Das Altpapier am 19. April 2023: Porträt des Altpapier-Autoren René Martens
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 19. April 2023 Zurück in die Achtziger

19. April 2023, 13:46 Uhr

Bei Springer geht es gerade zu wie einst bei "Denver-Clan" und "Dallas". Weitere öffentlich-rechtliche Sender ziehen sich von Twitter zurück. Und "die Medienpolitik wirkt wieder einmal ratlos". Sagt Hamburgs Mediensenator. Das aktuelle Objekt der Ratlosigkeit: KI. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Döpfner: Oligarch oder Sonnenkönig?

Fast eine Woche lang beschäftigen wir uns nun schon mit den "Döpfner-Leaks". Im "Übermedien"-Podcast "Holger ruft an" geben Cathrin Gilbert und Holger Stark von der "Zeit" nun einen Einblick in den Maschinenraum der Recherche bzw. in die Monate lange Arbeit an ihrem Artikel.

Gilbert betont, man habe auf "Nachrichten verschiedener Art", also aus verschiedenen Kommunikationskanälen, zurückgreifen können - nicht nur auf SMS. Und es seien "definitiv keine Schnipsel" gewesen, die man geliefert bekommen habe (beide Erläuterungen sind Reaktionen auf einen Text von "Bild"-Chefredakteurin Marion Horn). Vielmehr, so Gilbert weiter, habe man "unfassbar viel Material" zur Verfügung gehabt, und bei der Auswahl, erstens, "alles weggelassen, was ironisch gemeint gewesen sein könnte" und, zweitens, "Privates konsequent aussortiert" (Stark).

Letztere Bemerkung bezieht sich natürlich darauf, dass der Döpfner-Fanblock der "Zeit" vorgeworfen hatte, sie habe "private" Nachrichten veröffentlicht. Stark sagt dazu auch noch:

"Wenn (…) der Chef seinem Angestellten schreibt: 'Please Stärke die FDP', (…) ist das vielleicht eine nicht öffentliche Kommunikation (…), aber es ist in jedem Fall eine berufliche, eine politische Kommunikation (…) Und sie hat den Kern dessen zum Inhalt, um was es bei einem Verlag geht, nämlich verlegerische Entscheidungen, journalistische Entscheidungen."

Substanzielle Spekulationen darüber, wie Döpfner sein FDP-Fanboytum hinter den Kulissen darüber hinaus ausgelebt hat, finden sich in einem aktuellen "Spiegel"-Artikel:

"Im Herbst 2021 (…) versuchte Döpfner offenbar eine brisante Personalie einzufädeln. Wie mehrere Quellen dem SPIEGEL bestätigten, soll der Vorstandschef darauf hingewirkt haben, dass 'Bild' Franca Lehfeldt einstellt: damals Journalistin bei RTL und Lebensgefährtin von FDP-Chef Christian Lindner, heute dessen Frau. Mehrfach habe er ihren Namen fallen lassen und ihre Telefonnummer intern weitergegeben. Für Chefredakteur Boie, der damals neu im Amt war, wurde es die erste Bewährungsprobe. Zunächst soll er gezögert haben, sich Döpfners Vorschlag entgegenzustellen, heißt es im Verlag. Größere Bedenken hatten seine Co-Chefs Alexandra Würzbach und Claus Strunz."

Dass Springer "diese Erzählung energisch bestreitet", steht auch im Text. Und, dass Lehfeldt dann "im Frühjahr 2022 beim TV-Kanal von Springers 'Welt' landete, für den sie auch mal über die FDP berichtete" (siehe Altpapier).

Um die generelle Stimmungslage in Springerhausen geht es in dem Artikel ebenfalls:

"Einer, der schon lange bei 'Bild' arbeitet, lästert am Telefon: Springer erinnere inzwischen an die großen Achtzigerjahre-US-Serien mit ihren familiären Intrigen; man warte mit dem Eimer Popcorn in der Hand genüsslich auf die nächste Folge. Eine passende Zeile hat er auch parat: 'Denver, Dallas, Döpfner.' Dichten können sie bei 'Bild.'"

Die freundliche Dichtkunst-Lieferung haben die "Spiegel"-Leute dann auch gleich für ihre Headline genutzt. Hier kommt also mal wieder die Stabreim-Vorliebe des "Spiegel" bei Überschriften in Sachen Springer zum Ausdruck (siehe "Vögeln, fördern, feuern")

Noch einmal kurz zurück zum "Übermedien"-Podcast. Gegen Ende fragt Host Holger Klein in Sachen Döpfner:

"Darf ich den jetzt eigentlich als Oligarchen bezeichnen?"

