Das Altpapier am 25. April 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 25. April 2023 Füllhörner voller Nebelkerzen

25. April 2023, 10:23 Uhr

Eine prominente Klage hält die "Noch wach?"-Aufregung wach. Die Frage, ob der Rundfunkbeitrag erhöht werden könnte, drängt weiter nach vorn. Die RBB-Intendantin möchte gerne bleiben. Telegram nimmt die "Bundesdigitalrepublik Deutschland" auch nicht ernst. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Springer verklagt nicht Stuckrad, aber Reichelt

Kommt eine Klage angefeuert, und wenn, von wem? Das zählte zu den spannenderen Fragen rund um "Noch wach", das zuletzt gestern hier thematisierte Stuckrad-Barre-Buch. Antwort kam am Montag aus und in überraschender Richtung: Springer reichte gegen seinen ehemaligen Führungs-Mitarbeiter Julian Reichelt arbeits- und strafrechtlich Klagen ein. Es geht um Rückzahlung der diesem 2021 ausgezahlten Abfindung zuzüglich Vertragsstrafe in dann insgesamt siebenstelliger Euro-Höhe. Reichelt habe, heißt es in vielen der zahlreichen Meldungen, "gegen Vereinbarungen zur Vertraulichkeit sowie zur Herausgabe und Löschung interner Daten verstoßen" – was womöglich mit der Wochenzeitungs-Veröffentlichung von vor fast zwei Wochen (Altpapier) zusammenhängt. Um das Buch des Springer wie Reichelt gegnerisch gegenüberstehenden Autors geht es dabei einstweilen nicht. Aktuell bleiben dürfte es dennoch.

Als erster hatte der "Spiegel" mit dem Twitter-Account @SPIEGEL_EIL die Meldung, die sich dann lauffeuermäßig verbreitete. Solche Weiter-Melde-Schleifen haben aus Nutzersicht den Vorzug, dass das, was bei den einen hinter Bezahlschranken steht, anderswo ohne welche dasteht.

"'Die offenbar gegenüber Medien erfolgte gezielte Verlautbarung einer solchen Klageeinreichung, noch bevor eine Zustellung dieser Klage an meinen Mandanten erfolgt ist, betrachten wir als entlarvenden und zugleich untauglichen Einschüchterungs- und Ablenkungsversuch', erklärte der Anwalt"

des Beklagten Reichelt, zitiert etwa manager-magazin.de (aus dem Spiegel-Verlag). Die "FAZ" fügte ihrer Onlinemeldung zunächst ein "– angeblich" hinzu, da außer Reichelt und seinem Anwalt auch die Staatsanwaltschaft noch "von nichts" wusste. Von "Vorwärtsverteidigung" Springers ist weiter unten in ihrem Artikel die Rede. Dass Reichelts umtriebiger Anwalt schon länger selber in die Gegenrichtung zu klagen erwog, stand ja bereits in allerhand älteren Meldungen. In der Hinsicht verdient die Meldung von Madsacks RND Interesse, in die via Tweets eingebunden ist, was Reichelt selbst nicht zur Klage-Meldung, doch zum gestern hier erwähnten medieninsider.com-Leak twitterte. Mit dessen Inhalt könnte eine Klage in die Gegenrichtung zusammenhängen

Dass das Ankündigen von Anzeigen noch nicht die Aufnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen bedeutet, kann kaum oft genug erwähnt werden. Dass es sich beim nächsten Schritt in der Sache Springer vs. Reichelt um einen arbeitsgerichtlichen Gütetermin "in einigen Wochen" handeln werde, schreibt die "SZ". Wer das ... klänge Ratten- verächtlich?.. also: Rennen um schnelle Nachrichten über etwas, von dem alle mindestens genug mitbekommen werden, falls es demnächst ernster werden sollte, nicht mitvollziehen möchte, könnte nun den in gedruckten DIN-A-4-Seiten fünfeinhalbseitigen Volker-Lilienthal-Artikel "'Bild' und der öffentlich-rechtliche Rundfunk" bei "epd medien" lesen. Da geht's um das, was Springers "Bild"-Medien, für die Reichelt ja allerhand Jahre lang arbeitete, in den vergangenen 60 Jahren und besonders in letzter Zeit über die Öffentlich-Rechtlichen so berichteten. (Und welcher Seite Lilienthals Sympathien gehören und welcher überhaupt nicht im geringsten, wird rasch deutlich ...).

