Kolumne: Das Altpapier am 25. Juni 2024Digital unsouverän
Die EU-Kommission will von Apple ernst genommen werden. Will Madsack die ganz große Lokalzeitungs-Zentralisierung angehen? Der SWR will an "Verstehen Sie Spaß?" und ganz anderswo sparen. Und mit der deutschen "digitalen Souveränität" ist's nicht weit her. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Der jüngste Madsack-Hammer
Oh, überdurchschnittlich spektakuläre Nachrichten von allen Feldern der Medienlandschaft. Die spektakulärste und beste begegnet einem am Dienstagmorgen überall: Julian Assange ist frei, nach langjähriger, nämlich 1901 Tage langer Folter-ähnlicher Haft in einem der ältesten Rechtsstaaten. Hier zeigt ein dreizehnsekündiges Wikileaks-Video, wie der Wikileaks-Gründer ins Flugzeug steigt, ausführlich berichtet der "Guardian". Für Überblicke über diese nacht-aktuelle, natürlich global in Echtzeit kommentierte Entwicklung ist's zu früh. Klar aber: "This is not a clear victory for freedom of the press."
Eine nicht unspektakuläre Nachricht kommt auch vom deutschen Zeitungsmarkt. Die Madsack-Gruppe bekam gerade erst die übliche Kritik zu hören und lesen, weil beim "Bündeln", "Zusammenrücken" und "Neuaufstellen" ihrer zwei sächsischen Zeitungstitel gut dreißig bis gut fünfzig Stellen wegfallen (Altpapier).
Nun folgt ein noch deutlich größerer Hammer. "Dass das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) künftig alle Zeitungen zentral von Hannover aus" produzieren wolle, meldet meedia.de (Abo). In diesem Fall dürften, weil das Madsacksche Netzwerk immer noch größer wurde und wird, Journalisten-Stellen in deutlich höherer Zahl wegfallen. Womöglich handelt es sich bei der Ankündigung um einen Testballon, um zu sehen, wer denn wie reagiert. Vermutlich deshalb schoss die Journalistengewerkschaft DJV schon mal aus der Hüfte und fordert, entweder "Pläne über eine Zentralisierung der Zeitungstitel nicht weiter zu verfolgen", oder aber zumindest, solch "gravierende Einschnitte in bewährte Personalstrukturen bei Zeitungstiteln ... nicht ohne vorherige Rücksprache mit den Arbeitnehmervertretern" zu unternehmen.
Pardon, falls Sie's schon zu oft hier lasen, aber dass der mit knapp einem Viertel der Anteile größte Madsack-Eigentümer die DDVG und mithin die SPD ist, muss noch mal wieder erwähnt werden. Madsack hat sich unter anderem, indem es mit dem "RND" ein deutschlandweites Portal aufbaute, das etwa über seine Hauptstadtbüro-Leiterin in den zahllosen öffentlich-rechtlichen Talkshows aufmerksamkeitsstark vertreten ist, in eine gute Ausgangslage für solche Extrem-Rationalisierung gebracht. Da dürfte es noch heiß hergehen. Wir bleiben dran.
"Spaß", Beton, Rechnungshof: Neues vom SWR
Immer was (los) ist rund um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das haben sie nun davon, die ewigen Kritiker desselben, die nicht mal der unterinflationären Erhöhung des Beitrags ab kommendem Jahr zustimmen möchten. Jetzt wird am Spaß gespart, den unsere Gesellschaft doch so bitter nötig hat (also falls nicht gerade ein Sommermärchen läuft ...)! Auf die gut klickbare Überschrift "ARD zeigt künftig weniger 'Verstehen Sie Spaß?' im Fernsehen" kondensierten zumindest zeit.de/dpa ihre Meldung zur langen Pressemitteilung, die der SWR gestern Nachmittag herausgab.
Darin werden, wie in entsprechenden Mitteilungen aller ARD-Anstalten, noch sehr viel mehr "Einschnitte in Verwaltung, Produktion, Infrastruktur und Programm" angekündigt, begonnen mit der griffigen Formel "Beton spart vor Programm". Soll bedeuten, dass der SWR sich "von Immobilien, die sanierungsbedürftig, ineffizient oder nicht mehr unbedingt erforderlich sind", noch viel stärker trennen will als von Sendungen, die sanierungsbedürftig, ineffizient oder nicht mehr unbedingt erforderlich sind. (Hoffentlich kann der SWR sein Betongold ähnlich häuslebauergeschäftig verkaufen wie die Deutsche Bahn die Grundstücke, die durch ihren genialen Plan rund um den Stuttgarter Hauptbahnhof frei wurden ...). Jedenfalls spart der SWR etwa auch bei der Reihe "Eisenbahn-Romantik" und wird die Sendung "ARD-Buffet" ganz einstellen.
