Kolumne: Das Altpapier am 6. Mai 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 5 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Im fernsehjournalistischen Umgang mit der rechtsextremen AfD gilt es, einen neuen Berichterstattungsweg zu finden. Nur welchen genau? Bemerkenswert ist der Weg der Wikipedia.

Di 06.05.2025 14:35Uhr 04:37 min

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Kolumne: Das Altpapier am 6. Mai 2025 Das Lexikon weiß es besser

06. Mai 2025, 09:54 Uhr

Im fernsehjournalistischen Umgang mit der rechtsextremen AfD gilt es, einen neuen Berichterstattungsweg zu finden. Nur welchen genau? Bemerkenswert ist der Weg der Wikipedia: Sie erweist sich als erstaunlich resilient gegenüber Attacken von rechts. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Selbstbeschränkung: wie Medien mit der AfD umgehen sollten

Die Nachricht, dass die AfD als Gesamtpartei dem Verfassungsschutz zufolge nun als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft wird, hat die Diskussion befördert, wie Journalistinnen und Journalisten mit der AfD umgehen sollten. Denn auch wenn diese Einstufung, anders als der Zeitpunkt, niemanden überraschen konnte – sie verändert die Situation. Man führt, wenn man ein Interview mit Tino Chrupalla führt, von nun an ein Interview mit dem Vorsitzenden einer rechtsextremen Partei. Nichts mehr mit "rechts", "rechtspopulistisch" oder "teilweise rechtsextrem, aber das kann man doch bitte nicht verallgemeinern". Nein: rechtsextrem.

Die ersten Forderungen vor allem an ARD und ZDF, die Berichterstattung entsprechend anzupassen, waren nach der Nachricht schnell eingegangen (t-online.de). Dennoch ist die Antwort, wie man mit der AfD medial umgehen sollte, nicht ganz so einfach. Klar ist vor allem, wie man es nicht tun sollte: affirmativ, naiv und quotenlüstern.

Ein kurzer Blick in andere Medienlandschaften. Nils Minkmar hat in seinem Newsletter nach Großbritannien und Frankreich geschaut, in zwei Länder, die mit rechtspopulistischen und -extremen Politikerinnen und Politikern Erfahrung haben. Er schreibt:

"Wenn ich britische Websites aufrufe, sei es die BBC, die Times oder die Daily Mail, sehe ich Nigel Farage. Jeden Tag. Seit Jahren geht das so. Seine Grimassen, die Anzüge, die Sprüche, das Bier – er pflegt eine geschickte, graphische Wiedererkennbarkeit. In der analogen Welt handelt es sich um einen üblen, korrupten Mann, der in und vom Fernsehen lebt. Seine wesentliche Leistung ist der Brexit und damit der Ruin des Landes. Aber es vergeht kein Tag, an dem seine extremen Positionen nicht in den britischen Medien wiedergekäut werden. Er sorgt eben für Aufmerksamkeit und für gute Zahlen. (…) In Frankreich ist es nicht anders: Die Familie Le Pen fand in den Fernsehstudios der Nation ihr Biotop. Seit Jahrzehnten sind sie dort zu Gast, was ihren halbgaren, wechselhaften und bösen Ideen eine Relevanz gab, die sie mit klassischer Politik nie bekommen hätten."

Keine Aufmerksamkeit ist allerdings auch kein sinnvoller medialer Umgang. Eine große Oppositionspartei verschwindet nicht davon, dass ihr Spitzenpersonal nicht im Fernsehen auftaucht. In die Gleichung gehören auch die anderen Öffentlichkeiten der sogenannten sozialen Medien (Altpapier, Altpapier). Dass sich die AfD dort als Opfer von Medien inszenieren kann, hat ihr nicht geschadet. Nach Stand der Dinge ist Dämonisierung so wenig eine journalistisch sinnvolle Antwort wie Normalisierung. Die allerdings erst recht nicht.

