Kolumne: Das Altpapier am 23. November 2023 Ist mehr vielleicht doch nicht mehr?
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23. November 2023, 10:05 Uhr
In einem neuen Newsportal kann die Stadtverwaltung ihre Nachrichten jetzt selbst einstellen. Verlage tun sich mit so etwas keinen Gefallen. Aber wie soll man dann die Lokalmedien retten? Heute kommentiert Ralf Heimann die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Ein schwarzes Brett mit Haken
In Marbach und Kornwestheim gibt es seit einer Woche die lokale Plattform "Bei uns daheim". Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger hat das Portal am Montag in einer Pressemitteilung angekündigt. Das Besondere ist: Vereine, Kirchen und die Stadtverwaltung müssen nicht darauf hoffen, dass die Redaktion am Telefon sagt: "Wir schicken wen." Sie können ihre Meldungen einfach selbst einstellen. Diese würden dann geprüft und in einem "klar abgegrenzten" Bereich veröffentlicht. Die Digitalportale der "Marbacher Zeitung", "Kornwestheimer Zeitung" sowie der "Stuttgarter Zeitung" sicherten den sublokalen Inhalten eine weite Verbreitung, schreibt der Verband.
Das alles ist nicht neu, einige Zeitungen haben schon lange separate Vereinsseiten, auf denen das Prinzip gilt: "Was reinkommt, wird veröffentlicht." Die Illustrierte "Focus" wollte die Lokalberichterstattung vor ein paar Jahren auf ähnliche Weise revolutionieren.
Der Verlegerverband schreibt in seiner Mitteilung vom Montag, eine Verlagsbefragung habe ergeben, dass auch Menschen, die Print-Produkte lesen, gerne die digitalen Kanäle der Zeitung nutzen würden, um sich über Neuigkeiten aus Vereinen und Kommunen zu informieren. Das sagt Herbert Dachs, der Geschäftsführer der Medienholding Süd, zu der die Zeitungen gehören. Das Medienhaus hat aus dieser Befragung offenbar den Schluss gezogen, dass man die Redaktion dann wohl nur zum Freischalten braucht.
Das ist ein interessanter Versuch, das eigene Geschäftsmodell auszubeuten. Dem ursprünglichen Gedanken nach bestand dieses Modell darin, die mit ausgewählten qualitativ hochwertigen Inhalten erworbene Aufmerksamkeit an Werbekunden weiterzuverkaufen. Hier versucht man, mit wahllosen kostenlosen PR-Inhalten Aufmerksamkeit zu generieren, um diese dann gegen Geld zu verscherbeln. Dahinter steht das in regionalen Medienhäusern verbreitete Credo: Mehr ist mehr.
Im Grunde bietet der Verlag hier einfach ein schwarzes Brett an. Das kann man so machen. Aber es hat auch mindestens einen Haken. Das Medienhaus sendet damit das Signal, dass das, was die Redaktion macht, im Grunde gar nicht so wichtig ist. Die Stadtverwaltung kann schließlich auch selbst entscheiden, was die Leute lesen sollen. Und wenn es nach Text aussieht, dann muss es ja wohl Content sein.
Dahinter steht die Vorstellung, dass man die Entwicklung, dass Rathäuser und Vereine, die ihre Pressemitteilungen jetzt auf ihren eigenen Kanälen selbst veröffentlichen, einfach wieder rückgängig machen kann, indem man ihnen einen weiteren Kanal bietet, der im Grunde wieder der alte ist.
Wenn Medienhäuser nicht nur ihr altes Denken und Geschäftsmodell über die Zeit retten wollen, sondern auch in einer digitalen Welt für Inhalte Geld verlangen möchten, dann ist dieser Weg nach meinem Eindruck der falsche, denn wenn Medienhäuser vermitteln wollen, dass die Leistung ihrer Redaktionen und die Inhalte, die man bei ihnen findet, etwas wert sind, dann ist es eher kontraproduktiv, wenn sie Newsportale einrichten, die einfach den größten Berg aus kostenfreiem Content auf einen Haufen kippen. Aber schnelles Geld verdienen lässt sich damit möglicherweise natürlich trotzdem.
Und wie man an schnelles Geld kommt, das ist ja gerade in der Verlagsbranche das Thema.
