Kolumne: Das Altpapier am 4. September 2024Dämonisierung ist nicht die Lösung
Weitere Nachrufe auf Lutz Hachmeister unterstreichen seine prägende Rolle für den medienpolitischen Diskurs. Was er schon vor Jahren über AfD und Talkshows sagte, hat bei "hart aber fair" aber wohl niemand wahrgenommen. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.
Inhalt des Artikels:
Das Altpapier"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Lutz Hachmeister, ein "Ein-Mann-Zukunftsrat"
Dass Nachrufe auf dieselbe Person an zwei aufeinanderfolgenden Tagen am Anfang dieser Kolumne zitiert werden, kommt selten vor. Ich kann nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, dass es überhaupt schon einmal vorgekommen ist. Im Fall Lutz Hachmeisters, der überraschend verstorben ist, halte ich es für angemessen. Zumindest drei Texte möchte ich über die gestern hier erwähnten hinaus noch zitieren.
"Medienforscher, Regisseur, Autor, Journalist, Institutsleiter und Republikerklärer". So nennt ihn Hans-Jürgen Jakobs am Ende seines Nachrufs, der auf den Seiten von epd Medien erschienen ist. Steffen Grimberg ergänzt in der taz um "Kritiker, Mahner und Aufbauer". Man könnte das weiter ausdifferenzieren. Hachmeister war prägend für den Medienjournalismus, die Medienbeobachtung, den medienpolitischen Diskurs und die analytische Medienkritik. Entscheidender als eine Aufzählung ist aber, wie er arbeitete und dachte.
"(S)o präzise er die föderale Zuständigkeitsvielfalt, die Idiosynkrasien und Eigenlogiken von Medienpolitik, Verwaltung und Senderapparaten zu sezieren verstand, so wenig Lust hatte er darauf, sich zu verbiegen und sich mit der für die Beratungsbranche üblichen Geschmeidigkeit durch das Feld unterschiedlicher Interessen und Befindlichkeiten zu navigieren",
schreibt Leonard Novy, der Hachmeister als Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik nachfolgte. Er nennt ihn einen "Ein-Mann-Zukunftsrat", weil er konstruktive und nicht nur auf Bauchgefühlen basierende Vorschläge machte. Allerdings habe er sich eingemischt, ohne selbst Politik zu machen.
Hans-Jürgen Jakobs deutet Hachmeisters Auseinandersetzung mit den Öffentlich-Rechtlichen etwa als enttäuschte Liebe:
"Einerseits waren die 'Anstalten' für ihn unverzichtbarer Pfeiler einer Kulturnation, geliebtes Erbe von Sir Hugh Carlton Greene, andererseits aber war da ein bürokratisches Monster gewachsen, das dem standardisierten Quotenjagdbetrieb nachging und sich gegen Innovationen im Programm erfolgreich immunisierte",
schreibt er.
"Wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen ging, wurde der vielfach ausgezeichnete, profilierte Autor und Dokumentarfilmer Hachmeister wieder zu jenem scharfzüngigen, unerbittlichen, so unkorrumpierbaren wie unbequemen Medienkritiker, wie er es eingangs seiner Karriere von 1987 bis 1989 als Redakteur beim 'Tagesspiegel' in Berlin gewesen war."
Hachmeister habe darunter gelitten, schreibt Jakobs, dass "die ganz wenigen Usurpatoren von Social Media (…) die Meinungsbildung in einer Art Chaos-Regime übernommen haben, wovon Populisten wie die Abräumer der AfD derzeit profitieren." Vielleicht beschreibt Jakobs Satz "Wo früher ein Geistesblitz war, ist jetzt ein Algorithmus" ganz treffend die Veränderung, die sich für die Medienlandschaft aus dieser Entwicklung zur Plattformpublizistik ergab. Und damit auch für Intellektuelle wie Hachmeister, die Medien dachten.
Hachmeister sei, so Steffen Grimberg, "streitbar, aber immer auch konziliant" gewesen, "an der Sache wie den Menschen interessiert – und vor allem gut gelaunt. Was man fast immer als Erstes in einem Gespräch mit Lutz hörte, war sein Lachen. Seinem höflichen, aber präzisen Spott waren nichts und niemand heilig. Und wenn er keine Lust mehr hatte, ging er einfach."
Was brächte eine "Dämonisierung" der AfD?
