Das Altpapier am 18. April 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 18. April 2023 Dada oder doof

18. April 2023, 10:41 Uhr

Keine Verschnaufpause in der "Skandalzone" rund um Springer. Dafür sorgen gefragte Rechtsanwälte und ein Podcast. Würden Menschen, falls der Rundfunkbeitrag steigen sollte, am Zeitungsabo sparen? Außerdem: "Digitale Erneuerung" macht erst mal nichts billiger. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Viel frischer Springer-Stoff

Kleine Verschnaufpause in den Döpfner-Content-Wochen, also zwischen der "Zeit"-Veröffentlichung vorige Woche und dem morgen bei Kiepenheuer & Witsch erscheinenden Buch, könnte es scheinen. Oder sind es Springer-Content-Wochen? Hübsch jedenfalls der Begriff "allmähliche Ausweitung der Skandalzone", den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, der stets ein frisches und gut teilbares Schlagwort dabei hat, bei "@mediasres" anbrachte.

Einstweilen lobt die "taz", ohne vom Buch "Noch wach" mehr als die Seitenzahl zu wissen, die Instagram-Werbekampagne dafür (ebenso wie Döpfner- bzw. "Döpfner-Stucki-SMSe") als "dadaesk". Und von überraschender Seite wird noch mehr Buch-Spannung geschürt: von Julian Reichelts Rechtsanwalt per Pressemitteilung. Das ist der Berliner Jurist, von dem kürzlich hier erwähnt war, dass er für seinen Klienten ebenso rechtliche Schritte gegen Springer prüfe wie umgekehrt Springer gegen diesen.

Des Anwalts "präventive Volte" nimmt heute in der "FAZ" Micha Hanfeld zum Anlass für eine gewaltige Zwischenbilanz des "Prologs", um den es sich seiner Ansicht nach bisher bloß handelte. Sie erscheint nicht etwa auf der dennoch prallvollen Medienseite, sondern ganz vorn im Feuilleton unter der Überschrift "Wir sind noch wach, das ist doch gar keine Frage". Was alles weiter verkompliziert: Dass die Anwaltskanzlei Irle Moser, der Reichelts Anwalt angehört, "eine Doppelrolle" spielt, wie heute Laura Hertreiter in der "SZ" schreibt. Während Anwalt Irle Reichelt vertritt, vertritt Anwalt Moser "eine der Frauen, die sich bis heute gegen Döpfners Geraune einsetzt" und Reichelt des Machtmissbrauchs bezichtigt. Womit beide gegnerische Seiten auch gegen Springer bzw. Döpfner (die sich einstweilen nicht trennen lassen) klagen, klagten oder zu klagen erwägen. Die von beiden Anwälten in leicht unterschiedlichen Worten ("Chinese Wall" bzw. "Trennlinie") gegebene Erklärung, das Vorgehen ihrer Kanzlei sei in Ordnung und mit den nicht nur, aber auch gegeneinander klagenden Mandanten abgestimmt, bezweifelt die "SZ".

Doch keine Verschnaufpause also. Zumal bei vollumfänglicher Betrachtung der Medienlandschaft auch am gestrigen Montag frischer Stoff live ging, nämlich "plattformexklusiv" (meedia.de) bei Spotify erste Folgen der Podcast-Serie "Boys Club – Macht & Missbrauch bei Axel Springer". Gegenüber den Macherinnen Lena von Holt und Pia Stendera wollten die sich gegenüberstehenden Seiten Springer und Reichelt nichts sagen, dafür tun es "Menschen ..., die den mutmaßlichen Machtmissbrauch im Hause Springer selbst erlebt haben". Wer lieber lesen will, was Reichelt mittlerweile macht, könnte zur dwdl.de-Analyse von dessen aktuellem Kanal "Achtung Reichelt" klicken. Als "umdeuten, weglassen und ganz viel Unverständnis draufkippen" beschreibt Timo Niemeier das Rezept. Die anfangs gern gemachte Feststellung, mit Reichelt Reichweite sei es nicht mehr weit her, kann allerdings nicht mehr trösten ("Ein Video über 'Grüne Nichtskönner' sowie Migranten in Deutschland ('Jung, männlich, gesetzlos') erreichen rund 1,5 Millionen Views").

