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Kolumne: Das Altpapier am 21 Juni 2024Was ist unsere Zukunft?

21. Juni 2024, 10:10 Uhr

Ist es eine Reform, eine Neuaufstellung – oder doch einfach: eine Sparmaßnahme? In der ARD, bei den Madsack-Zeitungen und in der "Washington Post" wird an der Großreform herumgeschnibbelt, in großem Stil abgewickelt oder auch disruptiv aufgeräumt. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Rundfunkkommission hat eine Position zu besetzen

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat am Mittwoch in der Mainzer Staatskanzlei ihren Rücktritt angekündigt. Da sie auch der Rundfunkkommission der Länder vorsaß, betrifft diese Topmeldung der zurückliegenden Woche auch die Medienpolitik. Der bisherige Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer soll ihr als Ministerpräsident nachfolgen. Wer die wichtigste medienpolitische Position auf Länderebene einnimmt, sei aber "noch offen", schreibt die Katholische Nachrichten-Agentur (deren Beitrag etwa meedia.de aufgreift); eine entsprechende Regelung soll "zeitnah" erfolgen.

Immerhin, eines scheint man schon mal zu wissen: Es ändert sich auf jeden Fall nichts.

"Ein Wechsel des Vorsitzes in ein anderes Bundesland wurde ausgeschlossen, die Führung der Kommission liege 'seit Menschengedenken' in Rheinland-Pfalz, sagte die rheinland-pfälzische Regierungssprecherin Andrea Bähner dem KNA-Mediendienst."

Sollte der Vorsitz also bleiben, wo er tatsächlich "seit Menschengedenken" oder zumindest seit der Einrichtung der Kommission ist, ist das eigentlich nur eine halbe Nachricht. Das angeführte Argument dafür, ist allerdings schon ein bisschen lustig. Was soll die "seit Menschengedenken"-Äußerung bedeuten, wenn man sie zu Ende denkt? Dass eine Veränderung eh nicht zur Debatte steht, weil, das haben wir ja schließlich noch nie gemacht?

Aber klar, das ist Randgeplänkel. Entscheidend ist der Inhalt: Was tut die Rundfunkkommission der Länder? Welche Reformen der Öffentlich-Rechtlichen strebt sie an? Sie traf sich jedenfalls am Mittwoch (Altpapier vom 18. Juni), um über einen Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sprechen, der im Herbst verabschiedet werden soll. Eine nennenswerte Nachberichterstattung gibt es allerdings noch nicht. Es dauert halt immer alles, solange es dauert. Wenn’s um Medienpolitik geht, eh.

Synergien und Herumschnibbeln 2.0 mit der ARD

Was es aber gibt: eine weitere Episode der mittlerweile doch schon etwas länglichen Telenovela "Schnibbeln", Untertitel: "Wo in der ARD überall herumgespart wird". Aktuell geht’s ja um den Hessischen Rundfunk (siehe diesen Altpapierkorb), der im Linearen um-, also wegplant.

Einen Überblick verschafft – nach einigen anderen, die nicht alle so skeptisch sind (nochn Altpapierkorb) – die "taz", die als linke Zeitung auch die Gewerkschaften angerufen hat. Denen kann eine "riesengroße Unsicherheit unter den Mitarbeitenden" nicht gefallen. "Besonders betroffen" von der Angst um ihre Arbeitsplätze seien Freie. Auch bei dwdl.de ist nun von internem Widerstand im HR die Rede… Wie immer, kollidieren hier unterschiedliche Logiken: Sind das nun diese dringend gewünschten Reformen? Oder sind’s kühl durchkalkulierte Effizienzsteigerungsmaßnahmen? Die Herumschnibbelei an allen Ecken und Enden der Öffentlich-Rechtlichen geht jedenfalls weiter, während alle auf den großen Wurf (der Politik) warten…

Auch das, was die Intendantinnen und Intendanten der ARD-Landesrundfunkanstalten beschlossen haben, als sie sich jüngst in Saarbrücken zum Großreinemachen trafen, kann man aus zwei Perspektiven betrachten. Der Satzteil "gehört zu einer großen ARD-Programmreform" steht bei der dpa. Auch nur um eine Herumschnibbelei handelt es sich allerdings, wenn man Stefan Fischer von der "Süddeutschen Zeitung" (Abo-Text) folgt. Was er schreibt, steht damit in hübschem Kontrast zu dem, was der ARD-Vorsitzende und oberste Reformverkäufer Kai Gniffke sagt: "Niemand kann mehr behaupten, dass sich die ARD nicht oder zu langsam bewegt." Klar, dass Fischer das Interview seiner Redaktion mit zwei Mitgliedern des Zukunftsrats in Erinnerung ruft, die kürzlich eben doch einen gewissen Bewegungsmangel beklagt hatten (Altpapier).