Freitag ist Finanzbedarfs-Anmeldeschluss

"Die Rundfunkanstalten haben für die Beitragsperiode … einen ungedeckten Finanzbedarf von insgesamt 3.035,4 Mio. Euro angemeldet ..."

Da gestattet sich der eigentlich des Scherzens komplett unverdächtige medienpolitik.net-Betreiber Helmut Hartung doch mal einen kleinen Scherz. Die aufmerksamkeitsheischende Überschrift "Der Tag der Offenbarung" bezieht sich auf den kommenden Freitag, bis zu dem die Rundfunkanstalten ihren künftigen "Finanzbedarf" bei der KEF angemeldet haben müssen (womit dann der komplexe Vorgang der Finanzbedarfs-Ermittlung in eine heißere Phase eintreten wird). Die – nicht wie im Falle Reichelt sieben-, sondern – zehnstellige Zahl aber entstammt noch der bislang letzten Finanzbedarfs-Anmeldung von 2020, löst Hartung dann auf. Was für eine Summe zusammenkommen wird, wird gespannt erwartet, nicht zuletzt von den "Bild"-Medien, und vermutlich früher oder später durchsickern.

"Man wird versuchen, es so lange wie möglich geheim zu halten. Doch warum? Wenn es wirklich einen erhöhten Bedarf geben sollte, kann man ihn doch auch öffentlich beziffern",

fordert Hartung, der außerdem das "Füllhorn" voller ARD-Ideen und geworfene "Nebelkerzen" kritisiert, Transparenz.

Apropos: Lohnt es, die rundfunk-, also medienpolitischen Parteitagsbeschlüsse der FDP zu behandeln? Florian Silbereisen klickt offenbar gut, glauben die jungen Liberalen wie der ältere "Tagesspiegel", bei dem Silbereisen in der URL noch auftaucht, auch wenn die Überschrift "Senderfusion, mehr Information, schlankere Strukturen" lautet.

Streng genommen aber besitzt bestenfalls Symbolcharakter, was die FDP "nach knapp einstündiger Debatte" beschloss. Rundfunkpolitik ist Ländersache und wird in den Ländern von den Staatskanzleien gemacht, die bei den Ministerpräsidenten angesiedelt sind, von denen die FDP – von vier Wochen 2020 in Thüringen mal abgesehen ... – schon lange keinen mehr stellte. Eher akut relevant ist, was ein Medienstaatssekretär sagt (wobei Nathanael Liminski inzwischen den Ministertitel trägt ... was damit zusammenhängt, dass Nordrhein-Westfalen zuletzt wenig Glück bzw. Geschick beim Vergeben des Medienminister-Titels hatte; zuvor trugen ihn, kurz, "WAZ"-Verleger Stephan Holthoff-Pförtner und dann Armin Laschet ). Jedenfalls positioniert sich Liminski bei "@mediasres" als einer der wenigen Bundesländer-Medienpolitiker, die eine Rundfunkbeitrags-Erhöhung nicht vorab völlig ausschließen – bzw. sich an die Gepflogenheit halten, dass die Medienpolitik zumindest öffentlich nichts zum Thema sagt.

"Sollte es ab 2025 allerdings keine Beitragserhöhung geben, steht für unseren Sender die nächste Haushaltskonsolidierungsrunde an",

sagt dann noch, sportlich, eine Rundfunkanstalts-Intendantin.

Was geht beim RBB?

RBB-Intendantin Katrin Vernau gibt heute auf der "FAZ"-Medienseite ein großes Interview, das wiederum Hartung führte. Vernau verrät nochmals, falls das wer bezweifelt haben sollte, dass sie Intendantin bleiben möchte, sich also auf die ausgeschriebene Stelle, die sie einstweilen interimsweise bekleidet, bewarb. Sie kritisiert in gewählten Worten die Arbeitsweise ihrer Vorgängerin Patricia Schlesinger und trägt ein im Intendanten-Maßstab bemerkenswert bescheidenes Öffentlich-Rechtlichen-Narrativ vor:

"Ich bringe in den ARD-Reformdiskurs immer wieder folgende Gedanken mit ein: Wir müssen unser Selbstverständnis überdenken. Wir stehen nicht neben und schon gar nicht über der Gesellschaft und berichten über diese oder senden an diese. Vielmehr sind wir Teil dieser Gesellschaft."

Wonach Hartung nicht fragt, was aber Joachim Huber vom "Tagesspiegel" auffiel: "das Verschwinden des Reiters 'Krise im RBB' von der Homepage rbb24.de." Verschwunden ist allein der Reiter. Die respektablen Berichte des RBB über die Skandale in den eigenen Führungsetagen sind schon noch vorhanden. "Der RBB erklärt seine hauseigene Krise für beendet", liest Huber aber, und hält dagegen:

"Faktisch steht der RBB nackt da. Die Krise an der Senderspitze hat zahlreiche Schwächen in der Programmleistung überdeckt. Es wird nicht länger reichen, die Schuldfragen in die jüngste Vergangenheit und entlassenen Spitzenpersonal zu schieben. "

Tatsächlich sind die Stärken des RBB linear gut versteckt. Das "Medienmagazin" etwa, das nach Radio-Ausstrahlungen am Wochenende im Lauf des Montags in superlangen Bonusmaterial-Versionen nonlinear in die ardaudiothek.de kommt, ist so eine. Die aktuelle Ausgabe befasst sich u.a. mit dem neuen RBB-Verwaltungsrat, zu dem sich Vernau im Interview auch diplomatisch äußert. "Es muss auch sichergestellt sein, dass das Aufsichtsgremium fachlich kompetent besetzt ist" heißt ungefähr, dass das alte Aufsichtsgremium exemplarisch nicht-kompetent besetzt war. Der Satz "Normalerweise misstraut man ja nicht", den die inzwischen ehemalige Verwaltungsrats-Vorsitzende nach gut fünf Minuten in Jörg Wagners "Medienmagazin"-Mikrofon sagt, bringt das Dilemma der ehrenamtlichen Rundfunkräte, wie sie bislang gestrickt waren (und bei anderen Anstalten gewiss teils noch sind), recht perfekt auf den Punkt. Der neue Verwaltungsrats-Vorsitzenden, der am Donnerstag gegen 23.20 Uhr gewählt und um 23.40 Uhr von Wagner interviewt worden war, sagt dann, dass dem neuen achtköpfigen Verwaltungsrat gleich vier Juristen angehören. Falls nun normal werden sollte, dass Rundfunks- und Verwaltungsrats-Mitglieder der Anstalt, die sie kontrollieren sollen, zunächst misstrauen, würde tatsächlich mal etwas besser.

Was geht in der Bundes-Netzpolitik?

Interessanter als, was die FDP zur Rundfunkpolitik beschließt, ist, was sie digital- oder netzpolitisch treibt. Schon weil, da sich da Schalthebel in ihrer Reichweite befinden. Auf ihrem Parteitag kursierte der Spruch von der "Bundesdigitalrepublik Deutschland". Aber sonst? Da zieht netzpolitik.org Zwischenbilanz:

"Etliche der in der Digitalstrategie verheißenen Leuchtturmprojekte glimmen inzwischen nur noch schwach vor sich hin. Und laut Medienberichten könnte die Ampel nun auch noch das versprochene Digitalbudget, mit dem zentrale Vorhaben der Digitalstrategie umgesetzt werden sollen, still und leise beerdigen. Währenddessen hapert es auch gewaltig bei den Themen digitale Identifizierungsverfahren und dem Breitbandausbau ... . Dieses Durcheinander garantiert vor allem eines: dass die Digitalisierung weiterhin schleppend verläuft",

schreibt Daniel Leisegang. Natürlich sympathisiert netzpolitik.org sowieso nicht mit der FDP, außer vielleicht, wenn sich sonst gar niemand in Regierungsnähe gegen Chatkontrolle-Pläne aussprechen mag. Aber die Ampel-Regierung bietet netzpolitisch entgegen ihrer frühen Rhetorik ein recht verheerendes Bild. Die "taz" hat unter der Überschrift "Kooperation gegen Rechtsextremismus: Telegram taucht ab" noch ein Beispiel.

