Das Altpapier am 9. Februar 2018 Mord in der Holzklasse

Schasst Dieter von Holtzbrinck Gabor Steingart, weil dieser auf blöde Sprachbilder steht? Vergrault der WDR Hajo Seppelt, indem er an der falschen Stelle spart? Wie viele Jahre Berufserfahrung brauchen Frauen, um endlich fair bezahlt zu werden? Wie sehen Medienberichte aus, die der AfD gefallen? Und ist "Servus. Grüezi. Hallo." wirklich ein guter Name für einen transalpinen Podcast? Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Für den morgendlichen Newsletter „Morning Briefing“ aus dem Hause Handelsblatt und der Feder Gabor Steingarts ist heute ein großer Tag. Denn selten wurde sein Erscheinen wohl so sehnsüchtig erwartet wie heute. Sechs Uhr wie üblich? Sieben Uhr? Nein, selbst um acht ist er immer noch nicht da. Scheint also etwas dran zu sein an der Meldung, die das sonst dem Medienjournalismus abgeschworen habende Nachrichtenmagazin Der Spiegel gestern Abend weltexklusiv per Autoren-Quartett vermeldete, nämlich dass Verleger Dieter von Holtzbrinck die Newsletter-Ausgabe vom Mittwoch so missfallen habe, dass Steingart nun vor der Ablösung stehe.

„Dieter von Holtzbrinck gilt eigentlich als Verleger, der gegenüber seinen Chefredakteuren loyal ist und sich nicht in die politische Berichterstattung einmischt. ,Aber wenn er mit jemandem bricht, dann bricht er’, sagt ein Vertrauter“,

so Der Spiegel. Stein des Anstoßes scheint eine missglückte Analogie Steingarts zu sein, die den Machtkampf zwischen Martin Schulz und Andrea Nahles? Nee. Kevin Kühnert? Angela Merkel? Ach, nein, Sigmar „den gibt es ja auch noch“ Gabriel mit der Planung eines „perfekten Mords“ gleichsetzt. Nicht unbedingt geglückt, wenn Sie mich fragen, aber indem Steingart zum Abschluss „einen lebensfrohen Start in den neuen Tag“ wünscht und der Spaß mit Sherlock-Holmes-Scherenschnitt bebildert daherkommt, fühlt man sich jetzt nicht wirklich bemüßigt, die Polizei zu rufen.

Holtzbrinck, der sich auf der Seite der Handelsblatt Media Group noch neben Steingart und dessen „Wir sind keine Tochterfirma der Holzindustrie, sondern eine Gemeinschaft zur Verbreitung des wirtschaftlichen Sachverstandes" präsentiert, wie Der Standard aus Österreich bemerkt hat, scheint das anders zu sehen.

Der Spiegel hat von Steingarts Anwalt Schertz noch ein weiteres schönes Zitat mitgebracht: „Gabor Steingart achtet die Meinungsfreiheit nicht nur, er praktiziert sie auch."

Jetzt (8.28 Uhr)? Nee, tut mir leid, immer noch nichts Neues. Aber checken Sie gerne regelmäßig selbst.

(Nachtrag kurz vor elf: Jetzt aber! Die im Teaser formulierte Frage ist damit tatsächlich mit ja zu beantworten.)

Der WDR mag Investigatives nicht rechtlich absichern und riskiert den Abgang Hajo Seppelts

Offenbar ist heute nicht nur Tag der Personalien, sondern auch die große Stunde der Medienmeldungen aus dem Verlagshause Spiegel. Denn beim dort - manche mag das überraschen - immer noch erscheinenden Spiegel Daily berichtet Ulrike Simon, Dopingexpertenübervaterinvestigativjournalist Hajo Seppelt und der WDR bekämen die Verlängerung des im März auslaufenden Vertrags nicht auf die Kette.

Woran das liegen könnte, dafür liefert Simon gleich zwei Gründe.

„Enthüllung folgte auf Enthüllung, das Renommee der Dopingredaktion wuchs mit der Zahl der zu recherchierenden Fälle, der Menge auszuwertender Daten und grenzüberschreitender Kontakte. Womöglich strapazierte das die vorhandenen Strukturen des WDR über, das Budget sicher auch“,

ist der eine. Zum anderen verweist sie auf die Unfähigkeit der ARD-Anstalten, den freien Produzenten investigativer Formate den notwendigen rechtlichen Beistand zuzusichern, den man für derartigen Journalismus nun mal braucht.

„Am Ende war es die ,Koalition der Willigen’ aus NDR, RBB und MDR, die zu einer Selbstverpflichtungserklärung bereit war. Die anderen sechs Anstalten bezeichneten diese Maßnahme als überflüssig, einige ärgerten sich sogar, dass Produzenten investigativer Recherchen zu NDR, RBB und MDR überlaufen könnten.“

Tatsächlich scheint Seppelt nun mit dem RBB zu verhandeln, bei dessen Vorgänger SFB einst seine sportjournalistische Karriere begann. Bei diesem handelt es sich, wir erinnern uns, ausgerechnet um die ARD-Anstalt, die bis zu diesem Jahr erstmal ihre Schulden abtragen muss und zudem die wenigsten Zuschauer von allen hat.

