Journalisten aber darauf verlassen können, dass ihre Fragen in der Zwischenzeit nicht in der Öffentlichkeit auftauchen. Können sie das nicht, führt das dazu, dass sie immer kürzere Fristen für Antworten einräumen, was aus anderen Gründen problematisch ist.

Das Thema betrifft Medien, die sich auf dem freien Markt behaupten müssen, in besonderem Maße: Wenn sie viele Ressourcen in eine langwierige Recherche gesteckt haben, soll sich das auch in entsprechender Aufmerksamkeit auszahlen – indem die Geschichte exklusiv zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht wird. Alle, die selbst schon viel Arbeit in eine "heiße Story" gesteckt haben, können den Ärger und die Enttäuschung nachvollziehen, wenn das schief geht.

Dass PR-Abteilungen dieses Vorgehen manchmal sogar gezielt nutzen, um Geschichten zu "sprengen", hat Hendrik Wieduweit mal bei "Übermedien" beschrieben. Ein eindrückliches Beispiel lieferte vor knapp zwei Jahren der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer, dessen Presseteam Informationen zu einer Anfrage des "Spiegel" zum Thema Maut gezielt an ein anderes Medium weitergegeben haben soll, um die Exklusivmeldung zu torpedieren.

Ganz so gerissen geht Kliemann nicht vor, aber er vermittelt zumindest indirekt den Eindruck, das Vorgehen der ZDF-Redaktion sei unnötig, unüblich oder unprofessionell (auch, wenn er das Gegenteil behauptet). So entsteht bei seiner Community eben der Eindruck, die Fragen seien "frech" – und nicht einfach nur journalistisches Handwerk.

Fazit I: Auch wenn der Schaden im Fall Kliemann vs. ZDF gering ist, gibt Kliemann ein schlechtes Vorbild ab und vermittelt seiner großen Community unnötigerweise eine gefährliche Geringschätzung für investigativen Journalismus. Und ja, das "ZDF Magazin Royale" ist ein Satireformat, hat seit seiner Entstehung aber immer wieder gezeigt, dass das ernsthafter journalistischer Recherche keinesfalls entgegenstehen muss.

Fazit II: Das Video macht mal wieder deutlich, warum Journalismus so ein tolles Konzept ist. Man kann Kliemann natürlich eine halbe Stunde lang beim Googlen und Quatschen zuzuschauen und sich am Ende fragen, worum es bei dem ganzen Gerede über Spenden und Einnahmen und Geschäftsbeziehungen eigentlich geht. Oder man spart sich die Zeit und konsumiert lieber einen journalistisch aufbereiteten Beitrag, der das Ganze in viel weniger Zeit zusammenfasst, einordnet und erklärt. Vielleicht sogar auf äußerst unterhaltsame Weise. Vielleicht sogar am kommenden Freitagabend im ZDF.

Österreich stürzt ab

Und damit weiter zu einem Land, das Böhmermann auch schon ausführlich satirisch beackert hat. "Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten bei Coronademos, Polizeischikanen, bezahlte Umfragen in Boulevardmedien und eine durch Korruption und Bestechung geprägte Politik": So beschreibt Reporter ohne Grenzen (RSF) den Stand der Pressefreiheit in Österreich, nachzulesen in der heutigen taz. Die gestern veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit hat Christian Bartels im Altpapier schon ausführlich eingeordnet. Dass Österreich von Rang 17 auf 31 abgerutscht ist, ist einigen Kolleginnen und Kollegen heute aber noch einmal einen eigenen Blick wert.

Zum eine spiele dabei das neue Bewertungssystem für die Rangliste eine Rolle, weil es wirtschaftliche Aspekte stärker gewichte, lässt sich taz-Korrespondent Ralf Leonhard von RSF in Österreich erklären:

"Da geht es zum Beispiel darum, dass sich die Höhe der öffentlichen Förderungen nach der Auflage richtet und nicht nach Qualitätskriterien. Boulevard wird dadurch bevorzugt und bekommt zusätzlich noch besonders viele Inserate von Ministerien und anderen Einheiten der öffentlichen Hand."

Den Absturz um ganze 14 Plätze erklären die neuen Kriterien aber nicht, heißt es in der "Süddeutschen Zeitung", die auch über die prompte Reaktion von Bundespräsident Alexander Van der Bellen berichtet. Er warnte:

"Diese Tendenz muss nicht nur gestoppt, sie muss umgekehrt werden."

Anregungen für mögliche Maßnahmen finden sich im SZ-Text von Alexandra Föderl-Schmidt einige: Wichtig wären eine Reform der Inseratenvergabe, in deren Rahmen staatliche Stellen 220 Millionen Euro pro Jahr nach Gutdünken an die Medien verteilen, und gleichzeitig eine Erhöhung der Presseförderung, die im Vergleich magere neun Millionen Euro umfasst.