Ich habe Lutz Hachmeister in einem Interview 2016 einmal zu politischen Talkshows befragt, die damals bei ARD und ZDF schon quasi täglich liefen. Er kritisierte damals: "Da findet im Hegel’schen Sinne ein Umschlag von Quantität in negative Qualität statt." Und er sagte auch etwas, was damals bereits auf der Hand lag, aber bis heute offensichtlich nicht ganz verstanden wurde:
"Der Talkshow-Overkill im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat die AfD aufgewertet. Die AfD ist kein mediales Phänomen, es gibt allerdings einen Verstärker- oder Spotlighteffekt. Man hat in diesen Talkshows den Eindruck, es gibt eigentlich zwei Parteien, den bürgerlichen Mainstream und die widerständige AfD."
Wer diesen Eindruck acht Jahre später immer noch erweckt hat: die jüngste Ausgabe von "hart aber fair". Sie wurde mehrfach rezensiert; bei faz.net stand die Onlinekritik unter der Überschrift "Wie haltet ihr es mit den Radikalen, Talkshows?". Jedenfalls hält "hart aber fair" es anders, als Hachmeister empfahl. Kurzzusammenfassung: Es waren viele Gäste da, der berühmte Kleinbus. Aber am Anfang stand ein Gespräch des Moderators, Louis Klamroth, mit Beatrix von Storch von der AfD und der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm.
"(V)or allem wollte Klamroth wohl die Wirtschaftspolitik der AfD entlarven. Dazu hätte er jedoch besser einfach seine beiden Gäste miteinander diskutieren lassen – anstatt von Storch gleich beim ersten Satz zu unterbrechen, sich Scharmützel mit ihr über die Parteizugehörigkeit des Edeka-Vorsitzenden zu liefern, alle ihre Aussagen dreimal zu hinterfragen, die Argumente Grimms aber gleichsam als objektive Wahrheiten dastehen zu lassen."
Was ich dramatisch falsch finde, ist nicht, von Storch zu unterbrechen und alle ihre Aussagen zu hinterfragen. Grundfalsch ist aber sicher diese Konstellation. Sie unterschätzt das performative Element allen Talkens und verkennt quasi den Algorithmus, den die AfD für solche Situationen entwickelt hat. Man lädt sie zu einem hell ausgeleuchteten Duell, um sie nicht aufs Podium bitten zu müssen? Inwiefern so etwas den politischen Diskurs weiterbringen könnte, fällt mir selbst bei wohlmeinender Betrachtung nicht ein.
Aurelie von Blazekovic behandelt heute in der "Süddeutschen" (Abo) ein anderes Beispiel, das hier anschlussfähig ist: die Debatte über jenen ZDF-Kommentar Bettina Schaustens, der hier am Dienstag bereits zitiert worden ist. Wobei der Begriff "Debatte" mal wieder ein bisschen zu viel des Guten ist. Wenn ein Kommentar mit einer zielgenauen Skandalisierung zum Aufreger erklärt wird, ist das noch keine Debatte, sondern – siehe oben – eine Verbeugung vor dem Algorithmus. Von Blazekovic nennt auch Ross und Reiter. Zum einen Focus Online, wo Schaustens Kommentar "schon in der Überschrift als pralles Häppchen serviert" worden sei: "ZDF-Chefin verglich 'AfD-Sieg mit Hitlers Weltkrieg'". Zum anderen die "Berliner Zeitung", die einen "erhobenen Zeigefinger der öffentlich-rechtlichen Sender" wahrnahm.
Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob es sich bei Schaustens Erinnerung daran, dass exakt 85 Jahre vor den jüngsten Landtagswahlen mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, wirklich um einen Vergleich handelte. Jürgen Kaube sieht es in der "FAZ" allerdings so und kritisiert Schausten für eine Betätigung "auf dem Gebiet der Emotionslenkung, der Empörungsinduktion". Die "SZ" sagt dagegen: nein, formal kein Vergleich.
Das Argument von Blazekovic, über das sich eher nachzudenken lohnt, weil es übermorgen nicht vergessen oder egal ist, ist aber dieses:
"Das Dämonisieren von Rechtspopulisten hatte bisher keinen Erfolg. Egal, wie richtig es ist, dass die AfD gefährlich, radikal, extrem ist. Politiker, Journalisten, Demokratieverteidiger können das immer noch lauter und lauter rufen – aber es bringt nichts. Die berechtigten Warnungen sind inzwischen leere Formeln. Die Wahlergebnisse der AfD sind immer besser geworden, der Trotz immer erheblicher. Die Tatsache, dass sie sich beständig als Opfer von Medien inszenieren kann, hat der Partei genutzt."
(Wie sehr ihr das Entdämonisieren nutzt, das Redaktionen praktizieren, die offensichtlich ihre rechte Kundschaft nicht verprellen wollen, ist allerdings eine Frage, die auch nicht irrelevant ist. Aber darum wird es an einem anderen Tag gehen.)
