Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
MedienwissenMedienkulturMedienpolitikSuche

Kolumne: Das Altpapier am 23. August 2024Gamification

23. August 2024, 09:28 Uhr

Die ARD dreht zur Gamescom auf. Könnte so was mit zur größten Rundfunkreform seit 1948 gehören? In Ostdeutschland liefen und laufen jede Menge Medien-Klagen. Außerdem: als der "Stern" noch vierhundert Seiten hatte ... Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Die Gamescom und die ARD

Hui, bald gibt's ein neues

"'25-minütiges kooperatives Action-Abenteuer', das bis zu vier Nutzer spielen können. Als Roboter-Avatare werden sie in die Zukunft gebeamt. Dort verbreitet ein Konzern Fake News rund um den Klimawandel. Die Spieler müssen zusammenarbeiten, um die Desinformation zu entlarven – und um letztlich die Welt zu retten. Ab Herbst soll das Spiel kostenfrei verfügbar sein über Kooperationspartner, etwa Museen oder Gaming-Cafes, aber auch in den VR-Stores von Meta Quest und Steam."

Na, wenn das keine Gamifizierung der schönen Rolle, in der der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich selbst sieht, ist. "GreenGuardiansVR" heißt dieses Spiel. Volker Nünning hat sich für medieninsider.com (Abo) auf der weltgrößten Computerspiel-Messe Gamescom, die gerade in Köln läuft, umgesehen. Und ist dort auf einen Stand sowie umfangreiche Angebote unserer ARD gestoßen. Es gehe darum, dass "journalistische Inhalte" "mit Videospielen ... neue Zielgruppen erreichen", zitiert "epd medien" den, äh, Senior Innovation Manager der SWR-Abteilung X Lab, Daniel Stolz. Man lerne auch, wie Fake News funktionieren, sagt Stolz im Deutschlandfunk. Wobei die ARD ein interaktives "Online-Escaperoom"-Game rund um den "Tatort" aber auch bietet.

Auf der Gamescom ist natürlich wieder jede Menge los. Die Eröffnungsrede hielt der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, der für die Games-Wirtschaft auch zuständig ist. Hinterher besuchte Robert Habeck die Messe selbst und ... ach nee, der kritische "Welt"-Bericht und die PM des BMWK stammen aus dem vorigen Jahr. 2024 zog Habecks Messeauftritt dafür, dass jetzt ein Kanzlerkandidat ihn absolvierte, bemerkenswert wenig Medienecho nach sich. Immerhin die Messe selbst verkündete Habecks Ankündigung, "die Entwicklerinnen und Entwickler in Deutschland noch zielgenauer [zu] unterstützen". Die "FAZ" hat heute im Wirtschaftsressort einen dpa-Beitrag (Abo), der vor allem schildert, wie gut Habeck und Co-Eröffnungsredner Hendrik Wüst, der Lieblings-Kanzlerkandidat der Schwarzgrün-Fans, theoretisch bei Förderungs-Ideen harmonieren. Ein aktuell vorhandenes "Games-Förderbudget" verwaltet übrigens die Bundesministerin für Kultur und Pipapo, Claudia Roth. Allerdings wurde dieser Topf, der "für dieses Jahr 33,3 Millionen Euro enthält", noch gar nicht geöffnet. Es "laufen ... Abstimmungen" (heise.de/dpa). Womöglich handelt es sich da um die sog. globalen Minderausgaben, die eben nicht auszugeben derzeit viel Wert besitzt, weil dadurch der aktuelle Haushaltsentwurf verfassungskonform gehalten werden könnte.

Auch die ARD habe nicht die Ressourcen, "mehrere hunderte Million Dollar in Games-Entwicklung zu stecken", sagt Innovation Manager Stolz im oben verlinkten DLF-Audio. Überhaupt stellt sich natürlich die Frage, ob die ARD, die ja an vielen Stellen sparen soll bis muss, bei Computerspielen mitmischen darf. "Dass Gaming ein Mega-Thema ist und dass irgendwie so die Hälfte der Deutschen spielt und zockt'. Und deshalb sei man 'mitten dabei, das Angebot auszuweiten'", zitiert Volker Nünning im oben verlinkten medieninsider.de-Artikel aus einem Stream auf dem ARD-Kanal auf twitch.tv im Juli den ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke. Darf die ARD sich so ausweiten, und dabei noch die Datenkraken-Konzerne füttern? (Twitch gehört zu Amazon, und das oben erwähnte Meta Quest als Hersteller klobiger VR-Brillen natürlich zum Facebook-Konzern Meta).