Fischer ist der Hörfunkspezialist der "SZ". Liest man seinen Namen, ahnt man: Es geht vor allem ums Radio; selbst dann, wenn in der Überschrift, wie in diesem Fall, von einer "ARD-Reform" und der "ARD 2.0" die Rede ist. Das ist auch in diesem Fall so. Es ging zwar in Saarbrücken, wie er schreibt, auch um ARD-einheitliche Produktionsstandards, darum, die Verwaltungssoftwares kompatibel zu machen und Sportgroßereignisse zu bündeln (siehe dazu auch dwdl.de: "Ohne genaue Zahlen zu nennen spricht die ARD von 'erheblichen Einsparungen im Sportproduktionsbudget', die sich dadurch ergeben sollen"). Außerdem will man Fragen rund um KI gemeinsam angehen (auch dazu dwdl.de am Ende eines weiteren Artikels).

Aber darüber hinaus sei es tatsächlich vor allem um weitere Radioübernahmen zwischen den Anstalten, um Pool-Lösungen und gemeinsame Programmstrecken gegangen, wie sie zum Teil auch schon gepflegt werden: um "Veränderungen im vergleichsweise günstigen Hörfunk" also, kritisiert Fischer: "Kurzum: In Saarbrücken wurden ein paar Portokassen umverteilt."

Tja. Joachim Huber wagt im "Tagesspiegel" die Prognose, "dass die Rundfunkkommission zu weit größeren Synergie-Maßnahmen kommen wird als ARD, ZDF und Deutschlandradio selbst". Damit könnte er womöglich richtig liegen. Aber das warten wir einfach mal in allerruhigster Ruhe ab, bis, wohl im Herbst, jemand anderes als Malu Dreyer vor die Presse tritt.

Die "Washington Post" fragt sich: Was ist unsere Zukunft?

Mehr und schärfere Kritik gibt es immer noch an den Plänen des Madsack-Verlags für seine sächsischen Zeitungen (Altpapier vom Mittwoch), weil dort schwerlich von Herumschnibbelei die Rede sein kann. Sollen 30 Stellen wegfallen? Oder nochmal 23?

Madsack verteidigt seine "Neuaufstellung" der "Sächsischen Zeitung" (epd Medien). "Wie Regionales durch den Abbau von Stellen gestärkt werden soll", ist der "taz" dagegen "unklar". Und auf den Seiten der Gewerkschaft Verdi beklagt Tina Groll "eine rabiate, rücksichtslos und auch gefährliche Fehlentscheidung, ausgerechnet an dieser Stelle zu sparen und ausgerechnet zu dieser Zeit:", einer Zeit, in der "rechtsextreme und populistische TikTok-Kanäle und 'alternative Medien' den Resonanzraum der öffentlichen Meinung in Sachsen bilden könnten".

Viel spektakulärer muten allerdings die Umstrukturierungspläne bei der "Washington Post" an, die seit einigen Wochen die US-amerikanischen und mittlerweile auch einige deutsche Medienjournalisten beschäftigt. Spektakulärer, weil Fallhöhe. Die "Washington Post" ist eben die "Washington Post", deren Reporter, Chefs und Verlegerinnen in größeren Filmen von Robert Redford bis Meryl Streep gespielt wurden, woran die "Süddeutsche Zeitung" (Abo") erinnert, die Medienstorys auch mal erzählerischer angeht, wenn es sich anbietet.

Um völlig andere Großwetterlagen als in Deutschland geht es dort gleichwohl nicht. Wirtschaftliche Lage nicht gut, neue Vertriebswege gesucht – das gilt für die "WaPo" wie für Madsack oder Burda. Amazon-Chef Jeff Bezos zufolge, dem die "Washington Post" gehört, könne man nicht "zur Tagesordnung übergehen", wenn die Welt sich rasend weiterentwickle. Was es bei der "Post" geben soll: "fesselnde, spannende und genaue Nachrichten" auch für die Leute, die keine traditionellen Medien mehr nutzen. Gibt’s ein neues disruptives "WaPo"-Motto? Democracy dies in newspapers?

Dieser medienwirtschaftliche Aspekt ist allerdings nur einer. Lange Artikel in der konkurrierenden "New York Times" (Abo) und vor allem auch in der "Washington Post" (Abo) selbst handeln davon, dass mit Will Lewis als Geschäftsführer und Robert Winnett als Chefredakteur zwei Briten die Zeitung schon führen beziehungsweise bald führen sollen – zwei Briten, die für Rupert Murdochs konservative Zeitungen gearbeitet haben – und, so die "Times", über Murdochsche Methoden hinweggesehen haben, die in Großbritannien zum Teil gängig, in Journalismushäusern der USA aber verpönt sind: Bezahlung für Informationen und das hier wie da illegale Hacken von Konten und Telefonen, um an Informationen zu kommen.

Worum es innerhalb der "Post" auch geht, erklärt der freie USA-Korrespondent Christian Fahrenbach als Gast des "Übermedien"-Podcasts "Holger ruft an":

"Mitten in einem wichtigen Wahlkampfjahr leisten wir uns eine Umbesetzung von Leuten, die so krass eigentlich im Widerspruch steht zu unseren ethischen Standards hier im Haus und bei uns im Land allgemein."