Oh weh, WDR, oh verdammt wer soll denn sonst noch die Kriegsklasse für investigativen Journalismus haben wenn nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk?! Ja, er soll sparen, aber doch nicht so!

Seppelt selbst zitiert Simon nur mit „Fragen Sie die Verantwortlichen in den Sendern“; ansonsten twittert er gerade munter aus Pyeongchang. Wo heute die Olympischen Winterspiele starten. Die Sie vielleicht im Fernsehen verfolgen wollen. Was in diesem Jahr jedoch nicht unkompliziert ist. Was Sie schon wissen oder jetzt rasch noch mal bei DWDL oder im Tagesspiegel nachlesen können.

(Großfernsehereignis erwähnen: Check! Weiter im Text.)

AfD und FPÖ machen sich die Medienwelt, wie sie ihnen gefällt.

Wenn die Medien nicht auf die Weltsicht der AfD kommen, dann kommt die Weltsicht der AfD eben selbständig in die Medien - zumindest die sogenannten sozialen. So kann man die aktuelle Vorabmeldung aus dem Sie-nennen-es-Nachrichtenmagazin Focus (ich weiß doch auch nicht, was das heute mit dieser Quellenlage soll!) übersetzen, aus der sich ergibt, dass die Partei im April einen eigenen Newsroom mit 20 Leuten eröffnen möchte.

„Die Mitarbeiter sollen im Schichtbetrieb rund um die Uhr tätig sein. Drei von ihnen werden sich auf Recherche spezialisieren und Themen ausfindig machen, die laut Weidel ,unter den Teppich gekehrt werden, und sie journalistisch sauber für die Öffentlichkeit aufbereiten’. Zu diesem Zweck wird in den Fraktionsräumen der AfD im Berliner Jakob-Kaiser-Haus auch ein eigenes TV-Studio eingerichtet.“

Offenbar ist einer Partei im Bundestag die Schützenhilfe sympathischer Publikationen aus dem Hause Kopp oder Tichy nicht mehr genug. Oder sie hat sich in Österreich inspirieren lassen, wo derzeit die ebenfalls stark rechtsrandige FPÖ mit vergleichbaren Plattformen über Bande spielt, um gegen klassische Medien Stimmung zu machen, wie Fabian Schmid im Standard dokumentiert:

„Seit einigen Tagen attackiert der oberösterreichische ,Wochenblick’ die stellvertretende ,Vice’-Chefin Hanna Herbst, während der Ring Freiheitlicher Jugend Steiermark zum Cybermobbing gegen STANDARD-Journalistin Colette M. Schmidt aufrief. (…) Viele der Angriffe folgen demselben Muster. Vermeintliche ,Fehltritte’ von Journalisten – entweder in ihren Artikeln oder in ihren privaten Social-Media-Accounts – werden im rechten Netz verbreitet, dann schreibt eine der FPÖ-nahen Plattformen einen Bericht darüber. Dieser wird anschließend von hochrangigen FPÖ-Politikern auf deren Facebook-Konten mit oft zehntausenden bis hunderttausenden ,Fans’ geteilt. Anschließend verbreitet sich der Text in Facebook-Gruppen weiter.“

Ein Perpetuum mobile des Hasses. Gru.Se.Lig.

Gender-Pay-Gap bei der BBC als Glaubwürdigkeitsproblem des Medien

Es folgt nun ein Beitrag aus der Kategorie „Unser Blutdruck soll höher steigen“, für den Christiane Link im aktuellen epd medien (leider derzeit nicht online) aus der Anhörung des Medienausschusses des britischen Parlaments berichtet. Dort hatte am 31. Januar die BBC-Journalistin Carrie Gracie ihren Auftritt, die Sie daher kennen, weil sie ihren Posten als China-Korrespondentin aufgab, um auf die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen bei dem Sender aufmerksam zu machen (s. auch Altpapier).

„,Der Tag, an dem ich den Beschwerdebericht bekam, war der schwärzeste Tag, seit ich für die BBC arbeite’, sagte Gracie, die seit 30 Jahren beim Sender ist. Man habe die unterschiedlichen Gehaltszahlungen damit begründet, dass Gracie sich in den ersten Jahren in China noch ,in der Entwicklung’ befunden habe.

Da war Gracie aber bereits über 50 und hatte mehr als 20 Jahre für die BBC gearbeitet, auch in China. Interviews in Mandarin zu führen und sie vor der Kamera ins Englische zu übersetzen, waren für Gracie kein Problem. Sie war die einzige Kandidatin für den Job in China - die BBC hatte schlicht niemand anderen, der so viel Erfahrung vorweisen konnte, sich von chinesischen Behörden nicht einschüchtern ließ und dann auch noch zweisprachig arbeitete.“

Yep. Man kann es sich einfach nicht ausdenken. Ein weiteres, schönes Zitat Gracies aus dem Ausschluss lautet „Unser Geschäft ist die Wahrheit - nicht Zahnpasta oder Reifen“. Indem die BBC die Wahrhaftigkeit und Fairness, für die sie stehen wolle, nicht intern anwende, beschädige sie ihre Glaubwürdigkeit. Was ja in etwa das ist, was in Fake-News-Zeiten dringen noch gebraucht wird.


