Das Altpapier am 7. Juni 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier am 7. Juni 2022 Was sollen sie denn nun?

07. Juni 2022, 10:36 Uhr

Nicht nur, wie die Öffentlich-Rechtlichen im Fernsehen unterhalten, müsste diskutiert werden. Sondern auch, was sie in den sozialen Medien tun. Immerhin Sachsen-Anhalts CDU ist bemerkenswert zufrieden. Außerdem: Bringt die NATO-Erweiterung türkische Exiljournalisten in Gefahr. Und weiter viel Springer-Aufregung. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Die öffentlich-rechtlichen und die sog. soz. Medien

Die Otto-Brenner-Stiftung ist die Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Schon daher ist ihre Position klar, und auch, dass sie den Öffentlich-Rechtlichen nahe steht. Schließlich sind Gewerkschaften genau wie Kirchen seit jeher in den Rundfunkgremien bestens vertreten und engagiert. Trotzdem schauen viele der zahlreichen Veröffentlichungen der OBS (die dieses Jahr übrigens ihr 50-jähriges Bestehen begeht) mit offenem Blick in die Welt und werden wenig vorhersehbar, dabei erfreulich kontrovers diskutiert.

IIn Kürze dürfte eine Veröffentlichung herauskommen (bzw.: ging just online), aus der der offenbar vorab informierte "Spiegel" zitiert. Es geht um die öffentlich-rechtlichen und die sogenannten sozialen Medien. Einer mit Daten von Ende 2021 erstellten Erhebung zufolge

"stellen Deutschlands öffentlich-rechtliche Medien insgesamt 273 Angebote für TikTok, Instagram, Snapchat und andere Plattformen her, mehr als ein Viertel läuft sogar exklusiv über diese Kanäle und nicht in den klassischen Mediatheken oder dem linearen Programm."

Ziemlich viele Rundfunkbeitrags-finanzierte Internet-Inhalte lassen sich also nicht frei online im Internet aufrufen (wie hier das Altpapier), sondern erfordern personalisierte Anmeldung bei Facebook/Metas Instagram oder bei Tiktok, das seine Nutzerdaten sicher auch in China speichert (falls man sich nicht damit behilft, stets nur wenige Tiktok-Videos unangemeldet anzusehen, was technisch möglich ist, in der Praxis aber kaum jemand tun dürfte). Bekanntermaßen ziehen solche Anmeldungen umfangreichstes Tracking nach sich.

Und was die Öffentlich-Rechtlichen für diese Netzwerke herstellen, richte sich häufig "an Reichweiten und algorithmischen Funktionen" aus, zitiert der "Spiegel" weiter. Heißt: ARD und ZDF produzieren für Googles Youtube, Tiktok und Co das, was dort gut läuft, und nicht etwa, was dort fehlt. Etwa: nix mit Naturschutz auf Tiktok, und keine "komplexen Themen wie Klimawandel" auf Facebook.

Das ist natürlich ein weites Feld und schwieriges Thema. Klar ist es sinnvoll, junges Publikum dort anzusprechen, wo es sich aufhält, statt es vor Fernsehgeräte locken zu wollen, die es gar nicht besitzen möchte. Trotzdem wäre aus meiner Sicht eine Minimalanforderung, dass solche Beitrags-finanzierten Online-Inhalte dann ebenfalls auf eigenen Plattformen (wie den Mediatheken) abrufbar sein müssten, schon um Menschen, die den Rundfunkbeitrag zahlen (müssen) nicht auch noch zur Anmeldung anderswo zu zwingen.

Aktuell sind die Öffentlich-Rechtlichen leider weit davon entfernt, eine transparente und/oder sinnvolle Strategie gegenüber den Datenkraken-Plattformen zu verfolgen. Gute Medienpolitik wäre, dafür Rahmen zu setzen, die z.B. verhindern, dass abermilliardenschwere Konzerne zu sehr vom Rundfunkbeitrag profitieren.

Die real existierende Medienpolitik hat gerade ihre jahrelangen Beratschlagungen über Unterhaltungsangebote im Fernsehen zu einem vorläufigen Abschluss gebracht ...

Stimmen zum ÖR-Unterhaltungs-"Profil"

Die vorläufig finale Auftrags-Neuformulierung wurde sukzessive vergangene Woche bekannt und war breites Medienmedien-Thema. Zuletzt gab hier am Freitag Ralf Heimann ausführlichen Überblick (wobei wir im Altpapier natürlich unterschiedliche Meinungen vertreten; ich z.B. würde von den Rundfunkräten nicht als "Parlamente der Sender" sprechen – schon weil diese Gremien derzeit weder gewählt werden, noch sich um kontroverse, öffentliche Diskussionen bemühen).

