Das Altpapier am 2. Juni 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 2. Juni 2023 Kaffeeservice im Geschirrhandel

02. Juni 2023, 10:27 Uhr

In wenigen Wochen beginnt die Fußball-WM der Frauen – ob sie bei ARD und ZDF zu sehen sein wird, ist aber immer noch unklar. Die "Tagesschau" wird für ihre Beruhigungsrituale kritisiert. Und ein Medienminister fordert Tempo bei der Zeitungszustellförderung. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Sky und DAZN sind raus

In weniger als zwei Monaten beginnt die Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Frauenfußball, zur Erinnerung, ist dieser Sport, der während der letzten Europameisterschaft aufmerksamkeitstechnisch geboomt haben soll (Altpapier). Aber wer die Spiele in Deutschland zeigt, ist so kurz vor Turnierbeginn immer noch nicht klar. Darüber wird schon seit Wochen immer wieder berichtet. Neu ist nun dies: Sky und DAZN sind wohl raus. "Sky und DAZN haben trotz ihres verstärkten Engagements im Frauensport kein Interesse an den Fernseh-Rechten der Fußball-WM", so eine dpa-Meldung vom Donnerstag.

Es fragt sich, worin das verstärkte Engagement im Frauensport eigentlich besteht, wenn man eine vergleichsweise billige Fußballweltmeisterschaft nicht zeigen will. Die Fußball-Champions-League zeigt DAZN ja zum Beispiel auch. Die Spiele mögen aus Zeitverschiebungsgründen ungünstig liegen, oder wie viel Uhr ist es in Neuseeland gerade? Aber ob man dann von Engagement für Frauenfußball sprechen kann?

Andererseits: Wenn irgendjemand auf dem deutschen Fernsehmarkt tatsächlich die Aufgabe hat, große Sportereignisse zu zeigen, dann sind das ARD und ZDF. Die haben bislang aber auch keine Übertragungsrechte gekauft. Weshalb sie sich das mittlerweile wiederholte Drängen der Bundessportministerin gefallen lassen müssen. (Wobei man auch festhalten muss, dass die Bundessportministerin den Öffentlich-Rechtlichen nicht in die Inhalte reinzuquatschen hat.)

Der neue Stand auf dieser öffentlich-rechtlichen Baustelle ist dieser: "Wir wollen unbedingt – wir haben in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen, dass wir den Frauenfußball zeigen und sichtbar machen wollen." Das hat ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky auf dem Sportbusinesskongress SpoBis Agenturen zufolge gesagt. Aber woran liegt es dann, dass es vielleicht nicht klappt? Zum einen wohl am Geld. Geboten haben ARD und ZDF nach einem "Kicker"-Bericht von Mitte Mai fünf Millionen Euro.

Das ZDF kommentierte das mit dem Satz: "Das Angebot, das ARD und ZDF für den Erwerb der Übertragungsrechte abgegeben haben, entspricht einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Rundfunkbeitrag." Und das ist auf den ersten Blick ein gutes Argument. Andererseits ist es etwas merkwürdig, dass man bei einem Frauenturnier derart ritterlich agieren will, während man bei erheblich teureren Männer-WMs in der Vergangenheit nicht so zimperlich war. Der Online-"Spiegel" warf ARD und ZDF kürzlich vor, sie würden nur "etwa zwei Prozent der Summe" bieten, "die die Sender für die Männer-WM 2022 bezahlt haben". Also ein Kaffeeservice im Vergleich mit einem Geschirrladen. Seltsame Relationen.

Ein anderer guter Grund für die stockenden Verhandlungen mit dem Fußballweltverband Fifa dürfte dessen Verhalten sein, das als undurchsichtig noch recht wohlwollend beschrieben wird (siehe etwa Redaktionsnetzwerk Deutschland/sportbuzzer.de). Axel Balkausky von der ARD wird nun zitiert, man könne und werde sich von der Fifa nicht erpressen lassen. Was nachvollziehbar ist. Auch in anderen Ländern ist die Übertragung noch immer nicht gesichert.

Insgesamt weiß man aber einfach nicht so recht, was man von all dem nun halten soll. Die Männer-Turniere bis 2028 sind fernsehrechtetechnisch längst in trockenen Tüchern (dwdl.de). Und das Frauenfinale war 2022 die meistgesehene Fernsehsendung des Jahres – in einem Jahr, in dem auch eine Männer-WM stattfand. Wollen ARD und ZDF den Fußballweltverband nur hinhalten, um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten? Oder nehmen sie tatsächlich in Kauf, dass die Frauen-WM am Ende gar nicht zu sehen sein wird?

Ein Skandal wäre das vielleicht nicht, dafür gibt es mutmaßlich doch zu wenige Leute, die zu sehr nächtlichen Zeiten Fußball sehen wollen würden, der bei einer WM nicht immer zwangsläufig hochklassig ist. Allerdings müssten sich die sonst recht fußballbegeisterten Sender bei den nächsten Rechteverhandlungen über eine Männer-WM dann auch an ihren Argumenten messen lassen. Hier nochmal zwei zentrale Punkte von ARD und ZDF: a) Man muss verantwortungsvoll mit dem Rundfunkbeitrag umgehen. Und b) man kann und darf sich von einem gewissen Sportverband nicht erpressen lassen.