Minkmars brauchbare Formel lautet daher:

"Die extreme Rechte ist auf Massenmedien angewiesen, es ist eine historisch bewährte Partnerschaft. Schon dort vorzukommen ist ein Erfolg. Die meisten Menschen denken nicht radikal, möchten aber informiert bleiben und wenn dann die Themen, Vorschläge und Personen der Rechten abgebildet werden, unabhängig von ihrer realen exekutiven Macht, dann nimmt das Publikum all das ernst. Doch man sollte sich medial beschränken: In den Nachrichtensendungen kann man ihr Tun und Treiben vermelden, in kritischen Reportagen beleuchten und bewerten und auch gegen kritische Interviews ist nichts einzuwenden. Aber in Maßen, knapp und nur, wenn es wirklich sein muss. Denn ihr wahres Medium ist die Lüge."

Der mediale Umgang mit der AfD war gestern auch bei "@mediasres" im Deutschlandfunk Thema.

Was die Wikipedia Digitalkonzernen voraus hat

Wie die Zeiten sich ändern: "Warnten zu den Anfangszeiten besorgte Lehrer ihre Schüler noch vor der Wikipedia, ist sie in Zeiten von KI-Müll und waffenfähigen Fake News zu einer für Internetverhältnisse erstaunlich glaubwürdigen Quelle geworden. Seit vielen Jahren rangiert Wikipedia unter den Top Ten der meistbesuchten Internetseiten weltweit und in den Top 50 der Rangliste ist sie sogar die einzige, die von einer Non-Profit-Organisation betrieben wird."

Das schreibt Michael Moorstedt in der "Süddeutschen Zeitung" (Abo), aber wir haben das Jahr 2025, und wenn es um "erstaunlich glaubwürdige Quellen" geht, geht es derzeit mit erstaunlicher Verlässlichkeit darum, dass der Neuen Rechten etwas daran nicht passt. Die Wikipedia passt ihr zum Beispiel schon seit Längerem nicht.

"So besteht das Hauptargument einmal mehr aus jenem ebenso wenig nachweisbaren wie wehleidigen Vorurteilsvorwurf, mit dem die Rechte sich on- und offline auch an tradierten Medienorganisationen abarbeitet. Unliebsame Berichterstattung wird im Neusprech zu 'Fake News', die maulige Forderung, 'alle Meinungen zu hören', führt zur Leugnung von Klimakrise und Geschichtsrevisionismus. Faktentreues Dokumentieren zählt hier schon zu einem unverzeihlichen Affront, Neutralität ist nicht vorgesehen."

Im Grunde ist die Geschichte damit zusammengefasst. Alles, was nicht auf Linie ist, wird zu linkem Kram umcodiert und mit Schmähungen überzogen. Und Elon Reeve Musk (Wikipedia), bekannt unter anderem für die "Elon Musk salute controversy" (Wikipedia), tanzt als Anheizer in der vordersten Reihe. Den Nachweis der Linkslastigkeit bleibt er schuldig. Aber nun – und das ist der aktuelle Anlass für die Berichterstattung – wird von einem Trump-nahen Staatsanwalt die Gemeinnützigkeit der Muttergesellschaft Wikimedia infrage gestellt und überprüft (rnd.de).

Damit ist nun auch die Wikipedia endgültig Ziel der Trumpschen Attacken gegen Medien und Medienprojekte, die nicht auf Linie sind. Bemerkenswert ist allerdings, wie sich dieses nicht kommerzielle Projekt zu wehren versteht, etwa dagegen, dass Ultrarechte versuchen, das Lexikon mit ihrem Mist zu fluten:

"Trotz ihrer Größe und Unübersichtlichkeit zeigt sich die Enzyklopädie (…) erstaunlich resilient gegenüber den Attacken von rechts. Die im System fest verbaute Transparenz macht Manipulationen schnell sichtbar und korrigierbar. Jede Änderung wird öffentlich festgehalten und zur Diskussion gestellt. So bestimmen selbst Anordnungen von Regierungen oder Milliardären nicht, welche Inhalte online bleiben und welche nicht. Zu den vier Grundprinzipien, welche die Gründer ihrem Projekt verordnet haben, gehören neben der Freiheit der Inhalte die Aufrechterhaltung der Neutralität und das Bekenntnis, keine persönlichen Angriffe zu fahren. Alles in allem handelt es sich also um den Gegenentwurf zum Verhalten neurechter Internetnutzer."

