Das Altpapier am 8. März 2023: Porträt der Altpapier-Autorin Annika Schneider
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 8. März 2023 Von Rügen-Rekordhaltern und Spitzenhonoraren

08. März 2023, 10:03 Uhr

"Ich bin so teuer, das kann man sich gar nicht vorstellen", sagt ausgerechnet ein ehemaliger ARD-Berater. Die "Bild" liegt derweil beim Rügen-Ranking des Presserats vorne. Und der ORF hat das mit der Transparenz nicht so ganz verstanden. Die Medienthemen des Tages kommentiert Annika Schneider.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Bild" ist Spitze

"Bild" kann Vieles, unter anderem Geschichtsvermittlung im Macho-Style:

"Für eine LUXUS-PYRAMIDE schickte Cheops seine Frau auf den Strich", war in der gestrigen Ausgabe zu lesen. (Um das Frauenbild dahinter näher unter die Lupe zu nehmen, ist mir der heutige Weltfrauentag zu schade.) Auch das Anstacheln von Scheindebatten gehört zu den besonderen Kompetenzen der Redaktion, wie die Stimmungsmache der "Bild am Sonntag" gegen ein angebliches Toast-Hawaii-Verbot zeigt (nachzulesen in einem Text von Moritz Hürtgen bei Übermedien).

Unangefochtener Spitzenreiter ist die Redaktion allerdings weiterhin im Einsammeln von Presseratsrügen, wie mein Kollege Stefan Fries gestern im Deutschlandfunk bei @mediasres berichtete (Transparenzhinweis: Ich hatte die Redaktion der Sendung inne). Anlass war die Jahresbilanz des Presserats, die gestern bei einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. Fast ein Drittel der im vergangenen Jahr ausgesprochenen Rügen seien an "Bild" und "Bild.de" gegangen, sagte Stefan Fries: 14 Stück waren es insgesamt (im Vergleich zu 26 im Vorjahr). Die gute Nachricht: Während die Redaktion auf die eigentlich vorgeschriebene Veröffentlichung der Rügen früher gerne mal verzichtet habe, habe sich das unter dem neuen Chefredakteur Johannes Boie geändert.

Ansonsten lässt sich der Bilanz entnehmen, dass die Zahl an Beschwerden 2022 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen ist, von 2.556 auf 1.733. Die meisten Rügen sprach der Presserat für Verstöße gegen den Persönlichkeits- und Opferschutz und für Schleichwerbung aus. Eine Reihe von konkreten Beispielen hat Marcel Fürstenau für die Deutsche Welle zusammengetragen.

Auffällig: Die vielen Diskussionen um gute Kriegsberichtserstattung spielten beim Presserat nur eine kleine Rolle. Zu den drastischen Bildern von Toten aus Butscha habe es keine Zuschriften gegeben, teilte das Gremium mit. Generell hätten Beschwerden zur Ukraine-Berichterstattung nur vier Prozent ausgemacht.

Schillernde ARD-Beratung

Was die Berichterstattung über den Presserat angeht: So weit, so Standard. Eine eher ungewöhnliche Konstellation findet sich hingegen auf der heutigen SZ-Medienseite: Dort beschreibt Cornelius Pollmer eine schillernde Persönlichkeit, indem er eine bei DWDL erschienene Reportage über ein Treffen mit ebenjener Persönlichkeit kommentiert (€). Es geht um Wolfram Winter, einen der hochdotierten Ex-Berater vom WDR-Intendant und damals ARD-Vorsitzenden Tom Buhrow.

Pollmer nennt ihn einen "Spindoktor" und, etwas gemein, einen "mutmaßlichen Kommunikationsexperten". Als Winter vor drei Jahren von den Öffentlich-Rechtlichen beauftragt wurde, beschrieb SZ-Autorin Lisa Priller-Gebhardt seine Aufgabe in der ARD so:

"Es gilt, anstehende Themen nach innen und außen möglichst unfallfrei zu kommunizieren."

Schon damals war umstritten, ob sich ein öffentlich-rechtlicher Sender diese externe Unterstützung durch Winter und seinen Kollegen Andreas Fünfgeld eine sechsstellige Summe kosten lassen sollte (siehe Altpapier). Heute lassen sich erst recht ein paar Fragezeichen dahinter machen, wie "unfallfrei" die ARD-Kommunikation in den vergangenen Jahren gelaufen ist – und welchen Anteil die eingekaufte Expertise daran hatte.

Winter selbst wird seinen Einsatz, der erst im Dezember endete, wohl nicht in Zweifel ziehen, denn dass er sehr von sich selbst überzeugt ist, war schon im alten SZ-Text zu lesen:

"Für die einen ist er der Mann mit dem Winning-Touch, für die anderen ein Selbstdarsteller mit überdimensioniertem Sendungsbewusstsein. Menschen, die er eigentlich kennt, übersieht er gerne mal, das sagt er selbst. Deshalb prangt an seinem PC ein gelber Post-It. 'Grüßen!' steht darauf."

Ganz Ähnliches ist nun im am Wochenende erschienen Porträt bei DWDL zu lesen, für das Senta Krasser Winter einen Besuch zu Hause abgestattet hat. Es entsteht darin ein sehr schillerndes Bild des Medienprofis ("Ich bin so teuer, das kann man sich gar nicht vorstellen"), über dessen Vergangenheit wir unter anderem erfahren,

"dass der Liebhaber schneller Autos (das stimmt!) von der Schwabinger Privatwohnung ums Eck zur Arbeit lieber fuhr, als ging – alle sollten die Fähnchen und das Nummernschild mit CC sehen, die ihn als Honorarkonsul von Namibia auswiesen."