Eine Replik auf Sebastian Turner
Eine Presseförderung wäre natürlich eine gute Einnahmequelle gewesen (Altpapier). Aber es hat, mal wieder, nicht sollen sein. Geld gibt’s wohl mindestens bis zur nächsten Bundestagswahl nicht. Kurioserweise behandelt die Bundesregierung die Medienhäuser so, wie viele Menschen, die mit der "Content"-Produktion Geld verdienen, es von den Medienhäusern kennen. Die bekommen auch immer zu hören, wie wichtig sie sind. Nur auf dem Gehaltszettel ist das leider nicht zu sehen.
Stefan Bergmann, Digitalchef des Ostfriesischen Kuriers, hat für den Branchendienst "Kress" eine Replik auf den Debattenbeitrag von Sebastian Turner im "Spiegel" geschrieben, um den es am Freitag hier ging. Ich kenne Stefan Bergmann sehr gut, das aus Transparenzgründen vorab. Er war Chefredakteur der Münsterschen Zeitung, als ich dort als Redakteur arbeitete. Wir haben viele Stunden über Lokaljournalismus diskutiert.
In seinem Beitrag widerspricht er Sebastian Turner. Der hatte die These vertreten, mit einer Presseförderung im Umfang von 200 Millionen Euro könne man auch viele neue, digitale Projekte im Lokaljournalismus fördern. Bergmann sieht das etwas anders. Er hält Turner drei Punkte entgegen:
1. Die Markteintrittsbarrieren seien gar nicht so klein, wie Turner behaupte. Der hatte geschrieben: "Noch nie war es so einfach und günstig, lokale Nachrichtenangebote zu starten. Und dennoch dünnt das lokale Nachrichtenangebot immer mehr aus." Bergmann schreibt, qualitativ hochwertiger Lokaljournalismus sei nach wie vor teuer, wenn nicht zum Geschäftsmodell gehöre, dass Menschen sich selbst ausbeuten. Bei den begrenzten Erlösaussichten in kleinen Verbreitungsgebieten ist es also womöglich kein Wunder, dass es nur wenige neue Lokalmedien gibt.
2. Vor allem Tageszeitungen und die Angebote der Verlage versorgten die Fläche mit Informationen. Daher seien sie maßgeblich. "Eine kluge Förderung in diese Struktur würde Verlagen mehr Zeit verschaffen, ihr Geschäftsmodell umzustrukturieren", schreibt Bergmann.
3. In den Städten könnten neue Lokaljournalismus-Projekte vielleicht Lücken schließen, aber nicht auf dem Land. Hier erwähnt Bergmann auch das Lokalprojekt RUMS in der für deutsche Verhältnisse mittelgroßen Stadt Münster, das ich – auch das zur Transparenz – mitgegründet habe.
Zu den Punkten einige Anmerkungen:
Es stimmt, dass die Verlage eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, die Presselandschaft zu erhalten. Man kann nicht darauf vertrauen, dass bei einer entsprechenden Förderung in allen möglichen Regionen Deutschlands Lokalprojekte aus dem Boden schießen werden, die dann die flächendeckende Versorgung mit lokalen Nachrichten übernehmen.
Genau hier liegt das Problem einer Förderung, denn sie sollte idealerweise Zeitungsverlage unterstützen, gleichzeitig aber Neugründungen nicht im Weg stehen. Das Modell Zustellförderung, über das lange gesprochen wurde, hätte genau diese Wirkung. Digitale Projekte hätten ein Wettbewerbsnachteil. Daher empfehlen Fachleute wie der Medienwissenschaftler Christopher Buschow, der sich intensiv mit den verschiedenen Modellen beschäftigt, eine Förderung, die Anreize setzt, sich auf die neuen Umstände einzustellen.
Bergmann schreibt, eine kluge Förderung würde den Verlagen Zeit verschaffen, ihr Geschäftsmodell umzustrukturieren. Nur: Zeit war in der Vergangenheit in ebenso großer Fülle vorhanden wie Warnungen davor, dass es so nicht mehr weitergehen wird. Es könnte auch sein, dass eine kluge Förderung Verlagen einfach nur Zeit verschafft, um so lange wie möglich mit ihrem sterbenden Geschäftsmodell Geld zu verdienen – das Problem aber am Ende immer noch nicht gelöst ist. Aus der Ökonomie weiß man jedenfalls, dass es wichtig ist, die richtigen Anreize zu setzen.
Der Anreiz, den die Bundesregierung jetzt gesetzt hat, ist: Die Verlage brauchen ein Geschäftsmodell, das ohne Förderung auskommt. Vielleicht ist das auch nicht so schlecht.
Vermutlich wird es aber so sein wie eigentlich immer. Wenn sich plötzlich herausstellen sollte, dass die Notlage der Verlage doch etwas akuter ist, als man bislang dachte, und schlimme Nachrichten aus der Branche die Bundesregierung in Gefahr bringen, wird sich wahrscheinlich auch sehr kurzfristig eine Lösung finden. Anders gesagt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Sondervermögen.
