Das Altpapier am 9. September 2022: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Das Altpapier am 9. September 2022 Die Angst vor dem F-Wort

09. September 2022, 11:54 Uhr

Wenn Medien Personen, die den Untergang der Demokratie anstreben, Raum geben oder sogar versuchen, deren "Vertrauen zurückzugewinnen": Spekulieren diese Medien dann darauf, vom Untergang der Demokratie zu profitieren? Außerdem: bocklose RBB-Rundfunkräte und polizeinahe NDR-Hierarchen. Ein Altpapier von René Martens.

Über das Opfern journalistischer Integrität

Viele deutsche Journalisten loben oder bewundern den Sender CNN gern für seine Schnelligkeit und seine Ausführlichkeit, vor allem für seine Krisen- und Kriegsberichterstattung. CNN ließ sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder ins Spiel bringen, wenn es zu zeigen galt, wie man es besser macht als die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland.

"CNN war schon vor Kriegsbeginn massiv präsent an vielen Punkten in der Ukraine, bald waren über 70 Mitarbeiter:innen im Lande unterwegs, ein Drittel davon Sicherheitsspezialisten",

schreibt zum Beispiel Claus Kleber in der aktuellen "Zeit"-Ausgabe (€). Es ist ein Nebengedanke zur von der Wochenzeitung an acht Personen gestellten Frage "Was würden Sie jetzt an den Öffentlich-Rechtlichen ändern?" (auf die wir weiter unten noch zurückkommen werden).

In Grenzen hält sich bisher allerdings die Berichterstattung über die aktuellen Entwicklungen bei CNN, die eine nachhaltige Beschädigung dieser Institution befürchten lassen. Die FAZ hat erfreulicherweise gestern einen Anfang gemacht mit einem ausführlichen Bericht zur Lage (siehe Altpapierkorb von Donnerstag) - was hiermit zum Anlass genommen sei, eine Blick auf aktuelle Betrachtungen in US-Medien zu werfen.

John Malone, Trump-Anhänger und einflussreichster Warner Bros. Discovery-Shareholder, sowie der neue Senderchef Chris Licht stehen für einen Ruck nach rechts, auch wenn das offiziell natürlich nicht so formuliert wird. "He (wants) 'the 'news' portion of CNN to be more centrist'”, heißt es bei "Vanity Fair" über Malone mit Bezug auf ein vielzitiertes Interview, das dieser der "New York Times" gegeben hat.

Brian Stelter, "einer der einflussreichsten Medienjournalisten Amerikas" (wie die gerade erwähnte FAZ es formuliert), und der im Bereich der Berichterstattung aus dem Weißen Haus nicht minder renommierte John Harwood sind die Opfer dieses neuen Kurses. Harwood verabschiedete sich vor einer Woche mit diesem Beitrag. Der Begriff "Opfer" stammt von Stelter selbst. Konkret sagt er, er sei "zu einem Opferlamm gemacht" worden, "um der Rechten zu signalisieren, dass das Network seinen Kurs ändert", wie "Vanity Fair" schreibt. Dass nach Harwoods Ausstieg "Aufrufe zum 'Boykott von CNN' die sozialen Medien überschwemmt" hätten, steht in dem Artikel ebenfalls.

Alex Shephard ordnet den CNN-Kurs für "The New Republic" in einen größeren Kontext ein:

"Da Donald Trump nicht mehr im Amt ist, werben die Medien erneut um die Republikaner, in der Hoffnung, nach Jahren unerbittlicher Kritik das Vertrauen zurückzugewinnen. Natürlich ist dies ein vergebliches Unterfangen, das die (…) journalistische Integrität törichterweise opfert, in der vagen Hoffnung, Konvertiten einer autoritären Partei zu gewinnen, die die freie Presse zerstören würde, wenn sie nur eine halbe Chance hätte."

Ein anderes Beispiel für diesen "törichten" Kurs:

"(Chris Licht) hat sich in den letzten Wochen mit Republikanern im Kongress getroffen, um herauszufinden, wie er und der Sender ihr 'Vertrauen' 'zurückgewinnen' können."

So gegenüber Personen zu agieren, die in böser Absicht handelten und anstrebten, die Journalismusbranche zu zerstören (im Original: "… who operate in bad faith and seek the destruction of your industry …"), sei "immer eine dumme Sache". Diese Kritik, die unter anderen Vorzeichen auch auf hiesige Medien zutrifft, münzt Shephard dann auch noch auf "eine andere Gruppe von Narren", und zwar bei "Politico".