Um in die multilaterale Skandalzone nun noch einen Döpfner-Aspekt zu werfen: Unabhängig von der Frage, ob es noch als einen Hauch unfair gelten kann, privat gemeinte Kommunikation zu veröffentlichen (worüber wohl der Grad der persönlichen Zeitgeschichtlichkeit entscheidet), ist das seit gar nicht mehr wenigen Jahren überall üblich, und "gerade der Springer-Chef sollte das wissen". Schrieb Kurt Sagatz kürzlich mit Recht im "Tagesspiegel" und führte dazu Gründe auf zwischen dem musealisierten Handy Kai Diekmanns, auf dem einst der bald darauf nicht mehr amtierende Bundespräsident Wulff angeklingelt hatte, und den größten Meriten des deutschsprachigen "Business Insiders". Dessen Redakteure waren auf den RBB-Skandale ja auch nicht gestoßen, indem sie ordnungsgemäß abgeheftete Akten durchblätterten:

"Es gibt endgültig keine geschützten Räume mehr. Darauf muss sich der Chef eines international tätigen Unternehmens mit 18.000 Mitarbeitern ebenso einstellen wie jeder andere Nutzer digitaler Kommunikationskanäle"

Wer das nicht beachtet, ist, bei allem Restrespekt: doof. (Ob Joachim Hubers "Der Springer-CEO wird dieser Doppelhelix nur entkommen, wenn er den Doppel-Döpfner zusammenschrumpft" auch schon wieder dadaesk ist oder bloß noch'n "Tsp."-Nachdreh, bis endlich "Stucki"-Content zur Verfügung steht, müsste selber entscheiden, wer hier klickt).

Deutschland medienpolitisch in der EU isoliert?

Den Artikel "Der Alleingang" im aktuellen "Spiegel" auf S. 34, der online "Warum Deutschland ein Gesetz zur Pressefreiheit blockiert" heißt, illustriert gedruckt... Mathias Döpfner, der im Text auch erwähnt wird. Obwohl es ums europäische Medienfreiheitsgesetz geht, das unter dem englischen Akronym EMFA ein bisschen geläufig ist:

"Das Gesetz soll etwa festschreiben, dass Eigentümer und Verleger keinen 'ungebührlichen' Einfluss auf die inhaltliche Arbeit ihrer Redaktionen nehmen dürfen. In dieser Woche hat die 'Zeit' interne Chat-Nachrichten des Springer-Chefs Döpfner enthüllt, die zeigen, wie er versucht, seinen Einfluss politisch zu nutzen."

Einleitend zählt der Artikel auf, wer sich in Deutschland alles über das noch nicht verabschiedete Gesetz beklagte. In der gedruckten Ausgabe ist von "ARD-Chef Tom Buhrow" die Rede, was seit einem Vierteljahr recht klar falsch ist. (Die "Dok" des "Spiegel" ist echt nicht mehr, was sie vielleicht mal gewesen war). Wenn der "Spiegel" dann zwischen Buhrow und den Landesmedienanstalten "Politiker aus den Bundesländern, vor allem von CDU und AfD" nennt, macht er arg plump selber Politik. Während die medienpolitischen Ansichten der AfD überall gleichgültig sind, stellen sich alle Bundesländer-Regierungen gegen den EMFA. Als neulich Baden-Württembergs Medienpolitik-Staatssekretär, der Grüne Rudi Hoogvliet, das Symposium "Europa im Spannungsfeld der Medienpolitik" in Berlin eröffnete, kritisierte er das EU-Gesetz ebenso, wie es die relativ wichtigste Medienpolitikerin Heike Raab (SPD) schon länger bei jeder Gelegenheit tut. Weil sich die bunten Bundesländer-Regierungskoalitionen halt immer einigen müssen, basiert die deutsche Bundesländer-Medienpolitik auf derart kleinen Nennern, dass Parteigrenzen nicht erkennbar sind. Was natürlich nicht heißt, dass die deutsche Bundesländer-Medienpolitik immer oder oft recht hätte...

