Das Altpapier am 11. Juli 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier am 11. Juli 2022 Gedanklich, nicht faktisch

11. Juli 2022, 09:54 Uhr

Der RBB will die Vorwürfe gegen Intendantin Patricia Schlesinger umfassend aufklären. Intern werde aber nicht nur eine rechtliche Überprüfung gefordert, heißt es. Ein Positivbeispiel, wie man Interessenkonflikte aktiv vermeidet, gibt es aber auch. Und: Elon Musk würde gerne den Twitterkauf abblasen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

"Eine Instinktlosigkeit", mindestens

Interessenkonflikte im Journalismus und drumherum: soll es ja geben. Immer wieder. Am Freitag waren sie zuletzt hier Thema. weil die Chefreporterin im Politikressort des Nachrichtensenders "Welt", Franca Lehfeldt, vergangene Woche einen Mann geheiratet hat, der aus Versehen ausgerechnet Bundesfinanzminister ist. Die Frage ist dann in der Regel die nach dem Umgang mit solchen Konflikten.

Die Frage nach dem Umgang mit gewissen Network-Gemengelagen (oder, wie der "Business Insider" es in seiner Anstoßrecherche nannte, "ominösen Geschäftsverbindungen") stellt sich auch in einem anderen Fall. Er läuft ebenfalls unter anderem unter dem Label "Interessenkonflikt" und beschäftigt derzeit den Rundfunk Berlin-Brandenburg, also eine ARD-Anstalt (wie auch der MDR eine ist, der Auftraggeber dieser Kolumne). Einen solchen Konflikt hat, wie gemeldet, der besagte "Business Insider" recherchiert. Der "Tagesspiegel" (hier und hier) ist der Sache in seiner Rolle als Berlin-Brandenburger Regionalzeitung nachgegangen, und "SZ", "FAZ" und "Welt" haben mittlerweile ebenfalls berichtet.

Worum geht’s nochmal? Im Zentrum steht RBB-Intendantin Patricia Schlesinger, der Verquickungen vorgeworfen werden; der Name des RBB-Verwaltungsratschefs fällt, der von Schlesingers Ehemann, usw. usf. Auf der Medienseite der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" war dieser Tage zu lesen, es würde im Zuge der Berichterstattung "ein kompliziertes Geflecht" aufgezeigt. Also kompliziert im Sinn von kaum komplexitätsreduzierbar. Da wollen wir nicht widersprechen. Empfohlen werden muss daher allen Interessierten die oben verlinkte Primär- und Sekundärberichterstattung, von A wie Abrechnung von Abendgesellschaften über B wie Beraterverträge (etwa für Schlesingers Ehemann, Gerhard Spörl, durch Vermittlung des RBB-Verwaltungsratchefs) und C wie Compliance-Regeln bis Z wie Zurückgewiesene Vorwürfe.

Zieht man die Bullshitwörter aus der Berichterstattung ab ("Es brodelt", xy "rechnen ab" usw.), und nimmt man zudem die Verteidigungslinie der Intendantin zur Kenntnis, derzufolge es darin viele "Mutmaßungen, Unterstellungen und falsche Schlussfolgerungen" gebe, folglich auch womöglich Justiziables – so bleibt immer noch der Eindruck, dass die Aufklärung kein ganz kurzer Prozess werden dürfte.

Zeitnah, umfassend, größtmögliche Transparenz!, heißt es zwar aus dem RBB, und ein externer Compliance-Beauftragter rechnet laut "Welt" schon damit, dass die Prüfung "eine Sache von Wochen, nicht Monaten" sein werde. Doch von Personalrat, Redaktionsausschuss und Organisation der Freien Mitarbeiter schalle es – heißt es ebenfalls in der "Welt" – in einer gemeinsamen Resolution zurück: "Eine rein rechtliche Überprüfung" werde "nicht ausreichen". Denn das Wort "Glaubwürdigkeit" kommt in der Berichterstattung ja auch vor.

Nicht einverstanden sei man zum Beispiel damit, "dass der Ehemann der Intendantin auf Vermittlung des RBB-Verwaltungsratsvorsitzenden von der Messe eine sechsstellige Summe für Beratungsleistungen bekommen" haben soll. Die "FAZ" hat beim RBB unter anderem dazu nachgefragt und die Antwort bekommen, in dem Fall gebe es "zwar einen gedanklichen, aber keinen faktischen Bezug zum RBB".