Das führt zu den wieder angelaufenen, bis Ende Oktober weiter heißer laufenden Debatten über eine womöglich größere Öffentlich-Rechtlichen-Reform (zuletzt Altpapierkorb gestern), bei der ungefähr alles, was die Anstalten sollen und dürfen, aber auch nicht dürfen sollen, neu geregelt werden soll. Von "so weitgehenden Veränderungen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ... wie seit der Gründung 1948 nicht", schrieb Helmut Hartung etwas enthusiasmiert angesichts des Kessels bunter Verbesserungs- bzw. Veränderungsideen im gestern hier verlinkten "FAZ"-Artikel, den dwdl.de dann frei online zusammenfasste. Wobei er ja auch schrieb, dass die Formulierungen laufend weiterverändert werden. Aufmerksamkeit verdient da noch ein Leitartikel, den Claudia Tieschky in der "SZ" (Abo) vor ein paar Tagen über "zu viele schlechte Freunde" der Rundfunkanstalten schrieb:

"Sind also die Ministerpräsidenten der Länder wirklich Freunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Oder sind sie Freunde ihres Landesvater- und -muttertums, zu dessen Privilegien eben ein kompletter eigener Sender gehört, sei er noch so unrentabel und teuer? Freunde der Jobs, die so ein Sender daheim schafft? Freunde von Auftritten im Landesprogramm? Vielleicht sogar Freunde des rhetorischen Kapitals, das sich aus dem - was nie gesagt wird: selbst verschuldeten - Rundfunkbeitrag schlagen lässt? Und die Intendanten: Sind sie wirklich - ja, harte Frage - Freunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Oder sind sie Freunde der Legende dieses Rundfunks - Freunde des Bewährten, statt Neues und Schwieriges zu wagen?.."

Was die Sache noch unabsehbarer macht, ist, dass die Landesmütter und -väter, die Ende Oktober amtieren werden und den bis dahin ausgehandelten Staatsvertrag unterschreiben müssten, in bis zu drei Fällen ja andere sein können als die, die jetzt im Amt sind.

Ostdeutsche Medien-Klagen: Thüringen, Sachsen

Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September werden gespannt erwartet bzw. befürchtet. Mehrere Klagen ranken sich drumrum.

Erstens hatte die Thüringen AfD eine Reihe Zeitungs-basierter Medien von "taz" bis "Bild", die nach eigenen Ansichten wenig Gemeinsamkeiten haben, von ihrer Wahlparty ausgeladen bzw. deren Akkreditierungsanfragen abgelehnt (Altpapier gestern). Schon gestern traf das Landgericht Erfurt dann eine Eilentscheidung für Medien, die dagegen klagten, z.B. die "Welt". Allerdings kann die AfD beim Oberlandesgericht Berufung einlegen.

"Auch wenn der genaue Veranstaltungsort von der Partei noch geheim gehalten wird, ist bereits bekannt, dass der Raum in Erfurt liegt und ein Kontingent von höchstens 200 Gästen hat. Davon seien bereits 50 Plätze an Medienschaffende vergeben, überwiegend an Journalisten öffentlich-rechtlicher Sender, aber auch an AfD-nahe Medien wie die Junge Freiheit. Sollte das Landgericht zugunsten der Kläger entscheiden, sieht [AfD-Sprecher Torben] Braga nur zwei Optionen: Entweder die gesamte Feier wird abgesagt, oder die bereits erteilten Akkreditierungen werden zurückgezogen",

heißt es im online aktualisierten Artikel der "SZ" (Abo) dazu, die übrigens nicht mit klagte, obwohl sie auch keine Akkreditierung bekam. Heißt also auch: Bilder, wie bei der AfD (wahrscheinlich) gejubelt wird, dürften in den Wahlsendungen der Öffentlich-Rechtlichen zu sehen sein.

