Das Altpapier am 7. Juni 2023: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G

Kolumne: Das Altpapier am 7. Juni 2023 Unterhaltung mit Mehrwert

07. Juni 2023, 09:48 Uhr

Der RBB sorgt knapp ein Jahr nach Schlesinger-Skandals weiter für größeres Medienmedien-Kino. Auf der Republica prallen interessant Welten aufeinander. Wird in Baden-Württemberg die Zeitungs-Digitalisierung auf die harte Tour durchgesetzt? Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Spannung und Spannungen im RBB

Leuchtet oben im Berliner Hauptbahnhof immer noch der RBB-Werbespruch "Bloß nicht langweilen"? Passen würde er zumindest weiter. Der RBB unterhält vielleicht nicht unbedingt in seinen linearen Programmen, tut als Anstalt aber sein Bestes, um Medienmedien Stoff zu liefern.

Aktuell geht's um die Fragen, wer Intendantin wird bzw. ob zu den drei bis vier Kandidatinnen (Altpapier gestern) womöglich doch noch wieder ein Kandidat gehören wird. Nun teilten die beiden Personalvertreterinnen aus der Findungskommission mit, dass bei insgesamt drei Mitgliedern dieser insgesamt sechsköpfigen Kommission der gestern hier schon erwähnte Radio Bremen-Programmdirektor Jan Weyrauch als "der geeignetste Kandidat" gegolten, seine Bewerbung allerdings "vorerst dennoch zurückgezogen" habe. Grund dafür sei eine im Bewerber-Auswahl-Verfahren "plötzlich eingeführte" und "absolute" Gehaltsobergrenze:

"Wie DWDL.de aus RBB-Kreisen erfahren hat, will der Verwaltungsrat nun aber durchdrücken, dass die künftige Intendantin bzw. der künftige Intendant das niedrigste aller ARD-Intendantengehälter erhält".

Dieses, nun ja: niedrige Gehalt verortet dwdl.de anhand Zahlen der kleinen ARD-Anstalt Saarländischer Rundfunk "irgendwo zwischen 200.000 und 240.000 Euro". Wohingegen Claudia Tieschky auf der "SZ"-Medienseite von bloß "ungefähr 180.000 Euro" schreibt. ("Im ARD-Gehaltsgefüge kann man ... selbst in viel weniger exponierten Positionen mehr verdienen"). Auf "rund 200.000 Euro im Jahr" bezifferte zunächst die "Berliner Zeitung" das vorgesehene Gehalt (bzw. bekam diese Summe "aus den Gremien kolportiert"). Was Christine Dankbar für den Spin "Nur noch Frauen im Rennen – weil sie bescheidener sind?" nutzt.

Zur Gemengelage gehört, dass die Aufgabenverteilung zwischen Rundfunkrat und Verwaltungsrat auch wieder umstritten ist. Dass tatsächlich in allen Rundfunkanstalten oft unterschiedliche, aber meist alte und kontraproduktive Regelungen gelten, was das eine Gremium und das andere Gremium jeweils darf und nicht darf, beschrieb der Ex-WDR-Sprecher (und Ex-WDR-Rundfunkrat) Jürgen Bremer gerade gestern in der "FAZ". Den auch hier im Altpapier empfohlenen Artikel zu lesen, lohnt.

Nun "geben sich im RBB aktuell viele Akteurinnen und Akteure reichlich Mühe, sich und den Sender in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken", kommentiert tagesaktuell dwdl.des Timo Niemeier. Im "arg gebeutelten Sender versuchen gerade viele, das Beste aus dem Wenigen zu machen", hält Tieschky dagegen. Und die Gremien handeln aus gutem Grund – die Bundeskanzler-mäßigen Spitzengehälter der Intendanten selbst kleinerer Rundfunkanstalten runterzufahren. Der RBB bietet Unterhaltung, aber mit Mehrwert.

