Kolumne: Das Altpapier am 9. Mai 2025 Legal, illegal, Papstwahl
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09. Mai 2025, 08:29 Uhr
Die deutsche Politik gedenkt der Befreiung vom Nationalsozialismus nicht besonders wirksam, sondern erlässt lieber eine "Notlage". Die AfD klagt gegen ihre eigene Einstufung als rechtsextrem und manche Medien scheitern daran, das gut zu erklären. Immerhin kreisen Möwen über Rom. Heute kommentiert Antonia Groß die Berichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
"Wir schaffen das" ist abgeschafft
Am 80. Jahrestag der Befreiung vom nationalsozialistischen Faschismus kann man die deutschsprachige Politikberichterstattung kaum lesen, ohne bitter zu werden. Nicht nur, weil die Aufarbeitung der Geschichte wirklich wenig Platz gekriegt hat in dem, was aus der parlamentarischen Politik zu lesen war. Sondern gerade auch, weil die Beschreibungen der Ereignisse von einer zynischen Zeit zeugen.
Da ist der frisch bestätigte Kanzler Friedrich Merz, der offenbar nichts zu sagen hat zu den Recherchen der "taz" (hier und hier) über die Betätigungen seines Großvaters in der NSDAP, stattdessen aber eine "Notlage" ausruft, um Push-Backs gegen Asylsuchende zu pseudo-legalisieren (siehe dazu "LTO"): Sein CSU-Innenminister Alexander Dobrindt ordnet die Zurückweisungen praktisch aller Schutzsuchender an deutschen Außengrenzen an Tag 1 seines Amtes an. Das "Wir schaffen das" ist damit abgeschafft, schließt daraus - auch die "taz". Menschen, die Schutz brauchen, weil ihre Leben bedroht sind, werden ihn in diesem Deutschland mit dieser Geschichte also noch weniger bekommen, als ohnehin schon. Dass die Verweigerung nach EU-Recht illegal sein dürften, scheint kein Hindernis. Der Abgeordnete der Grünen im EU-Parlament, Erich Marquardt, fragt deshalb auf Bluesky:
"[...] gilt unter Merz einfach "legal, illegal, scheißegal"?
Und dort ist der Bundespräsident und Vertretende der neuen Regierung, die auf Gedenkfeiern "Nie Wieder"-Reden halten, dabei aber über die
"reale Vernichtung palästinensischer Lebensräume, über reale Vertreibung und Entrechtung von mehr als zwei Millionen Menschen in Gaza und die Tötung Zehntausender durch Israels Armee [...] kein Wort [verlieren]",
wie Jana Frielinghaus für "ND" konstatiert. Frielinghaus findet:
"[...] eine klare Positionierung gegen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit [sollte] auch eine zentrale Lehre aus der Nazivergangenheit Deutschlands sein".
Stillhaltewas?
Und dann ist da weiterhin die Debatte um ein Verbot der AfD. Medial betrachtet erreicht die allerdings immer tiefere Tiefpunkte. Auch wenn inzwischen die Stimmen derer deutlicher werden, die dafür plädieren, die AfD aus Talkshow (Lorenz Meyer bei "radioeins") ganz rauszuhalten oder wissenschaftlich argumentieren, weshalb rechtsextreme Positionen insgesamt nicht in die Medien gehören (Annika Brockschmidt beim "Volksverpetzer"). Systemisch betrachtet verlieren die Medien immer noch an Haltung, sobald die AfD ihre "Stöckchen" hält.
Erst vor genau einer Woche hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Grundlage eines eigenen Gutachtens verkündet, was seit vielen Jahren klar ist: Die Partei ist rechtsextrem. Wirksam könnte diese Einstufung vor allem für ein Verbotsverfahren sein.
Die AfD hat gegen die Einstufung nun einen Eilantrag und eine Klage beim Kölner Verwaltungsgericht eingereicht. Bis es eine Entscheidung gibt, hat der Verfassungsschutz eine "Stillhaltezusage" abgegeben. Was das nun wieder heißt? Die Antwort darauf kriegt nicht jedes Nachrichtenmedium gut hin.
Zunächst behauptet die Partei selbst, die Einstufung sei widerrufen. Und eine Zeitung, die der Partei nahesteht, und die wegen dem Schund, den sie sonst noch verbreitet, hier nicht verlinkt sein soll, titelt deshalb: "AfD-Hochstufung vorerst zurückgenommen". Im Text steht weiter:
"Ab sofort kann nicht mehr davon geredet werden, die AfD sei 'als gesichert rechtsextremistisch' eingeordnet."
Das ist Desinformation. Die Einstufung ist nicht "zurückgenommen". Sie ist vorläufig ausgesetzt. Richtig ist zwar, dass der Verfassungsschutz bis zu einer Entscheidung öffentlich auf die Bezeichnung "rechtsextrem" verzichtet, die Formulierung es "kann nicht mehr davon geredet werden", ist schlicht falsch. Natürlich "kann davon noch geredet" werden. Auch die für die AfD zuständige "Spiegel"-Redakteurin Ann-Katrin Müller weist auf Bluesky darauf hin, nicht der AfD-Erzählung auf den Leim zu gehen:
"Die AfD behauptet jetzt, das BfV würde die Hochstufung zurücknehmen. Doch die 'Stillhaltezusage' bei Gericht dient dazu, das Eilverfahren zu beschleunigen. Solange nennt das BfV die AfD nicht 'gesichert rechtsetxrem' und behandelt sie bei den ND-Mitteln wieder wie einen Verdachtsfall. Mehr nicht."
