Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
MedienwissenMedienkulturMedienpolitikSuche

Kolumne: Das Altpapier am 13. August 2024Sommerpause? Cliffhanger?

13. August 2024, 09:55 Uhr

Die Otto-Brenner-Stiftung läutet eine neue Runde Öffentlich-Rechtlichen-Debatte ein. Der "oberste Gremienchef" legt noch eine Schippe drauf. Zum Berg an Ärger, den Elon Musk sich macht, gehören neun Datenschutz-Dringlichkeitsverfahren in der EU – aber kein deutsches. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Frischer Streit um ÖRR-Reformen

Was machen eigentlich die von der KEF ab Januar vorgesehene Rundfunkbeitrags-Erhöhung um 58 Cent pro Monat und Haushalt und die Empfehlungen des Zukunftsrats für eine größere Reform der öffentlich-rechtlichen Medien? Erstere müsste ja noch in allen Landtagen beschlossen werden; um letztere gab es doch allerhand parallele und anschließende Diskussionen.

Na ja, wenn nicht Winterschlaf, dann Sommerpause. Für jedwede Entscheidung müssen alle Bundesländer sich einig sein. Im September finden drei Landtagswahlen statt. Dass anschließend die notwendig einstimmigen Entscheidungen fallen, würde gegenwärtig sicher niemand ausschließen. Sich weiter aus dem Fenster lehnen aber wohl auch nicht.

Nun aber entsteht noch mal Aufbruchsstimmung für das im Laufe dieses Jahres als "Reformstaatsvertrag" ein wenig bekannt gewordene Vorhaben der Bundesländer-Medienpolitik. Zum Aufbruch wird aus zwei Ecken geblasen. Erstens hat die Otto-Brenner-Stiftung, die Gewerkschaftsstiftung mit den vergleichsweise interessanten Studien, ein neues 88-seitiges "Arbeitspapier" zum Themenfeld publiziert. "ARD, ZDF und DLR im Wandel" heißt es und wurde vom Münsteraner Medienrechtler Jan Christopher Kalbhenn verfasst, der dem Reformstaatsvertrag bzw. dem Entwurf dafür "enorme medienpolitisch Bedeutung" (S. 17) zuschreibt.

Gewohnt breit gestreut, entfachte das OBS-Papier rasch allerhand Medienmedien-Aufmerksamkeit. Hier die "epd medien"-Zusammenfassung, hier Deutschlandfunk-Smalltalk mit Kalbhenn. Dass die Studie in gedruckter Form wegging wie warme Semmeln und "bereits am Erscheinungstag vergriffen" war, wie die OBS x-twitterte, hängt sicher vor allem damit zusammen, dass Claudia Tieschky von der "Süddeutschen", selbst in der Studie zitiert, die Veröffentlichung bereits online am Freitag und gedruckt am Samstag (Abo) zitierte.

Da lobte sie nicht nur das "perfekte Timing", um vielleicht noch alle Beteiligten rechtzeitig aufzuwecken, sondern auch, wie "äußerst akkurat und lesenswert für alle, die sich in der Reformdebatte eine informierte Meinung bilden wollen", darin die bisherigen Debatten gebündelt seien. Stimmt, würde auch ich sagen. Allerdings merkt Tieschky außerdem kritischer an,

"dass die Reibung am Text dort beginnt, wo Kalbhenn von der Schilderung des Debattenstands übergeht zu Wertungen und eigenen Empfehlungen. So schreibt er, es könne der Medienpolitik 'nicht vorgeworfen werden, angesichts der Herausforderungen in den Sendern untätig geblieben zu sein' - wirklich nicht?"