Zweitens: Inzwischen durch alle Instanzen klagte sich unser MDR, weil er zur Wahl in Sachsen einen Radio-Wahlwerbespot der Partei "Die Partei" nicht senden wollte (Altpapier vorgestern) – vergeblich. "Unanfechtbar" entschied das Oberverwaltungsgericht in Bautzen, dass der Spot ausgestrahlt werden muss. Bzw musste, inzwischen wurde er wohl (wie die Partei "Die Partei" auf die-partei.de mitteilt; da gibt's auch Links zum Audio und zu Transkriptionen).

"Die im Wahlwerbespot thematisierte Erschießung erfülle die vom MDR bezeichneten Straftatbestände deshalb nicht, weil es sich erkennbar um Satire handle. Die satirische Übertreibung zeige sich unter anderem auch in der als unnatürlich verstellten Stimme einer Protagonistin des Spots",

zitiert "epd medien" aus dem Urteil. Und Steffen Grimberg zieht in der "taz" eine Linie zu Kurt Tucholsky ins Jahr 1919 (das in Deutschland sehr blutig verlief). "Das Gericht bewies höhere Ironiekompetenz als der öffentlich-rechtliche Sender", der wiederum der Satire "Bärendienste" erwiesen hätte. Hm. Dann befänder sich der MDR aber in zahlreicher Gesellschaft, z.B. der Partei "Die Partei", deren Spot vermutlich ihr selbst nichts in Parlament helfen dürfte, aber durchaus der AfD noch ein paar Stimmen mehr bescheren dürfte. "Der 'Kampf gegen rechts', den ein Grossteil der Medien, der 'Kartellparteien' und der 'steuerfinanzierten Zivilgesellschaft' sich auf die Fahne geschrieben habe, schade der AfD allerdings nicht ..., sondern verschaffe ihr eher Zulauf", zitiert die "NZZ" den Thüringer AfD-Chef Höcke.

Medien-Klagen in Ostdeutschland

Auch in Sachsen, am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, entschieden wurde bereits vorläufig und wird noch in der Hauptsache eine bundesweit bedeutsame Sache: das Verbot der Zeitschrift "Compact". Einstweilig ist es aufgehoben. Die von "Compact"-Chef Elsässer geäußerte Ansicht, dass es "bis zum Hauptsache-Verfahren zwei oder drei Jahre dauern" könnte, wurde oft zitiert (Altpapier) – stimmt aber nicht. Schon am 12. Februar wird das Höchstgericht zur "Compact"-Frage hauptverhandeln, meldete in der "taz" der in Gerichtskreisen gut verdrahtete Korrespondent Christian Rath Für die mündliche Verhandlung wurden vorsorglich drei Tage eingeplant. Das ist schon mal ein Termin ...

In Brandenburg wird etwas später gewählt. Zur Landtagswahl wird noch nicht geklagt. Aber um die Rundfunkanstalt Brandenburgs (und der Enklave Berlin) sind mehrere Klagen mit Medien-Bezug anhängig.

Der Fall Schlesinger wird ja erst im Januar vors Landgericht gehen. Womöglich kommt es bald zur wohl ersten Klage wegen einer Abberufung aus dem Verwaltungsrat durch den Rundfunkrat derselben Anstalt. Die "FAZ" (Abo) meldet, dass Juliane Schütt im Falle solch einer Abberufung "auch mit juristischen Mitteln dagegen vorgehen" wolle.

Die Rechtsanwältin, die als Vertreterin des RBB-Rundfunkrats von diesem in den Verwaltungsrat, das kleinere, wichtigere Kontrollgremium gewählt wurde, war in die Kritik geraten, als bekannt wurde, dass ihr Ehemann als freier Mitarbeiter für das RBB-Radio 3, das umbenannte und umgemodelte ehemalige Kulturradio, arbeitet (Altpapier). Es gab Rücktrittsforderungen wie auch Unterstützung sowie eine Rundfunkrats-Sondersitzung am Mittwoch. Bei der kam aber nichts raus. Außer:

"Inzwischen ist ein regelrechter Machtkampf zwischen den beiden Kontrollgremien des RBB entstanden, wonach beide Gutachten vorlegten, die sich mit einem möglichen Interessenskonflikt von Juliane Schütt beschäftigen",

berichtet die "Berliner Morgenpost" (Abo), die überdies läuten hörte, dass Schütt nun auch noch "ein freundschaftliches Verhältnis zur Programmdirektorin des Senders" vorgeworfen werde. Dabei soll das Aufsichtsgremium doch die Direktoren kontrollieren ... Bemerkenswert hohe Ambitionen haben die Kontrollgremien des RBB, die, also deren Vorgänger bei den Schlesinger-Skandalen ja versagten, inzwischen also. Wenn das bundesweit ausstrahlen würde, wäre das mal nicht schlecht.