Der RBB kommt schon wieder nicht zur Ruhe
Worum es heute in Medienredaktionen auch geht: um den RBB. Die Meldung, um die es geht, mag in einem recht übersichtlichen Ausmaß von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sein. Aber sie dient sicher nicht dazu, das Bild des Rundfunks Berlin-Brandenburg als einfach nicht zur Ruhe kommende Skandalklitsche zu korrigieren.
Der Verwaltungsratsvorsitzende ist zurückgetreten, Benjamin Ehlers, ein Jurist, der erst im Frühjahr 2023 in diese Funktion gekommen war. Und der hier im Altpapier bislang immer dann seinen Share an Aufmerksamkeit bekommen hat, wenn nach der Schlesinger-Schose etwas öffentlichkeitswirksam anders gemacht wurde (Stichwort Intendantinnengehalt), oder wenn jemand auf mittelüberzeugende Art zu erklären hatte, warum Compliance-Fragen ihrer Beantwortung noch immer harrten.
Worum es geht, wird am besten im Bericht des KNA-Mediendiensts klar: um den möglichen Interessenkonflikt eines Mitglieds, deren Mann freier Mitarbeiter beim RBB ist. Und um einen Konflikt mit Ehlers Stellvertreterin, die in der Sache eine Sondersitzung einberufen habe, ohne ihn zu informieren. Nun, es ist kompliziert. Der RBB berichtet online auch selbst und zitiert aus einem Schreiben Ehlers: "Dieses Verhalten stellt einen so eklatanten Vertrauensbruch dar, der von mir nicht akzeptiert wird. Es erinnert an Zeiten des rbb, die eigentlich Vergangenheit sein sollten."
Hui, inwiefern und welche Zeiten genau? Konkret ist dieses Zitat nicht. Nur laut. Weshalb man der "Bild", die online zuerst berichtet hat, nur schwerlich vorwerfen kann, über eine Anstalt zu berichten, die "nicht zur Ruhe" komme.
Altpapierkorb (Pressevertrieb, ÖRR-Reformen, "Wer wird Millionär?", NZZ)
+++ Dass der Pressevertrieb in seiner jetzigen Form "nicht mehr finanzierbar" sei und tiefgreifend reformiert werden müsse, forderte, laut "Horizont" (Bezahlinhalt), MVFP-Verlegerverbandschef Philipp Welte bei einem Gipfel des Medienverbands.
+++ Apropos Reformen: Wie es um die Pläne für die Öffentlich-Rechtlichen steht, darüber berichtet Helmut Hartung in der "FAZ" (bei Abgabe dieser Kolumne nicht online): "Im Entwurf der Rundfunkkommission" fänden sich jetzt mehr Ideen des Zukunftsrats, "als es vor Monaten wahrscheinlich schien".
+++ Wird "Wer wird Millionär?" wohl a) 10 Jahre, b) 20, c) 25 oder d) 30 Jahre alt? Die Antwort gibt es u.a. bei welt.de, wo man auf ein Vierteljahrhundert Quizgeschichte zurückschaut.
+++ "Mainstream" sind immer die mit der anderen Meinung. Die sehr etablierte Schweizer NZZ etwa spreche, wie Stefan Niggemeier bei "Übermedien" (Abo) dieser Tage schrieb, nach eigener Darstellung an, "was der Mainstream auslässt". Er hat aus einer NZZ-Sprecherin herausgekitzelt, dass die "Diskussionen in der Schweiz offener" seien als in Deutschland. "Unsere Leser schätzen diesen unabhängigen Ansatz und unsere kritische Distanz – daher sehen wir uns nicht als Teil des Mainstreams." Sie beleuchte aber auch "Themen in gewohnter journalistischer Qualität und aus unterschiedlichen Perspektiven", deshalb sei die NZZ auch kein Alternativmedium. Die "unterschiedlichen Perspektiven", aus denen die deutsche Ausgabe der NZZ Deutschland beleuchte, seien allerdings, so Niggemeier, "mit erstaunlicher Berechenbarkeit doch rechte Perspektiven (…). Die Marktlücke, die die Zeitung in Deutschland für sich entdeckt zu haben glaubt, liegt einfach auf der rechten (und lauten) Seite des etablierten Medienmeinungsspektrums. Sie spricht nicht Themen an, die andere verschweigen, sondern kommentiert sie nur noch rechter, noch eindeutiger und berechenbarer gegen alles vermeintlich Linke und angeblich 'Woke'."
Am Donnerstag schreibt das Altpapier Ralf Heimann.