Rot ist die Warnung

Weiße Buchstaben auf signalrotem Grund: Das ist die Optik einer Warnung. "Achtung, TikTok!" steht auf dem Titel der "Zeit", die davor warnt, dass Jugendliche von der App quasi verschluckt werden könnten. Das zumindest legt das Cover leise nahe. Manfredspitzerianer dürften bei der Lektüre genüsslich-sorgenvoll die Ellbogenpatches ihrer Cord-Jacketts aufs Papier stützen. Allerdings ist die Sorge vor manchem TikTok-Phänomen nicht so empiriearm überdreht wie manch andere vergessene Internetpanik.

Worin Risiken gerade bei TikTok bestehen können, sagt Diana Doko vom Verein "Freunde fürs Leben" in einem Interview, das in der "taz" erschienen ist. Der Verein klärt auf allen möglichen Kanälen und in verschiedenen Formaten über Depressionen auf. Aber, so Doko, er tue das derzeit nicht auf TikTok:

"Im Videoformat namens Real Talk etwa erklären wir in drei Minuten: Depression, was ist das? Wer kann es kriegen? Wie kann ich helfen, wenn jemand nicht mehr leben will? (…) Das Problem bei Tiktok ist: Wenn jemand sich für Depression interessiert oder für Suizid, dann kriegt er oder sie nur noch solche Videos vorgeschlagen. Das ist gefährlich. Wir sind deshalb bereits im Gespräch mit Agenturen, die für Tiktok tätig sind – aber solange der Algorithmus nicht gebrochen werden kann, finden wir es nicht verantwortbar, dort aufzutreten."

(Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner. Telefonnummern: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 www.telefonseelsorge.de).

Blau ist die Beruhigung

Blau sind der Horizont und die Wandfarben von Baby-Schlafzimmern. Blau ist die "Tagesschau". Auch sie funktioniert nach einem Algorithmus – wenn auch nicht nach einem, der mit dem von TikTok vergleichbar wäre. Algorithmen selbst sind also kein Social-Media-Phänomen, sondern eigentlich nur schematisierte Handlungsabläufe. Man findet sie auch im Formatfernsehen, dort heißen sie nur selten so.

Hermann Rotermund hat den "Tagesschau"-Algorithmus für die neue Ausgabe von "epd Medien" nun anhand von acht Ausgaben analysiert. Er kritisiert die Hauptnachrichten für ihren "selbst auferlegten Formatzwang", der "letztlich alle Ereignisse" nivelliere, als "beruhigende Welterzählung":

"Auch echte Katastrophen können durch die mit Stereotypen gesättigten Aufarbeitungen ihren Schrecken verlieren. Fraglich ist, ob standardisierte Berichte, die durch Reisen und Treffen von Politikern, durch Konferenzen, Messen und andere Veranstaltungen veranlasst werden, überhaupt eine Informationsqualität im strengen Sinne besitzen. Im Grunde liefern sie keine Neuigkeiten, sondern eher die Bestätigung der unermüdlichen Tätigkeit der ins Bild gerückten Akteure und damit der von ihnen vertretenen Institutionen. Sie vermitteln den Eindruck, dass die Welt nicht völlig in Unordnung sein kann, solange diese Rituale funktionieren."

Und er schreibt auch:

"Bei der 'Tagesschau' wird journalistische Arbeit durch die Form der Verkündung unsichtbar gemacht. Andere journalistische Medien haben als Reaktion auf die Entwicklung der digitalen Kommunikation an ihrer Sichtbarkeit und Dialogfähigkeit gearbeitet. Doppelmoderationen in Nachrichtensendungen, auch die knappen Dialoge zwischen Presenter und Reporter (wie sie in etwas gestelzter Form auch in den 'Tagesthemen’ vorkommen) können Funken hervorbringen, die auf die Rezipienten überspringen und dort Gespräche auslösen. Die 'Tagesschau'-Redaktion hingegen scheint Wert auf die Vermeidung des Dialogs zu legen. Die Sendung vermittelt den Eindruck einer Kurzandacht in der Wohnzimmerkapelle."

Der Text ist derzeit nicht online. Online ist ein anderer, vor einem Jahr erschienener Text, der ebenfalls die Möglichkeit bietet, die vorgebrachten Aspekte mit einem eigenen Eindruck abzugleichen: Argumente, warum man die "20-Uhr-Tagesschau" modernisieren oder sogar in der jetzigen Form (zugunsten vorgezogener "Tagesthemen") abschaffen sollte, hat Peer Schader damals in seiner "DWDL"-Kolumne aufgeschrieben.