Faust aufs Auge, dürften sich die Herren von der "FAZ"-Medienseite (Abo) gedacht haben, und bringen heute ein Interview, das auch dem SWR gilt – aber weder seinen Sendungen, noch seinen Immobilien –, sondern die Überschrift "Der SWR ist eine einzige Pensionskasse" trägt. Befragt wird weder Intendant Prof. Gniffke, noch jemand anderes aus der Anstalt, sondern die Präsidentin des Landesrechnungshofs Baden-Württemberg.
"Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen den Versorgungsansprüchen der Beschäftigten und dem Schutz der Beitragszahler. Der SWR und die beiden Vorgängeranstalten haben ihren Beschäftigten jahrzehntelang eine sehr komfortable arbeitgeberfinanzierte Altersversorgung geboten, die die gesetzliche Rentenversicherung ergänzt. Diese Altverträge sind die wesentliche Ursache für die gegenwärtigen hohen Belastungen des SWR",
sagt Cornelia Ruppert unter anderem. Zwar würden jüngere Verträge schon länger ganz anders abgeschlossen als diese "Altverträge", doch führe "systembedingt ... weiterhin jede tarifliche Gehaltssteigerung auch zu einer Erhöhung der Altersbezüge". Das wird schnell versicherungsmathematisch kompliziert. Dass die "FAZ" gerade jetzt dieses Thema anschneidet, dürfte den SWR jedenfalls nicht freuen.
Rechnungshöfe gehören auch zum deutschen Föderalismus, kommen in den hochgradig föderalistischen Medien-Debatten selten vor. Neulich beim RBB aber ... Auch wenn dort gerade Theaterpause ist, also der über-1000-seitige Untersuchungsausschuss-Abschlussbericht eines der zuständigen Landtage erfolgreich zu den Akten gelegt wurde (siehe zuletzt dieses Altpapier), lohnt es, das RBB-Radio-"Medienmagazin" (hier ab Min. 05:55) dazu anzuhören.
Zunächst bringt Jörg Wagner einen gut sechsminütigen Zusammenschnitt der Landtagsdebatte. Darin gab es Kritik außer am RBB selbst auch an der Landesregierung. Einer der Kritikpunkte: Kritische Berichte zum RBB vom Landesrechnungshof, nun dem brandenburgischen, blieben unbeachtet. Das im "Medienmagazin" folgende Interview mit Petra Budke, Vertreterin der mitregierenden Grünen im Untersuchungsausschuss, bleibt im Rahmen des Erwartbaren. Interessanter ist das darauf folgende mit Péter Vida, der die oppositionellen Freien Wähler vertritt und mit hörbarer Wut sowohl über das – großenteils, aber nicht komplett – ehemalige RBB-Spitzenmanagement spricht (über "üppigste Zahlungen" "auch in der zweiten Reihe"), sowie über die "Nachtwächter-Rechtsaufsicht" der Landesregierung.
Die juristische Nachbereitung all dessen mit prominentem RBB-vs.-Schlesinger-Prozess (und umgekehrt) wird bekanntlich im Herbst erfolgen. Ob bestimmte Verträge "sittenwidrig" waren oder aber es zu den Sitten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehörte, teure Verträge mit kaum bezifferbaren Zukunftskosten so rechtssicher abzunicken, dass sie halt weiter laufen, wird eine der spannendsten Fragen lauten. Wichtiger noch wäre, aus den offenbar gewordenen RBB-Skandalen Lehren nicht nur für die Zukunft, sondern für die Gegenwart zu ziehen. Dass Rundfunk-Kontrollgremien, die weniger schlecht arbeiten wollen als den ehemaligen RBB-Aufsichtsgremien inzwischen hinlänglich nachgewiesen wurde, Landesrechnungshof-Berichte lesen und womöglich mit diesen Höfen zusammenarbeiten sollten, müsste wohl dazugehören.