Wie auch immer,

"Unterhaltung, die einem öffentlich-rechtlichen Profil entspricht, ist Teil des Auftrags",

lautet nun der vielleicht entscheidendste Satz im Gesetzentwurf, schrieb Helmut Hartung in der Samstags-"FAZ" so wie zuvor schon die (am Freitag hier zitierte) "SZ".  Es geht dabei um einzelne Worte: Zuletzt soll ein "soll" aus der Fassung, der die Ministerpräsidentinnen und -denten bereits zustimmten, die Bundesländer-Parlamente aber auch noch zustimmen müssen, verschwunden sein. Was "öffentlich-rechtliches Profil" ist, liegt freilich weiterhin im Auge all derer, die über so was diskutieren wollen.

"Kritik und Zustimmung" gab es, fasst Kurt Sagatz im "Tagesspiegel" erste Stellungnahmen der zahlreichen betroffenen und sich betroffen fühlenden Interessenverbände zusammen. Während der Zeitungsverlegerverband, der noch ja von Mathias Döpfner (s.u.) angeführt wird, Gefahren wittert, äußert sich der Privatsender-Verband Vaunet durchaus positiv. Und jemanden aus Magdeburg hatte Sagatz am Telefon, dessen positive Resonanz bemerkenswert ist und zu vergleichsweise flottem Vorankommen im zähen Procedere beitragen könnte:

"Die CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, deren Veto die letzte Erhöhung der Rundfunkgebühren verzögert hat, stellt sich hinter den Beschluss. 'Wir verbuchen das ein klein wenig auch als unseren Erfolg', sagte Markus Kurze, der medienpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion dem Tagesspiegel."

Die "FAZ" sieht die aktuelle Lage, nicht so überraschend, nicht so positiv. Ihr fiel u.a. ein Satz, der wegfiel, auf:

"So heißt es im aktuellen Staatsvertrag, die Sender hätten insbesondere zur Kultur Beiträge anzubieten. Dieser 'besondere' Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird nun nicht mehr hervorgehoben. Das ist kein gutes Vorzeichen für die geschrumpfte Zahl von Kultursendungen und -formaten."

Die geplante Aufwertung der Rundfunkgremien sieht Helmut Hartung als "Aufgabe medienpolitischer Kompetenz" durch die Länder. (Weil "Aufgabe" ja ein Teekesselchen ist, das sowohl Herausforderung als auch einfach Aufgeben bedeuten kann:) Er meint, dass die Bundesländer ihre verfassungsmäßige, aber äußerst zeitraubende "Rahmenkompetenz für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" gerne an die Rundfunkräte abgeben möchten. Was hieße, dass über Zuschnitt und Zusammensetzung dieser Gremien erst recht öffentlich diskutiert werden müsste ...

Deutsche Digitalpolitik und Telegram

Zur Weltlage. Wirtschaftsminister Habecks nicht nur angedeutete Verbeugung in Katar (hier beim unverdächtigen Deutschlandfunk zu sehen), wird ein ikonisches Bild der noch neuen Ampelkoalition bleiben.

Doch tatsächlich hat die Bundesregierung in den Emiraten am Persischen Golf offenbar Erfolge erzielt. Dafür spricht ein weiterer aktueller "Spiegel"-Artikel, der zunächst die Überschrift "Telegram gibt Nutzerdaten an das Bundeskriminalamt" trug. 

Der Artikel schildert mit vielen "Spiegel"-typischen Enblicken in Dienstwege-Etappen, wie das SPD-geführte Bundesinnen- und das FDP-geführte -justizministerium die derzeit in Dubai ansässige messengerdienst-Plattform Telegram dazu bewegten, "Daten Verdächtiger aus den Bereichen Kindesmissbrauch und Terrorismus" an deutsche Behörden zu übermitteln. Womit Telegrams Behauptung "Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen" nicht mehr zutreffe. Dazu hat heise.de auch in Telegrams Transparenzberichte geklickt.

Was immer man vom NetzDG und seiner geplanten Erweiterung hält: Wenn der Bundesregierung gelänge, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (für deutsche Inhalte) tatsächlich durchzusetzen, und zwar auch außerhalb der deutschen Grenzen (innerhalb derer ja keine der Plattformen auch nur ihren europäischen Hauptsitz hat), wäre das ein Achtungserfolg der Digital- und damit auch Medienpolitik.

Die RSF/ ROG schauen so ziemlich überall hin

Allianzen werden durch den Angriffskrieg in Europa, Druck von außen also, wieder zusammengeschweißt. Da verdient der unermüdliche Einsatz der Reporter ohne Grenzen, die Angriffe auf Journalistinnen und Reporter dokumentieren, auch wenn der Newswert nurmehr klein scheint, weiter Respekt (und bekommt ihn auch vom auf seine Weise ebenfalls unermüdlichen Michael Hanfeld, der dabei die "gewisse Kriegsmüdigkeit" "in den Talkshows der öffentlich-rechtlichen Sender" beklagt).