Womit gewissermaßen ein deutscher Bezug ins Spiel kommt. Shephard hebt dann ab auf die von der "Washington Post" publik gemachten und hier am Mittwoch aufgegriffenen Äußerungen des Ironie-Papsts Mathias Döpfner, der in seiner Eigenschaft als Springer-CEO gewissermaßen der oberste "Politico"-Stratege ist.

Die Kernfrage des Textes ist bereits im Vorspann formuliert:

"Ignorieren diese Medien wirklich, dass unsere Demokratie bedroht ist, oder wollen sie von ihrem Untergang profitieren?"

Im wöchentlichen Newsletter des "Dame Magazine" kritisiert Gründerin Jennifer Reitman die aus ihrer Sicht fatale mangelnde Bereitschaft vieler Medien, Trumpismus als Faschismus zu bezeichnen. Faschisten Faschisten zu nennen - damit haben ja auch die lieben Kolleginnen und Kollegen in Deutschland so ihre Probleme (was manchmal, aber gewiss nicht immer, presserechtliche Gründe hat). Reitman schreibt jedenfalls:

"Nobody wants to use the 'F' word seriously. They bury us in horse-race coverage, admonish the wrong people, and dull the edges of this urgent emergency. This past week has been the clearest case study on the impact of Both Sides Journalism I’ve seen to date. The summation of most headlines or chyrons: The insurrection, fascism, and extremism are bad—but a president saying so out loud is also bad. This kind of coverage merely provides a distracting and flawed reaction to a grave situation that will only continue to fester. We deserve—and desperately need—better."

Zur Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland ist es von hier vielleicht ein weiter Schritt, aber dass in der bereits erwähnten Antwort Claus Klebers auf die "Was würden Sie jetzt an den Öffentlich-Rechtlichen ändern?"-Frage der "Zeit" auch das Stichwort "USA" fällt, macht uns den Übergang etwas leichter. Jedenfalls schreibt der langjährige Moderator des "Heute Journals":

"Es ist kein Zufall, dass populistische, nach totaler Macht strebende Herrscher stets die freie Presse angreifen – in den USA, in Polen, Ungarn, der Türkei. In Russland. Hannah Arendt hat den Mechanismus beschrieben, auf den Putin und seinesgleichen bauen: 'Ein Volk, das nichts mehr glauben kann, kann sich zu nichts mehr entschließen. Ihm wird nicht nur die Fähigkeit geraubt zu handeln, sondern auch die Fähigkeit zu denken und zu urteilen. Mit so einem Volk kann man machen, was man will.’"

Klebers Schlussfolgerung:

"Auch wenn es bombastisch klingt: Deutschland hat mit seinen der Öffentlichkeit verpflichteten, politisch und wirtschaftlich unabhängigen Medien ein Bollwerk gegen solche zersetzenden Kräfte geschaffen. Es wäre ein fataler Fehler, dagegen ausgerechnet jetzt die Bulldozer in Marsch zu setzen."

Schwache Wahlbeteiligung der RBB-Rundfunkräte

Ein Blick auf die Skandal-Hotspots der ARD kann natürlich auch heute nicht ausbleiben. Beginnen wir mit dem RBB. Die dortige Freienvertreterin Dagmar Bednarek kritisiert die frisch gewählte Interimsintendantin Katrin Vernau (siehe Altpapier von Donnerstag), die sich der Zwei-Länder-Sender vom WDR ausleiht:

"Ihr eilt der Ruf voraus, eine knallharte Verhandlerin zu sein. Im RBB laufen derzeit etliche Tarifverhandlungen (…) Gehalts- und Honorarverhandlungen starten im Herbst, da ist die Sorge natürlich groß, dass die Beschäftigten, wieder einmal, zu kurz kommen."

So wird sie in einem "Tagesspiegel"-Kommentar zitiert. Das Unbehagen Bednareks könnte ein Text genährt habe, den ich in der vergangenen Woche für "Übermedien" geschrieben habe (in dem Vernau eine Rolle spielt). Auch RBB-Medienjournalist Wagner übt Kritik an der Wahl (im Inforadio des eigenen Hauses).

Auf einen Umstand, den man in anderen Kontexten als mangelnde Wahlbeteiligung bezeichnen würde, weist Michael Hanfeld in der FAZ (€) hin. Er kritisiert, dass "neun von 29 Rundfunkräten" den Termin geschwänzt haben:

"Wir (…) fragen uns: Was ist das für ein Rundfunkrat? Zu dieser wichtigen Sitzung erscheinen neun Räte gleich gar nicht, sieben stimmen im ersten Wahlgang gegen die Kandidatin, einer enthält sich. Ist das die Lust am eigenen Untergang?"

Wobei "wichtiger Termin" ja eher noch untertrieben ist.