Stimmt auch. Dass die föderalismus-bedingt zähflüssige deutsche Medienpolitik den dynamischen Medien-Entwicklungen mal weiter, mal etwas weniger weit hinterherhinkt, klingt auch im Altpapier öfters an. Vor allem ärgert Tieschky, die ja für eine privatwirtschaftliche Qualitätszeitung schreibt, dass das OBS-Papier fordert, für die Öffentlich-Rechtlichen "sämtliche Restriktionen im Onlinebereich" zu streichen, darunter "auch das Verbot der Presseähnlichkeit". Rund um diesen schwierigen Begriff tobte und wird weiterhin allerhand auch juristischer Streit toben. Klar, dass Presseverlage, die sowohl mit übermächtigen, global agierenden Datenkraken als auch mit traumhaft sicher beitragsfinanzierten Anstalten konkurrieren müssen, solche Restriktionen wünschen. Nicht überraschend, formuliert das die "FAZ" heute (Abo) deutlicher:

"Würden die Öffentlich-Rechtlichen selbst eine Wunschliste auflegen, dürfte diese Kalbhenns Ausarbeitung ähneln. Für jemanden, der die Sache von außen betrachtet, ist es schon erstaunlich, dass er meint, nur hier finde die grundgesetzlich verankerte Pressefreiheit statt (das Bundesverfassungsgericht denkt leider genauso). Apart ist die Argumentation, man müsse den Digitalgiganten begegnen, indem man die freie Presse plattmacht. Dass diese wegen der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz im Netz schwächelt, gilt dann als Grund, noch weiter vorzupreschen. Für die Rechte von Urhebern, Dokumentarfilmern und Produzenten hat Kalbhenn ebenso keinen Blick wie für das Europarecht."

Noch eine Schippe Kritik drauf legt dann, konzertiert, "FAZ"-Autor Helmut Hartung, der in seinem Blog medienpolitik.net von "zweifelhaften Vorschlägen" schreibt, die teilweise "für eine demokratische Medienordnung in Deutschland schädlich" seien.

Eines der Probleme, die sich früher oder später in alle Öffentlich-Rechtlichen-Diskussionen zeigen, liegt darin, dass die insgesamt schön vielen Sympathisanten uneinig sind, ob öffentlich-rechtlicher Rundfunk alles machen soll, was medial geht, es vielleicht sogar mit den viele Abermilliarden schwereren Plattformkonzernen aufnehmen soll – oder vorrangig das, was die auch erfreulich große privatwirtschaftliche deutsche Medienlandschaft nicht leistet. Oft, weil sie es sich nicht leisten kann ... Immerhin, mitten im heißen Hochsommer laufen die Diskussionen jetzt wieder.

Überraschendes vom "obersten Gremienchef"

Aus einer anderen Richtung holte die eingangs erwähnte Claudia Tieschky am gestrigen Montag noch wuchtigere Unterstützung für den Reformstaatsvertrag: von den "obersten Gremienchefs der ARD", und zwar in Gestalt des allerobersten Gremienchefs. Engelbert Günster, der Vorsitzende des SWR­-Rundfunkrats, sitzt derzeit auch der Gremienvorsitzendenkonferenz vor. Und nun im Interview, leitete die "SZ" (Abo) gedankenstrichreich ein, äußere er sich,

"– auch das ist ungewöhnlich – ausdrücklich in Übereinstimmung mit dem gesamten Präsidium der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD (GVK). Hinter den Aussagen stehen also auch die Verwaltungs- und Rundfunkratschefs der Sender – eine gewichtige Allianz."

Klingt, als sei diese Konferenz sonst für lautstarken Streit bekannt. Dabei ist die GVK selbst in der interessierten Nischenöffentlichkeit kaum bekannt, was auch daran liegt, dass alle Aufsichtsgremien einige Jahrzehnte lang das Ideal gepflegt hatten, entweder sowieso nicht zu streiten oder aber, es nur hinter streng verschlossenen Türen zu tun. Jetzt aber fordert Günster z.B. ausdrücklich:

"Eine zentrale Einheit der ARD für Infrastruktur und Verwaltung, in der alle Fäden zusammenlaufen, ist dringend nötig. Der Referentenentwurf für einen neuen ARD-Staatsvertrag sieht genau das vor: eine verbindliche, von den Intendanten gestaltete Strategie, die von einer Geschäftsführung konsequent umgesetzt wird."