Altpapierkorb (FR-Verkauf, Sandra Bullock unterm Regenbogen, transalpine Debatten, Raab-Comeback)

+++ Um noch kurz im Ausland zu verweilen: Journalist in den USA möchte man gerade auch nicht sein. Einst tagte die Newsweek-Redaktion auf Jachten, heute verdient sie ihr Geld als Fake-News-Schleuder. Diesen Weg rekapituliert deren einstiger Redakteur Matthew Cooper bei Politico, während sich @mediasres der LA Times widmet, die durch ein neues Geschäftsmodell, das Werbekunden mehr Einfluss zugestehen soll, und Überwachungsvorwürfe des Unternehmens gegenüber seinen Mitarbeitern ins Gerede gekommen ist und nun - schon wieder - einen neuen Eigentümer hat.

+++ Die Fazit-Stiftung will die Frankfurter Rundschau wieder loswerden, und Dirk Ippen könnte zuschlagen, meldet kress.de.

+++ Vor Gericht I:  78 Millionen Euro Schadenersatz soll die Süddeutsche Zeitung dem Gründer eines mittlerweile insolventen Solar-Unternehmens zahlen, weil sie 2013 über dessen „mutmaßlich krumme Geschäfte mit Aktien“ berichtet hatte. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth soll in ein paar Wochen fallen, berichtet der BR.

+++ Vor Gericht II: Eine weitere interessante Klage-Konstellation hat Mats Schönauer bei Übermedien: Sandra Bullock gegen die Freizeitwoche, weil sich diese Interviews mit der Schauspielerin nur ausgedacht haben soll.

+++ Vor Gericht III: Wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Betreiber des rechtsex­tremen Portals Altermedia verurteilt (taz).

+++ Hörbar I: Zeit Online hat einen „transalpinen Debatten-Podcast“ (Quelle: PM) mit dem schönen Namen „Servus. Grüezi. Hallo.“ gestartet. Was das soll, erklärt Lenz Jacobsen im Interview mit kress.de.

+++ Hörbar II: „Eine erfolgreiche ARD-Audiothek könnte daher zumindest für die öffentlich-rechtlichen Programme zum Zukunftsanker werden. Ihre Inhalte, die wortbasierten Anteile der Kultur- und Informationswellen (mit einigen Einsprengseln aus anderen Wellen), entsprechen dem Kern des Funktionsauftrags an die öffentlich-rechtlichen Medien: Information, Kultur und Bildung“, meint Hermann Rotermund im aktuellen epd medien, wo er sich ausführlich mit dem neuen Angebot der ARD auseinandersetzt (derzeit nicht online).

+++ Hörbar III: Im Podcast von Springers Welt und Meedia ist Anne Will zu Gast, um über ihre Sendung und Debattenkultur zu sprechen.

+++ Ein paar Lobbystimmen zum Koalitionsvertrag (Altpapier gestern) hat Gregory Lipinski für Meedia abgefragt.

+++ Wie es einem Land nach Abschaffung des öffentlichen Rundfunks ergeht, ist ein Thema, das in der Schweiz derzeit interessiert. Daher berichtet Ulrich Schmid in der NZZ aus Israel, wo eben das der Fall ist. Die No-Billag-Berichterstattung hat derweil die taz erreicht.

+++ Ja, lebt denn das alte lineare Fernsehen noch? Ja, es lebt noch! Und produziert munter Serien (Sky) bzw. hält seinerseits 23 Jahre alte Formate am Leben („Alarm für Cobra 11“, RTL), so Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner evangelisch.de-Kolumne.

+++ Der Erfinder des Duschkopfes namens Doosh sowie der Wok-WM kehrt zumindest hinter den Kulissen der neuen ProSieben-Show „Ding des Jahres“ ins Fernsehen zurück, und zwar heute Abend, weshalb Tilmann P. Gangloff im Tagesspiegel über Stefan Raab samt Sendung berichtet.

+++ Die mittlerweile absurden Preise für die Übertragungsrechte für die britische Premiere League und deren möglicher weiterer Anstieg durch den Einstieg von Amazon in den Markt thematisiert auf der Medienseite der SZ Björn Finke.

+++ Die Geschichte des Mannes, der im Auftrag von Facebook Vollzeit das öffentliche Image Mark Zuckerbergs marktanalysierte, die ursprünglich bei The Verge erschien, erzählt auf der Medienseite der FAZ Fridtjof Küchemann nach.

+++ Wie das mit den Drehbuchautoren, den fehlenden Sitzplätzen und dem Deutschen Fernsehpreis war, rekapituliert für die Medienkorrespondenz Reinhard Lüke.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende!