Das Altpapier am 13. Februar 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Autor Klaus Raab kommentiert im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 13. Februar 2023 Notwendigkeit oder Barbarei?

13. Februar 2023, 08:59 Uhr

Nach dem Kahlschlag bei Gruner+Jahr brachte das Wochenende allerhand Bertelsmann-Deutungen – auch sehr unterschiedliche. Das Ende von "Geo Epoche" ist womöglich doch noch nicht besiegelt, schreibt die "SZ". Und: Germany’s worst Castingshow geht weiter – und der "Spiegel" hat in Verträge geschaut. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Über die Gateopener der "Geo"-Gruppe

Wenig nervt so sehr wie andere Journalisten, die die eigene Idee umsetzen, bevor man es selber tat: Moritz Hürtgen ist also schuld daran, dass ich am Wochenende nicht alle "Geo"-Hefte gekauft habe, um sie heute hier im Altpapier zu besprechen, wie ich es eigentlich geplant hatte (Geott sei mein Zeuge). Hürtgen hat nämlich schon am Freitag für "Übermedien" über all jene Geo-Magazine geschrieben, die nun "der Schnitter holt" – also "Geo Epoche", "Geo Wissen", "Geo Wissen Ernährung", "Geo Wissen Gesundheit", "Geo Saison", "Geo Walden", "Geo Wohllebens Welt"…, im Grunde alle "Geos" außer dem Hauptheft und den Kinder-Magazinen "Geolino" und "Geolino mini". Wer keine Idee davon hatte, was man in einem Bahnhofskiosk allein unter dem Buchstaben "G" alles zum Lesen finden kann, der bekommt ihn in seinem Text. Über "Geo Wohllebens Welt" etwa schreibt Hürtgen:

"Wohlleben zeigt uns alle Kiefernarten (inkl. lateinischer Namen), erklärt mit Schulbuchillustrationen verschiedene Gletschertypen und die Fortbewegungsarten von Schlangen, besucht einen hessischen Korbmachermeister und eine Hutmacherin aus Niedersachsen. Schade drum!"

Für die Journalistinnen und Journalisten, die der jüngsten Entwicklungen bei RTL/Bertelsmann/Gruner+Jahr wegen nun ihre Jobs verlieren, ist es nicht nur schade drum, sondern dramatisch. Und die freien Mitarbeitenden, die sich auf einem für Freiberufler schwierigen Markt nach anderen Auftraggebern umschauen müssen, darf man auch nicht vergessen. Zumal das nicht nur ein paar Leutchen sind. Meedia.de hat dazu Zahlen:

"Einen Einblick kann Verena Carl geben. Sie schreibt als Freischaffende selbst seit langem für Gruner + Jahr und zeichnet folgendes Bild: 'Bei vielen der Hefte wurden sicherlich 70 bis 80 Prozent der Texte von Freien zugeliefert, etwa bei 'Barbara'.' Nach dieser Rechnung würden die Redaktionen im Verlag tatsächlich kaum betroffen sein, aber auch nur deswegen, weil die Mehrheit der Arbeit von freien Autorinnen und Autoren geschultert wurde. Für die dürfte der radikale Schnitt bei Gruner katastrophale Auswirkungen haben."

Eine andere Frage ist, was gesellschaftlich verloren geht durch die Strategieänderungen bei Gruner+Jahr. Es gibt jedenfalls auch ohne "Geo Wohllebens Welt" an sich genügend Literatur über alle Kiefernarten und Gletschertypen. Sie steht, zum Beispiel, in öffentlichen Büchereien. Man kann sie mit einem Bibliotheksausweis sogar billiger rezipieren, als mit einem Zeitschriften-Abo. Was der Gesellschaft also nicht abhanden kommt dadurch, dass ein Magazin wie "Geo Wohllebens Welt" einige Jahre nach dem Launch wieder eingestellt wird, sind Information, Wissen und Bildungsinhalte. Was sie aber sehr wohl verliert, sind eine marktgerechte Aufbereitung, die frei verfügbares Wissen attraktiv macht, und ein Wissensvertrieb, durch den Interessantes ins Haus geliefert wird. Der Journalistenberuf hat sich in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem vom Gatekeeper stärker zum Kurator entwickelt. Einige der vielen "Geo"-Produkte gehören zu diesen Wissens-Kuratoren, die Verfügbares leichter zugänglich machen. Vielleicht könnte man sie Gateopener nennen.