Zu den von den Finderinnen und Findern gefundenen und, falls man den Dankbar-Spin fortschreiben wollen würde, hinreichend bescheidenen Kandidatinnen lässt sich natürlich auch das eine oder andere sagen. Z. B., dass an der Anstalten-unerfahrenen Heide Baumann für den RBB vielleicht "die Tatsache ..., dass sie eine Approbation als Psychotherapeutin besitzt", interessant sein könnte (Tieschky). Oder, zur Kandidatin Ulrike Demmer: "Wie kommt man ... als langjährige Sprecherin der Bundesregierung in Zeiten einer 'Staatsfunk'-Debatte auf die Idee so einer Bewerbung?" Das fragte Julius Betschka vom "Tagesspiegel". Gegenfrage: Wer würde denn ausgerechnet beim RBB Staatsferne erwarten? (Und Demmer sprach zwar zu Angela Merkels Zeiten für die Bundesregierung, wurde für diesen Posten aber von der SPD nominiert, die in Berlin und Brandenburg schließlich nirgendwo nicht mitregiert ....)

Übrigens wird die Wahl der Intendantin (falls es nicht noch der Kandidat wird und sie, die Wahl, gelingen sollte) am 16. Juni, also ein Jahr minus eine Woche nach dem "Tag, an dem das Magazin 'Business Insider' erstmalig über die Vorwürfe gegen die damalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger berichtet" hatte, stattfinden. Diese hübsche Beobachtung stellt Deutschlandfunks "medias@res" an. Vielleicht passgenau zum Jahrestag bündelt businessinsider.de, das für seine RBB-Recherchen ruhig mal einen der vielen Journalismus-Preise gewinnen könnte (und falls eine Jury kühn ist: warum nicht ex aequeo mit dem RBB selbst, dessen Investigativ-Redaktion ja auch bemerkenswert unerschrocken in eigener Sache berichtet hatte?) seine Berichte auf dieser Seite.

Haarsträuben auf der Republica

Wenn Sie eben beim Deutschlandfunk reinhörten: Da ging's vor allem um die Republica, die am heutigen Mittwoch noch heute läuft und jede Menge Diskussionsstoff erzeugt oder (wenn es um Dauerbrenner wie die Öffentlich-Rechtlichen geht) warmhält.

Vertreter der Bundesregierung nahmen, soweit sie der FDP angehören, halt ihre Buhrufe mit ("Berliner" über Finanzminister Lindners, heise.de über Verkehrs-Digital-Minister Wissings Auftritt). "Wir werden für eine Beitragserhöhung kämpfen", also für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags, kündigte der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke deutlich wie noch nie an.

Kämpferisch von einer aufschlussreichen Veranstaltung berichtet auch netzpolitik.org. Da spielt ein ein alter Bekannter aus früheren Jahrzehnten eine Rolle: Marc Jan Eumann gehörte, als es noch Medienpolitiker gab, die Medien nicht nur als Tritt- oder Sprungbrett für einflussreiche Politikressorts betrachteten, zu den profilierten Medienpolitikern der SPD (die gab es mal!). Dann wollte er Chef der Medienanstalt Rheinland-Pfalz werden, was größere Aufregung auslöste, weil Regierungsferne seinerzeit noch Bedeutung beigemessen wurde. Hier im Altpapier stand mal der Fachbegriff "Eumannismus", der sich dann aber doch nicht durchsetzte. Nun ist Eumann immer noch Anstalts-Direktor sowie Vorsitzender der KJM (Kommission für Jugendmedienschutz). Und muss online lesen, dass seine Behörde eine "teils haarsträubende Denkweise" pflegt und "dass ihm Datenschutz egal" bzw. "wumpe", wie er selber sagte, sei:

"Die deutsche Medienaufsicht möchte das Internet auf den Kopf stellen. Pornoseiten, die meistbesuchten Websites der Welt, sollen künftig das Alter ihrer Besucher*innen kontrollieren. Dafür sollen Abermillionen Nutzer*innen gegängelt werden: Vor dem Besuch einer Pornoseite sollen sie etwa ihren Ausweis vorlegen oder ihr Gesicht scannen lassen. Es gäbe zwar deutlich weniger aufdringliche Möglichkeiten, um Jugendliche von Pornoseiten fernzuhalten. Etwa Jugendschutz-Filter, die Eltern auf dem Gerät ihrer Kinder und Jugendlichen installieren. Aber solche Filter sind laut deutschem Recht nicht ausreichend",

