Das Altpapier am 9. Mai 2022: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
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Das Altpapier am 9. Mai 2022 Mehr Mut gegen Murdoch!

09. Mai 2022, 14:10 Uhr

Da Fox News reichlich Kreml-Propaganda in die Welt setzt, könnte man mal darüber diskutieren, ob die Vermögenswerte des Eigentümers eingefroren werden sollten. Zeit Online greift den MDR an, weil dieser in zwei Sendungen fragwürdige Behauptungen über Nebenwirkungen der Corona-Impfung verbreitet habe. Ein Altpapier von René Martens.

Die verstörende Kommunikation des Ex-CSU-Generalsekretärs

Als Mann, der nur eine "Berliner Runde" schaffte, wird möglicherweise der CSU-Politiker Stephan Mayer in die, nun ja, Geschichte der Wahlabendberichterstattung eingehen. Ende Februar kam Mayer ins Amt, um einen Monat später in der "Berliner Runde" des ZDF zur Wahl im Saarland aufzutreten, und in der vergangenen Woche trat er dann zurück, nachdem bekannt geworden war, dass er gegenüber einem "Bunte"-Journalisten "Ich werde Sie vernichten" und ähnliche Nettigkeiten gesagt hatte (siehe Altpapier).

Als "neues Gesicht" begrüßte Matthias Deiss in der "Berliner Runde" der ARD zur gestrigen Landtagswahl in Schleswig-Holstein dann Mayers Nachfolger Martin Huber - bei dem man aber auch nicht weiß, ob man sein Gesicht dort lange sehen wird, schließlich hat er eine der üblichen Plagiatsaffären an der Backe, und um die es ging dann auch gleich bei den ersten Fragen, die Deiss Huber stellte.

Warum der frisch zurückgetretene Mayer überhaupt CSU-Generalsekretär geworden ist - diese Frage wirft ein "Spiegel"-(€)-Artikel auf, an den gleich sieben Redakteurinnen und Redakteure beteiligt waren. Seine Kommunikation mit Journalistinnen und Journalisten - eigentlich ja eine der Hauptaufgaben für die Generalsekretäre der Parteien - kann ihn dafür nicht qualifiziert haben. Ein Beispiel, das das "Spiegel"-Septett nennt:

"2013 verursachte Mayer nach dem Besuch eines Starkbierfests in Marktl am Inn einen Auffahrunfall, mit mindestens 170 Kilometern pro Stunde rammte er in einem Tunnel ein Auto – erlaubt war eine Geschwindigkeit von 80 (…) Als das regionale 'Wochenblatt' darüber berichtete, habe Mayer die Journalisten bedroht, 'auf wirre und völlig inakzeptable Weise', wie das Blatt schrieb. 'Der Anstand gebietet uns, den genauen Sachverhalt nicht zu veröffentlichen.'"

Einmal war der "Spiegel" auch direkt davon betroffen, dass der Politiker sein "Temperament" nicht "im Griff" hatte:

"Besonders dünnhäutig reagierte der Politiker auf kritische Medienanfragen. Als der SPIEGEL im Dezember 2021 über einen Interessenkonflikt Mayers recherchierte, weil dieser das Amt des Vizechefs des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) ausüben wollte und zugleich im Sportausschuss sitzt, gab der Parlamentarier telefonisch nur ein Zitat frei: Der SPIEGEL führe seit Jahren einen 'Vernichtungsfeldzug' gegen ihn. Mayers Ausbruch am Telefon wirkte so verstörend, dass sich der Reporter später in Sorge an dessen Bundestagsbüro wandte, ob es dem Chef gut gehe. Das brachte ihm eine Wutmail Mayers ein, in der er juristische Schritte und einen eigenen 'investigativen Artikel über die verwerflichen und herabwürdigenden Machenschaften gegenüber meiner Person' androhte."

Dass Mayer seinen Rückritt mit "gesundheitlichen Gründen" erklärte, war möglicherweise auch nicht allzu schlau. Harald Staun (FAS) ätzt jedenfalls:

"Genaueres verriet (Mayer) nicht. Wer weiß, vielleicht eine psychische Störung nationaler Tragweite."

Putin, Berlusconi, Murdoch

Ein Teil der taz ist heute eine achtseitige Sonderbeilage mit Texten des europäischen Ablegers der "Novaya Gazeta" – auf Deutsch, Russisch und Ukrainisch. Kirill Martinow, Chefredakteur der Novaya Gazeta Europe, schreibt dazu im Editorial der Beilage:

"Am 7. April wurde der Chefredakteur der Zeitung, der Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow, in Moskau attackiert. Die Angreifer wurden gefasst, aber die russischen Behörden werden sie nicht juristisch belangen (…) Wir, das Team der Novaya Gazeta Europe, haben das Land verlassen, um unsere Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die den Krieg niemals akzeptieren und nie unterstützen werden."