Altpapierkorb (Grimme, Der Krieg bei Tiktok, Influencer und Luxus, Bertelsmann, Talkshow-Kosten)
+++ Altpapier-Kollege René Martens hat im Gespräch mit Stefan Fries für das Deutschlandfunk-Medienmagazin "@mediasres" über die Finanzkrise des Grimme-Instituts gesprochen (ausführlich hier im Altpapier). Er ist Mitglied der Nominierungskommission für den Grimme-Preis und hat einen offenen Brief der Juroren an die Gesellschafter des Instituts unterschrieben. Einen zweiten haben Fernsehproduzenten, Schauspielerinnen, Comedians, Regisseurinnen verfasst. Martens beschreibt die prekäre Lage des Instituts, die Bedeutung des Grimme-Preises ("wichtig, weil er Qualitätsfernsehen in den Mittelpunkt stellt"), und auf die Frage, ob die Leiterin Frauke Gerlach nicht selbst an dem Finanzloch schuld sei, sagt er den sehr schönen Satz: "Wenn ein Vorstand sich dafür entscheidet, dass die Mannschaft künftig nicht mehr mit elf Spielern auflaufen soll, dann ist es nicht der ideale Zeitpunkt, um über den Trainer zu reden."
+++ Clarissa Lorenz berichtet für "@mediasres" über die Kriegsberichterstattung bei Tiktok. Titel: "Kampf ums Narrativ". Markus Bösch von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften weist in dem Beitrag einerseits auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn junge Menschen sich in kurzen, zugespitzten Videos über den Krieg informieren, sagt aber auch: "Ich sehe da durchaus auch in Kriegszeiten sehr positive Aspekte, dass wir jetzt so nah wie nie an Augenzeugenberichten dran sind und auch ein ganz anderes, vielgestaltiges Bild vom Krieg sehen."
+++ Die Social-Media-Expertin Hanna Klimpe beklagt dagegen im Gespräch mit "epd Medien" den massiven Antisemitismus auf der Videoplattform. Tiktok sei bekannt für antisemitische Desinformationsnarrative, und es werde von einer Generation junger Menschen genutzt, deren lebende Angehörige den Holocaust nicht mehr erlebt hätten. "Da wächst eine Generation heran, die sich davon gelöst hat, dass der Holocaust mit der aktuellen Gesellschaft zu tun hat", sagt Klimpe. Der Nahostkonflikt sei in seiner Komplexität auf der Plattform nicht zu erfassen.
+++ Philipp Nöhr hat sich für das NDR-Medienmagazin "Zapp" in einem 24 Minuten langen Beitrag mit der Frage auseinandergesetzt: Hat der Luxus-Lifestyle ausgedient? Es geht um Influencer, und Sie ahnen die Antwort.
+++ Bertelsmann hat einen über 20 Jahre alten Forschungsbericht über die Rolle des Unternehmens in der NS-Zeit selbst veröffentlicht, berichtet das Unternehmen auf seiner Website. Der Bericht war im Jahr 2002 als Buch erschienen. Bertelsmann hatte damit laut Pressemitteilung "die bis dahin lückenhafte und irreführende Darstellung seiner eigenen Geschichte" korrigiert. "epd Medien" wird etwas deutlicher. In den während der NS-Zeit bei Bertelsmann erschienenen Texten seien nach Erkenntnissen von Historikern "antisemitische Stereotype und Polemik" zu finden gewesen. Kriegsbücher hätten aus der Militarisierung der Gesellschaft Profit gezogen. Das damalige Verlagsprogramm habe sich teilweise kritisch mit der NS-Weltanschauung auseinandergesetzt, sei teilweise aber auch "obrigkeitsfromm" gewesen. Kurz gesagt: Ein Widerstandsverlag, wie die Legende es besagt habe, sei Bertelsmann nicht gewesen.
+++ Die neue ARD-Talkshow mit Caren Miosga am Sonntagabend wird nach einer Recherche des Magazins "Business Insider" deutlich günstiger sein als die mit Anne Will, die bislang an gleicher Stelle lief. Tobias Fuchs und Jonas Metzner berichten aus internen Dokumenten, Caren Miosgas Talkshow werde 5,8 Millionen im Jahr kosten, für die Show mit Anne Will habe der Sender sieben Millionen ausgegeben.
Das Altpapier am Freitag schreibt René Martens.