Das Altpapier am 13. April 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 13. April 2023 Das ist die Crux

13. April 2023, 10:18 Uhr

Elon Musk hat die BBC per BBC-Interview versöhnt. Ein erstes größeres Medienangebot kündigte dennoch an, Twitter zu verlassen. Meldungen über mehr Regierungs-Honorare an Journalisten gibt es wenige. Meldungen über das Haus Springer erzeugen fast mehr Wirbel als die vom Haus Springer verbreiteten. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Immer wieder Twitter-Trubel

Es gibt keine schlechte PR, und in schon länger laufenden Diskussionen helfen auch alle Beiträge der Gegenseite einem selbst, weil sie die eigenen Argumente ja auch dann wiederholen, wenn sie sie widerlegen wollen: So ungefähr lauten Faustregeln der Aufmerksamkeits-Bewirtschaftung, die Elon Musk gewiss kennt.

Zwar kann die BBC, eines der wichtigsten und anerkanntesten Medien der Welt, vorerst wieder zufrieden sein mit ihrer Markierung auf Twitter (Altpapier gestern), und zwar, weil Elon Musk "im Konflikt mit der BBC eingelenkt" hat ("SZ"), und zwar, oh, in einem viel beachteten Interview mit der BBC. Diesem (Audio). Markiert ist der Twitter-Auftritt @bbc nun, huch, unter einem gelben Häkchen und neben einem Symbol, das wohl am ehesten einem Moderationstisch wie in Late Night-Shows ähnelt, nicht mehr als "Government funded media", sondern als "Publicly funded media".

Dennoch hat nun ein relativ großes, Twitters Angaben zufolge von "8,8 Mio. Followern" verfolgtes Medium, seinen Rückzug von Twitter angekündigt, wie etwa spiegel.de auf deutsch meldet: das vorgestern hier erwähnte US-amerikanische National Public Radio. Auf Twitter war es erst, zu Unrecht, als "US state-affiliated media" markiert, dann am gestrigen Mittwochabend wohl ebenfalls als "publicly funded" à la BBC, wie mir scheint (und wie dieser Tweet des darob gewiss gut informierten Elon Musk wohl belegt). Am Donnerstagmorgen wird es nun als "Government-funded Media" bezeichnet. Das ändert sich offenkundig immerzu, und das sei das Problem, schreibt npr.org (hier auf deepl.com-Basis übersetzt):

"In einer E-Mail an die Mitarbeiter, in der er die Entscheidung erläuterte, schrieb [NPR-CEO John] Lansing: 'Es wäre ein Bärendienst für die seriöse Arbeit, die Sie alle hier leisten, sie weiterhin auf einer Plattform zu teilen, die die Federal Charter for public media mit dem Aufgeben von redaktionellen Unabhängigkeit in Verbindung bringt.' Jahrelang hielten viele Journalisten Twitter für unverzichtbar, um Nachrichtenentwicklungen zu verfolgen, mit bei wichtigen Ereignissen mit Menschen und mit maßgeblichen Quellen in Kontakt zu treten und ihre Berichterstattung zu teilen. Musks oft voreilig angekündigte politische Änderungen haben dies untergraben."

Das ist die Crux, also der spannende Punkt an der Auseinandersetzung: Sind genug größere Medienhäuser konsequent genug, auf Twitter zu verzichten und damit auf Reichweite, um ihren Prinzipien treu zu bleiben? Und um ihre unmittelbaren Angebote – NPR empfiehlt seinen Followern außer anderen Plattform-Accounts die eigene App sowie Newsletter – zu stärken? Oder tun sie es lieber doch nicht, weil die Möglichkeit besteht, dass Twitter seine Unverzichtbarkeit durch weitere Wendungen doch wiederherstellt, und weil konkurrierende Medienhäuser sich sowieso eher freuen, wenn unmittelbare Rivalen Plätze frei machen, statt sich solidarisch anzuschließen?

Kurzer Check am Donnerstagmorgen übrigens: Gerade scheinen alle Medien-Accounts gelb behakt, die deutsche "FAZ" sowie @DasErste unserer ARD. Hinweise darauf, wie die deutschen Öffentlich-Rechtlichen sich finanzieren, stehen einstweilen nicht an der Stelle, an der bei der BBC "Publicly funded" steht. All diese Wendungen flankieren weitere Berichte wie "Twitter steht laut Bericht vor Einbruch der Werbeeinnahmen" (meedia.de) oder den, "dass Werbekunden wieder zurückgekehrt seien oder es planten", wie tagesschau.de aus dem BBC-Interview übersetzt (wobei die krasseren Zahlen, dass Twitter unter Musk mehr als drei Viertel seiner Belegschaft entließ, da die Überschrift geben).