Der andere Holger (Stark) sagt dazu, da stecke eine "gewisse Polemik" drin. Er selbst bevorzugt offenbar die Formulierung "Sonnenkönig", gleich zweimal im Laufe des Podcasts nennt er Döpfner so.

Die Angst der früheren Kult-Mitglieder

Der "Spiegel" hat heute Morgen das erste Kapitel aus Benjamin von Stuckrad-Barres neuem Roman "Noch wach?" veröffentlicht und hat dabei natürlich nicht versäumt zu erwähnen, dass er zwar "in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen" ist, jedoch "eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte" erzählt. Um erst einmal nur einen Satz zu sagen: In diesem ersten Kapitel erzählt eine fiktive Auszubildende in der zweiten Person, wie der Chefredakteur eines bedeutsamen Medienhauses sie sehr stark protegiert.

Im bei Spotify zu hörenden Podcast "Boys Club" von Pia Stendera und Lea von Holt, der am Mittwoch im Altpapier schon kurz erwähnt wurde und sich mit "Macht & Missbrauch" in einem realen Medienhaus beschäftigt, geht es in den ersten beiden Folgen um drei Frauen, die bei "Bild" volontiert haben oder kurz nach ihrem Volontariat dort gelandet sind, und es ist vielleicht keine allzu kühne These, dass eine Parallel-Rezeption von Roman und Podcast hilfreich sein könnte.

Anne Burgmer schreibt im "Kölner Stadt-Anzeiger" (Dienstags-Ausgabe) über "Boys Club", es sei "ein Gewinn" für den Podcast, dass Julian Reichelt hier "eigentlich nur ein Randaspekt" sei. Burgmer weiter:

"Stendera und von Holt geht es um mehr als den Fall Reichelt. Sie wollen aufzeigen, wie die Machtstrukturen bei Springer sind und was das mit den Menschen, die dort arbeiten, macht. Sie sind sicher: 'Dass die Affäre um Julian Reichelt bei Bild passiert ist, ist kein Zufall.' Die (…) Frauen, die in den ersten beiden Folgen berichten, beschreiben auf der einen Seite den Druck, der herrscht, aber eben auch, wie sich das anfühlt, wenn man Artikel schreibt, die Millionen Menschen lesen. Die Beschreibungen erinnern fast ein bisschen an einen Kult oder eine Sekte."

Autorin Stendera sagt zu Beginn des Podcasts zur Herangehensweise:

"Wir suchen Grautöne, und die finden wir nicht, wenn wir nur auf Julian Reichelt schauen."

Joachim Huber schreibt im "Tagesspiegel" über seinen ersten Eindruck:

"Die erste Folge, die auch ein wenig angeberisch davon erzählt, wie mühsam die Recherche war, verführt in dem Moment zum genauen Hinhören, als 'Nora' zu Wort kommt. Der Name ist geändert, dito die Stimme, schon da wird erkennbar, dass jene, die sich über Reichelt, 'Bild' und Springer beschweren, Angst um ihren Job, wenn nicht um ihr Leben haben. Der Arm des Medienhauses scheint sehr lang zu sein."

Wobei ja interessant ist, dass "auch Leute, die nicht mehr im Journalismus arbeiten", Angst hätten, sich zu ihrer Zeit bei Springer äußern, wie es im Podcast heißt.

In Hubers Text geht’s so weiter:

"Also 'Nora'. Sie erzählt, wie sie in einer Bar Julian Reichelt kennenlernte, die Aufnahmeprüfung für die Springer-Journalistenschule bestand, in deren Jury Reichelt gesessen hatte. Aus der Bekanntschaft wird mehr, im Compliance-Verfahren wird sie für Reichelt aussagen, wider besseres Wissen."

In einem Gespräch des Podcasts "SWR 2 Kultur aktuell" mit den beiden Autorinnen zur Sprache kommt noch folgender Aspekt zur Sprache:

"Wenn du über längeren Zeitraum hinweg bei Springer arbeitest - (…) das ist das, was uns Menschen erzählt haben -, (wächst) du in diese Welt hinein (…) und (nimmst) ganz schnell Sachen, die du vielleicht vorher für skandalös gehalten hättest, mit der Zeit als normal wahr (...) Dir fallen vielleicht die Sachen, die für dich selbst grenzüberschreitend und auch für andere grenzüberschreitend sind, gar nicht mehr als solche auf."