Alternativste Bertelsmann-Deutungen

Die Umbaumaßnahmen bei Gruner+Jahr, die hier im Altpapier vergangene Woche schon ein, nein zwei, nein drei, nein vier Mal aufgegriffen worden sind, sind nach wie vor ein Kernthema der medienjournalistischen Berichterstattung. Zum einen wurde am Wochenende der Moment erreicht, in dem der Bogen etwas weiter gespannt und etwa auch auf die Politik gerichtet wurde, etwa von Kurt Sagatz im "Tagesspiegel", der kommentiert:

"Seit Jahren wird nach Wegen gesucht, mit der Zustellförderung die Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit gedruckten Zeitungen und Zeitschriften auch in Zukunft sicherzustellen. Gerade erst hat eine Umfrage unter Zeitungsverlagen ergeben, dass zwei Drittel von ihnen die Zustellung in unwirtschaftlichen Bereichen in den nächsten drei Jahren aus Kostengründen infrage stellen. Es wird Zeit, dass die Politik bei diesem Thema Ergebnisse vorlegt."

Zum anderen befinden wir uns an einem Punkt der Berichterstattung, in dem alternative Deutungsangebote zur a) Umstrukturierung oder zum b) Ausmisten bei Gruner+Jahr unterbreitet werden. Alleralternativste Angebote, könnte man fast sagen. Da wäre nämlich, erstens, die alles in allem naheliegende Interpretation Willi Winklers in der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag. Er zog dort mit der typisch winklerschen Freude an der so treffenden wie bitterbösen Formulierung her über Bertelsmanns "Barbaren im Stammsitz in Gütersloh", die sogar noch weniger Ahnung vom Zeitschriftenmachen und vom Vergnügungsjournalismus hätten als die "Content-Manager der legendären Middelhoff-Schule", deren Zeit bei Bertelsmann längst vorüber ist.

Völlig anders fällt dagegen, zweitens, die Deutung des ehemaligen Gruner+Jahr-Zeitschriftenmachers Michalis Pantelouris aus, der in einem weiteren "Übermedien"-Beitrag zunächst ein wenig aus dem Nähkästchen über zugängliche Manager mit offenen Türen und Ohren plaudert, um dann folgende Argumentation zurückzuweisen:

"Die hochbezahlten Chefs in Gütersloh, also bei Bertelsmann, haben die Marken nicht ins Digitale überführt. Die Journalisten selbst können nichts dafür. Ich glaube, das stimmt so nicht."

Was stimme dagegen schon eher?

"Ich glaube, wir tendieren als Journalisten dazu, uns gegenseitig immer wieder zu versichern, wie gut und wichtig es ist, was wir tun. Wir sind elitär. Die Berichterstattung über den 'Kahlschlag' bei Gruner trieft vor Häme über Dieter Bohlen, RTL, 'schlechte Manager', die 'lieber mehr lesen' sollten. Aber keiner von uns Journalisten stellt sich hin und sagt: Ich habe Jahrzehnte gut bis sehr gut in diesem System gelebt, und ich habe mich extrem gegen Veränderung gesträubt, deshalb bin ich ein Stück weit Mitschuld daran, dass wir jetzt an diesem Punkt sind. Ich war zwei Jahre bei Gruner, ich bin kein Zeuge des gesamten Prozesses. Mir tut jeder leid, der seinen Job verliert. Aber ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass hier zu wenig Journalismus gefühlt und zu viel auf Zahlen geguckt wurde. Ich glaube, es war zu lange eher umgekehrt."

Die überraschendere Perspektive nimmt im direkten Vergleich mit Willi Winkler damit sicherlich Michalis Pantelouris ein. Ob die überraschendere auch die überzeugendere Perspektive ist, ist aber eine andere Frage, die bitte jede Leserin und jeder Leser für sich entscheidet.

Gibt es doch gute News für "Geo Epoche"?

Falls Sie Hilfe bei der Meinungsbildung brauchen sollten, hier noch ein Angebot: Alternativlos war die "RTellisierung" von Gruner+Jahr (Willi Winkler) wohl kaum. Und dass der "Zusammenschluss von RTL und Gruner+Jahr (…) unverändert Sinn" ergebe, wie Bertelsmann-Chef Thomas Rabe im als "teils selbstkritisch" wahrgenommenen "Spiegel"-Interview (das im Altpapier vom Freitag schon Thema war) behauptet hat, weil man "dadurch erheblichen Mehrwert" schaffe: Das ist ein Spin, den man schon ziemlich dringend hinterfragen sollte. Harald Staun tut es in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und fragt: Mehrwert für wen?

Und Steffen Grimberg hat in der "taz" auch noch ein paar Anmerkungen zu Thomas Rabe:

"Rabe ist ein reiner Machtmensch der Zahlen und erinnert ein bisschen an den dürren Bestatter aus den 'Lucky Luke'-Comics. (…) Wenn der 57-Jährige über mediale Inhalte spricht oder gar Journalismus zur Kardinaltugend erklärt, wirkt das nicht nur immer, als hätte es ihm die Pressestelle aufgeschrieben. Es ist es vermutlich auch genau so."