Warum setzt man in einem Moment der "historischen Bedrohung" (Fahrenbach), in der Donald Trump wieder ins Weiße Haus gewählt werden und Journalisten die Hölle heiß machen könnte, auf Leute, die Trump womöglich eher zuarbeiten würden als sich ihm mit breitem Kreuz entgegenzustellen?

Bemerkenswert ist jedenfalls mal wieder, wie ausführlich und mit journalistischem Fokus US-amerikanische Medienredaktionen im Zweifel auch hart über ihr eigenes Haus berichten, wenn sie es für notwendig halten. Fahrenbach sagt, er halte die Beiträge der "Washington Post" für eine "authentische Reflexion", die nicht nur "ein In-fighting nach außen tragen möchte". Sondern für ein Ringen mit der Frage: Was ist unsere Zukunft?


Altpapierkorb (kein "Spotify für Journalismus", Journalismusförderung, Reichelts Stimmungsmache, "Rechtsruck"-Sprachgebrauch, Kindermediennutzung)

+++ Die öffentlich-rechtlichen Medien in der Slowakei werden "umgebaut" (tagesschau.de), oder wie es "Zapp" vom NDR nennt: Es soll stattdessen einen "patriotischen Staatssender" geben. Man sollte zur Kenntnis nehmen, was Regierungen so tun, die Medien als "voreingenommen" bezeichnen.

+++ Wo das Geld für Journalismus herkommen soll, ist eine Frage, die die Medienbranche eint. Um zwei neue Antworten ging es dieser Tage beim "Medieninsider". Nummer eins (Abo): "Manager des Spiegel und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben von langer Hand eine neue Plattform geplant und ihren Start bislang ungeachtet weiter Teile der Branche vertraulich vorbereitet. In diesen Tagen bildet sich um sie herum eine Initiative, die den digitalen Medienvertrieb in Deutschland aufrütteln könnte. Sechs weitere deutsche Verlage gehören den Gründungsmitgliedern." Klingt nach dem gern herbeigewünschten, weil für Nutzer praktischen "Spotify für Journalismus", das ist es aber wohl nicht. Kein Komplett-Paket. Sondern "Abo-Kooperationen mit anderen Verlagen", wie der "Medieninsider" aus dem "Spiegel" gehört hat.

+++ Nummer zwei (ebenfalls Abo): Martin Kotynek, einst Chefredakteur des österreichischen "Standard", will als Gründungsgeschäftsführer einer Unternehmung namens Media Forward Funds die Presseförderung in Österreich, Deutschland und der Schweiz anschieben.

+++ "Es gibt keinen Rechtsruck", schreibt Christian Baron im "Freitag" (Abo): "Die Rede vom Ruck impliziert eine plötzliche Veränderung. Das trifft hier nicht den Kern. Immerhin hat der damalige Bundesbanker und SPD-Politiker Thilo Sarrazin bereits 2010 einen vor sozialrassistischen und biologistischen Argumentationsmustern triefenden Megabestseller vorgelegt". In einem Aufwasch verlinkbar ist die Deutschlandfunk-Medienkolumne von Matthias Dell, die etwa zeitgleich entstanden sein dürfte: "Nun gehören zur Demokratie wechselnde Mehrheiten, aber wenn schon 2018 oft und viel von einem 'Rechtsruck' geschrieben und gesendet wurde, wieso wird dann jeder weitere Wahlerfolg jedes Mal wieder neu 'Rechtsruck' genannt? (…) Müsste man extrem rechte Politiken nicht vielmehr als Kontinuität begreifen?"

+++ Wie viel Aufmerksamkeit man Aufwiegelungsjournalismus widmen sollte, ist wohl nur im Einzelfall beantwortbar. Mit Julian Reichelts Krawallportal beschäftigt sich jedenfalls aus gegebenem Anlass Annika Schneider bei "Übermedien" (Abo).

+++ "Laut der befragten Eltern verfügt jedes zehnte Kind zwischen zwei und fünf Jahren in Deutschland über ein eigenes Handy oder Smartphone, 28 Prozent über ein eigenes, internetfähiges Tablet." Schreibt die "FAZ" (bei Redaktionsschluss dieser Kolumne nur die Printausgabe) über die "miniKIM Studie 2023" des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest. Das sind Hinguckerzahlen, weil es um Zwei- bis Fünfjährige geht. Die Frage ist, was sie mit den Geräten machen und welche Inhalte sie nutzen. (Einen kleinen Schwerpunkt der MDR-Redaktion Medien360G, die auch diese Kolumne betreut, zur Medienbildung in Schulen gibt es, mit einem Thüringen-Schwerpunkt, hier.)

+++ Bedenklich wird’s, wenn Kinder anfangen, selber zu influencen oder von ihren Eltern ausgerechnet im Influencen gefördert werden. Kein neues Phänomen, aber wohl ein zunehmendes. Auch darum geht es in der "miniKIM Studie", und darum geht es auch in einem Interview mit der Kinderrechtsaktivistin Toyah Diebel im Deutschlandfunk, die vor "digitaler Kinderarbeit" warnt.

Am Montag kommt das Altpapier wieder von Klaus Raab. Schönes Wochenende!