Die Beilage (die leider nicht frei ist von durchgeknalltem geschichtsrevisionistischen Unfug, danke für den Hinweis an den Historiker Johannes Breit) enthält auch Auszüge aus dem im Original 2004 erschienenen Buch "In Putins Russland", verfasst von der 2006 ermordeten "Novaya Gazeta"-Journalistin Anna Politkowskaja. "Diese Bestandsaufnahme" lese sich, "als sei (sic!) sie gerade eben erst geschrieben worden", schreibt taz-Redakteurin Barbara Oertel in einem Kommentar zur Begründung. In Politkowskajas Text heißt es:

"Mit der Ankunft und der Stärkung Putins ist die sowjetische Rache offensichtlich geworden. Diese verdankt sich nicht nur unserer Schlamperei und Apathie, weil uns die schier endlosen Revolutionen haben müde werden lassen. Das alles geschah unter dem Jubel des Westens. Allen voran Silvio Berlusconi – ein regelrechter Liebhaber und Putins wichtigster Anwalt in Europa."

Die Aktualität dieser Passage unterstreicht ein sogenanntes Interview mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, das der zu Berlusconis Konzern Media for Europe gehörende TV-Sender Rete 4 veröffentlicht hat. Darüber berichtete tagesschau.de in der vergangenen Woche:

"Zu bester Sendezeit durfte sich (…) 42 Minuten lang (…) Lawrow in der Sendung 'Zona bianca' erklären. Es war sein erstes Interview in einem westlichen Medium seit Kriegsbeginn. Moderator Giuseppe Brindisi gab Stichworte vor, Lawrow monologisierte die russische Sicht des Ukraine-Krieges (…) Kurz nach der Ausstrahlung hagelt es erste Kritik, vor allem am Inhalt, aber auch an der Form. Ministerpräsident Mario Draghi sagte, es habe sich nicht um ein Interview gehandelt, sondern um eine 'Volksrede'."

Um die Nähe eines anderen, freundlich formuliert konservativen Medienmoguls zu Putin geht’s in einem Kommentar, den Nick Cohen für den "Observer" verfasst hat. Die Frage, die er stellt: Warum werden eigentlich keine Sanktionen gegen Rupert Murdoch ergriffen? Cohen schreibt:

"If the west could find the courage, it would order an immediate freeze of Rupert Murdoch’s assets. His Fox News presenters and Russia’s propagandists are so intermeshed that separating the two is as impossible as unbaking a cake (…) In Europe, Russia’s atrocities have forced everyone from Arron Banks and Nigel Farage to Marine Le Pen and Matteo Salvini to find urgent reasons to change the subject. In the US, there remains a market for Putinism among a large minority of Republican voters. Their yearning for dictatorship, as evidenced by the support given to denying legitimate election results and to the fascistic forces that stormed Congress, is greater. The hatred of liberals in power is deeper."

Ist "large minority" nicht untertrieben? Im "Auslandsjournal Spezial” des ZDF vom 3. März sagte der Politikwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress:

"Es gibt Umfragen, die belegen, dass unter den republikanischen Wählerinnen und Wählern Wladimir Putin beliebter ist als Joe Biden. Das ist eine neue innenpolitische Situation, weil wir es zum ersten Mal mit einer antiwestlichen Gesinnung im Zentrum des Westens zu tun haben – mit unabsehbaren politischen Folgen.”

Siehe dazu den Schluss eines bei epd medien und turi2.de erschienenen Artikels von mir.

Cohen führt dann auch noch aus, warum die Propaganda von Murdochs Leuten beim russischen Publikum eine besondere Wirkung habe:

"Murdoch is boosting Russian morale and, conversely, undermining Ukrainian resolve by supplying a dictatorship with foreign validation (…) Russians who suspect their TV anchors are state-sponsored bootlickers are more likely to believe foreign commentators who assure them that the lies they are hearing are true. Putin cannot fire or imprison Fox News presenters, steal their wealth or poison them with Novichok (…) Murdoch and his employees have nothing to fear from Putin."

Desinformationsnarrative im MDR?

"Wie sich der SWR hinters Licht führen ließ", lautete 2021 einen Tag vor Heiligabend eine Zwischenüberschrift im Altpapier. Der Sender hatte einen von der verschwörungsideologischen Kabarettistin Lisa Fitz vorgelegten vermeintlichen Beleg für 5.000 Corona-Impftote in der EU nicht rechtzeitig geprüft. Einen Nachdreher zu diesem Fall hat Matthias Meisner, der in der Angelegenheit auch damals recherchierte, für die Mai-Ausgabe des Magazins "journalist" produziert (siehe auch ein Thread dazu).

Wie sich das MDR Fernsehen hinters Licht führen ließ - so ließen sich nun möglicherweise die Fragwürdigkeiten zweier Sendungen ("Umschau", "Hauptsache Gesund") zusammenfassen, in denen Ende April die Behauptung Verbreitung fand, 0,8 Prozent der gegen Corona Geimpften hätten "schwere Nebenwirkungen". Als Beleg diente eine vermeintliche Studie des auf anthrophosophische Medizin spezialisierten Berliner Arztes Harald Matthes, die aber im Kern bloß eine Online-Umfrage ist (und auch von anderen Medien als seriös verkauft wurde).