Vielleicht wird es nun ja besonders deutlich: dass die gute alte Wikipedia, die noch aus der Zeit der Internetutopien stammt, manches besser kann als ein Digitalkonzern.

Umfragenblödsinn: Nein, Merz hat keine Mehrheit verloren

Der Zapfen ist seit Montag gestrichen. Olaf Scholz wurde verabschiedet. Und man darf davon ausgehen, dass heute dann der nächste Bundeskanzler gewählt wird. Die Regierung ist gebaut, die Ministerien sind besetzt, die Newsletter-Redaktionen aus dem politischen Berlin vermuten bis vermelden seit Tagen exklusiv allerlei Personalien aus den Reihen eins bis drei. Die alte Außenministerin hat, so zeigt es jedenfalls ein Social-Media-Video, ihrem Nachfolger eine Tasse hinterlassen, auf der "Moin" steht.

Aber, nochmal: Erst heute ist der Tag der Kanzlerwahl. Man muss das deshalb betonen, weil die neue Regierung, die von der Parlamentsmehrheit gewählt wird, eine solche Mehrheit schon gar nicht mehr hätte, wenn es stimmen würde, was jüngst zu lesen war. Christian Stöcker hat es in seiner "Spiegel"-Kolumne (Abo) zusammengestellt:

"'Die Welt' titelte: "Umfrage-Schock für die Union – AfD erstmals bundesweit vor CDU/CSU’. Der Schweizer 'Blick': 'Schlappe für CDU-Chef Merz: AfD baut Vorsprung auf Union in Umfrage aus'. Der 'Merkur' behauptete: 'AfD legt deutlich zu und wird stärkste Kraft'. Der 'Nordkurier' titelte: 'Rekord-Umfrage für die AfD: Merz-Regierung ohne Mehrheit'."

Und das ist wirklich alles ziemlich lächerlich. Wenn ein Elftklässler so etwas in einer Arbeit über das politische System schriebe, gäbe es ordentlich Punktabzug. Aber für journalistische Überschriften reicht’s? Natürlich hat die Regierung ihre Mehrheit nicht verloren. Was hier irreführend behauptet wird, beruht auf einer Umfrage. 26 Prozent hatte die AfD in einer dieser sehr sehr regelmäßig Aufmerksamkeit generierenden Wahlumfragen, vom Aufmerksamkeitsgenerierungsinstitut Forsa übrigens. Aber so ein Wert ist halt überhaupt nichts wert.

Erstens, so Stöcker, weil die Unentschlossenen nicht ausgewiesen werden, von denen es vier Jahre vor der nächsten Wahl eine Menge geben dürfte. Zweitens weil "Umfragen bekanntlich keine exakte Vorhersage, sondern Schätzungen sind". Für die AfD, schreibt er, seien solche Umfrageerfolge

"fiktive Erfolge, aus denen reale Berichterstattung entsteht, die dann wiederum mutmaßlich die Ergebnisse der nächsten Umfrage beeinflussen: Wenn die AfD von so vielen Menschen 'gewählt' wird, kann das ja nicht so eine schlechte Idee sein, da kann man dem Anrufer vom Umfrageinstitut doch auch einfach mal erzählen, dass man als Nächstes die AfD wählen würde."

Ruth Hieronymi ist gestorben

Ging es um die Arbeit in öffentlich-rechtlichen Gremien, begegnete einem ihr Name viele Jahre lang besonders häufig: Ruth Hieronymi, vormals Europaabgeordnete der CDU, war 25 Jahre lang Mitglied und von 2009 bis 2016 Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats, eines Gremiums also, das einen besonders einflussreichen ARD-Sender beaufsichtigte. Sie ist, wie der WDR mitteilte, am 30. April gestorben (und auch die "FAZ" und t-online.de widmen ihr Aufmerksamkeit). "Was heute selbstverständlich ist – dass interessierte Besucherinnen und Besucher an den Sitzungen teilnehmen können – hat sie erstmals ermöglicht", wird WDR-Intendantin Katrin Vernau zitiert. Ebenfalls der WDR schreibt:

"In die Amtszeit Hieronymis fielen wichtige Personalentscheidungen wie unter anderem die Wahl Tom Buhrows zum Intendanten. Unter ihrer Leitung begleitete das unabhängige Aufsichtsgremium unter anderem umfassende Programmreformen, den Erwerb von Übertragungsrechten in der Sportberichterstattung sowie die Novellierung des WDR-Gesetzes."