"Die vielleicht größte medienpolitische Debatte unserer Zeit"

Um die "Menge der Probleme", die durch KI auf Medien zukommen (siehe auch Altpapier), geht es heute in einem umfangreichen Artikel auf der SZ-Medienseite. Diese Menge sei "so gewaltig, dass man sie nur im Schnelldurchlauf referieren kann", konstatiert Andrian Kreye. Die Fragen, die er stellt, lauten unter anderem:

"Wie sollen Redaktionen mit der Datenexplosion umgehen, die diese KIs nun verursachen? (…) Wie können Journalisten feststellen, ob ein Bild oder ein Fakt durch eine KI gefälscht oder verzerrt wurde? (…) Wie kann man das Vertrauen des Publikums erhalten, wenn die Öffentlichkeit mit Fälschungen und Verzerrung geflutet wird?"

Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda geht in einem Gastbeitrag für die FAZ - dessen Hauptthema der von medienpolitischen Strategen der Republik zusammengestellte Zukunftsrat ist, "der sich Gedanken über die Zukunft von ARD und ZDF machen soll" (Altpapier) - auf die medienpolitischen Aspekte von KI ein. Brosda schreibt:

"Wir müssen uns zu den Herausforderungen Künstlicher Intelligenz verhalten. Seit ein paar Monaten verbreiten sich künstlich generierte Inhalte rasend schnell; mit ChatGPT und anderen Algorithmen haben die Möglichkeiten der KI eine neue Dimension erreicht. Die Medienpolitik aber steht neuerlich vor einem lange angekündigten technologischen Sprung und wirkt wieder einmal ratlos, wenn dieser real wird. Überall werden detaillierte Paragraphen verfasst, die regulieren sollen, was sich mutmaßlich immer wieder der Erfassung entziehen wird. Wir können kaum ahnen, wie sich unsere öffentliche Kommunikation verändern wird, wenn Bilder und Texte keine verantwortlichen Autorinnen und Autoren mehr haben, sondern quasi aus dem Nichts heraus entstehen."

Die Forderungen des Senators:

"Hier braucht es medien- und urheberrechtliche Regeln ebenso wie technische Kompetenz, mit der wir das Wirken der Bots dechiffrieren können. Das ist die vielleicht größte medienpolitische Debatte unserer Zeit. Sie braucht weder Angst noch Ablenkung durch kleinere Fragen. Sie braucht unsere volle Aufmerksamkeit. Wie in anderen gesellschaftlichen Feldern stehen wir hier recht dicht vor Kipppunkten, die viel mit unserer künftigen demokratischen Souveränität zu tun haben. Erst recht, wenn man bedenkt, welche Kraft chinesische KI-Angebote angesichts der dortigen fast uneingeschränkten Datenverfügbarkeit entfalten werden."

Musks Twitter-Übernahme als Fukushima-Moment

Nach dem National Public Radio (NPR) in den USA (Hintergrund: Altpapier) ziehen sich nun weitere öffentlich-rechtliche Sender von Twitter zurück.

"Auch Kanadas öffentlich-rechtlicher Rundfunksender CBC (hat sich) im Streit mit Twitter-Chef Elon Musk vorerst von der Onlineplattform verabschiedet",

schreibt zum Beispiel "Der Standard". Auch hier ist, wie bei NPR, die Twitter-seitige Falschetikettierung als "regierungsfinanziert" der Grund für den Rückzug. NPR berichtet natürlich ebenfalls über den Move der nunmehr Gleichgesinnten aus dem Nachbarland. Künftig ebenfalls nicht mehr bei Twitter aktiv: Sveriges Radio, Schwedens öffentlich-rechtliche Hörfunkanstalt. Der Grund in diesem Fall: die sinkende Relevanz von Twitter in Schweden. Siehe dazu unter anderem einen Bericht der Nachrichtenagentur AP.