EU vs. Apple, nächstes Level
Die schwierige Lage des Journalismus im EU-Mitgliedsland Griechenland kann hier kein Thema sein. Es lohnt aber, in Ferry Batzoglous "taz"-Artikel darüber reinzulesen. In einem Absatz heißt's:
"'Als die damals zuständige EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, Věra Jourová, in Athen war, um sich vor Ort über die Lage der Pressefreiheit zu informieren, wollte mich plötzlich nur ein Mitarbeiter von ihr sehen, ..., obwohl vorab ein Treffen mit Jourová vereinbart war.' Kurz nach dem Treffen mit ihrem Mitarbeiter im Athener EU-Gebäude habe er Jourová auf der Treppe gesehen. Er habe sich vorgestellt. Mit entwaffnender Ehrlichkeit habe ihm Jourová vor weiteren Anwesenden erklärt: 'Ah, Sie sind Herr Koukakis! Sie sollte ich hier in Athen auf keinen Fall treffen!'"
So wird der Wirtschaftsjournalist Thanassis Koukakis zitiert (den der griechische Geheimdienst abhörte, der jetzt aber selbst "horrenden Geldforderungen" durch Zivilklagen unter anderem eines Neffen des zurückgetretenen Premierministers Mitsotakis ausgesetzt sei ...). Das heißt auch: Großes Vertrauen hat die vorige EU-Kommission sich auf keinem Feld erarbeitet.
Jetzt aber, da noch unklar ist, wer der nächsten Kommission mit Zuständigkeiten wofür angehören wird, zeigt sie Zähne. "Erstmals verschärft die EU-Kommission ein Verfahren, das sie nach dem neuen EU-Digitalgesetz (DMA) eingeleitet hat", meldet etwa die "FAZ" (Abo). Damit halte die Kommission sich an ihren Zeitplan, was deshalb wichtig sei, da Beschleunigung gegenüber den bisherigen, stets jahrelangen Kartellverfahren zu den Gründen für die neuen EU-Digitalgesetze gehört. Während die "taz" die Ausgangslage neutral schildert – Apple stilisiert sich ja gern zum Freund der Privatsphäre seiner Kundschaft –, bezieht golem.de Stellung: "Der iPhone-Konzern nutzt seine Marktmacht zur Stimmungsmache gegen unliebsame Gesetze – und beweist damit, wieso die Regulierung so wichtig ist". Mit seinen Pressemitteilungen (die deutschen Medien ja gerne 1:1 übernehmen) befeuere der Konzern "Narrative ...wie die, die sich rechtspopulistische EU-Skeptiker zu eigen machen", argumentiert "Golem"-Redakteur Daniel Ziegener. Dabei müsste es für ihn, den Konzern, einfach sein, "seine Features in Einklang mit den Richtlinien eines Marktes zu bekommen, der ihm allein im letzten Quartal Nettoeinnahmen von 36 Milliarden US-Dollar einbrachte".
Offenkundig nehmen die überwachungskapitalistischen Datenkraken-Konzerne die EU nicht ernst. Offenkundig will die EU nun aber ernst genommen werden. Auch da dürfte es noch höher hergehen.
Über "digitale Souveränität"
Wenn wir dabei sind: Zu lesen lohnt, was Haya Schulmann und Michael Waidner, Cybersicherheits-Professorin aus Frankfurt und Fraunhofer-Instituts-Leiter aus Darmstadt, im "FAZ"-Wirtschaftsressort (Abo) über "digitale Souveränität" schrieben. Dazu trennten sie die beiden Begriffsbestandteile, die zusammen einen bestimmten Sinn ergeben, aber nicht notwendig zusammengehören, also einzeln Unterschiedliches bedeuten können.
Im Text geht's um die Legislaturen- und Jahrzehnte-übergreifend schleppende deutsche Verwaltungsdigitalisierung ("Von den 575 Verwaltungsdienstleistungen, die ... bis Ende des Jahres 2022 bundesweit digitalisiert sein sollten, waren Anfang des Jahres 2024 erst 153 tatsächlich bundesweit verfügbar") bis hin zur DSGVO. Auf diese Datenschutz-Grundverordnung war vor allem das EU-Parlament stolz. "Auf die digitale Souveränität hatte die DSGVO allerdings keinen Einfluss, zumindest keinen positiven", meinen Schulmann/Waidner. Vor allem erfreut ihr Text mit prägnanten Sprachbildern, etwa aus dem Trend-Themenfeld Postkolionalismus:
"Ebenso, wie nicht jede Investition Großbritanniens in die Infrastruktur seiner Kolonie Indien das Land der politischen Unabhängigkeit näher brachte, ist auch nicht alles, was der Digitalisierung in Deutschland und Europa hilft, gut für unsere digitale Unabhängigkeit."