Altpapierkorb (Trumps Attacken gegen Medien, Wagenknecht unterliegt Forsa, "Phoenix Runde", Steffen Hebestreit)

+++ Über die Trumpschen Attacken gegen Medien schreiben heute die "FAZ" (Abo) und die "SZ" (Abo). Letztere hat Radio Free Europe in Prag besucht.

+++ Weniger als zwei Tage vor der Bundestagswahl prognostizierte das Umfrageinstitut Forsa dem Bündnis Sahra Wagenknecht ein Ergebnis von etwa drei Prozent. Wer kurz vor der Wahl erfährt, dass die Partei, die man doch wählen wollte, womöglich nicht in den Bundestag einzieht, entscheidet sich eventuell um, um seine Stimme nicht zu verschenken. Diese Kritik an Umfragen kurz vor Wahlen ist nicht neu, aber sie ist auch nicht von der Hand zu weisen. Sahra Wagenknecht allerdings, berichtet heute die "Frankfurter Allgemeine", hat nun gegen Forsa vor dem Landgericht Berlin II verloren. Sie darf dem Institut unter anderem keine "gezielte Aktion zur Manipulation von Wahlverhalten" mehr vorwerfen. Reiner Burger schreibt: "Zwar habe Wagenknecht mit Recht im Verfahren vorgebracht, dass sich Demoskopieunternehmen angesichts der Wirkungsmacht von Meinungsumfragen in erheblichem Umfang der öffentlichen Kritik stellen müssten, auch wenn diese überspitzt oder fachlich nicht nachvollziehbar sei." Mit dem Manipulationsvorwurf – "letztlich ohne jeden belastbaren Anhaltspunkt" – sei aber dem Gericht zufolge eine Grenze überschritten.

+++ Es kommt selten vor, dass in einem Talk jemand derart konsequent dazwischengrätscht wie der Wirtschaftswissenschafler Rudi Bachmann in der "Phoenix Runde", dem Talk des öffentlich-rechtlichen Bundestagsdebatten-, Talk- und Naturdokukanals von ARD und ZDF. Bachmann ließ einem anderen Gast in einer Diskussion über die zweite Regierungszeit von Donald Trump keinen Satz durchgehen, der durch seinen – Bachmanns – Instant-Faktencheck gefallen war. Vor allem schritt er nicht später, sondern in der Regel unverzüglich ein, teilweise also noch während der andere Gast sprach. Dieser andere Gast war George Weinberg, ein führender Vertreter der US-Republikaner in Deutschland.

Über Live-Faktenchecks in Talks und eine zeitversetzte Ausstrahlung wurde im Bundestagswahlkampf schon häufiger diskutiert, auch hier im Altpapier. Nun, in der "Phoenix Runde", sah man, dass es schon möglich ist. Dass ein Gast und nicht die Moderatorin die Aufgabe übernahm, Weinberg immer wieder zu korrigieren, war allerdings nicht ideal. Es sollte ja kein Zufall sein, ob Falschbehauptungen korrigiert werden oder nicht. Eigentlich muss eine Redaktion selbst einen Weg finden, den Bachmann zu machen.

+++ "Der scheidende Regierungssprecher Steffen Hebestreit sieht es als Vorteil, in diesem Amt vorher als Journalist gearbeitet zu haben, rät aber auch zu klarer Rollentrennung. 'Das ist ein anderer Beruf als Journalist', sagte Hebestreit am Montag in seinem letzten Auftritt in der Bundespressekonferenz in Berlin" (epd Medien). Das ist ja mal eine spannende Erkenntnis.

Am Mittwoch schreibt das Altpapier Antonia Groß

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