Dass sich Mitarbeiter, die sich bei der nächsten kniffligen Recherche womöglich anhören dürfen, sie hätten im eigenen Haus doch genug zu tun,  über so etwas ärgern, braucht einen eigentlich nicht zu wundern. Einer jedenfalls wird in der "Welt" zitiert: "Wir gucken auf unsere Intendantin, (…) denn auch wenn ihr Verhalten am Ende nicht justiziabel sein sollte, bleibt es eine Instinktlosigkeit."

Wie man’s besser macht

Von nachrichtenträchtigen Interessenkonflikten mitgezogen, hat es auch eine positive Nachricht auf spiegel.de, sueddeutsche.de und ein Schweizer Portal (infosperber.ch, für das der ehemalige NZZ-Medienredakteur Rainer Stadler arbeitet) geschafft, auf Seiten also, auf denen sonst nicht jede Medienbranchenpersonalumdrehung gemeldet wird: Thomas Fuhrmann gibt demnach bald seinen Posten als ZDF-Sportchef auf.

Das ist nun nicht das Positive. Positiv bewertet wird vielmehr, dass Fuhrmann damit einen Interessenkonflikt auflöse, bevor er entstehe. Denn er ist mit Bettina Schausten verheiratet, und wenn sie Anfang Oktober die ZDF-Chefredaktion übernimmt, würde sie gleichzeitig seine Chefin. Fuhrmann werde innerhalb des Hauses die Funktion wechseln, heißt es. "Nach Information der Nachrichtenagentur dpa ist für den 56-Jährigen eine Funktion im Bereich Sportstrategie angedacht, angesiedelt beim Intendanten Himmler" (spiegel.de). Ja, so kann man das machen. "Das Paar demonstriert damit, wie solche Belange im Sinne einer funktionierenden Compliance-Balance schnell und transparent zu regeln sind", so sueddeutsche.de.

Musks Rückzugsversuch

Erinnert sich jemand an Elon Musks Vorhaben, Twitter zu übernehmen? 44 Milliarden Dollar hätte die Übernahme kosten sollen, 44 Milliarden Interaktionen auf den Social Media hatte das ausgelöst und beinahe ebenso viele Artikel, Recherchen und besorgte Denkstücke (Altpapier). Gefolgt von Doch-nicht-Bekundungen und Cliffhangern. Nun die Auflösung des Rätsels: Musk zog am Freitag zurück, was man mittlerweile geahnt, aber natürlich nicht gewusst hatte. Die eine Folge ist nun: Erleichterung hier ("bei politisch eher linken Aktivisten in den USA", wie spiegel.de weiß). Die andere Folge ist: Ärger da.

"Musk, der für teils wilde Winkelzüge und breitbeinige Ankündigungen bekannt ist, kann die Übernahme von Twitter nicht ohne Weiteres abblasen", schreibt Meike Laaff bei Zeit Online. "Das Unternehmen Twitter signalisierte bereits, die Übernahmevereinbarung notfalls auch vor Gericht durchsetzen zu wollen. (…) Man plane auch rechtliche Schritte. Es droht also ein langwieriges Gerichtsverfahren um den Kurznachrichtendienst, dessen Geschäft nie so florierte wie das anderer sozialer Medien."

Die "Saga" ("New York Times") geht also womöglich nochmal weiter, und ob Musks Chancen nun gut stehen oder nicht – für was auch immer er eigentlich will –, das ist nun der nächste Cliffhanger:

"Dass Musk und seine Anwälte nun angebliche Falschinformationen der Twitter-Führung anprangern, wirkt wie ein billiger Vorwand, sich aus der hochriskanten Milliardenübernahme zurückzuziehen. Ihm droht jetzt eine langwierige und kostspielige juristische Schlammschlacht. Seine Chancen auf einen Sieg stehen nicht gut",

analysieren, online beim "Spiegel", Alexander Demling und Simon Hage.