"Nur Ungarn und Polen, ausgerechnet, sehen die Sache so wie die Deutschen", lautet dann der Kern der "Spiegel"-Artikels. Heißt: In der EU stehen die deutschen Bundesländer mit ihrer Einigkeit allein bzw. nur an den Seiten derer, neben denen sie überhaupt stehen wollen. Nun hat sich auch ihre Hoffnung, dass EU-Stellen es selber so sehen wie sie und Medienfreiheit gar nicht zu den Kompetenzen der EU zähle, nicht erfüllt. Wem sich in Medien-Dingen eher vertrauen lässt – der parteiübergreifend einigen Bundesländer-Medienpolitik mit ihren über Jahrzehnte verkrusteten Mechanismen, oder der EU, die sich jede Menge neue Kompetenzen schafft, ohne schon mal bewiesen zu haben, dass sie sinnvolle Medienpolitik kann, bleibt eine brisante Frage.

Rundfunkbeitrag-Zeitungsabos-Zusammenhang?

In der rein deutschen Medienpolitik kehrte kürzlich die Frage wieder, ob und wenn wie Zeitungsverlage für Zeitungszustellung subventioniert werden sollen. Die einflussreichen grünen Bundesministerien könnten das Thema beackern, wollen jedoch nicht. Aber die SPD "macht’s aber offensichtlich ganz gerne", war zuletzt der Stand (Altpapier).

"Inhaltlich durchaus begrüßenswerte Namensbeiträge von SPD-Medienpolitikern täuschen Regierungshandeln vor, während gleichzeitig das SPD-Kanzleramt als Regierungszentrale ausfällt",

sagte dazu dann im "Kölner Stadtanzeiger" NRW-Medienminister Nathanael Liminski – der freilich für die CDU spricht, die gerade keine Bundesministerien führt, dasselbe Thema aber in ihrer letzten Bundesregierungs-Zeit erst ange- und dann vergeigt hatte. Zugleich beteuert Zeitungsverlegerverbands-Hauptgeschäftsführerin Sigrun Albert weiterhin, wie teuer das Zeitungs-Zustellen geworden sei, fordert aber nicht Subventionen, sondern trommelt gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Nun steht das Interview, das vorige Woche dem "FAZ"-Artikel "Wie die ARD die Zeitungen abwürgt" (Altpapierkorb) als eine Grundlage diente, bei medienpolitik.net online. Aktuell

"verschärfen kostenlose regionale Angebote, die durch den Rundfunkbeitrag finanziert sind, die wirtschaftlichen Bedingungen weiter. Das betrifft vor allem die presseähnlichen Beiträge, also die Textinformationen, die sich zunehmend auf den Online-Seiten der Anstalten finden und die Domäne der Verlage sind. Deshalb ist im Telemedien-Staatsvertrag auch ein Verbot von presseähnlichen Angeboten verankert",

argumentiert Albert.

"Wobei die Problematik besteht, dass dieser Begriff sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann. Der Schwerpunkt der Telemedienangebote muss jedoch auf Videos und Audios liegen",

scheint die Eichstätt-Ingolstadter Professorin Annika Sehl beinahe anzuknüpfen. Wobei es im "Standard"-Interview mit ihr vorrangig um österreichische Öffentlich-Rechtlichen-Fragen geht, aber auch darum, dass Sehl dem "Zukunftsrat" für die deutschen Öffentlich-Rechtlichen angehört, von dem noch niemand genau weiß, was genau er alles raten soll (und ob sich die Bundesländer hinterher dran halten).

Zum Thema BDZV gehört dann noch die aktuelle Nachricht (z.B. "FAZ"), dass der Verband ein weiteres in der Fläche nicht unwichtiges Mitglied verliert, die "Neue Osnabrücker Zeitung". Vermutlich muss so ein Interessenverband, ähnlich wie Gewerkschaften auf Arbeitnehmer-Seite, mal wieder irgendein gutes Ergebnis erzielen, um Mitglieder zu halten oder zu gewinnen. Dass der relativ durchsetzungsstärkste Chef, was immer man sonst von ihm hält, ausgerechnet Mathias Döpfner war, macht das nicht einfacher.

