Das Altpapier am 30. Januar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor René Martens kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 30. Januar 2023 Revolution in Köln?

30. Januar 2023, 15:04 Uhr

Die taz hat einen Fall recherchiert, der Aufschluss darüber gibt, wie Olaf Scholz "sein Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren will". Im WDR-Rundfunkrat gibt es angeblich eine Mehrheit, die die "Konfrontation" mit dem Intendanten sucht. Außerdem: Warum wir lieber von "Parallelmedien" als von "Alternativmedien" sprechen sollten. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Wenn das Kanzleramt eine Interviewerin engagiert

Hätten Sie’s gewusst? "Zervakis & Opdenhövel. Live" gibt es noch, am Mittwoch läuft bei Pro Sieben die nun auch schon 44. Folge. Ok, das war jetzt ein bisschen gemein, aber dass sich die Sendung eine Relevanz erarbeitet hat, die dem Medienecho entspräche, das einst der Wechsel von Linda Zervakis zu Pro Sieben ausgelöst hat, lässt sich nicht behaupten.

Zervakis hat nun gerade auf andere, für sie weniger erfreuliche Weise die Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Sebastian Erb hat für die taz die Hintergründe eines Gesprächs recherchiert, das Zervakis im Juni 2022 auf der Bühne der Republica mit Olaf Scholz geführt hat:

"Wie taz-Recherchen ergeben, wurde Moderatorin Zervakis vom Kanzleramt ausgesucht und engagiert, nicht vom Veranstalter. Kommuniziert wurde das nicht. Es sollte aussehen wie ein Gespräch mit einer unabhängigen Moderatorin. Die Geschichte von Scholz’ Auftritt auf der Republica gibt einen bislang unbekannten Einblick, wie der Bundeskanzler sein Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren will."

Dass diese Recherchen Aufschluss darüber geben, "wie der Bundeskanzler sein Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren will", passt insofern gut, weil in der medienjournalistischen Berichterstattung ja gerade Thema ist, wie Scholz, als er noch Bundesfinanzminister war, "massive Einflussversuche" auf Journalisten unternahm bzw. unternehmen ließ. Das ist die von Branchendiensten verbreitete Botschaft eines Interviews, das im Fachblatt "Wirtschaftsjournalist:in" erschienen ist (siehe Altpapier von Mittwoch).

Der Manager von Zervakis und Pro Sieben werden in dem taz-Text mit den Worten zitiert, die Moderatorin habe für das Gespräch kein Honorar bekommen. Hat sie sich etwa kaufen lassen, ohne bezahlt zu werden? Das wäre ja die allerschlimmste Variante. Und die Position der Republica dazu? Erb schreibt:

"Im Organisationsteam der Republica wurde die Sache kontrovers diskutiert: Soll man sich wirklich darauf einlassen, dass der Gast selbst die Moderatorin aussucht und mitbringt? Aber man wollte nicht auf den Kanzlerbesuch verzichten, Scholz schafft Aufmerksamkeit, er ist der erste Bundeskanzler, der die Konferenz besucht. Auf taz-Anfrage schreibt die Sprecherin der Republica: 'Eine Ausladung hätte vieles überlagert, auf das wir lange hingearbeitet haben. Wir wollten lieber inhaltliche Schwerpunkte mit vielen anderen Gästen setzen.’"

Unplausibel ist das nicht, aber die Integrität der Republica wäre durch die Ausladung gestärkt worden, nun ist sie beschädigt. Bei der Entscheidung, die Sache nicht öffentlich zu machen, scheint die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann dann doch einmal öffentlich werden könnte, als relativ gering eingeschätzt worden zu sein, und das kann man dann schon ein bisschen naiv finden.

So ergibt sich eine Lose-lose-lose-Situation, denn der Schaden für Zervakis ist ebenfalls nicht gering, und auch Scholz steht aufgrund der Recherchen natürlich nicht gut da. Aber der Mann hat ja nun schon ganz andere Dinge weggescholzt, ihn kratzt die Enthüllung wohl am wenigsten.

Beraterparadies ARD

Der Begriff "Berater" hat im Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk längst einen maximal schmuddeligen Beiklang. Dazu hat der RBB einen großen Beitrag geleistet (siehe u.v.a. hier und hier) und der NDR einen, der mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte (Altpapier)

Das hat den SWR aber nicht davon abgehalten, zwei "externe Kommunikationsberater" zu engagieren, und zwar von einem Zweig des Unternehmens Fischer Appelt. Dabei wäre es ja nun keine allzu steile These, wenn man behauptete, dass der SWR selbst über allerlei Kommunikations-Vollprofis verfügt.

Was kostet der Spaß? Dazu schreibt "Der Spiegel", der in der Angelegenheit recherchiert hat:

"Wie viel Geld die Agentur bekommt, verrät der SWR nicht: 'Wir können versichern, dass das Angebot von fischerAppelt nicht das höchste Angebot war.'"