Zu seiner Beratung von ARD und WDR heißt es:

"Er sei durchaus ein wenig stolz auf Tom Buhrow, fährt Winter fort, 'weil er Denkverbote aufgehoben hat, ohne ein Systemsprenger zu sein'."

Cornelius Pollmer, und damit kommen wir zur aktuellen SZ-Medienseite, haben diese Schilderungen zu einer Replik veranlasst. Er fragt unter anderem:

"Wenn es ein Kommunikationsberater schafft, einen so sagenhaften Text wenn schon nicht mit Vollgas zu lancieren, so doch keinesfalls zu verhindern – wer könnte dann noch über ausreichend Treu und Glauben und Moneten verfügen, diesem Berater sehr, sehr viel Geld für seine Dienste zu bezahlen?"

Einfacher ausgedrückt: Wenn Winter das Bild, das in dem DWDL-Text entsteht, nicht geschickt inszeniert hätte, wäre er sein Geld als Berater kaum wert. Und, daran anschließend, die womöglich noch relevantere Frage:

"Wie können eigentlich solche Welten entstehen, wie konnte Tom Buhrow also als ARD-Vorsitzender so viel öffentliches Geld für Beratung in Sachen Reputation verbrennen und gleichzeitig jahrelang so sehr schlecht beraten dastehen? Und was sagt es über die Eignung einer vorgeblich journalistischen Spitzenkraft aus, wenn sie ausgerechnet PR-Maurern das Geld in Bündeln hinterherschmeißt?"

Tom Buhrow selbst kommt in dem Text nicht zu Wort, der auch eher Polemik als sachliche Aufarbeitung ist. Interessant wäre es dennoch zu erfahren, wie genau die Beratung in der ARD-Krise aussah. Ob wohl in einigen Jahrzehnten interne Akten veröffentlicht werden, anhand derer Historikerinnen das Geschehen nachzeichnen?

Was der ORF unter Transparenz versteht

Geradezu erfrischend nüchtern liest sich im Vergleich dazu der Aufmacher auf der FAZ-Medienseite, für den Stephan Löwenstein den ORF-Generaldirektor Roland Weißmann interviewt hat (€). Der Blick nach Österreich lohnt sich, weil auch dort die öffentlich-rechtlichen Sender mitten in der Digitalisierung stecken – und außerdem bis 2026 Einsparungen von 300 Millionen Euro planen. Wie das gehen soll, erklärt Weißmann so:

"Der ORF hat einen der günstigsten Gehaltsabschlüsse in Österreich vereinbart, 2,1 Prozent, was natürlich für die Belegschaft eine große Herausforderung ist. Es gehen in den kommenden Jahren rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pension, da werden wir nur sehr restriktiv nachbesetzen können, und wenn, dann günstiger. Neben den Personalmaßnahmen sind es Sachkostenreduktionen, die auch unsere Zulieferer betreffen werden."

Gefragt nach Medienberichten über politische Einflussnahme beim ORF, verweist der Generaldirektor selbstbewusst auf ein neues Redaktionsstatut:

"Ich habe die Redakteure und Redakteurinnen mit noch mehr Rechten ausgestattet. Das heißt, die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit ist stärker denn je im ORF. Der politische Einfluss ist in der Realität nicht so gegeben, wie es manche in den Zeitungen schreiben."

Dazu, dass die Zeitungen die Realität richtig abbilden, scheint Weißmann allerdings nicht wirklich beitragen zu wollen. Denn zu Vorwürfen der politischen Einflussnahme im Landesstudio Niederösterreich gab es zwar einen Untersuchungsbericht, dieser wurde aber nie öffentlich gemacht. Darauf angesprochen sagt Weißmann:

"Transparent im Unternehmen heißt ja nicht transparent in der Öffentlichkeit."

Ob ihm dieses Bonmot auch ein teurer Berater empfohlen hat? Dass er nie in einer Partei war und bis heute nicht ist, sagt Weißmann auch noch.

Und täglich grüßt die KI

Zum Schluss ein Transparenzhinweis: Dieses Altpapier entstand unter akustischer Dauerberieselung von RadioGPT, einem angeblich komplett KI-generierten Radiosender (siehe t3n). Nachdem ich im Altpapier am Freitag schon über KI-Versuche bei Radio Helgoland berichtet hatte, ist der Sender RadioGPT des US-Medienunternehmens Futuris im Vergleich dazu ein Quantensprung. Von vielen anderen Kommerz-Internetsendern ist er beim ersten Reinhören tatsächlich kaum zu unterscheiden, auch wenn sich die Inhalte nach einer Weile zu wiederholen zu beginnen.

Nach eigenen Angaben wertet der Algorithmus lokale Meldungen auf sozialen Plattformen aus und bastelt daraus kurze Infomoderationen passend zum Standort der Hörerin – was doch noch einmal sehr klar die Frage aufwirft, wer diese Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt prüft.

Mindestens ebenso spannend: Wer verhindert eigentlich Fehltritte und Geschmacksverirrungen bei den kleinen Witzen, mit denen jede der automatisch generierten Moderationen abschließt? Wie zum Beispiel den Hinweis des Moderators, er könne alles besser als menschliche Radiomacher – außer Frauen am Hörertelefon angraben? Womit wir dann wieder beim vorherrschenden Frauenbild in manchen (KI-)Redaktionen wären… Aber dazu an einem anderen Tag mehr.


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Das nächste Altpapier kommt am morgigen Donnerstag von Ralf Heimann.

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