Das könnte der derzeitige ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Gniffke, dem Günster im Dezember den Blumenstrauß zur Wiederwahl mit-überreicht hatte (Altpapier), anders sehen. Günster nennt den Reformstaatsvertrags-Entwurf "einen großen Wurf", hat aber schon läuten hören, dass "die guten Ideen" aus dem großen Wurf-Entwurf "verwässert werden oder im Herbst unbearbeitet liegen bleiben" könnten. Und zwar, wie der Vorsitzendenkonferenzvorsitzende durch die Blume andeutet, wegen standortpolitischer Interessen:

"Die Intendantenrunde muss sich auf Gemeinschaftsebene in jedem Einzelfall neun zu null verständigen. Bei fast allen Entscheidungen gibt es mindestens einen, der negativ betroffen ist. Und daher bewegt sich so wenig."

Das lässt sich als ziemlich deutliche Kritik am institutionellen Föderalismus der ARD verstehen, der im Programm sicher auch Vorteile hat, aber hinter den Kulissen sehr viele gut bezahlte Management-Stellen schafft, wie auch am strukturellen Föderalismus der Medienpolitik. "ARD-Gremienboss nimmt Politik den Reformwillen nicht ab" bzw. "Gremienchef zweifelt an Reform-Mut der Ministerpräsidenten" lauten Meldungen zu diesem Interview.

Naturgemäß vertreten die Ministerpräsidenten der Bundesländer Standortinteressen ihrer Länder viel eher als medienpolitische Idealvorstellungen eines Zukunftsrats. Wenn so etwas öffentlich aus solchen Aufsichtsgremien formuliert wird, die bislang meist als wohlmeinende Freundeskreise ihrer Anstalten auftraten, könnte das echt für eine neue Diskussionsstufe sprechen. Insofern nachvollziehbar, wenn Tieschky die Medienpolitik gar nicht in Sommerpause oder Winterschlaf sieht, sondern gespannt "in diesem Sommer einen einzigen langen Cliffhanger".

Außerdem erwähnt Günster ürbigens die offizielle Rundfunkräte-Forderung nach "einem offenbleibenden Meinungsaustausch, aus dem auch konkurrierende öffentliche Meinungen hervorgehen". Ui, konkurrierende öffentliche Meinungen mitten in der ARD? Am Rande: Zu meiner auch hier öfters geäußerten Ansicht, dass ARD und ZDF, die institutionell weitgehend getrennten öffentlich-rechtlichen Programmfamilien, sich so gut wie keinen publizistischen Wettbewerb liefern, schrieb ich für den KNA-Mediendienst (Abo) ein Lob der "ZiB2" als "bestes Nachrichtenmagazin im deutschen Fernsehen". Denn die österreichische Sendung ist es, die wenn sie bei 3sat läuft, ARD und ZDF tatsächlich öffentlich-rechtlichen publizistischen Wettbewerb liefert, würde ich sagen.

Neun neue Datenschutz-Verfahren gegen Elon Musk

Jetzt zu den wirklich großen Fischen, den "rücksichtslosen Tech-Milliardären", mit denen zwar auch die Öffentlich-Rechtlichen umgehen müssen (und nicht nur, indem sie deren Plattformen mit beitragsfinanzierten Originalinhalten aufwerten), aber längst nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen.

Hier geht's nicht um die jüngste Aufreger-Schleife um Elon Musks "grobe Beleidigung" (spiegel.de) des EU-Kommissars Thierry Breton in Form eines "höchst beleidigenden Memes" (welt.de) oder um die Frage, ob das Digitale-Dienste-Gesetz der EU (DSA) solche Memes zu fassen kriegt oder das versuchen sollte. Wobei beide verlinkten Medien sich natürlich den alten Twitter-Vorzug zunutze (und Musk die Freude) machen, das beleidigende Meme in ihre Meldungen einzubetten. (Okay, den laangen schriftlichen Brief, den Breton an Musk geschrieben hatte, auch ...)