Und wofür genau wird die unbekannte Summe eigentlich ausgegeben?

"Der SWR begründet das Engagement mit dem 'umfangreichen Reformprozess', in dem sich die ARD befinde. Außerdem habe man den Vorsitz 'deutlich früher als vorgesehen' übernommen und sich rascher vorbereiten müssen als geplant."

Darauf nimmt das Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung (DIMBB) in seinem aktuellen Newsletter mit folgender Formulierung Bezug:

"Das ARD-Generalsekretariat in Berlin unterstützt den üblicherweise alle zwei Jahre wechselnden Vorsitz der ARD bei der Geschäftsführung des Senderverbunds bei der strategischen Positionierung der ARD, der Interessenvertretung nach außen und der Öffentlichkeitsarbeit."

Der Satz ist keineswegs eine Kreation des DIMBB, er stammt von der ARD selbst. Er ist auf der Website ard.de zu finden, die trotz ihres klangvollen Namens inhaltlich insgesamt übrigens derart wenig hermacht, dass sich die Frage "Wer braucht eigentlich ard.de?" durchaus stellen lässt. In einem der vier Teile meiner Kolumne für die aktuelle Ausgabe des "Medium Magazins" habe ich das getan; der entsprechende Abschnitt steht nunmehr frei online.

Das DiMBB weist noch darauf hin, dass das Generalsekretariat "über 12 Planstellen und einen Etat von ca. 2 Mio. Euro" habe. Die Sekretariatsleute werden mit den externen Beratern bestimmt konstruktiv zusammenarbeiten. Aber, um mal einen Tick ernsthafter zu werden: Könnten sich die Landesrundfunkanstalten der ARD nicht in einem Moratorium verpflichten, für, sagen wir mal: fünf Jahre keine externen "Berater" zu beschäftigen?

Feindbild Luisa Neubauer

"Die Mehrheit des WDR-Rundfunkrates fühlt sich wohl in der Rolle als Tom Buhrows Bettvorleger", hieß es im Sommer 2021 an dieser Stelle, und an dem nicht völlig klischeefreien, aber auch nicht völlig wirklichkeitsfernen Bild, dass Rundfunkratsmitglieder nur "Abnicker" seien, haben die des WDR insgesamt keinen geringen Anteil.

Tempi passati! Denn: Kampfbereit wie noch keine Gruppe von Gremien-Gremlins vor ihnen in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks will die, so die "Welt am Sonntag", "Mehrheit" des WDR-Rundfunkrats in eine Schlacht ziehen, über die einst medienhistorische Wälzer erscheinen werden. Konkret heißt’s in der WamS dazu:

"In der kommenden Woche dürfte es im Westdeutschen Rundfunk (WDR) zum Eklat kommen."

Vor ein paar Tagen sei es bereits "in einer Sitzung des Programmausschusses - einem Untergremium des Rundfunkrats - zu einem ersten Zusammenstoß" zwischen den Aufsehern und Programmdirektor Jörg Schönenborn gekommen.

Was sind die Gründe für den "Zusammenstoß" und dafür, dass mit einem "Eklat" zu rechnen ist bzw. dass am morgigen Dienstag "die Mehrheit des Rundfunkrats bei der Sitzung mit Intendant Tom Buhrow und dessen Führungsspitze auf Konfrontation gehen" will?

Es geht darum, dass der Anfang des Jahres als "Hart aber fair"-Moderator angetretene Louis Klamroth "dem WDR seine Beziehung mit der Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer erst nach seiner Vertragsunterzeichnung offengelegt haben soll" (dwdl.de). In der "Welt am Sonntag" heißt es dazu weiter:

"Aus Sicht von Teilen des Rundfunkrats stellt die verspätete Information (…) einen Verstoß gegen die Compliance-Regeln des WDR dar. Diese besagen, Mitarbeiter müssten Berufliches und Privates strikt voneinander trennen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor dem Vorwurf politischer Interessenkonflikte zu schützen."

Markus Ehrenberg erwähnt im "Tagesspiegel" als Vergleich Fall den Fall "Lindner/Lehfeldt", der ja "schnell aus den Schlagzeilen verschwand", obwohl eine intensive Berichterstattung hier durchaus angemessen gewesen wäre, weil es hier darum ging/geht, dass für die "Welt" eine Journalistin über die FDP berichtet, die mit dem Bundesvorsitzenden der Partei verheiratet ist (siehe "Übermedien"). Anders gesagt: Wenn Louis Klamroth im ARD-Hauptstadtstudio Korrespondent für Klimapolitik wäre, könnte man die Diskussion führen, die die axelspringeresken Rundfunkräte des WDR jetzt führen wollen.

Letztlich geht es in der Klamroth/Neubauer-Sache nur um Feindbildpflege. Klaus Raab hat rund eine Woche vor Weihnachten an dieser Stelle bereits geschrieben, dass es diese Diskussion nicht gäbe, "wenn Neubauer einfaches CDU-Mitglied wäre oder für den Verbrenner demonstrieren würde".

