Kolumne: Das Altpapier am 5. April 2024 Wenn ein Manifest manifestiert wird
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05. April 2024, 10:38 Uhr
Was das dicke Wort "Manifest" auslöst, wer es weiterverbreitet und wie viel eigentlich dahintersteht. Und: Die Uni Salzburg hat Alexandra Föderl-Schmid ihren Doktortitel offiziell bestätigt – eine Person hält das aber nach wie vor für "unhaltbar". Heute kommentiert Johanna Bernklau die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Das "Manifest" und sein Widerspruch
Das Wort "Manifest" ist ja ein großes Wort. Man stellt sich vielleicht ein langes Pergamentpapier vor, das sich beim Verlesen bis auf den Boden entrollt. Allerdings verdient nicht alles, was ausgedruckt mehr als eine Seite umfasst, gleich den Begriff "Manifest".
Bestes Beispiel dafür aus der nahen Medienmedien-Historie: Das "'Bild'-Manifest" aus dem vergangenen Oktober, in dem die Boulevardzeitung ihre 50 Regeln für ein Deutschland nach ihren Vorstellungen aufstellte. Hätte ich das gerade nicht erwähnt, hätten Sie sich wahrscheinlich schon gar nicht mehr daran erinnert – so irrelevant war es. Ob das bei dem "Manifest", das seit zwei Tagen die Medienrunde macht, auch der Fall sein wird, weiß ich nicht.
Diese Forderungen für einen "neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland" sind jedenfalls auch mit dem dicken Wort "Manifest" überschrieben – und erfreulicherweise distanzieren sich die Qualitätsmedien bislang recht gut vom Framing des Titels. Genauer gesagt: Sie distanzieren sich grundlegend von der Berichterstattung darüber. Bislang haben von den großen Medienoutlets nur der "Spiegel", "Deutschlandfunk", die "Welt" und "Bild" berichtet. Und René Martens auch gestern hier im Altpapier.
"Spiegel" und "Deutschlandfunk" taten dies erst, nachdem sich die Redakteursvertretungen von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle zu der Kritik äußerten – und ihr "in wesentlichen Punkten" widersprachen.
"Der Eindruck, dass in den Sendern nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden und nur "Mainstream"-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten, ist falsch."
Das schreibt die "Agra" (Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse) auf ihrer Website. Die "Agra" wird von aktiven Redakteuren der Sender gewählt und hat damit inhaltlich schon mal deutlich mehr Wucht als die Kritik der rund 130 Unterzeichner, von denen viele nicht mal Journalisten sind. 33 davon wollen anonym bleiben, was laut dem DJV-Bundesvorsitzenden Mika Beuster dem "urjournalistischen Grundprinzip, kritische Berichte, Stellungnahmen und Kommentare mit dem eigenen Namen zu kennzeichnen" widerspricht. Er fordert die Unterzeichner des "sogenannten Manifests" zu Transparenz auf.
Auch ARD und ZDF äußern sich im oben genannten "Spiegel"-Bericht zu den Vorwürfen und stellen fest, dass Meinungsvielfalt und eine selbstkritische Auseinandersetzung innerhalb der Sender stets gegeben und möglich sei.
Obwohl sich der "Spiegel" anscheinend tatsächlich Gedanken um das Wort "Manifest" gemacht hat (weil es dort erfrischenderweise nicht im Titel steht), schreibt er es doch noch dreimal in den Text. Es ist nochmal wichtig festzuhalten: Ob man das Wort dabei in Anführungszeichen oder ein "sogenanntes" davorsetzt – das Wort wird trotzdem weitergetragen, die "große Bedeutung" wird trotzdem weiterhin verliehen (und das gilt leider auch für diesen Text).