Der Einwand, dass solche Reaktionen schon früher hätten kommen müssen, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen. In der in der vergangenen Woche erschienenen neuen Ausgabe der Halbjahreszeitschrift "Pop. Kultur und Kritik" schreibt Jörg Scheller, dass es ja eigentlich auch schon vor Musks Twitter-Übernahme genug Gründe gegeben hätte, sich zu verabschieden:

Zur Entwicklung bei Mastodon

Was das von Scheller erwähnte Mastodon angeht: Mir selbst fällt auf, dass viele, die dort Accounts eingerichtet haben, kaum aktiv sind (und dann doch lieber twittern). Die Privatempirie lässt sich untermauern mit einer Datenauswertung, auf die Wilfred Chan im "Guardian" eingeht (Übersetzung: DeepL)

"Die Daten zeigen, dass das Interesse an Mastodon Ende letzten Jahres enorm gestiegen ist: Die Zahl der monatlich aktiven Nutzer hat sich mehr als verachtfacht und erreichte etwa einen Monat nach dem Kauf von Twitter durch Musk einen Höchststand von 2,6 Millionen. Seitdem ist diese Zahl jedoch auf nur noch 1,2 Millionen gesunken - ein Zeichen dafür, dass Mastodon noch weit von dem Hype entfernt ist, der einen Giganten wie Twitter bedrohen würde."

Der "Guardian" erwähnt auch, dass sich Mastodon "mit neuer Konkurrenz von etablierten Namen konfrontiert" sieht, etwa einem "dezentralisierten sozialen Netzwerk", an dem Meta "unter dem Codenamen P92 arbeitet". Und:

"Der Mitbegründer und ehemalige CEO von Twitter, Jack Dorsey, bereitet sich darauf vor, Bluesky vorzustellen, eine dezentralisierte Social-Media-App, die mit einem eigenen neuen Protokoll ausgestattet sein wird."

Seit gestern übrigens bei Mastodon aktiv: das ZDF. Ein Resümee des ersten Tages zieht Martin Urschel.


Altpapierkorb (Evan Gershkovich, Jahrespressekonferenz des Zeitschriftenverbandes, "Para - Wir sind King", mangelnde Programmbeobachtung)

+++ Der "Wall Street Journalist"-Journalist Evan Gershkovich (Altpapier) bleibt in Moskau in Haft, das dortige Stadtgericht hat am Dienstag die Berufung des Korrespondenten und seines Anwalts abgelehnt. Zahlreiche Medien berichten darüber. Die taz zitiert in dem Zusammenhang die US-Botschafterin in Russland, Lynne Tracy: "Es war schwer für mich zu sehen, dass ein unschuldiger Journalist unter solchen Bedingungen festgehalten wird. Gestern durfte ich ihn zum ersten Mal in der Untersuchungshaft sehen, und er ist gesund und hält trotz der Umstände durch." Die "New York Times" schreibt: "The case against Mr. Gershkovich has brought relations between the United States and Russia to a new low. The Biden administration has asserted that he is 'wrongfully detained' — which means that the U.S. government sees him as the equivalent of a political hostage held on fabricated charges — and called for his immediate release."

+++ Gestern fand in Berlin die Jahrespressekonferenz des Zeitschriftenverbandes MVFP statt, und dessen Vorstandsvorsitzender Philipp Welte (Burda) warnte dort, 2024 seien "bis zu einem Drittel der Zeitschriften in Deutschland in ihrer Existenz gefährdet". Darauf geht mmm.verdi.de ein. Anna Ringle berichtet für die dpa (siehe "Tagesspiegel"): "Fast alle Verlage (96 Prozent) planen laut Verband Preiserhöhungen für ihre Produkte. Für zusätzliche Umsätze wollen 56 Prozent neue journalistische Digitalangebote, 49 Prozent neue Audioangebote und 31 Prozent neue Videoformate auf den Markt bringen. Auch in neue Printprodukte wollen demnach Medienhäuser investieren. 'So plant ein Drittel neue Print-Sonderausgaben und ein Viertel neue periodische Printtitel zu launchen.'"

+++ Mit einem Podcast sind wir heute eingestiegen, und wir steigen auch mit einem aus: In der aktuellen Folge von "Läuft", des "Programmschau"-Podcasts von epd Medien und Grimme-Instituts, spricht Alexander Matzkeit mit Heike Hupertz über die zweite Staffel von "Para - Wir sind King" und mit mir über die meiner Meinung nach unzureichende medienjournalistische Beschäftigung mit öffentlich-rechtlichem Informationsfernsehen.

Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.

Mehr vom Altpapier

Kontakt