Neues aus den norddeutschen Sumpfgebieten

Was die Kritik am NDR angeht, lassen sich die jüngsten Veröffentlichungen vielleicht so zusammenfassen: Die Vorwürfe reichen jetzt bis ganz nach oben, aber sie gehen auch in die Breite. Um mit letzterem Aspekt zu beginnen: Das Hamburger Abendblatt (€) erwähnte am Donnerstag im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen gegen die dortige Landesfunkhauschefin Sabine Rossbach (siehe Altpapier), von der seit heute bekannt ist, dass sie, wie es Intendant Joachim Knuth recht nebulös formuliert, "in den kommenden Monaten den Weg frei für einen Neuanfang macht":

"Die eigenen Anforderungen des NDR könnten dabei aber sowohl für Rossbach als auch weitere Beschäftigte zum Problem werden. Ausdrücklich verpflichtet der Sender nämlich alle Bediensteten dazu, darauf zu achten, dass 'schon der Anschein einer Bereitschaft zur Korruption vermieden wird'  -  so steht es in den 'Regelungen zum Schutz vor Korruption' im NDR, die als Dienstanweisung rechtsverbindlich sind (…) Auch Mitarbeitende, die keine Belege für eine Einflussnahme sehen, hatten Rossbach doch zumindest diesen üblen Anschein vorgeworfen (…) (Es )besteht nach der Dienstanweisung auch eine schriftliche Meldepflicht: Nicht nur die betroffenen Beschäftigten, sondern auch andere Mitarbeitende, die von Korruptionsverdacht erfahren, sind dabei eingeschlossen. Auch hier heißt es in der Dienstanweisung ausdrücklich: 'Alle Mitarbeiter*innen sollen diese Unterrichtung auch dann vornehmen, wenn es den (begründeten) Verdacht von korruptem Verhalten im NDR oder bei den Beziehungen des NDR zu Dritten gibt.' Verstießen Mitarbeitende gegen das Regelwerk oder 'sonstige Vorschriften zur Korruptionsvermeidung', sei zu prüfen, ob und welche arbeitsrechtlichen oder sogar strafrechtlichen 'Maßnahmen zu veranlassen seien'."

Und zur Lage ganz oben im NDR: Wie es in einem Artikel in der neuen Ausgabe des gedruckten "Stern" heißt (in dem mehrere online bei "Stern Plus" erschienene Recherchen der vergangenen Tage noch einmal zusammengefasst sind), "bestätigt der NDR, dass der damalige Intendant Lutz Marmor" 2019 darüber "informiert war", dass der derzeit sich im Urlaub befindende Kieler Landesfunkhausdirektor Volker Thormählen einen Redakteur angehalten haben soll, "im Sinne der Landesregierung (zu) berichten" (wie es der betroffene Journalist Patrick Baab schildert). Es ging um die Berichterstattung über einen Polizeiskandal, über die sich Landespolizeidirektor Ralf Höhs zuvor beim Funkhauschef beschwert haben soll.

Die "Lübecker Nachrichten" (€) drehen die "Stern"-Recherchen unter der Überschrift "NDR Kiel: Wie stark war der Einfluss der Landespolizei?" so weiter:

Sollte es sich so zugetragen haben (wie Baab es schildert), stünde allerdings die Frage im Raum, ob Höhs seinen Vorstoß mit der politischen Führung der Innenbehörde abgestimmt hat. Im Kieler Innenministerium lässt sich auf LN-Anfrage zumindest auf die Schnelle offenbar kein Schriftverkehr in dieser Sache finden. Regierungssprecher Peter Höver ist sich sicher: Eine Abstimmung des Vorstoßes mit der Pressestelle der Staatskanzlei hat es in so einer Sache nicht gegeben."

Klimajournalismus: Es braucht Fortbildungen für alle

Wenn wir derzeit über strukturelle Probleme sprechen, dann vornehmlich darüber, wie sich die Leitung und Kontrolle öffentlich-rechtlicher Anstalten verbessern lassen. Es sollten aber auch strukturelle Probleme anderer Art nicht aus dem Blick geraten. Sara Schurmann weist in einem Gastbeitrag für "Übemedien" darauf hin:

"In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder vorgeschlagen, übergangsweise Klimaredaktionen zu gründen, um Expertise im eigenen Haus aufzubauen und auf die Themen aufmerksam zu machen. Ich habe gefordert, dass Chefredaktionen Journalist*innen entsprechende Räume und Ressourcen anbieten, um sich einzuarbeiten. Denn die mangelnde Berichterstattung ist nicht die Schuld einzelner Journalist*innen, sondern ein strukturelles Problem. Diese Schritte wären noch immer richtig und wichtig, aber wenn man sieht, wie die Klimakrise eskaliert, wird klar: Auch das ist zu wenig und zu spät."