Abschließend dazu vielleicht noch ein kleiner Merksatz meiner ehemaligen Journalismus-Dozentin. Sie sagte immer: "Je brisanter der Inhalt, desto zurückhaltender die Sprache." Naja, und umdrehen kann man den Spruch halt auch…
Doktortitel von Föderl-Schmid bestätigt
Die stellvertretende "SZ"-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid wurde im Dezember letzten Jahres zum Medienthema. Der Vorwurf: Plagiatsverdacht bei ihren journalistischen Texten. Und drei Monate später auch bei ihrer Doktorarbeit – bestellt vom rechten Portal "nius", ausgeführt von "Plagiatsjäger" Stefan Weber. Für all jene, die sich an den Fall Föderl-Schmid nicht mehr recht erinnern, hier nochmal das Altpapier-Extra von René Martens.
Was ist neu? Föderl-Schmid hatte die Universität Salzburg, bei der sie ihre Dissertation 1996 eingereicht hatte, damit beauftragt, die Plagiatsvorwürfe zu prüfen. Wie nun unter anderem der "Standard" meldete, konnte die Uni "kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten" feststellen und schloss damit die Überprüfung der Doktorarbeit ab.
Ein Blick auf nius.de: Dort schießt Stefan Weber höchstpersönlich mit einem "neuen Gutachten" gegen das Ergebnis der Uni Salzburg und hält die Bestätigung des Doktortitels für "unhaltbar".
Mehrere Punkte sind an der Veröffentlichung mindestens unterhaltsam: "nius" schreibt, dass es das Dokument von Weber nun im Volltext veröffentliche, "wobei der Verfasser auch transparent gemacht wird". Folgt man dem Link, kommt man zum Dokument auf der abenteuerlichen Seite namens https://chocolate-vyky-27.tiiny.site/. Der transparent gemachte Verfasser ist natürlich Stefan Weber und – wie man auf der letzten Seite des Dokuments entdeckt – "Team Weber, N.N, N.N.", alles klar. Zeitstempel: 25.02.2024. Inwiefern es sich also hier um ein "neues Gutachten" handelt, wie "nius" titelt, ist fraglich.
Und ein kleines Extra-Schmankerl für Datenvisualisierungs-Liebhaber ist die Grafik, die "Team Weber" "nius" als Aufmacher-Bild zur Verfügung gestellt hat, bei der man es mit dem Maßstab nicht ganz so genau genommen hat.
Altpapierkorb (Fußball-Übertragungsrechte, Google-Rüge, Fail-PK, Nguyen-Kim-Interview)
+++ Sehr lesenswert ist dieser "FAZ"-Artikel zu den Übertragungsrechten der 1. und 2. Bundesliga, deren Ausschreibung im April läuft. Für Sport gebe das ZDF etwa zehn Prozent seines Budgets aus, die ARD acht – davon stecken die Anstalten besonders viel in den Fußball. Der im Bericht interviewte Kommunikationsprofessor Michael Schaffrath fordert, "mehr Gebührengelder in die allgemeine Sportberichterstattung zu stecken, aber viel weniger in den hochgradig kommerzialisierten Fußball." Zumal auch die privaten Sender ein Interesse an den Fußball-Übertragungen hätten, jedoch bei der Auktion um die Übertragungsrechte gegenüber ARD und Co. oft chancenlos bleiben würden.
+++ Die Landesmedienanstalten rügen Google, weil die Plattform "einem Verlag wegen angeblich zu geringer Reichweite die Teilnahme an dem Programm [Google News Showcase] verwehrt" hat und damit gegen den Medienstaatsvertrag verstößt. Das meldet die "FAZ".
+++ Und nochmal Fußball: "kicker"-Reporter Steffen Rohr stellte Hertha-Trainer Pal Dardai bei einer Pressekonferenz eine Frage, die der Coach partout nicht beantworten wollte. Nach dem zweiten Versuch stand Dardai einfach auf und ging – damit war die PK nach ca. fünf Minuten beendet, wie "kress" schreibt. Das Video dazu gibt’s auch hier.
+++ Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat dem "journalist" ein langes Interview gegeben, in dem sie unter anderem über ihre privilegierte Stellung als Wissenschaftskommunikatorin spricht. +++
Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab. Schönes Wochenende!