Das Altpapier am 02. Dezember 2022: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Das Altpapier am 02. Dezember 2022 Des Kaisers neue Kleider im RBB

02. Dezember 2022, 10:06 Uhr

Der RBB verabschiedet sich von teuren Plänen und womöglich auch einer Kultur des Wegsehens. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert – Überraschung – eine Verschlankung der Öffentlich-Rechtlichen.

Digitales Medienhaus: Abschied von Schlesingers Lieblingsprojekt

Nie wieder werden deutsche Journalistinnen und Journalisten das Wort "Massagesitz" hören, ohne an eine gewisse Ex-Intendantin zu denken. Witze über die fehlende Massagefunktion des eigenen Bürostuhls gehören in öffentlich-rechtlichen Redaktionskonferenzen inzwischen zum guten Ton.

Die Liste der gegen Patricia Schlesinger vorgebrachten Vorwürfe ist natürlich weit länger. Dass sich die meisten davon inzwischen erhärtet haben, hat ein erster Zwischenbericht der mit der Aufklärung beauftragten Kanzlei Ende Oktober bereits gezeigt (Tagesschau). Nun ist auch klar, was aus dem Prestige-Projekt wird, für das die ehemalige RBB-Chefin ebenfalls in der Kritik stand: Der Sender wird das geplante "Digitale Medienhaus" in Berlin, ein 13.000 Quadratmeter großer Koloss mit viel Holz und Glas, nicht bauen.

Der RBB-Verwaltungsrat stimmte einem entsprechenden Vorschlag von Intendantin Dr. Katrin Vernau am Donnerstag (1.12.22) zu. Gründe für den endgültigen Stopp sind sowohl die fehlende Akzeptanz in der Belegschaft des RBB als auch die Kostenentwicklung des Projekts. Das bedeutet das unwiderrufliche Ende für das Vorhaben.

So steht es in einer RBB-Pressemitteilung von gestern Nachmittag. Die fehlende Akzeptanz illustrierte die RBB-"Abendschau" gestern mit Stimmen von Beschäftigten. Was sich Brisantes hinter dem schnöden Begriff "Kostenentwicklung" verbirgt, ordnet wiederum Claudia Tieschky in der "Süddeutschen Zeitung" (€) ein:

"Schlesinger selbst hatte in ihrer letzten Rede vor dem Rundfunkrat im August höhere Kosten durch 'Umplanungen und Preissteigerungen' eingeräumt und gehofft: 'Möge es gelingen.' Sie sprach damals von angefragten Baukrediten in Höhe von 188 Millionen und verschob damit zum Schrecken vieler im Sender die Dimension stark nach oben. Ihre Nachfolgerin Katrin Vernau bezifferte die Kosten für den Bau am Donnerstag überraschend noch einmal weit höher als bisher angenommen – auf 311 Millionen Euro."

Das liegt daran, dass wohl Personal, Risiken und Zinsen nicht einkalkuliert waren. Aus Tieschkys Sicht ein deutliches Versagen der Kontrolle in dem Sender:

"Noch 2021 sprach die Senderspitze von nicht viel mehr als 65 Millionen Euro. Doch das RBB-eigene Rechercheteam gelangte im Oktober an nicht öffentlich gemachte Zahlen, denen zufolge bereits erste Prognosen für den Bau bei weit über 200 Millionen Euro gelegen haben sollen. Hat das niemand gewusst? Oder nur niemand gesagt?"

Das Projekt sei systematisch kleingerechnet worden, sagte Katrin Vernau der RBB-"Abendschau". Erst 65 Millionen, dann plötzlich 188 Millionen – man fragt sich, wo die Schmerzgrenze der Aufsichtsgremien gelegen hätte.

Zum Vergleich: Laut Wirtschaftsplan 2022 rechnete der Sender mit Aufwendungen im ganzen Jahr von knapp 570 Millionen Euro. In einem RBB-Beitrag von vor fast genau einem Jahr hieß es damals noch in sehr umständlichen Pressemeldungsdeutsch:

"Die Anhebung des Investitionsetats ist bedingt durch die Intensivierung der baulichen Aktivitäten am Standort Berlin. Dort sollen im Digitalen Medienhaus Redaktions- und Produktionsflächen für die crossmediale Zusammenarbeit entstehen. Das bereits in Betrieb genommene Crossmediale Newscenter wird im Digitalen Medienhaus aufgehen."