Auch ein Informationsfreiheitsgesetz könnte helfen, und zwar gegen die "staatliche Geheimnistuerei", die "Tagesschau"-Korrespondent Wolfgang Vichtl beobachtet:

"Österreich ist das einzige EU-Land ohne Informationsfreiheits-Gesetz, ein Gesetz, das Behörden verpflichtet, Journalistinnen und Journalisten im öffentlichen Interesse Auskunft zu geben. Die müssen sich das erst hartnäckig bis zur letzten Instanz vor Gericht erstreiten, welche Corona-Hilfen an wen flossen."

Ein Blick in einen "Spiegel"-Artikel von 2019 macht allerdings wenig Hoffnung: Schon damals diagnostizierte der hauseigene Korrespondent Hasnain Kazim in Österreich eine "Atmosphäre der Angst" unter Journalistinnen und Journalisten. Er erzählte, wie ihm österreichische Kolleginnen und Kollegen Informationen zu Veröffentlichung zuspielten, damit sie sich anschließend in ihrer eigenen Berichterstattung auf den "Spiegel" beziehen können – davor, die Recherchen selbst zu veröffentlichen, hätten sie zu viel Angst gehabt. Außerdem berichtete er von Anrufen direkt aus dem Kanzleramt, wenn seine Artikel dort negativ aufgefallen waren.

Vor seinem Absturz stand Österreich tatsächlich einmal auf Platz 11 des RSF-Indexes. Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie fragil Pressefreiheit selbst in vermeintlichen Musterdemokratien ist – Deutschland macht ja ebenfalls keine allzu gute Figur bei der diesjährigen Bewertung.


Altpapierkorb (mit einem Rücktritt bei der CSU, Debatten-Speed-Dating, Kritik von Klitschko und einer Twitter-Kampagne in NRW)

+++ Dass CSU-Generalsekretär Stephan Mayer sein Amt aufgibt, hat wohl nicht nur mit den von ihm angeführten "gesundheitlichen Gründen" zu tun, sondern auch mit seiner "nicht angemessenen Wortwahl" einem "Bunte"-Journalisten gegenüber. Der BR schreibt dazu: "Laut 'Bild' soll Mayer zu diesem am Telefon gesagt haben: 'Ich werde Sie vernichten. Ich werde Sie ausfindig machen, ich verfolge Sie bis ans Ende Ihres Lebens. Ich verlange 200.000 Euro Schmerzensgeld, die müssen Sie mir noch heute überweisen.' Burda-Vorstand Philipp Welte sagte der 'Bild'-Zeitung: 'Vernichtungsdrohungen gegen Journalisten durch einen Repräsentanten unseres Parlamentes, also eines Verfassungsorgans, sind ein unerhörter Verstoß gegen die demokratischen Spielregeln und die politische Kultur in unserem Land. Das können und dürfen wir als freie Presse nicht tolerieren.'" Wofür die "Bunte" ihre Pressefreiheit so nutzt, stand zuletzt bei Übermedien.

+++ SWR-Intendant Kai Gniffke ist die "Verrohung des Tons im öffentlichen Raum" leid und hat deswegen das Format "Mix Talk", eine Art moderiertes Debatten-Speed-Dating, gestartet. Worum es ihm geht, erklärt er in einem SZ-Interview: "Der Ansatz bei Mix Talk ist, auch mit wissenschaftlichem Input eine Umgebung zu schaffen, die gute Debatten erzeugt, anstatt die größte Aufregung und die meisten Klicks zu generieren. Wir unterliegen keiner Profitmaximierungslogik." Heute Abend um 19 Uhr geht es in die erste Runde zum Thema Tempolimit, Gniffke hofft langfristig auf 1.000 Teilnehmende pro Abend.

+++ In der FAZ kommentiert Kiews Bürgermeister Wladimir Klitschko den viel diskutierten Brief von 28 Kulturschaffenden zur Ukraine-Politik der Bundesregierung: "Wir werden unsere Identität nicht aufgeben, um den mörderischen Wahnsinn und die überholten Träume eines Diktators zu besänftigen. Und schon gar nicht, um einigen 'Intellektuellen' zu gefallen, die den Sinn für die Realität und die Vernunft verloren zu haben scheinen."

+++ Im NRW-Wahlkampf ist ein Dokument aufgetaucht, dass sich wie eine Twitter-Anleitung für eine Schmutzkampagne gegen die SPD liest und von der Agentur "The Republic" stammen soll. Darüber berichtet der "Spiegel". Der Text enthält unter anderem Vorlagen für Tweets, die allerdings die Frage aufwerfen, ob es dafür eine Agentur braucht angesichts von Textvorschlägen wie "Hendrik #Wüst wirkt sehr selbstbewusst und souverän." und "Herr #Kutschaty von der SPD wirkt auf mich sehr unsympathisch."

Neues Altpapier gibt es am Donnerstag.

1 Kommentar

Goldschakal am 05.05.2022

Bezüglich des Briefs der 28 Kulturschaffenden zur Ukraine-Politik der Bundesregierung: Wladimir Klitschko ist m.W. der Bruder vom Bürgermeister Kiews.

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