ärgert sich netzpolitik.org. Tatsächlich gehört der Kampf "gegen Porno-Portale" und für das, was in älteren föderalen deutschen Mediengesetzen über Jugendschutz halt steht, zu den Steckenpferden der föderal organisierten Medienwächter. Da nehmen sie sogar das Sitzland-/ Herkunftslandprinzip, das in der EU dummerweise gilt, ins Visier. Auch wenn die Portale in Zypern registriert sind (Altpapier)...

Wie das weitergehen soll, wenn diese in älteren Strukturen und Regelwerken verhaftete deutsche Medienaufsicht demnächst an der Umsetzung des EU-Gesetzes DSA mitarbeiten wird, vermutlich unter der Koordination des bereits wiederholt designierten, aber weiterhin noch nicht bestätigten Digital Services-Coordinators und Bundesnetzagentur-Präsidenten Klaus Müller (falls dem nicht noch dazwischen kommt, dass er zum großen, inzwischen nicht mehr überall begrüßten Freundeskreis Robert Habecks gerechnet werden kann ...), bleibt spannend. Insofern ist viel wert, wenn auf der Republica mal Welten zusammenprallen, wie im netzpolitik.org-Beitrag schön beschrieben.

Übrigens könnten Schelme das diesjährige Republica-Motto "Cash" auch damit verknüpfen, dass voriges Jahr das vom Bundespresseamt gezahlte Honorar der von Bundeskanzler Scholz mitgebrachten Interviewerin Linda Zervakus nachträglich für allerhand Wirbel sorgte und Enthüllungen über Bundesregierungs-Honorare für Journalisten in Gang setzte, die zähflüssig immer noch weitergehen. Inzwischen wird wieder sehr wenig drüber berichtet, auch weil sich außer der AfD keine Partei dafür einsetzt. Aber etwa focus.de tut's.

Presse-Digitalisierung auf die harte Tour?

Weniger auf der Republica als am Rande, bei einer Buchvorstellung, ließ Scholz' Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt anklingen, dass sich die Bundesregierung "in sehr intensiven Gesprächen mit den Verlegern" zur Frage der Zeitungs-Zustellungs-Förderung befinde. Dass es ausgerechnet bei diesem Gesetzesplan mal schnell ginge, sei aber nicht zu erwarten, schon weil außer dem "Problem der Staatsferne" auch noch die Frage gelöst werden muss, wo genau im künftigen Bundeshaushalt, in dem ja außerdem gespart werden soll, die Subvention auftauchen wird.

Von einer andere Ecke der Zeitungs-Landschaft liefert die kämpferische "Kontext"-Wochenzeitung ein frisches Sittengemälde. Es geht um die Südwestdeutsche Medienholding, der außer der renommierten "Süddeutschen" auch die beiden Stuttgarter Tageszeitungen gehören, und um die Schließung des Stuttgarter Druckhauses, die harte Kündigung des Betriebsrats-Vorsitzenden und dessen harte Reaktionen darauf. Zeitungen gedruckt würden nun nur noch in der nahen Stadt Esslingen, bei einem Betrieb, der "raus ist aus dem Tarif" (was aber nicht "übertariflich" bedeutet, so wie öffentlich-rechtliches Spitzenpersonal gerne bezahlt wird...):

"Eine auf ein Drittel zusammengesparte Belegschaft versucht, auf einem Drittel der bisherigen Maschinen die Zeitungen zu produzieren, im 'Dauerstress' von bis zu 12-Stunden-Schichten",

zitiert "Kontext"-Gründer Josef-Otto Freudenreich den bewussten Betriebsratschef Samir Alicic. Daher seien diverse SWMH-Lokalblätter zeitweise gar nicht gedruckt erschienen, was aber weniger Kollateralschaden der Spar-Bemühungen als vielmehr Konzept sei. Alicic

"glaubt, und damit ist er nicht alleine, an keine dieser Verheißungen. Seit nunmehr 15 Jahren sieht er Inhalte und Auflage im Sturzflug, unterstellt er die Absicht, die gedruckte Zeitung so weit 'runter zu rocken', dass der Kundschaft nur noch das Dasein im Digitalen bleibt, und dass sie darauf vorbereitet wird ..."