Nein, im Ernst: Musk macht und bekommt wieder bzw. weiteren Ärger, weil er, "um sogenannte Künstliche Intelligenz zu trainieren", Nutzer-Daten nutzt, ohne die Nutzer "zu fragen oder auch überhaupt aktiv zu informieren". Das verstößt eindeutig gegen EU-Gesetze, wie gar schon der deutlich größere Facebook-Konzern Meta zu spüren bekam. Und dass Musk mit den Daten einen "humorvollen Such-Assistenten" ("Grok, Your Humorous AI Search Assistant") trainieren lässt, macht nichts besser. Vielmehr macht es alles noch dubioser, wie Musk alle Aktivitäten all seiner Firmen nach Belieben zusammenschmeißt, mal Tesla-Chips für KI ummünzt, und in diesem Fall X/Twitter-Daten. Weshalb also die umtriebigen Österreicher von NOYB, hier zuletzt mit einer Klage wegen des "Spiegel"-Verlags gegen Hamburgs Datenschutzbehörde erwähnt, nun gegen das Ex-Twitter/X vorgehen. Das meldet netzpolitik.org.

Eigentlich ist ja Datenschutzbehörde die irische für X/Twitter zuständig, und hatte auch schon Schritte in die Wege geleitet. Doch wegen "Zweifeln daran, dass die DPC das Problem wirklich bei der Wurzel packen wird", beantragte NOYB bei neun europäischen Datenschutzbehörden jeweils ein Dringlichkeitsverfahren

Interessant dann auch noch, bei noyb.eu nachzuschauen, um welche neun Länder es sich handelt. Das größte EU-Mitglied ist nicht darunter. Zwar gibt es einen Bundesbeauftragten für den Datenschutz, aber in allen Bundesländern überdies eigene entsprechende Behörden. Wahrscheinlich liegt man nicht falsch mit der Interpretation, dass sich aus nicht-deutscher Sicht die datenschützerische Schlagkraft all dieser Behörden nicht ergänzt, sondern im Gegenteil.


Altpapierkorb (offizielle Schlichtungsstelle, Heike Raab vs. Netzagentur, "pressefeindlicher" Paragraf?, 65 Mio. Stunden)

+++ "Ärger auf Social Media? "Wir prüfen Ihre Rechte. Gerecht und nachvollziehbar für alle". Das verspricht user-rights.org, die erste von der Bundesnetzagentur gemäß dem eben erwähnten Digitale-Dienste-Gesetz offiziell zertifizierte Schlichtungsstelle bzw "Streitbeilegungsstelle" für Nutzer von sozialen Medien. Wow! Falk Steiner berichtet bei heise.de: "Die User Rights GmbH gibt an, dass sie für die Nutzer kostenlos agiere, also auch keine Schutzgebühr erhebe. Die teilnehmenden Plattformen müssen der Schlichtungsstelle eine Gebühr pro Fall entrichten, die sich nach den tatsächlichen Kosten des Verfahrens richtet". +++

+++ Scharfe Kritik an der Bundesnetzagentur äußert die rheinland-pfälzische (und wohl wichtigste deutsche) Medienpolitikerin Heike Raab, und zwar weil die Agentur Frequenzen des digitalen Antennenfernsehens und der Veranstaltungstechnik ohne "Beteiligung der zuständigen Landesbehörden" der Bundeswehr zuteilte. Das sei rechtswidrig", zitiert golem.de sie. +++

+++ Wegen des Vorwurfs, "aus den Akten eines unabgeschlossenen Verfahrens zitiert zu haben", läuft ein Verfahren am Hamburger Amtsgericht gegen den Investigativjournalisten Carsten Janz, das dieser als "klaren Versuch von Einschüchterung" deutet. Nun wolle der derzeitige t-online.de-Redakteur den Prozess auch nutzen, um "den wohl nur Fachkreisen bekannten Paragrafen 353d des Strafgesetzbuchs", "den er für 'pressefeindlich' hält, grundsätzlich prüfen zu lassen", berichtet die "taz" mit weiteren Links. +++

+++ Nicht überraschend überschlagen sich ARD und ZDF mit Erfolgsbilanzen ihrer Olympia-Berichterstattung. "Bemerkenswert sind ... die Abrufzahlen in den Mediatheken. Nach Angaben der ARD wurde das Angebot bis Samstag rund 225 Millionen Mal abgerufen, das entsprach 65 Millionen Nutzungsstunden", fasst dwdl.de zusammen. +++

Neues Altpapier folgt am Mittwoch.