Wie Parallelmedienmacher auf ihre Kritiker reagieren

Matthias Meisner gibt im "journalist" einen Überblick über das Spektrum der "Parallelmedien" und hat dafür auch mit anderen Beobachtern gesprochen (Disclosure: Ich bin einer davon). Meisner schreibt in dem Zusammenhang auch darüber, welche Reaktionen ihm seine Kritik an diesem Milieu eingebracht hat:

"'Tichys Einblick' sieht in mir einen 'Desorientierungsspezialisten'. Der Blogger Boris Reitschuster nennt mich "Karl-Lauterbach-Fan" – und meint das nicht nett. Das Portal 'Telepolis' setzt meine Berufsbezeichnung 'Journalist' in Gänsefüßchen. Vom Magazin 'Cicero' bekomme ich den Titel 'publizierender Aktivist'. Die 'Nachdenkseiten' schreiben, ich sei bekannt für meine 'intriganten Artikel gegen Sahra Wagenknecht'. Es sind dies Auszüge aus einer reichen Sammlung an Anwürfen, mit denen ich konfrontiert bin, seitdem ich mich intensiv mit 'alternativen Medien' beschäftige. Ich versehe diesen Begriff tatsächlich mit Gänsefüßchen. Parallelmedien nennen sich 'alternativ' oder 'frei'. Aber sie sind in der Medienlandschaft in aller Regel so wenig eine Alternative wie die AfD in der Parteienlandschaft."

"Parallelmedien" ist, wie ich finde, auch deshalb der bessere Begriff, weil die Menschen, die für sie schreiben, in einer Parallelwelt leben.

Die "Nachdenkseiten" spielen auch eine Rolle in einem weiteren aktuellen Meisner-Text: Für den "Volksverpetzer" führt er aus, wie der "verschwörungsideologische Blog, der immer wieder durch die Verbreitung von Kreml-Narrativen auffällt", sowohl der Bundestragsfraktion AfD als auch der der Linken als Quelle für Kleine Anfragen dient.


Altpapierkorb (die "New York Times" und ihr putinesker Informant, RTL-Zeitschriftenverkaufs-Stichtag, die Audio-Livestreams der "Sportschau", Interview mit taz-"Steuermann" a.D.)

+++ 2016 wollte sich die "New York Times" mit Enthüllungen über Hillary Clinton schon mal als harte Kritikerin der künftigen Präsidentin profilieren, ging dabei aber einem putinesken FBI-Dunkelmann auf den Leim und trug somit entscheidend dazu bei, dass nicht Clinton, sondern Putins Geistesbruder Donald Trump gewählt wurde. "The NYT should tell readers whether it helped crooked FBI agents get Trump elected in 2016", fordert Will Bunch daher im "Philadelphia Inquirer"."As a veteran journalist, I find the Times’ role in this fiasco — although likely an unwitting one — deeply disturbing", schreibt Bunch ebenfalls.

+++ Nachklapp zur Berichterstattung zur Zukunft der RTL-Zeitschriften (Altpapier von Donnerstag): Bertelsmann wolle "bis spätestens 15.Februar entschieden haben, was man mit den ehemaligen Gruner + Jahr-Magazinen macht", schreibt das "Hamburger Abendblatt". Der "Spiegel" hat mit der einen oder anderen "ehemaligen Führungskraft" von G+J gesprochen, deren Namen wir nicht erfahren, und die FAZ zitiert Kritik an Bertelsmann, die frühere G+J-Chefredakteure geäußert haben (Peter-Michael Gaede, Peter Lewandowski).

+++ Über das üppige Audio-Livestream-Angebot von sportschau.de und die Kritik daran von Vaunet-Seite schreibt Volker Nanning für "epd medien" (republiziert von turi2.de).

+++ Klaus Hillenbrand war "länger als jeder andere Journalist bei der taz", er war CvD und "Steuermann", und nun geht er in den Ruhestand. Anlässlich dessen hat ihn Arno Frank für "Übermedien" interviewt. Die unterhaltsamste Passage in dem aus vielen Gründen lesenswerten Gespräch entwickelt sich, als Frank, an welche "eigenen Katastrophen" sich Hillenbrand erinnere. Ich habe mal wunderbarerweise, gar nicht so lange her, ein Interview mit dem Verdi-Chef Frank Bsirske verwechselt. Ich hatte das auf dem Bildschirm und bearbeitet, obwohl es vor drei Jahren schon erschienen war." - "Ging das in den Druck?" - "Ja. Es ist uns – oder mir – einfach nicht aufgefallen. Übrigens auch sonst niemandem. Was einiges über uns erzählt. Oder auch über Verdi."

Das Altpapier am Dienstag schreibt Christian Bartels.

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