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Kolumne: Das Altpapier am 10. Juli 2024Mehr Eigenwerbung ist auch keine Lösung

10. Juli 2024, 09:42 Uhr

Führt die ARD die besseren (oder zumindest weniger schlechte) AfD-Interviews? Macht das ZDF in Fußballspiel-Halbzeitpausen den besseren Job? Zumindest liefern die öffentlich-rechtlichen Hauptsender sich derzeit tatsächlich mal publizistischen Wettbewerb. Außerdem: Wer überträgt die 104 (!) Spiele der Fußball-WM 2026? Und OMG, gerade läuft das "Jahr der Nachricht". Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die AfD-Interviews von ARD & ZDF

Publizistischer Wettbewerb, also Dinge fundiert aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, besitzt hohen Eigenwert. Das zeigt sich etwa, wenn die immer noch wichtigsten überregionalen Nichtboulevard-Tageszeitungen sich beide mit dem "'braunen Super-Sonntag' bei den Öffentlich-Rechtlichen", wie René Martens ihn im Montags-Altpapier nannte, befassen. Also mit dem Tag, an dem die gemeinhin wenig beachteten vorabendlichen Sommerpausen-Interviews bei ARD und ZDF jeweils mit Vertretern der AfD geführt wurden. Drüber schrieben "FAZ" und "Süddeutsche" (Abo) dann ausführlich auf ihren Medienseiten. Sonja Zekri für letztere sah es ähnlich wie René, hielt beide Interviews für schlecht gelungen, das des ZDF mit Alice Weidel allerdings für noch schlechter:

"Shakuntala Banerjee hörte geduldig bis zum Ende zu, ohne die Lügen offenzulegen oder eine Sprache zu entlarven, die direkt aus dem Wörterbuch des Unmenschen stammt. Dass die Migration ein Übel und schlecht für Deutschland ist, stellten beide Moderatoren gar nicht mehr infrage, sondern fragten bei Chrupalla und Weidel lediglich 'Lösungen' für die Misere ab. Vielleicht ist dies das Beunruhigendste: dass die Rechten der Mitte und auch den Medien einen Diskurs aufgezwungen haben, von dem man sich vor ein paar Jahren noch mit Grausen abgewandt hätte."

Auch Zekri bemängelt die spät, also zu spät für den linearen Sendetermin nachgereichten "Faktenchecks". Wobei Faktenchecks faktisch ein schwieriges Format darstellen, das das ursprünglich gegebene Eindeutigkeitsversprechen längst nicht immer einhalten kann. Natürlich stieß die im ZDF-Faktencheck nachgereichte "Anmerkung der Redaktion" zum Punkt "Zahl der Messerdelikte" in den sog. soz. Medien auch auf allerhand Echo. (Zum am Montag schon verlinkten ARD-Faktencheck geht's hierlang).

In der "FAZ" (Abo) erhält der Chrupalla-Interviewer der ARD, der noch neue Hauptstadtstudio-Leiter Markus Preiß, (schon wieder) Lob:

"... wenn der AfD-Vorsitzende Unfug von sich gegeben hatte – etwa, als er es als Kleinigkeit darstellte, ausreisepflichtige Asylbewerber in ihre Herkunftsländer abzuschieben –, kleidete Preiß seine Verwunderung in eine präzise Nachfrage, die eine gute Vorbereitung auf das Thema verriet. Auf korrigierende Feststellungen mit Anspruch auf Letztgültigkeit verzichtete er. Kurz, es war ein Interview für informierte Mitdenker."