Mehr Regierungshonorare an Journalisten

Bemerkenswert wenige Meldungen gibt es zum Thema der zahlreichen, häufig üppigen Honorare von Bundesregierungs-Stellen an Journalisten öffentlich-rechtlicher und privater Medien, die Volker Lilienthal als "systemisches Problem" bezeichnete (Altpapier). "Rheinland-Pfalz hat Journalisten ebenfalls Honorare gezahlt" lautet eine tagesaktuelle Meldung der Nachrichtenagentur epd. Online zu finden ist sie derzeit nicht. Wie erwartet, sind die im März bekannt gewordenen Zahlen von insgesamt knapp 1,5 Millionen Euro zwischen 2018 und 2023 gezahlten Honoraren weiter gestiegen, weil sowohl weitere Bundesministerien Daten veröffentlichten, als auch Landesregierungen gefragt wurden.

Der epd meldet, dass die Mainzer Landesregierung "seit 2018 für Veranstaltungsmoderationen und andere Dienstleistungen Honorare in Höhe von über 165.000 Euro gezahlt" hat, wie sie zwei Kleine Anfragen der AfD-Fraktion beantwortete. Weitere, höhere Zahlungen listet ... nun ja, die Bundestags-Fraktion der AfD (hier auf Twitter) auf, die diese Sache dummerweise ins Rollen brachte. Falls Sie nicht klicken möchten: Insgesamt rund 650.000 Euro werden in ergänzenden Auskünften des Bundesaußen- und des Innenministeriums aufgelistet.

Außer in wenigen, weit rechts stehenden Medien sind dazu keine Artikel zu finden. Aus Haltungs-Gründen mag das nachvollziehbar sein. Das Vertrauen in kritischen Journalismus stärkt es eher nicht. Wobei, vielleicht warten viele Medien auch einfach ab, bis sie noch höhere Zahlen alle auf einmal vermelden können. Dieselbe Partei hat nämlich "vergleichbare Anfragen ... auch in den anderen Landtagen gestellt", zitiert der epd einen Abgeordneten, und im Bundestag laufen Anfragen nach Zahlungen von 2013 bis 2017. Wichtiger wären, wie ich hier schon mal schrieb, zukünftig klare, transparente Regeln, unter welchen Umständen nebenberufliche Zusatzeinnahmen von der Bundesregierung (oder Länderregierungen) für Journalisten akzeptabel sind, und unter welchen nicht. Was für den öffentlich-rechtlichen Journalismus, der sich sehr viel mehr als privatwirtschaftlicher um Staatsferne sorgen muss, ganz besonders gilt.

Springer immer getriebener

Immer voll auf der Höhe der Aufmerksamkeits-Produktion sind seit jeher die (numerisch nicht mehr soo vielen) Springer-Medien. Wobei sie immer öfter eher als getriebenes Objekt denn als handelnder Akteur erscheinen. Frisch rein kommt gerade aus der aktuellen Ausgabe der "Zeit" ein gedruckt unter der Überschrift "Wie Springer-Chef Mathias Döpfner mit der 'Bild'-Zeitung Politik machte" noch unscheinbar wirkender, aber ganz vorn auf S. 2 stehender Artikel. Auf, nun ja, Twitter, machen frisch geleakte Mathias-Döpfner-Äußerungen allerhand Wirbel.

Da nimmt sich die "Spiegel"-Meldung, dass der Springer-Konzern nach allerhand rhetorischen Spitzen gegen seine ehemaligen Top-Führungspersönlichkeit Julian Reichelt jetzt auch rechtliche Schritte "prüft", weil Reichelt gegen Vereinbarungen verstoßen und Mitarbeiter abgeworben habe, noch unscheinbarer aus. Beide Berichte machen auf die in genau sechs Tagen bevorstehende Veröffentlichung eines Romans immer noch gespannter.

Hier könnte passen, dass weit unterhalb des Radars das auf deutsch einstweilen nicht verfügbare Springer-Medium politico.eu vorige Woche die SPD-Politikerin Petra Kammerevert attackierte – einer Doppelfunktion einerseits im EU-Parlament, für das sie am besonders in Deutschland umstrittenen EMFA mitwirkt, und andererseits im WDR-Rundfunkrat wegen. Aus deutscher Medienmedien-Sicht scheint das überspitzt, oder eher lost in translations. Schon weil die Aufwandsentschädigungen in Rundfunk-Aufsichtsgremien auf gut bezahlte und abgesicherte Parlamentarier wenig materiellen Reiz ausüben dürften. Sollte Kammerevert mit ihrer wörtlich zitierten Äußerung "I don't give a damn about the interests of WDR and its management" recht haben, wäre sie sogar ein absolutes Vorbild. Liebe Politikerinnen und Politiker in den Aufsichtsgremien, lasst euch nicht vor die Karren der Anstalten spannen, die Ihr kontrollieren sollt (könnte man etwa dem NDR-Verwaltungsrat zurufen). Ob der Satz "In Germany, it is typical for politicians to sit on such councils" nun Kammerevert indirekt zitiert oder von "Politico" stammt, leider stimmt er auch ...