Schurmann blickt folgendermaßen nach vorn:

"Was es eigentlich braucht, ist ein tiefgreifender Bewusstseinswandel. Was uns dem näher bringen würde – und auch das fordere ich –, wären Fortbildungen für alle. Angekündigt hatten das im Sommer 2021 der irische öffentlich-rechtliche TV-Sender RTÉ und vor Kurzem erst der französische Sender Radio France. Um da hinzukommen, braucht es offenbar mehr Druck auf die Chefetagen – und eine ernsthafte, angemessene Debatte. Diese gibt es bisher nicht."


Altpapierkorb (der Mord an Jeff German, der Angriff eines Schrankenwärters, narrativer Fressrausch)

+++ Der Hauptteil beginnt heute in den USA, also machen wir das beim Altpapierkorb mal genauso. Die "Süddeutsche" (€) würdigt den am Samstag im Alter von 69 Jahren vor seinem Haus in Las Vegas erstochenen Investigativjournalisten Jeff German - und meldet die Verhaftung eines Verdächtigen: "Am Mittwoch (…) nahm die Polizei Robert Telles fest, der seine Wiederwahl als Leiter der Nachlassverwaltung im Las-Vegas-Bezirk Clark County im Juni bereits in den Vorwahlen nach Enthüllungen von German verloren hatte - es ging um Vetternwirtschaft, feindseliges Arbeitsklima und unerlaubte Beziehungen mit Mitarbeitern. Telles hatte die Anschuldigungen als unwahr zurückgewiesen und German als 'besessen' bezeichnet."

+++ "Dieser gewalttätige Angriff auf Journalisten bei einem Dreh hat eine neue Qualität, die es bisher so in Niedersachsen nicht gegeben hat", kommentiert der DJV Niedersachsen den Angriff eines Schrankenwärters auf einen NDR-Mitarbeiter, der gestern bereits im Altpapierkorb Thema war und den heute die "Süddeutsche" auf ihrer Medienseite aufgreift.

+++ Johannes Franzen nennt in der Schweizer "Wochenzeitung" Beispiele für ein mediales Phänomen, das er als "narrativen Fressrausch" bezeichnet: "Wenn ein Artikel über die Absurditäten der 'Gendersprache' einmal einen Klicktriumph erzeugt hat, kann man sich sicher sein, dass auch der nächste Artikel dieser Art einschlagen wird. So erklärt sich etwa die eigentümliche mediale Obsession mit Konflikten über Dreadlocks. Nachdem im Juli in Bern ein Konzert abgebrochen wurde, weil sich Zuschauer:innen an den Frisuren weißer Bandmitglieder gestört hatten, machten ­einige Medien daraus ein diskursives Fünf-Gänge-Menü. Einen ähnlichen Fall gab es im März in Deutschland, als eine weiße Musikerin wegen ihrer Dreadlocks von einer 'Fridays for Future'-Demonstration in Hannover ausgeladen wurde. Auch hier schien es für ein paar Tage kein anderes Thema zu geben, wobei sich vom tiefgründigsten Feuilleton bis zum oberflächlichsten Boulevard alle an der Berichterstattung und der Debatte beteiligten."

Neues Altpapier gibt es am Montag. Wir wünschen ein schönes Wochenende!

1 Kommentar

Niemann am 11.09.2022

Es ist doch immer wieder erstaunlich das die MDR-Redaktion glaubt das Kommentare mit unsichtbarer Geheimtinte geschrieben werden und es deswegen all zu oft zu 0 Kommentare kommt, zumal die Kommentarfunktionen beim MDR inzwischen auch noch deutlich eingeschränkt sind. Dagegen sind immer ausführlicher die Reinwaschungsversuche für den ÖRR zu lesen obwohl der für mich seine Existenzberechtigung verloren hat. Es braucht keine (Schein)Reformen es braucht etwas Neues, für und nicht gegen die Bevölkerung. Zuallererst gehören aber die Zwangsgebühren ersatzlos abgeschafft. Öffentlich heißt nicht von üppig zwangseingetriebenen Gebühren zu leben worüber der Staat noch seine schützende Hand legt weil ja auch der ÖRR stets zu Diensten ist. Und was die Fortbildung betrifft, die braucht es nicht, man kann ein Land auch ohne Sach- und Fachkenntnisse ruinieren und kaputt machen. Wir erleben es gerade! Dazu reicht grüne ideologische Verblendung gepaart mit Wählerverachtung!

Mehr vom Altpapier

Kontakt