Im Vergleich zur kritischen RBB-Berichterstattung über das eigene Haus in den vergangenen Monaten liest sich der Beitrag von damals geradezu handzahm (und nah an der hauseigenen Pressemitteilung). Interessanterweise ist schon damals in ebenjener RBB-Pressemitteilung von einem Fehlbetrag von 41,8 Millionen Euro die Rede – fast exakt die Summe, die Katrin Vernau nun im Rasenmäher-Verfahren einsparen will, allerdings in zwei Jahren (RBB).

Jan Schulte-Kellinghaus: Abschied von einem Anspruch auf Ruhegeld

In der Debatte um das Medienhaus geht eine weitere Meldung fast unter: Der Verwaltungsrat hat auch den Abgang des bisherigen RBB-Programmdirektors und (seit kurzem) stellvertretenden Intendanten Jan Schulte-Kellinghaus zum 31. Januar nächsten Jahres eingetütet – mit seinem Abschied ist von Schlesingers alter Führungsspitze nun kaum noch jemand im Sender.

"Wie lange er noch bezahlt wird, auf was er verzichtet", berichtet unter anderem Manuel Weis für DWDL. Denn dass Schulte-Kellinghaus seinen Posten aufgeben wollte, war zwar bekannt, aber natürlich werden die Konditionen nach den jüngst enthüllten Ruhegeldregelungen im RBB (Altpapier) besonders kritisch betrachtet. Der RBB (die Redaktion, nicht die Pressestelle) berichtet dazu:

"Die Laufzeit seines bis März 2027 laufenden Fünf-Jahres-Vertrages wird laut Unternehmensleitung in dem Aufhebungsvertrag um gut zwei Jahre verkürzt. Der Vereinbarung zufolge erhält Schulte-Kellinghaus noch für rund zwei Jahre sein volles Gehalt. Nach Angaben der Unternehmensleitung verzichtet er auf Ruhegeldzahlungen, die ihm bis zum Renteneintritt zugestanden hätten. Den Verzicht auf mögliche Bonus-Zahlungen hatte er bereits zuvor angekündigt."

Der "Tagesspiegel" hat den Noch-Programmdirektor dazu in einem (kurzen) Interview befragt. Er schlägt dort Töne an, die aus den obersten Etagen der Sender viel zu selten zu hören sind:

"Mir ist an dieser Stelle wirklich wichtig: Ich habe nichts gefordert, sondern auf das nachvertragliche Ruhegeld verzichtet. Auch auf alle zukünftigen Prämien. Die Prämie dieses Jahres habe ich bereits im August zurückgezahlt. Deshalb ging es in den Verhandlungen neben der Altersvorsorge noch um den Fünf-Jahres-Vertrag, den ich im März unterschrieben habe. Den haben wir um gut zwei Jahre verkürzt. Auf dieser Basis bin ich ab Februar freigestellt und werde die Zeit nutzen, um mir einen neuen Job zu suchen."

Über seine Zusammenarbeit mit Patricia Schlesinger habe er im Rückblick viel gelernt, sagt Schulte-Kellinghaus noch:

"Wenn der Kaiser keine Kleider trägt, muss man das aussprechen und konsequent handeln."

Dieses Motto könnte sich der RBB-Verwaltungsrat auch gut eingerahmt an die Wand hängen – für die nächsten großen Bauprojekte.

Reformen der Öffentlich-Rechtlichen: Die FDP legt vor

Dass es für Einsparungen beim RBB und den anderen öffentlich-rechtlichen Sendern noch einiges Potential gibt: Diese Meinung vertritt die FDP-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier, das Helmut Hartung exklusiv auf der Medienseite der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (€) vorstellt und das online noch nicht zu finden ist.

"'Nie war die Kritik und die Empörung in der Bevölkerung über das Gebaren der Führungseliten der Sender lauter', stellt Thomas Hacker, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit der f.a.z. fest. Es dürfe keine Tabus oder heiligen Kühe geben, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland neu aufgestellt werden soll."

Unter anderem hat Hacker die "Kleinstsender" im Blick, die sich größeren Anstalten anschließen sollten. Diese Position lässt sich auf Bundesebene leicht einnehmen – handeln müssen die Länder, die naturgemäß kein Interesse haben, die Anstalten in ihrem Hoheitsgebiet dicht zu machen. Das Positionspapier fordert laut FAZ deswegen auch, dass einzelne Länder hierbei überstimmt werden können sollen.

Laut FDP-Fraktion soll der Rundfunkbeitrag zunächst nicht erhöht, später dann sogar gesenkt werden. Gelingen soll das mit einer Reihe von Maßnahmen, darunter die Begrenzung des Online-Auftrags und die Aufteilung von regionalen und nationalen Inhalten.