Florian Schumann und Ingo Arzt legen bei Zeit Online nun dar, dass "viele der Aussagen in den TV-Beiträgen missverständlich bis falsch sind":

"Das liegt an methodischen Schwächen der Studie, die weder Matthes noch die verantwortlichen TV-Redaktionen offenlegen. Auch in dem MDR-Beitrag selbst finden sich Ungereimtheiten und teilweise schlicht Fehler (…) Grob gibt es bei Matthes' Aussagen drei Probleme: Erstens wurden seine Ergebnisse bisher nicht veröffentlicht, sodass nicht nachprüfbar ist, wie er zu seinen Schätzungen kommt. Zweitens lässt die Methodik der Studie es nicht zu, die Schwere der Komplikationen zu überprüfen – und mit der Impfung ursächlich in Verbindung zu setzen. Und drittens decken sich seine Ergebnisse – auch wenn er das behauptet – nicht mit den Ergebnissen internationaler und nach besten wissenschaftlichen Standards durchgeführten Studien oder den Zahlen aus Ländern mit besseren Überwachungssystemen wie etwa Schweden."

Die Kritik des Impfstopffforschers Leif Erik Sander fasst das Autorenduo schließlich folgendermaßen zusammen:

"Im Fernsehen pauschal zu behaupten, es gebe viel mehr Impfnebenwirkungen als bisher bekannt, ohne wissenschaftlich belastbare Beweise vorzulegen, die einem Vergleich mit gut dokumentierten und international begutachteten Studien standhalten, sei fragwürdig. Es provoziere am Ende vor allem Spekulationen und bediene Desinformationsnarrative zur Covid-19-Impfung."


Altpapierkorb (Yücel, Joffe, "Kicker", SCOTUS-Leak, Datenjournalismus)

+++ Mit "Showdown in Gotha" überschreibt die Wochenend-taz die am Donnerstag beginnende Mitgliederversammlung des Schriftstellerverbands PEN, auf der über einen Abwahlantrag gegen den noch relativ neuen Präsidenten Deniz Yücel entschieden wird (Altpapier, Altpapier). "Als Journalist wird man in dieser Situation mit Hintergründen nicht einfach nur versehen, sondern geradezu munitioniert", lautet ein Fazit, das taz-Redakteur Dirk Knipphals nach seinen Recherchen zieht. "Yücel habe die 'Mindeststandards des menschlichen Umgangs nicht eingehalten', sagt die Schriftstellerin Petra Res­ki, die zu Yücels schärfsten Kritiker*innen gehört", schreibt Knipphals unter anderem.

+++ Über einen Redaktionsgeheimnisverrat in der Nachbarschaft berichtet der "Spiegel": "Der 'Zeit'-Mitherausgeber Josef Joffe hat die Hamburger Privatbank Warburg vorab vor kritischer Berichterstattung der Wochenzeitung zum sogenannten Cum-ex-Skandal gewarnt. Das geht aus einem persönlichen Brief hervor, den Joffe im Januar 2017 an Max Warburg schrieb, den Miteigentümer der Bank (…) Joffe erinnert zudem daran, dass er den Banker 'angefleht' habe, wegen der Vorwürfe 'eine exzellente PR Agentur' zu engagieren." Der "Spiegel" habe aus Joffes Brief "nur unvollständig zitiert", meint Oliver Schröm, einer der damals betroffenen Redakteure - und haut bei Twitter das Ding daher in seiner ganzen Schönheit heraus.

+++ Der Sportjournalismus in der NS-Zeit ist bisher kaum erforscht worden - obwohl die Sportpublizistik ein wichtiges Sprachrohr der NS-Propaganda war. Nun liegt auf diesem Feld ein Buch über den "Kicker"vor, das das Zeug hat, zu einem Standardwerk zu werden. Ich habe darüber für "epd medien" geschrieben.

+++ Frauke Steffens gibt für die FAS (Blendle-Link) einen Überblick über die Debatte um den von "Politico" geleakten Urteilsentwurf des US-amerikanischen Supreme Courts (siehe Altpapier von Donnerstag): "Während sich viele liberale Medien nach dem Leak vor allem mit (den) politischen Konsequenzen befassten, lenkten andere den Blick vor allem auf die Enthüllung selbst. Kommentatorin Julia Ioffe bemerkte, dass manche Journalisten mehr am 'horse race', dem "Wettrennen" um Informationen, interessiert seien und weniger an dessen Folgen. Tatsächlich stellt sich mit der undichten Stelle beim Obersten Gericht die Frage, ob dieses per se einen Anspruch auf strengste Geheimhaltung habe – oder ob diese Tradition angesichts der politischen Polarisierung der Richterbank in den letzten Jahren ohnehin immer obsoleter wurde."

+++ Viel Meinung, wenig Ahnung: So lässt sich zusammenfassen, was der SZ-Wissenschaftsjournalist Werner Bartens über Datenjournalismus schreibt. Frederik von Castell, der Chefredakteur von "Übermedien", erklärt das im Detail.

Neues Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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