Die Themen Rundfunkbeitrag und Zeitungsabos verknüpft Liminski noch viel einfacher als es die BDZV-Geschäftsführerin tut und behauptet im "KStA":

"Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben für Medienangebote nur ein begrenztes Budget. Wenn das Geld etwas knapper ist, kann ein steigender Pflicht-Rundfunkbeitrag unter Umständen dazu führen, dass das eine oder andere kündbare Abo aufgelöst wird, vielleicht auch das der Tageszeitung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die privaten Medien stehen im Wettbewerb zueinander, nicht nur publizistisch, sondern auch um das Geld der Menschen"

"Digitale Erneuerung" kostet auch

Faust aufs Auge ist eine Phrase, bei der man gut streiten kann, ob sie "passt perfekt" bedeutet oder das Gegenteil. Das liegt im Auge der Betrachter, die die Faust nicht im eigenen spüren, aber womöglich gern zu Unterhaltungs-Zwecken auf andere schwingen sehen möchten. Jedenfalls wirft medieninsider.com passgenau eine harte neunstellige Euro-Zahl in die Debatte, ob der Rundfunkbeitrag erhöht werden soll oder muss.

Ein Entwicklungsprojekt mit dem schönen Namen "Digitale Erneuerung" klinge zwar "nach mehr Effizienz und vor allem: geringeren Kosten", schreibt  Volker Nünning. Doch mittelfristig wolle die ARD dafür "zusätzlichen Finanzbedarf" anmelden, und zwar "in Höhe von 328 Mio Euro für die Jahre 2025 bis 2028".

Dass zum Procedere gehört, dass die Finanzbedarf-ermittlungs-Kommission KEF solche Zahlen kräftig reduziert (und dass das bei der Anmeldung vorab mitberechnet wird), wissen vermutlich alle, die bis hierher scrollten oder wischten. Was es für die beim Rundfunkbeitrag unabhängig von der ARD finanzierten Anstalten ZDF und Deutschlandradio bedeuten würde, wenn allein die ARD solch einen stolzen Betrag anmeldet, obwohl das Ziel einer zumindest technisch gemeinsamen Plattform inzwischen alle Seiten beteuern, ist nur eine der spannenden Anschlussfragen.

Für medienpolitischen Diskussionsstoff dürfte auch dann noch gesorgt sein, wenn in Döpfner/Springer-Fragen bereits der Epilog gedichtet worden sein wird.


Altpapierkorb (Chatkontrolle, Handydaten-Rasterfahndung, Rundfunksteuer?)

+++ In der Ampel-Bundesregierung setzt sich immer die FDP durch? Nee, "bei diesem Vergleich wird deutlich, dass sich Innenministerin Faeser in den Verhandlungen weitgehend durchgesetzt hat", schreibt netzpolitik.org zum Thema Chatkontrolle. Konkret geht es darum, dass die Bundesregierung sich für eine gemeinsame Position zur geplanten EU-Verordnung zusammenraufen muss. +++ Nicht ganz so finster liest heise.de den bisher erzielten Zwischenstand. +++

+++ Im Fall des "Urhebers des Videos hinter der Ibiza-Affäre" sowie Detektivs, den correctiv.org nun neu aufrollt (weil dieser Julian Hessenthaler nicht mehr im Gefängnis sitzt), geht es auch um "die Berliner Kanzlei des bekannten Medienanwalts Johannes Eisenberg ..., der regelmäßig auch die taz vertritt". Schreibt die "taz": "Correctiv berichtet von einer sogenannten Funkzellenüberwachung des Mobilfunknetzes der Region um dessen Kanzlei. Die deutsche Polizei habe Hunderttausende Handydaten abgefangen, die Verbindungen analysiert und damit 'eine Art Rasterfahndung für Österreich' durchgeführt". +++

+++ Was die "FAZ"-Medienseite u.a. füllt: ein Artikel über eine Doktorarbeit aus Kassel, in der die Wirtschaftsjuristin Michelle Michel "zu dem Ergebnis" gelangt, "dass der Rundfunkbeitrag in seiner derzeitigen Form gegen das Grundgesetz verstößt". Die Dissertation "Der Rundfunkbeitrag eine Steuer?" sei "über die Deutsche Nationalbibliothek im Volltext frei zugänglich", schreibt die "FAZ", und tatsächlich: Hier findet sich der 472-Seiter dann. +++

Am Mittwoch schreibt René Martens das Altpapier.

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