Eine andere Frage bleibt, warum ARD und ZDF Chrupalla und Weidel am selben Sonntag befragten. Sprechen sich die öffentlich-rechtlichen Senderfamilien bei der Programmplanung überhaupt nicht mehr ab? "Fehlplanung bei ARD und ZDF: Die AfD bekam von den öffentlich-rechtlichen Programmen den Sonntagabend zur Selbstdarstellung geschenkt", schimpfte sogar Gabor Steingart, der zweifellos ziemlich anders tickt als René Martens, in seinem Newsletter (Abo). "In AfD-Kreisen jedenfalls freute man sich, das Vorabendprogramm derart zu dominieren", ergänzte der Morgennewsletter von Ströers t-online.de. Steingart (der ja selbst in heftigem publizistischen Wettbewerb mit inzwischen jeder Menge weiterer Morgen-Newsletterer steckt) schrieb dann noch von einer "Krönungsmesse" der AfD "unter maximaler Anteilnahme des Publikums" – wobei es da um die Kanzlerkandidatur-Frage ging, die selbstredend Chrupalla wie Weidel gestellt wurde. Dass insistierendes K-Fragen-Stellen als gute Interviewführung gilt, zählt ja zu längerfristigen Fehlentwicklungen im deutschen Politikjournalismus ...

Die Fußballspiel-Halbzeitpausen bei ZDF & ARD

Andererseits: Immerhin geben ARD und ZDF Anlass, ihre Leistungen sehr konkret zu vergleichen. Überhaupt liefern die beiden öffentlich-rechtlichen Hauptsender sich derzeit tatsächlich den von ihnen sonst eher behaupteten publizistischen Wettbewerb – wenn sie stundenlang von der laangen Fußball-EM berichten und zwischendurch ihre öffentlich-rechtlichen Pflichten wie etwa Nachrichtensendungen erfüllen. Das schrieb zumindest ich selbst in einem Artikel für den KNA-Mediendienst (Abo). Darin geht es vor allem um die Nachrichtensendungen während der Halbzeitpausen, also vor sehr großem, mehr als 20 Millionen Menschen zählendem Publikum. In diesem Wettbewerb macht für meinen Geschmack das ZDF wesentlich bessere Figur als die ARD. Denn im ZDF ging es in der Halbzeitpause, auch im Halbfinale gestern wieder,

"ohne Schnickschnack schnurstracks ins Nachrichtenstudio. Genau so was ist ja ein wesentliches Argument dafür, trotz aller Kritik regelmäßig weiterhin steigende Unsummen für einmalige Übertragungsrechte von Fußballspielen auszugeben: Genau dann, wenn die halbe ... okay, ein Viertel der Nation linear Livefernsehen anschaut, wird Nachrichtenjournalismus gesendet und kann so Menschen, die sonst kein lineares (oder kein öffentlich-rechtliches) Fernsehen schauen, von öffentlich-rechtlichen Vorzügen überzeugen."

Wohingegen die ARD vor ihren achtminütigen Pausen-"Tagesthem"-chen nicht nur das obligatorische UEFA-Imagefilmchen zu zeigen pflegt (das das ZDF zwar auch senden muss, aber auf nach den Nachrichten schiebt), sondern auch noch mindestens zwei ihrer Eigenwerbe-Spots, die auf den nächsten Krimi oder Quizshows in Kneipen gespannt machen sollen. Dabei "sind die Nachrichtensendungen in den Sportübertragungen ... eine unschätzbare Werbung für 'Tagesschau' & Co", meint auch Jochen Huber im "Tagesspiegel" (ohne zwischen ARD und ZDF zu unterscheiden). Heißt: Eigentlich wären Nachrichtensendungen selber bessere Werbung als noch so schwungvoll daherkommende Programmtrailer.

Eine andere Frage, die mein KNA-Text anreißt, gilt der Aufgeblasenheit des Turniers und der Berichterstattung drüber. Da stecken die Anstalten zwischen zwei Bredouillen. Was immer sie tun, erntet Kritik:

"Die Fußballrechte sind ungemein teuer. Umso längere Berichterstattung rund um die Spiele und Querverweise auf das später folgende Programm ergeben schon deshalb betriebswirtschaftlich Sinn, weil die hohen Kosten so auf mehr Sendezeit mit womöglich überdurchschnittlich hohen Einschaltquoten verteilt werden können. Andererseits bringt der Verzicht auf Spiele – ausgerechnet das Achtelfinale Österreich-Türkei, das viele türkischstämmige Menschen gerne gesehen hätten, lief weder bei den Öffentlich-Rechtlichen, noch auf RTL, sondern im "Magenta-TV" der Telekom – die beitragspflichtigen Anstalten in ganz andere Bredouillen."