Wobei zu den Vorzügen der Reporter ohne Grenzen (ROG/RSF) zählt, dass sie in so gut wie allen Regionen der Welt vertreten sind und auch in alle Richtungen blicken. In der "taz" zitiert Skandinavien-Korrespondent Reinhard Wolff einerseits einen Aufruf der schwedischen ROG/RSF-Sektion, andererseits einen Satz, den der türkische Exil-Journalist Bülent Keneş im norwegischen Fernsehen sagte: "Ich bin verzweifelt". Hintergrund: Keneş

"steht auf der Liste der angeblichen Terroristen, von deren Auslieferung der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitrittsantrag abhängig machen will."

Das Erdogan-Regime rechnet Keneş der Gülen-Bewegung zu, die hinter dem Putschversuch 2016 stecken soll. Im schwedischen Exil, in dem er seitdem lebt, wurde er kürzlich überfallen. Und auch wenn Schweden in der öffentlich-rechtlichen Fernseh-Unterhaltung ja eine sehr große, weithin positive Rolle spielt (nicht nur als Inga-Lindholm-Bullerbü, sondern auch als Wallander-Krimi-Kulisse, in der es zwar düster zugeht, zahlreiche Kommissarinnen und Kommissare aber oft für Gerechtigkeit sorgen): Dass das Land seines NATO-Beitritts wegen solche türkischen Wünsche erfüllt, scheint möglich.

"Beunruhigend ist, wie weit Schweden in der Vergangenheit zu gehen bereit war, wenn es um die Auslieferung vermeintlicher Terrorverdächtiger ging. 2001 entschied die schwedische Regierung, die Asylsuchenden Ahmed Agiza und Mohammad al-Zery in ihr Heimatland Ägypten abzuschieben",

schreibt die "taz". Auf die, zurückhaltend formuliert: zweifelhafte Rolle, die Schweden bei der US-amerikanisch-britischen Initiative, Julian Assange wegen Wikileaks' Enthüllung von Kriegsverbrechen zur Abschreckung einzukerkern, geht sie dabei gar nicht ein.


Altpapierkorb (Springers Aufregungs-Bewirtschaftung, Leberwurstigkeit?, Bilderberg, Bremens Medienwächterin, DHDL & der Kapitalimus)

+++ Der Springer-Konzern bewirtschaftet immer noch mehr Aufregungs-Fronten, oft auch aus eigenem Antrieb (zuletzt AP vom Freitag). Ausführlich Überblick über die jüngsten und noch laufenden Entwicklungen um einen "Gastbeitrag" der "Welt", zu denen insbesondere ein von Springerchef Döpfner persönlich für seine "Welt" verfasster Artikel zählt, bietet der "Tagesspiegel". +++ Wer die Chose so interpretiert, dass es darum ging, durch möglichst emotionalisierende Debatten über das Debattenwesen "ordentlich für Abo-Abschlüsse" zu sorgen (medieninsider.com), dürfte nicht falsch liegen.

+++ Während Steffen Grimberg in der "taz" Döpfner dann noch "mildbeleidigte Leberwurstigkeit" wegen seines angekündigten Abschieds als BDZV-Präsident vorwirft (und dabei fürs "taz"-Publikum ausführlich auf den womöglich weiterwabernden Springer-Konflikt mit der Studentenbewegung der 1960er zurückblickt ...), schaute ein Reporter vom gegenwärtigen globalen Springer-Wettbewerber "Financial Times" auf die Teilnehmerliste des gerade getagt habenden Bilderberg-Treffens in Washington, auf dem nicht allein Döpfner seinen Konzern vertrat ...

+++ Bremen, eines der kleinsten deutschen Bundesländer, hat nicht nur eine eigene Landesrundfunkanstalt, sondern auch eine eigene Landesmedienanstalt, die 2020 durch einen Landesmedienwächterin-Podcast vergleichsweise hohes Aufsehen erregte. Was daran auszusetzen war, warum also dieses Aufsehen versiegte, schildert der uebermedien.de-Bericht "Erfolgreich verloren".

 +++ Weiter viele Stimmen zur schon angedeuteten Frage, ob weniger Datenschutz gegen Kindesmissbrauch hülfe. Der netzpolitik.org-Podcast meint nein, wie auch, nach ausführlicher Abwägung, Tanja Tricarico in der "taz". Ein Zehn-Punkte-Programm, in dem es auch um Onlinedienste geht, steht heute auf der "SZ"-Meinungsseite (€).

+++ Und "Nichts schreckt die 'Löwen' so sehr ab wie die Aussicht, ein Produkt müsse man den Leuten erst noch erklären oder gar Jahre in seine Entwicklung investieren", heißt es dann noch in einer "SZ"-Medienseiten-Doppelkritik an einerseits der überdurchschnittlich erfolgreiche Vox-Show "Die Höhle der Löwen" und dem aktuell allenfalls mäßig erfolgreichen Kapitalismus an sich andererseits (€, versteht sich).

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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