Klar scheint, dass solcher Rechtfertigungszwang zunehmen wird, weil EU-Gesetze in noch unklarem Ausmaß das in sich schon ähnlich komplexe wie suboptimale System deutscher Was-mit-Medien-Gesetze zu überwölben beginnen ...

Neu in der juristischen Arena: Account-Sperren

"Das bald in Kraft tretende Digitale-Dienste-Gesetz der EU (DSA) wird das NetzDG zwar ablösen, doch direkte Anlaufstellen" für Nutzer bei Plattformen, wie sie das NetzDG in Form von "Zustellungsbevollmächtigten" vorschreibt, "sollen bleiben", entnimmt netzpolitik.org einem aktuellen Bundes-Gesetzentwurf aus dem Justizministerium. "Accountsperren für Hass im Netz" sind dabei die spektakulärste Neuigkeit (mmm.verdi.de). Dass die Sperren befristet sein sollen und von Gerichten verhängt werden müssen, findet netzpolitik.org gut. Sebastian Meineck wägt ab:

"Account-Sperren bringen für Betroffene digitaler Gewalt Vor- und Nachteile. Der größte Vorteil ist, dass ein Gericht für eine Sperre nicht die Identität von mutmaßlichen Täter*innen feststellen muss. So etwas kann lange dauern und gar scheitern, während Betroffene weiterhin den Angriffen ausgesetzt sind. Ein Nachteil von Account-Sperren ist, dass Angriffe selten bloß von einzelnen Accounts ausgehen ..."

Was das Abwägen noch schwieriger macht: dass "Zugriff auf IP-Adressen", von dem viele Behörden gerne mehr hätten, auch zum Entwurf gehört, und zwar selbst bei Messengern "wie Signal, WhatsApp oder Threema", die größerenteils ja etwas anderes, Privateres sind als öffentlichere Plattformen. Aber was genau? Was die Diskussion beinahe absurd machen dürfte: dass "schlechte Online-Rezensionen", etwa zu Restaurants, im "Gesetz gegen digitale Gewalt", wie das Vorhaben betitelt ist, mitverfrühstückt wird. Oder ist das bloß Verhandlungsmasse, die gerne rausgestrichen wird, damit andere Bestandteile des Pakets erhalten bleiben? Auch dieses womöglich dröge anmutende Thema verdient jedenfalls hohe Aufmerksamkeit.


Altpapierkorb (Funke vs. MDR, Großbritannien vs. RSF, WDR vorm Arbeitsgericht, "Mediensumpf", Steuerzahler-Bund)

+++ Unter der Überschrift "Wie die ARD die Zeitungen abwürgt" beklagt im Medienressort der "FAZ" der Geschäftsführer der Funke Medien Thüringen, Michael Tallai, dass der MDR zu oft "auch ohne Fernseh- oder Audiobeiträge ... regionale oder lokale Texte" online veröffentliche. Anlass ist die Ankündigung, dass rund 300 ums thüringische Greiz lebende Abonnenten Funkes "Ostthüringer Zeitung" nicht mehr gedruckt zugestellt bekommen. Die Anstalten sollten zu einer 2018 getroffenen Verständigung zurückkehren und "sich bei Texten auf ein sinnvolles Maß beschränken", fordert auch BDZV-Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert. +++

+++ Unter welchen "abstrusen" Gründen ihm als Teil eines Reporter ohne Grenzen-Teams ein Besuch im englischen Gefängnis, in dem Julian Assange auf Folter-ähnliche Weise eingekerkert ist, verwehrt wurde, schildert der deutsche ROG/RSF-Chef Christian Mihr im "@mediasres"-Interview (Audio). +++

+++ Von einem Prozess vor dem Arbeitsgericht Köln berichtet der "Kölner Stadtanzeiger": WDR-Redakteur Jürgen Döschner verlor ihn gegen den WDR. Das Gericht erkannte, dass die Anstalt einiges hätte besser machen können, aber "keine ausreichenden Belege für eine entschädigungspflichtige Persönlichkeitsrechtsverletzung". +++

+++ Der Aufmacher des "SZ"-Medienressorts widmet sich frischer "Inseratenkorruption" "im österreichischen "Mediensumpf". Die eben erwähnten Funkes kommen als Miteigentümer u.a. der "Kronen Zeitung" neben der Familie Dichand, der die Vorwürfe gelten, auch vor und kündigen Aufklärung an. +++

+++ Aus dem "Sparbuch für den Bundeshalt" des Bundes der Steuerzahlers greift sich heise.de nicht die "137.000 Euro für Maskenbildnerei im Hause der Außenministerin Annalena Baerbock" auf, die ja auch nicht in Digitalressorts fallen, sondern, fast feuilletonistisch, eine 1,3 Millionen Euro teure Augmented Reality-App, "mit der sich Friseurkundschaft vor dem Schnitt die geeignete Frisur aussuchen kann", und bei der als Industriepartner L’Oréal im Boot ist. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Freitag Klaus Raab.

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