Liminski zur Pressezustellförderung

Die "FAZ"-Medienseite wird bestimmt von einem Interview mit NRWs Medienminister Nathanael Liminski (CDU). Eine Reihe Öffentlich-Rechtlichen-Kritik-Bingo darf bei der Konstellation wohl nicht fehlen. Liminskis Antwort auf die Bingo-Frage, ob er als Konservativer die Ansicht teile, "dass öffentlich-rechtliche Sender eine linksgrüne Agenda verfolgen", lautet: "Angesichts mancher Beiträge kann ich die Kritik nachvollziehen, es gebe in den Redaktionen zu wenig Pluralität."

Dass ein Politiker manche Beiträge nicht gut findet – geschenkt. Aber fehlende Pluralität kann man nicht belegen, indem man auf ein bisschen Programm verweist. Warum, fragt man sich, kann man diese immer wieder als Behauptung vorgetragene Kritik denn nicht mal konkretisieren? Haben alle Nachrichtenmagazine eine "linksgrüne" Agenda? Alle Politikmagazine? Wirklich? Sind 95 Prozent der Interviews mit Grünen-Politikern unkritisch, während ebenso viele mit CDU-Politikern kritisch sind? Wird in allen Talks gegendert? Weiß Markus Lanz davon?

Leiser Verdacht: Wäre die Kritik zu konkret, bestünde das Risiko, dass man sie widerlegen kann.

Im zweiten Teil des Interviews geht es um die Pressezustellförderung (Altpapier), die nicht unumstritten ist, die aber zu den großen Anliegen der Verlage gehört. Liminski sagt über die Bundesregierung, die zuletzt mit der Klärung der Zuständigkeit beschäftigt war:"Die Bedeutung des Themas wird durchaus gesehen, aber ... ich will es mal so zusammenfassen: Es kommt jetzt auf den Kanzler an." Die Zeit dränge, findet er, denn:

"Wenn die Presseförderung nicht im Etat 2024 abgebildet ist, der nach Auskunft von Finanzminister Christian Lindner Anfang Juli stehen soll, verlieren wir weitere anderthalb Jahre. Diese Zeit haben wir nicht."

Auch die weitere Berichterstattung der Medienseiten, Mediendienste und Medienblogs ist heute wieder stark geprägt von den Öffentlich-Rechtlichen. Einen Überblick gibt es nun im Altpapierkorb.


Altpapierkorb (Deutsche Welle, RBB-Programm, Dritte Programme, ARD Kultur, "Markus Lanz")

+++ Bei der Deutschen Welle wird gespart (Altpapier). Nun sei es dem Management, dem Personalrat und der Gesamtschwerbehindertenvertretung "gelungen, eine Vereinbarung zu treffen, die die aktuellen Einsparmaßnahmen beim Sender abmildern soll" (dwdl.de).

+++ Claudia Tieschky von der "SZ" will von der neuen RBB-Programmdirektorin Martina Zöllner wissen, ob sie angesichts der Sparmaßnahmen auf dem Höhe- oder Tiefpunkt ihrer Karriere ist. Sie sagt: "Wir hatten Wochen der Grausamkeit – das Ermitteln, wo gespart werden soll. Jetzt geht es an die Umsetzung, teilweise sind harte Schnitte zu vollziehen. Es wird aber im Haus zum ersten Mal wieder fühlbar über Programm geredet."

+++ Dietrich Leder hat sich für den KNA-Mediendienst (nicht frei online) drei Wochen lang die Dritten Programme der ARD angeschaut: "Strukturell gleichen sich alle Dritten Programme. Vormittags, nachmittags und nachts werden Sendungen wiederholt. Die vielen regionalen und teilweise subregionalen Sendungen, zu denen sich die Programme am frühen Abend auseinanderschalten, laufen erneut nachts und am Morgen nacheinander statt parallel. Das füllt kostenfrei Sendeflächen, ohne einen Sinn zu ergeben. Vor- wie nachmittags werden Sendungen des Ersten Programms wiederholt (…). Legt man all die Programmpläne nebeneinander, ist man verblüfft, wie ähnlich sie einander sind und sich doch minimal unterscheiden. Es ist wie bei einem Autokäufer, der das Fahrzeug erwirbt, das auch alle anderen fahren, und das sich deshalb wenigstens farblich unterscheiden soll."

+++ Helmut Hartung hat für sein Blog medienpolitik.net ausführlich mit MDR-Intendantin Karola Wille und -Programmdirektorin Jana Brandt über das beim MDR angesiedelte Portal ARD Kultur gesprochen. "Ist ARD Kultur ein Alibi für eine mögliche Verringerung der Kulturberichterstattung der ARD?", fragt er, und Wille antwortet: "Nein. Im Gegenteil: ARD Kultur soll ein neues, zusätzliches Kulturangebot sein und damit den Kulturauftrag und den Markenkern der ARD stärken."

+++ Der "Tagesspiegel" begeht das 15. Jubiläum von "Markus Lanz" mit einem Rückblick auf die Entwicklung des Talks. Fazit: "Das hat er geschafft, der Markus Lanz: Eine Talksendung aus einer Belustigung des Publikums in eine Bereicherung des Publikums zu verwandeln."

Am Montag schreibt Jenni Zylka das Altpapier. Schönes Wochenende!

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