Weshalb es für meinen Geschmack sinnvoll wäre, im Rahmenprogramm immer öffentlich-rechtliche Standards zu setzen (und eben nicht doofe Eigenwerbung gegenüber Nachrichten zu priorisieren). Umso mehr, da sich das Aufgeblasenheits-Problem beim nächsten großen Männerfußball-Turnier, der Weltmeistschaft 2026, noch verschärfen wird. Bei dwdl.de weist Alexander Krei darauf hin, dass

"ab 2026 nicht mehr nur 32 Mannschaften an der Endrunde teilnehmen, sondern gleich 48. Die Zahl der Spiele erhöht sich dadurch von 64 auf 104 Partien – das sind mehr als doppelt so viele wie bei der derzeitigen Europameisterschaft. Um all die Spiele zu absolvieren, wird sich die nächste WM über mehr als fünf Wochen hinweg erstrecken. Das birgt selbst bei den größten Fußball-Fans die Gefahr eines Overkills."

Und dürfte dazu führen, dass sich mehr deutsche Anbieter die viielen Übertragungsrechte an Spielen, deren Attraktivität aus deutscher Sicht unterschiedlich ausfallen dürfte, werden aufteilen müssen. Schon weil der Weltfußballverband FIFA mindestens solch ein dubioser Verein ist wie die gemeinnützig-steuerbefreite UEFA, und seine Einnahmen aus dem fußballversessenen Deutschland natürlich weiter steigern will. Ohnehin ist ungewöhnlich, dass die deutschen Rechte für dieses Turnier, das Bundestrainer Nagelsmann ja schon gewinnen zu wollen ankündigte, zwei Jahre zuvor noch nicht vergeben sind.

Was macht eigentlich das "Jahr der Nachricht"?

Hopsala, läuft gerade das "Jahr der Nachricht"? Ja, in meinem Altpapier-Jahresrückblick '23 hatte ich die von der dpa, unserer ARD, der OMG (nicht "Oh My God!", sondern "Organisation der Mediaagenturen") und noch vielen anderen Partnern unterstützte Aktion erwähnt. In diesem Altpapierkorb im März kam sie dann noch mal vor. Sonst machte das "Jahr der Nachricht" bislang nicht viel Aufsehen. Vielleicht ja, weil es selbst im Hochsommer so viele wichtige Nachrichten gibt ...

Jetzt aber nimmt sich Stefan Niggemeier der Aktion an und lenkt an prominenter Stelle seines

uebermedien.de-Artikels (Abo) Aufmerksamkeit auf das hübsch bunte, dezent bewegte Aktions-Portal namens usethenews.de. Allerdings nicht, um den Grundgedanken zu loben, sondern um "Funkes Mülljournalismus" zu kritisieren, der auf uebermedien.de ja recht regelmäßig kritisiert wird. Funke-Chefin Julia Becker gehört neben dem ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke, Peter Kropsch von der dpa und Carsten Brosda von der SPD zu den Wortführern der kämpferischen, schon älteren und nicht irre viel beachteten "Hamburger Erklärung: Die informierte Gesellschaft verteidigen und die digitale Öffentlichkeit stärken". Um die darin wortreich geforderten Kämpfe zu führen, so Niggemeier,

"wäre die Funke-Mediengruppe in einer außerordentlich privilegierten Position ..., sie könnte damit gleich im eigenen Haus beginnen. Sie gibt nämlich nicht nur Regionalzeitungen wie die 'Berliner Morgenpost' und die 'Westdeutsche Allgemeine Zeitung' und Zeitschriften wie die 'Hörzu' heraus. Einen wesentlichen Teil ihres Geschäftes macht sie mit Clickbait-Portalen wie 'Der Westen' oder Moin.de und Regenbogenblättern ..."