"... So sagte ein BKA-Sprecher der taz, dass zwar nach 560 Löschersuchen des BKA an Telegram später 484 Inhalte nicht mehr aufrufbar waren. Bei der Übermittlung von Bestandsdaten, um Nut­ze­r:in­nen nach Straftaten zu identifizieren, aber kooperiere Telegram seit Monaten nicht mehr. Zu 238 'herausragend strafbewehrten Sachverhalten' habe es bisher Anfragen an Telegram gegeben, von denen 64 anfangs beantwortet wurden. Das letzte Mal aber habe Telegram am 1. Juni 2022 Bestandsdaten herausgegeben – seitdem nicht mehr."

Konrad Litschko weist natürlich darauf hin, dass andere, größere Plattformen wie Facebook und sein Instagram, Tiktok und Twitter in dieser Hinsicht absprachgemäß ohnehin nicht mit dem Bundeskriminalamt kooperieren, vereinfacht gesagt, weil gerichtlich festgestellt wurde, dass unklar ist, wie sich neues EU-Recht zum schlecht formulierten und später eher nachverwässerten als -gebesserten NetzDG verhalten wird. Dass die vermutlich noch in Dubai ansässige Plattform Telegram, für die russisch- und ukrainischsprachige Märkte bzw. Staaten wichtiger sind als Deutschland, davon auch erfuhr und die deutsche Bundesregierung wieder nicht mehr ernst nimmt, kann niemand ernsthaft der Plattform vorwerfen.


Altpapierkorb (Fox News & Tucker Carlson, Twitters Haken unlauterer Wettbewerb? Hitler-Tagebücher nach Koblenz)

+++ Breaking in den USA, bzw. "stunning", wie in vielen englischsprachigen Meldungen steht: die Trennung des umstrittenen US-amerikanischen Senders Fox News von seinem noch umstritteneren Moderatoren Tucker Carlson. Siehe u.v.a. CNN oder auf deutsch dwdl.de. +++

+++ Lohnt es sich, Twitters Umgang mit inzwischen offiziell bezahlpflichtigen, aber für viele, die sie hatten, gar nicht mehr attraktiven Häkchen zu beschreiben, obwohl der sich bzw. Elon Musk ihn sowieso laufend ändert? Manche Zeitungen tun ihr Bestes. Einen Überblick bot heise.de. Im Versuch, "den Verkauf der unbeliebten Blauen Haken durch Vorspiegelung von zahlenden Referenzkunden zu fördern", sieht Rechtsanwalt Chan-jo Jun einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, schreibt er... auf Twitter. Der Thread führt dann zu einem Youtube-Video mit Jun (und seinem Pudel). +++

+++ "In Rheinland-Pfalz soll mit der Monocam ein System eingeführt werden, das automatisch erfasst, wenn ein Autofahrer während der Fahrt ein Mobilgerät benutzt" und in den Niederlanden sich bereits bewährte sowie als datenschutzrechtlich unbedenklich eingestuft wurde, meldet heise.de. +++

+++ Die gefälschten Hitler-Tagebücher kommen weit rum. Nachdem sie erst bei RTL ausgiebig behandelt wurden, sind sie nun nochmal Thema der ARD. Nachdem Bertelsmann die papiernen Fälschungen aus Hamburg nach Gütersloh verfrachten ließ (Altpapierkorb), reisen sie nun weiter gen Süden ins Bundesarchiv, um "am Standort Koblenz auf Dauer aufbewahrt und ... zugänglich gemacht" zu werden (Bertelsmann-PM). +++

+++ Zum gestern hier erwähnten Bundespresseball erreichte uns noch folgender Leser-Klicktipp zum Funke-Leitmedium bunte.de (das allerdings offenbar keine eigenen Fotografen nach Berlin sandte, sondern Getty Images-Fotos zum Durchklicken anbietet). Danke jedenfalls. +++

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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