Was auch immer man von diesen Vorschlägen halten mag: Immerhin hat sich eine politische Gruppe, die tatsächlich in einer politisch relevanten Position ist, die Mühe gemacht, konkrete Reformvorschläge auszuarbeiten. Damit liegt jetzt eine politisch legitimierte Diskussionsgrundlage vor, die über Absichtserklärungen in Interviews hinausgeht. Dass die Ideen an sich nicht sonderlich neu sind, sondern schon oft gehört, liegt in der Natur der Sache.

Ebenfalls nicht neu, aber auch erwähnenswert ist, was die SZ-Kolumnistin Jagoda Mariniç von ARD und ZDF fordert (€) – nämlich anspruchsvollere Inhalte:

"Die BBC präsentiert zur Weihnachtszeit die 'Reith Lecture' zum Thema Meinungsfreiheit, in der etwa die Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie ihren Blick auf die Debatte rund ums Thema 'Wokeness' formuliert. Die Leute herausfordern – das scheint ein Gedanke zu sein, der vor lauter 'Die Leute abholen, wo sie sind!' abhanden gekommen ist. Die fehlende Qualität rechtfertigen viele Verantwortliche, indem sie dem Publikum schlechten Geschmack unterstellen."

Damit schrecken die Sender sogar jemanden ab, der jahrzehntelang selbst Programm bei der ARD gemacht hat – "als einer der am längsten amtierenden" deutschen Journalisten (SZ, €). Der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert feiert heute seinen 80. Geburtstag und hat der "Bild am Sonntag" vor kurzem seine Sicht auf ARD und ZDF geschildert:

"Die Politik müsste den Mut haben, Tabula rasa zu machen und meinetwegen Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk abschaffen und eine ganze Reihe von anderen Dingen reduzieren. […] Außerdem brauchen wir Mut bei den Intendanten, über das Programm nachzudenken. Vor allem bei Dingen, die gefühlt automatisch laufen. Jeden Tag ein Krimi oder die Wiederholung eines Krimis muss doch nicht sein. Es fällt mir langsam schwer, mir das immer wieder angucken zu sollen."

Ein schönes Porträt von Ulrich Wickert findet sich außerdem in der SZ (€), ein weiteres Interview mit ihm beim "Tagesspiegel" (€). Dass er auch hier "mehr Mut" von den Intendanten fordert, gibt Anlass zu Träumereien, wie Wickert wohl als Intendant in der Krise agiert hätte…

Altpapierkorb

+++ Dass den Nachttisch von Elon Musk angeblich "Waffen und Cola" zieren, wissen Twitter-Leser seit einem entsprechenden Foto, dass der Milliardär selbst getwittert hat. Die FAZ strickt daraus einen ganzen Aufmacher für ihre Medienseite. Autorin Nina Rehfeld kommt darin zu dem Schluss: "Ähnlich wie einst Donald Trump hat sich Musk mit seinem skurrilen Verhalten ein großes Aufmerksamkeitspotential erstritten." Wozu Texte wie dieser natürlich immer weiter beitragen.

+++ Ein echter Coup ist diese Woche der "New York Times” gelungen: Sie hat ein Live-Interview mit Sam Bankman-Fried geführt, Gründer der kürzlich gescheiterten Krypto-Börsenplattform FTX. Zu sehen ist das Ganze auf YouTube. Vereinbart worden war das Gespräch wohl schon vor dem Crash, geführt wurde es nun per Video, wobei Bankman-Fried angeblich auf den Bahamas saß.

+++ In Frankreich ist ein jahrelanger Starmoderator der Hauptnachrichten in einen Me-too-Skandal verwickelt, mehr zum aktuellen Stand in der "Welt" (€).

+++ Der "Tagesspiegel" (€) hat ZDF-Satiriker Jan Böhmermann jetzt auch interviewt. "Man kann sagen, was man möchte. Man muss halt mit den Konsequenzen leben", lautet die Überschrift in der Print-Ausgabe.

+++ In der taz warnt Ali Celikkan vor dem finanziellen Aus des deutsch-türkischen Mediums "Özgürüz" von Can Dündar.

+++ Über den aktuellen Stand eine Anzeige gegen die "Neue Zürcher Zeitung" wegen Verletzung von Arbeitsrecht berichtet der infosperber. Es geht um die angeblich mangelhafte Erfassung von Arbeitszeit und insbesondere Überstunden.

+++ Ach ja, die WM… war da was?

Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab. Schönes Wochenende!

0 Kommentare

Mehr vom Altpapier

Kontakt