Aber die Funkes tun's nicht und antworteten mal wieder nicht auf kritischen Anfragen aus der "Übermedien"-Ecke ... Vielleicht eignet sich dieses "Jahr der Nachricht" als weiterer Beleg dafür, dass pompös angekündigte, gut gemeinte Eigenwerbe-Initiativen, die mit gewissem Werbeaufwand in die Öffentlichkeit gedrückt werden sollen, inzwischen wenig Sinn ergeben. Bzw. dass es, gerade im Journalismus, sinnvoller wäre, im laufenden Betrieb durch gute und nicht übertrieben eitel in Szene gesetzte Arbeit überzeugen zu wollen (und womöglich freies Werbegeld lieber darein zu stecken).


Altpapierkorb (Brand in Bielefeld, "Junge Welt" & Verfassungsschutz, Stewart-Interview? Militärwerbung in Medien, Dündar über Assange)

+++ Dass gibt es für Journalisten, insbesondere bei lokalen Zeitungen, öfter, "dass ihr Arbeitsplatz, der zum Teil seit Jahrzehnten ihre berufliche Heimat war", plötzlich weg ist. Nicht aber, dass er "über Nacht ein Raub der Flammen geworden ist". Der Brand im Hauptsitz des "Westfalen-Blatts" aus Bielefeld (westfalen-blatt.de) ist auch Thema überregionaler Medien wie "SZ" und "FAZ". Die am Mittwochmorgen jüngste Meldung, dass die "Brandursache wohl nicht mehr zu klären" sei, hat wiederum das "Westfalen-Blatt" selbst.+++

+++ "Denn wenn legitime Kritik zum vermeintlichen Verfassungsfeind wird, stirbt ein Stück Pressefreiheit einen stillen Tod", schreibt Mandy Tröger in der "Berliner Zeitung" (Abo) und wünscht damit der "Jungen Welt", sich nächste Woche aus dem Verfassungsschutzbericht, in dem die marxistische Tageszeitung geführt wird, herausklagen zu können. +++

+++ Mal wieder Wirbel um ein Interview, das gedruckt groß erschien, aber gar nicht geführt worden sein könnte. Es geht um ein österreichisches mit dem 83-jährigen "Star Trek"-Schauspieler Patrick Stewart. Ausführlich berichtet (und zeigt es) der "Standard". +++

+++ Während die "taz" die von prominenten Influencern unterstützte neue Tiktok-Kampagne der Bundeswehr kritisiert ("stellt ... die Bundeswehr als Spielplatz dar und kommuniziert die tatsächlichen Gefahren nicht deutlich genug"), übersetzte "Telepolis" einen "Responsible Statecraft" Artikel darüber, wie das US-amerikanische Verteidigungsministerium von den 1950ern bis in die Gegenwart unzähligen Kino- und Serienproduktionen bis hin zu "Mission Impossible 7: Dead Reckoning" Produktionsunterstützung im Gegenzug für Drehbuchkontrolle gewährt. +++

+++ "Julian Assange war nicht der erste Fall von Kriminalisierung von Journalisten. Aber er war der erste Verleger, der in den USA nach dem Espionage Act strafrechtlich verfolgt wurde. Das hatte einen wichtigen Ansteckungseffekt. Journalisten trauen sich nicht mehr, über so sensible Themen wie Geheimdienst- oder Kriegsverbrechen zu berichten. Leider ist die Situation in den Medien in der Türkei die gleiche", sagte Can Dündar in einem "taz"-Interview, das auch noch Erwähnung verdient. "Böswillige Staatsanwälte und Richter könnten dieses Urteil als Präzedenzfall für andere Fälle nutzen", ergänzt Nedim Türfent, der über sechs Jahre lang in Kerkern des NATO-Partners (und EM-Viertelfinalisten) Türkei saß. +++

Das nächste Altpapier erscheint am Donnerstag.