Tja, sowas kommt wohl von sowas. Andererseits versucht Rabe, es zumindest den noch schwankenden Beobachtern nicht zu leicht zu machen, ihn für einen kaltherzigen ahnungslosen, kulturbefreiten Zahlenkaspar zu halten. So könnte die Kritik, dass selbst Magazine mit soliden Print-Verkaufszahlen eingestellt werden sollen – wie "Geo Epoche" –, gehört worden sein. Die "Süddeutsche" hatte am Sonntag (gedruckt heute) dazu jedenfalls die wohl härteste News des Wochenendes zum Kahlschlag bei Gruner+Jahr – und es ist, erst einmal, eine eher gute:

"Für das Ma­ga­zin Geo Epo­che gibt es nach SZ-In­for­ma­tio­nen neue Hoff­nung. Ei­gent­lich soll es ei­nes von ins­ge­samt 23 Hef­ten aus dem Gru­ner+Jahr-Port­fo­lio sein, das dem mas­si­ven Spar­kurs von RTL und Ber­tels­mann zum Op­fer fällt. Bei ei­ner Be­triebs­ver­samm­lung, zu der der Be­triebs­rat des Ham­bur­ger Ver­lags ein­ge­la­den hat­te, wur­de nun aber nach SZ-In­for­ma­tio­nen ver­kün­det, dass die Geo Epo­che mög­li­cher­wei­se noch ei­ne Chan­ce hat wei­ter­zu­be­stehen: Dem­nach soll er­neut über die Zu­kunft der Zeit­schrift ent­schie­den wer­den. Wann das der Fall sein soll, ist al­ler­dings noch of­fen."


Altpapierkorb ("Germany’s Next Topmodel", RBB-Programm, Interviews mit Harald Schmidt, Djamila Rowe und Sandra Maischberger)

+++ Seit es Castingshows gibt, gibt es Kritik an Castingshows. Vor der zuvielten Staffel von "Germany’s Next Topmodel" hat der "Spiegel" nun "Verträge eingesehen, mit ehemaligen Kandidatinnen und Juroren gesprochen, mit Modelagenten und Medienwissenschaftlerinnen, und hat die Macher der Sendung konfrontiert: Unter welchen Bedingungen entsteht die Castingshow?" Einerseits meint man von diesen Bedingungen schon hier und da gelesen zu haben, andererseits schadet ein ordentlich recherchierter Rundumschlag nicht. Recht neu ist schließlich immerhin der kulturelle mediale Rahmen, in dem sich die Show bewegt: "Die meisten, die sich heute bei 'GNTM’ bewerben, wollen gar nicht mehr auf den Laufsteg, sondern sammeln durch die Show automatisch Follower auf Instagram. Damit lässt sich hinterher als Influencerin viel Geld verdienen."

+++ In seiner dwdl.de-Kolumne nimmt sich Peer Schader, der einmal Altpapier-Autor war, den RBB vor. Und gibt es sich ganz hart: "Inzwischen vergeht kaum eine Woche ohne neue Meldung zu Interna aus Deutschlands aktuell prominentestem Regionalsender (…). Nur über eines wird seit Monaten erstaunlich selten gesprochen: das Programm." Hust: "Mit der Strategie, den RBB zu einer kostengünstigeren Version des NDR umzubauen, sind Schlesinger und Schulte-Kellinghaus krachend gescheitert. Schlimmer noch: Das übrig gebliebene Programm lässt tatsächlich daran zweifeln, ob damit in Zukunft noch ein ganzer Sender betrieben werden kann."

+++ Und außerdem steht in der "SZ" vom Samstag ein Interview mit Harald Schmidt und in der von heute eines mit Dschungelcamp-Siegerin Djamila Rowe

+++ … In der "FAZ" wurde der Schweizer Medien-"MeToo"-Fall (Altpapier) noch einmal nachgearbeitet

+++ … Sebastian Leber kolumnierte dieser Tage im "Tagesspiegel" über Ecken im Internet, "die einen erschaudern lassen". Es geht um Julian Reichelts "Krawall-Imperium" und seine Sendung, eine "'Tagesschau' für Grünen-Hasser, Wutbürger und Migrantenphobiker"…

+++ … Und die "Frankfurter Rundschau" brachte schon vergangene Woche online ein ausführliches Gespräch mit Sandra Maischberger, in dem sie ihre Talksendung erklärt: "Wir versuchen mit unserer Sendung zwei Dinge gleichzeitig bedienen: das lineare Fernsehen mit dem Massenpublikum. Und die Nutzung für kleinere, unterschiedliche Gruppen in den nicht-linearen Social-Media-Kanälen. Das halte ich für einen guten Weg, das öffentlich-rechtliche System in eine Zeit nach dem linearen Fernsehen zu übersetzen."

Das Altpapier vom Dienstag kommt wieder von mir.

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