Werner Bokelberg ist gestorben

"Zum Tod von Werner Bokelberg, dem Fotografen, der für den 'Stern' den Glamour erfunden hat", findet man auf stern.de einstweilen nix. Da läuft deutlich mehr zu Nilz Bokelberg, der vor wenigen Jahrzehnte ein bisschen "Glämmer" sprühte ... Aber die "FAZ", deren Feuilleton mehr oder weniger das kulturelle Gedächtnis darstellt (also falls man das nicht sowieso auf Youtube sucht), ruft dem mit 87 Jahren verstorbenen Fotografen nach (Abo):

"Zu einer Zeit, als der 'Stern' noch vierhundert Seiten hatte, das Dreigestirn Stefan Moses, Robert Lebeck und Thomas Höpker den deutschen Fotojournalismus neu erfand und mit Reportagen von überall auf dem Globus die Welt frei Haus auf die bundesrepublikanischen Nierentische der Nachkriegszeit lieferte, war Werner Bokelberg in derselben Redaktion zuständig für Glamour und Prominenz. ... Und während sich die ­anderen 'Stern'-Fotografen redlich bemühten, mit ihren sozial-kritisch aus­gerichteten Arbeiten etwa ein Bewusstsein für die Hungersnöte in Afrika zu schaffen, inszenierte Werner Bokelberg gemeinsam mit Salvador Dalí in dessen Haus die Tafel für ein üppiges Mahl und legte längs über den Tisch eine nackte Blondine, über deren Bauch eine Languste krabbelte. 'Das Wunderbare damals', sagte er und schüttelte fast ungläubig den Kopf: 'Zeit und Geld haben keine Rolle gespielt. Absolut keine.'"


Altpapierkorb (160 Millionen Euro, Apples "Zwangsgebühren", Tiktoks Lobby, Paramount-Verkauf, Gniffkes "ganz persönliche ARD der Zukunft")

+++ Die Landesmedienanstalten verfügten 2023 über ein Gesamtbudget von 160 Millionen Euro. "Das ergab eine epd-Umfrage bei den 14 Aufsichtsbehörden", die der schon erwähnte Volker Nünning ausführte und für "epd medien" detailliert aufbereitet hat. 121 Millionen davon kommen aus den Rundfunkbeitrag, der Rest nicht zuletzt aus Steuern. +++

+++ "Zwangsgebühren", aha. Hier geht's also weiter mit dem Dauerthema Rundfunkbeitrag? Nö. Was die "taz" beklagt, ist, "wie Apple Kreative abkassiert", indem es sie zwingt, 30 Prozent von den Einnahmen abzugeben, die sie via Apps (auf Apple-Geräten) auf Plattformen wie Patreon erzielten. +++

+++ Einen Lobbycontrol-Bericht darüber, wie Huawei und Tiktok, aber auch Baidu, Alibaba und Tencent, also milliardenschwere chinesische Konzerne in europäischen Hauptstädten und Öffentlichkeiten lobbyieren und werben, fasst netzpolitik.org zusammen. +++

+++ Das Filmstudio und Medienunternehmen Paramount gilt "als zu klein ..., um eigenständig überleben zu können", und wurde daher eigentlich schon in einem komplizierten Handel verkauft. Nun tauchte aber noch ein neuer Kaufinteressent auf, der durch ein "Likörunternehmen" reich wurde, aber auch schon an allerhand Medienkonzernen beteiligt war. Das berichtet z.B. dwdl.de. +++

+++ Und wer ganz oben zur ARD-PM klickte, den zweiten Link in diesem Altpapier, könnte gelesen haben, dass der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke am Samstag auf der Gamescom "am ARD-Stand im Format 'Work hard – play hard' in einem Simulationsspiel virtuell seine ganz persönliche ARD der Zukunft kreieren" möchte: "Auch Userinnen und User im Chat auf Twitch sind eingeladen, ihre Ideen einzubringen und sich an einem kreativen Austausch über Medien der Zukunft zu beteiligen". +++

Schönes Wochenende. Das nächste Altpapier schreibt am Montag René Martens.