Das gilt der inflationären Verwendung des Begriffs "souverän" im Zusammenhang mit Digitalisierungsvorhaben, etwa durch Wirtschaftsminister Habeck, der damit auch Milliardensubventionen für Intels Chip-Fabrik in Magdeburg rechtfertigte. Selbst wenn Plattform-Konzerne unsubventionierte eigene Milliarden-Investitionen in Rechenzentren, die vor allem Cloud-Dienstleistungen gelten sollen, ankündigen, habe auch das nichts mit Souveränität zu tun:
"Irreführend ist die Verwendung des Attributs 'souverän' im Zusammenhang mit Cloudangeboten, die sich von anderen nur dadurch unterscheiden, dass sie in deutschen Rechenzentren betrieben werden und so konfiguriert sind, dass Nutzerdaten im normalen Betrieb nicht ins Ausland geschickt werden. Der Datenzugriff durch fremde Staaten soll so erschwert werden. Die Hardware, die zum Aufbau dieser Rechenzentren verwendet wird, und die Software, welche die eigentliche Cloud realisiert, kommen allerdings auch hier vorwiegend aus den Vereinigten Staaten."
Das gilt Terminen wie diesen, zu denen amtierende Bundeskanzler und junge Ministerpräsidenten, die's auch gern würden, gern gemeinsam zum Spatenstich vorbeikommen.
Damit meinen Schulmann/Waidner ausdrücklich nicht, dass solche Investitionen, die derzeit ja kaum vorkommen, Kritik verdienen. Bloß zur gern beschworenen Digital-Souveränität tragen sie wenig bei. Begriffliche Klarheit spielt, leider, weder in der aktuellen Politik, noch in den wenn aufbrandenden, dann oft von diffusen Anglizismen getriebenen Digital-Diskussionen eine größere Rolle.
Altpapierkorb (Neuer Medienpolitiker, Schönbohm vs. Böhmermann, "Strg_F", Medienwächter)
+++ Medienpolitik-Personalien: Oliver Schenk, als wichtigster sächsischer Medienpolitiker auch im Altpapier öfters zu Gast, geht nach Straßburg. Sein Nachfolger als Staatskanzlei-Chef und Minister für Bundesangelegenheiten und Medien heißt Conrad Clemens (flurfunk-dresden.de). +++ Und auch wenn Rheinland-Pfalz' Führungsrolle in dem bisschen deutscher Medienpolitik "seit Menschengedenken" festgeschrieben ist (Altpapier), könnte "das Ausscheiden von Malu Dreyer ... gleich in mehrfacher Hinsicht einen ganz neuen Auftritt von Nathanael Liminski bedeuten", also dem nordrhein-westfälischen Medienpolitiker, meint Steffen Grimberg im KNA-Mediendienst (Abo).
+++ Der Herbst wird medienjuristisch heiß. Auch noch, weil ab 19. September am Landgericht München Arne Schönbohm, "einst Deutschlands oberster Cyberschützer", gegen ZDF-Entertainer Böhmermann klagt. Schönbohms Rechtsanwalt fordert "mehrere Unterlassungen sowie eine Geldentschädigung von mindestens 100.000 Euro", weiß die "Welt" (Abo).
+++ "Als öffentlich-rechtliches Format, das eine junge Zielgruppe anspricht, sollte die Redaktion sorgfältig arbeiten und auf Zuspitzungen verzichten", spendiert in der "taz" Joscha Frahm "Strg_F", zuletzt besonders viel kritisiert (Altpapier), guten Rat anlässlich drei neuer Videoreportagen.
+++ Wenn alle unbedingt mehr Geld brauchen, obwohl überall weniger Geld da ist, schon weil ..., dürfen die Landesmedienanstalten nicht fehlen. Im Deutschlandfunk (Audio) übernimmt die Berlin-Brandenburger Medienwächterin und derzeitige Direktorenkonferenz-Vorsitzende Eva Flecken das Plädoyer. (Und sieht auf dem Foto aus, als trüge sie schon mal Flecktarn, freilich florales ...)
+++ Zum Schluss noch ein krasses Kuriosum: ein von Heiko Hilker entdeckter "Bild"-Artikel über was Öffentlich-Rechtliches, der argumentativ abwägt. "Statt Edward Elgar hört man nun zu bester Morgensendezeit von 'Politikern im Unwettereinsatz' oder einen Bericht über einen Fußball-Film. Mit Verlaub: Das können andere besser", schreibt Berlin-Kolumnist Gunnar Schipelius etwa, und zwar zur (in der Tat auch krass misslungenen) Ummodelung des RBB-Kulturradios in ein neues "Radio drei", um die es in diesem Altpapier ging.
Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.