Als Schlusswort für heute bleibt der Hinweis, dass zum Beispiel Christian Meier und Simon Hurtz schon vor Wochen eine zutreffende Einschätzung geliefert haben: Die ganze Twitter-Übernahme-Saga, mit der in den Social Media interagiert wurde wie bescheuert (Altpapier), und die auch ich mir in zu vielen Details reingezogen habe, ist bislang alles in allem eine große Zeit-, Wert- und Energieverschwendung gewesen.


Altpapierkorb (Nannen-Debatte, "Uber Files", IVW-Gewinner, Datenfragen)

+++ Die Änderungen, die der Medienanwalt Christian Schertz namens der Familie Nannens Änderungen an zwei Beiträgen über Verleger Henri Nannen verlangt hatte (Altpapier), habe der NDR zurückgewiesen, berichteten u.a. "FAZ" und "SZ" am Wochenende. Man "will nur eine Überschrift angleichen und das Gespräch mit der Familie Nannen suchen", schreibt die "FAZ".

+++ Der Recherchekooperationsplanet aus NDR, WDR und "SZ" hat am Sonntag über die "Uber Files" berichtet: Es geht um fragwürdige Lobbyarbeit des US-Fahrdienstleisters Uber in ganz Europa. Für die Medienbeobachtung von Belang ist etwa ein Artikel, der 2014 in der "FAZ" erschienen sei, wie es heißt, verfasst vom Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap, Mitglied des Kuratoriums der FAZIT-Stiftung. Haucap habe mit Uber verabredet, eine Auftragsstudie im Wert von 44.000 Euro und einen Uber-freundlichen Zeitungsartikel zu erstellen. Uber soll den Artikel zum Teil sogar redigiert haben, schreibt die "SZ". Einer Sprecherin der "FAZ" zufolge habe man von einer möglichen Absprache zwischen Haucap und Uber keine Kenntnis gehabt. Ein Argument für die Veröffentlichung von mehr externen Gastbeiträgen findet sich in diesem Vorgang allerdings nicht.

+++ "Die beiden Klick-Giganten hießen laut IVW im Juni 'WetterOnline' und 'Ebay Kleinanzeigen'", meldete am Freitag Meedia, und wow, danach folgen gmx.de und web.de "vor der ersten journalistischen Marke" (Meedia): "Bild". Auf gut deutsch, die Leut’ wollen wissen, welche Klamotten sie sich rauslegen müssen, sie wollen billig einkaufen, kommunizieren, und sie mögen Ausrufezeichen.

+++ Mehr und bessere Daten, forderte Björn Schwentker, Datenjournalist beim NDR, über die Corona-Lage bei Deutschlandfunk Kultur. Das Bild der Pandemie, dass sie vermitteln würden, sei "immer auch ein verzerrtes Bild, insofern die Daten auch verzerrt sind. Das ist für uns als Journalisten eine echte Zwickmühle."

+++ Eine andere These – es geht nicht um mehr Daten, sondern um andere Debatten – hat Lars Weisbrod in der "Zeit" formuliert. Am Sonntag war sein Essay über den Umgang mit Verschwörungstheoretikern, etwa während der Corona-Pandemie, auch online. Wobei er "Verschwörungstheoretiker" in Anführungszeichen setzt, weil es unter denen, die so genannt genannt würden, auch "andere Formen der Irrationalität" gebe. Er rät zu einer Änderung der Debattenstrategien, mit Argumenten, über die man trefflich streiten kann: "Der durchschnittliche Impfskeptiker" – eine etwas schwierige Einstufung – könnte zwar Argumente für seine Position anführen, mit denen man sich dann sachlich auseinandersetzen könnte, um sie zu widerlegen. Tut es aber nicht, weil er "gar nicht weiß, wie er sein Argument genau formulieren könnte". Weisbrod macht etwa in den Fernsehdebatten eine Leerstelle aus:

"Man will der eigenen Verantwortung gerecht werden und Impfskeptikern nicht das Wort reden. Wie leer man diese Leerstelle tatsächlich geräumt hatte, das fiel erst auf, als man bei Anne Will und anderswo plötzlich ganz ergebnisoffen über die Impfpflicht diskutieren wollte. Jetzt konnte sich keiner mehr an die tatsächlichen Argumente gegen eine Pflicht erinnern; hilflos musste man auf Floskeln zurückgreifen und sorgte sich plötzlich um eine drohende 'Spaltung der Gesellschaft'."

Neues Altpapier erscheint am Dienstag.

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