Das Rechtsportal "LTO" beschreibt das Verfahren als eine "rechtliche Pause-Taste" und erklärt:
"Auch das ermöglichte eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln – etwa durch den Einsatz von V-Leuten oder Überwachungsmaßnahmen – die Schwelle für Eingriffe hat sich jedoch verändert. Ein Unterschied liegt in der Verhältnismäßigkeit möglicher Eingriffe, die mit der Hochstufung eher gegeben ist."
Laut Belegen weiter rechtsextrem
Heißt also: Erst einmal behandelt der Verfassungsschutz die Partei – so wie davor auch - wie einen Verdachtsfall. Bemerkenswert ist, dass das Amt aber die Pressemitteilung vom 2. Mai von der Webseite genommen hat – war die Bezeichnung doch vor einer Woche noch rechtlich abgesichert. Zumal verschwinden lassen eh nicht geht, zum Beispiel dank des Internet Archive.
Keine Desinformation, aber doch irritierend zu lesen ist es deshalb, wenn nicht nur parteinahe Wutschleudermedien, sondern auch bürgerliche Zeitungen mit Schlagzeilen arbeiten, die die genaue Bedeutung dieses Rechtsweges offen lassen. So überschreibt die "SZ" einen Bericht dazu mit:
"Vorerst nicht mehr sicher extremistisch". Durch das "vorerst" lässt sich der "Süddeutschen" de facto rechtlich wenig vorwerfen. Doch an der Belegsammlung des Gutachtens hat sich – neben der bisher längst öffentlich bekannten Beweise für die Ideologie der Partei – ebenso de facto gar nichts geändert, wie der "Spiegel" noch einmal bestätigt. Man muss also leider befürchten: Der Eilantrag der Partei wirkt. Fahrlässig, das medial so schwammig zu verbreiten.
Und der Artikel nutzt das schlackerige Framing noch weiter. Im Teaser steht:
"Jetzt nimmt es [das BfV] diese Einschätzung zurück. Aber nur fürs Erste."
Die Struktur innerhalb von nur zwei Sätzen ist also: Falschinformation + Korrektur. Im Einstieg geht das Spiel so weiter:
"Keine Woche ist vorbei, und schon macht der Verfassungsschutz einen Rückzieher. So konnte es jedenfalls beim ersten Hinschauen wirken: Der Inlandsnachrichtendienst bezeichnet die AfD vorerst nicht mehr als 'gesichert rechtsextremistisch'."
So konnte es beim ersten Hinschauen wirken? Vielleicht hätte sich der Autor diese Zeichen besser gespart, zweimal hingeschaut und gleich aufgeschrieben, was jetzt Sache ist.
Habemus Papam
Noch ein kurzer Aufatmer aus Rom. Denn: Das Nicht-Nachrichten-Konklave-Spektakel (Altpapier) hat ein Ende. Der US-Amerikaner Kardinal Robert Francis Prevost ist Papst geworden. Er sei der "unamerikanischste Amerikaner", will die "FAZ" über ihn wissen, seine Wahl sei ein
"Signal der führenden Repräsentanten der katholischen Kirche an Trump [...], ein Zeichen für den Glauben an das gute Amerika. Damit ist diese Entscheidung auch ein posthumer Triumph von Franziskus über den amerikanischen Präsidenten und die Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten, in der seine größten Widersacher saßen",
kommentiert Thomas Jansen. Ob das römisch-katholische Spektakel (Altpapier) anderweitig weitergeht, werden wir sehen. Was uns hier aber besonders interessiert: Neben weißem Rauch über Rom kreisen weiter viele Möwenbilder durchs Internet, so wie hier oder hier.
Altpapierkorb (Tag der Befreiung und Rundfunk / Kaschmir-Krieg / İmamoğlu auf Twitter)
+++ Zum Tag der Befreiung blick Sebastian Wellendorf auf die "Stunde Null" für die Medien ab 1945. Zunächst von den Alliierten im Radio Hamburg, dann mit der Gründung der ersten Zeitungen. Nachzuhören bei "@mediasres" im Deutschlandfunk.
+++ Zur Berichterstattung aus Indien und Pakistan, und der Frage nach einer freien Presse in Kriegsgebieten – wie in der Kaschmir-Region, darüber spricht Peter Hornung, der ARD-Studioleiter aus Neu Dehli, ebenfalls bei "@mediasres": "Man muss extrem vorsichtig sein. Mit dem, was man hört, mit dem, was berichtet wird, mit dem auch, was offizielle Stellen sagen."
+++ Der "X"-Account des Istanbuler Oberbürgermeisters, Ekrem İmamoğlu, ist auf der Plattform gesperrt. Die "taz" berichtet: "Der selbsternannte große Vorkämpfer für die Meinungsfreiheit, Elon Musk, ließ am Donnerstag das X-Konto des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu sperren. Damit nimmt er dem seit dem 19. März inhaftierten İmamoğlu die einzige Möglichkeit, die er noch hatte, mit der Außenwelt zu kommunizieren."
Das Altpapier am Montag schreibt Klaus Raab.