Digitalisierungs-Förderung nicht etwa, indem Verlage Tablets günstig anbieten bis verschenken (so wie es in anderen Regionen gemacht wird, in denen sich die Zustellung von immer weniger abonnierten gedruckten Zeitungen nicht mehr rechnet), sondern auf die harte Tour – diese Idee müsste in die laufenden medienpolitischen Diskussionen einfließen. Dann ginge es ja womöglich doch ohne Subventionen aus dem Bundeshaushalt.


Altpapierkorb ("FAZ" vs. dpa; Hongkong; Pakistan; Südosteuropa; Apples Brille; neue Idee zum Streamingkosten-Senken)

+++ "Dass mehrere Medien aus diesen dpa-Meldungen grob irreführende eigene Berichte gemacht haben, in denen explizit davon die Rede ist, dass die UN die Aktivitäten der deutschen Staatsanwaltschaften 'beobachten' und die Letzte Generation unterstützten, ist unbestreitbar. Aber wie irreführend sind diese dpa-Meldungen?" So fasst Stefan Niggemeier bei uebermedien.de den Streit zwischen der "FAZ" und der dpa zusammen. Darin enthalten sind Vorwürfe der "FAZ" vom vorigen Donnerstag (die auch im Altpapierkorb erwähnt waren) und die Reaktion der dpa. Per Nachtrag enthalten: dass Michael Hanfeld heute fast seine ganze große Medienseite freiräumte, um auf die Reaktion der dpa zu reagieren ... +++

+++ Es gibt soo viele schlechte Nachrichten, auch zur Medienfreiheit, dass eine gute, auch wenn sie unspektakulär erscheint (weil bloß eine Geldstrafe gegen eine Investigativjournalistin, Bao Choy, aufgehoben wurde), auch Erwähnung verdient. Zumal das höchstgerichtliche Urteil in Hongkong fiel! (faz.net). +++ "Nach mehr als 30 Stunden in der Gefangenschaft der Taliban teilte ihm deren Anführer mit, dass sie seine Tötung beschlossen hätten. Sie würden ihm aber noch eine Chance geben, wenn er über seine Entführer und was sie ihm antaten, Stillschweigen bewahre." Doch der pakistanische Journalist Gohar Wazir schwieg nicht, sondern erzählte seiner Geschichte der "taz". +++

+++ Lesenswert auch, was der schon erwähnte Timo Niemeier ebenfalls bei dwdl.de aus Zagreb berichtet. Da geht es um den südosteuropäischen Fernsehmarkt, von dem deutsches Fernsehen allerhand lernen kann – und womöglich auch lernen wird, weil einem in Südosteuropa stark vertretenen Fernsehkonzern auch zunehmend größere Teile der ProSiebenSat.1-Gruppe gehören. (Womit nun nicht der Berlusconi-Konzern gemeint ist). +++

+++ "Hinter all den Skurrilitäten lugt schon aber mehr hervor: Apple scheint ein entscheidender technischer Sprung gegenüber der Konkurrenz gelungen zu sein, geringe Latenz und scharfe Textdarstellung machen den virtuellen Arbeitsplatz erstmals greifbar". Trotz eines "holprigen Anfangs" und wie immer höchster Preise könnte das vielbesprochene neue Apple-Gerät, also die "smarte" oder Daten-Brille, "auf lange Sicht das Smartphone" ersetzen, kommentiert heise.de. +++

+++ Noch ein neuer Trend aus USA: Inhalte entfernen, um Streaming-Kosten zu senken. Disney und weitere Plattformen tun das bereits, meldet der "Standard". +++

Das nächste Altpapier kommt am morgigen Donnerstag (der ja nur ein katholischer Feiertag ist) von Ralf Heimann.

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