Das Altpapier am 30. April 2018 Medienpolitik für Max und Erika

In der Diskussion um Staatsverträge und Strukturreform geht’s meist um Politik- und Medienmacher-Interessen. Aber wer denkt eigentlich an die Mustermanns? In den USA wird die Betriebstemperatur in der Diskussion um öffentliche Meinungsäußerungen und die Rolle des Journalismus wieder hochgefahren. Wie gehen türkische Journalisten am besten mit der Feuersbrunst in der Heimat um? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.

Sonntag, Brückentag, Feiertag: Da darf schon mal Zeit sein für ein wenig ausgeruhtere Berichterstattung. Die gibt’s heute z.B. in der Süddeutschen (und hier online) in 'nem Gastbeitrag von Frauke Gerlach, der Direktorin des Grimme-Instituts. Es geht um die Frage: "Was für einen Rundfunk will die Gesellschaft?"

Während in der Diskussion um einen neuen Rundfunkstaatsvertrag und Strukturreformen bei ARD und ZDF ja meist eher darüber gestritten wird, was die öffentlich-rechtlichen TV- und Radio-Heinis wollen (z.B. aktuell nicht noch mehr sparen), was die Privaten doof finden, was sachsen-anhaltinische Staatskanzleichefs für Vorschläge haben, was die Verleger zu all dem sagen, ob sich die Ländercheffinnen und -chefs vielleicht irgendwann mal einigen (Aufzählung beliebig weiter fortsetzen), geht’s pünktlich zum Tag der Arbeit zur Abwechslung doch mal wieder darum, was Max und Erika Mustermann vielleicht so wollen.

Denn: Medienpolitik sei nicht mehr nur Sache "eines kleinen Kreises von Medienpolitikerinnen und Medienpolitikern in den Ländern, von Interessenvertretern, Verbänden und Rundfunkrechtlern". No Billag habe gezeigt, dass die Mäxe und Erikas sich mobilisieren lassen, "wenn es um die Existenzfragen eines öffentlich finanzierten Mediensystems geht." Das sei allerdings nicht so einfach, angesichts der Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse in den Ländern:

"Kritische Nutzerinnen und Nutzer, beitragsmüde Fernsehzuschauer und die Forderung nach der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für die sich die AfD als populistisches Sprachrohr aufstellt, treffen auf eine politische Entscheidungskultur der Rundfunkkommission der Länder, die für eine so komplexe gesellschaftliche Ausgangslage wie derzeit nicht geeignet erscheint. (…) Will man auch in Zukunft eine große Akzeptanz für das System sichern, ist es sinnvoll, solche Grundsatzfragen auf breiter gesellschaftlicher Basis zu klären."


Mehr als Rundfunkbeitrag

Neben der Fachdebatte (hier im Altpapier einiges an Gedächtnisstütze) um Detailfragen wie (Achtung, Buzzwords) Telemedienauftrag, Verweildauer, Presseähnlichkeit sei auch die Diskussion über alltäglichere Fragen wichtig, damit die Debatte nicht immer wieder auf den Rundfunkbeitrag runtergeschraubt werde:

"Die Ausrichtung und Zielsetzungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für das digitale Zeitalter sollte also nachvollziehbar und verständlich sein - bei aller Komplexität der Medienregulierung. Diese Komplexität reduziert sich in der Öffentlichkeit allzu leicht auf die Höhe des Rundfunkbeitrags, was die anstehenden wichtigen Fragestellungen in unzulässiger Weise verkürzt."

Die Kritik richtet sich wohl einerseits an die verantwortlichen Rundfunkmenschen und die Politik, aber auch an andere Journalisten, die darüber berichten. Wenn ich auf Partys gefragt werde, was ich so mache – ach, ist ja spannend wenn man schreibt für sein Geld – und dann erklären soll, welches Thema ich denn so beackere, bin ich immer wieder erstaunt von den Reaktionen. Zwischen Desinteresse und Neugier ist alles dabei.

Klar, Medienpolitik klingt auf den ersten Blick nicht so sexy wie cooles Zeug bei ner jungen Radiowelle, Bundesligaberichterstattung oder so, aber den meisten ist schon diffus bewusst, dass das ihren Alltag irgendwie beeinflusst. Diffus, das ist das Problem. Denn ich bin immer wieder auf’s Neue erschrocken, wie wenig Mäxe und Erikas über medienpolitische Strukturen wissen, wenn sie z.B. annehmen, dass Politiker, die ja bei den Öffentlich-Rechtlichen wohl auch irgendwie was zu sagen haben, einfach mir nichts dir nichts über Personalien oder Themensetzung bestimmen könnten.

Von Millennial-Party-Gesprächen zurück zu Frau Gerlach und ihrer Kritik. Auf viele auch für Max und Erika interessante Fragen habe das duale Rundfunksystem bisher aber "keine konsistenten Antworten" finden müssen, z.B. nach dem Zugang zu Senderarchiven, wie viel Präsenz im Netz gut ist, auf welche Interessen eingegangen werden sollte und auf welche nicht…

"Es (das duale Rundfunksystem, Anm. AP) konnte sich, gestützt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, weitgehend organisch verändern und in 21 Rundfunkstaatsverträgen ausdifferenzieren, fernab und ungestört von den Menschen, die für die Finanzierung dieses System sorgen, den Zuschauerinnen und Zuschauern. Diese Ruhe ist dahin. Der Handlungs- und Rechtfertigungsdruck nimmt zu."

Um Max und Erika in der Debatte mehr mitzunehmen und das Ganze transparenter zu machen hat Gerlach drei Vorschläge:

  1. eine Informationsplattform mit Diskussionsbereich, um das Prozedere transparenter zu machen
  2. die Überarbeitung der Präambel des Rundfunkstaatsvertrages, die noch "durch und durch den Geist des analogen Zeitalters" atme und gut geeignet sei, "um eine wirkliche gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter anzustoßen"
  3. eine Einbeziehung der Länderparlamente und mehr Öffentlichkeit für den Drei-Stufen-Test, mit dem geprüft wird, "ob Angebote der Sender im Netz unter anderem den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen"

So, liebe Bild-Redaktion, jetzt bitte statt dem Rundfunkbeitrag mal medienrechtliche Präambeln, Informationsplattformen und Rundfunkratsaufgaben irgendwie party- bzw. stammtischgesprächstauglich vermitteln. Deal? So könnte die Reichweite ja mal sinnvoll genutzt werden…


Die Monster, die ihr rieft

Nicht so ausgeruht wie Gerlachs Vorschläge liest sich hingegen die Berichterstattung der US-Medien über das traditionelle Correspondents' Dinner der Hauptstadtjournalisten im Weißen Haus. Von "Furor" ist die Rede (New York Times), von "Shock Jokes" (Sky News) und von "Biting Jokes" (CNN).

Hauptaufregerthema war aber nicht Donald Trump, der bei der Veranstaltung ja – wie schon vergangenes Jahr und als erster Präsident seit Ronald Regan – nicht auftauchte. Zwar heißt es dazu in einer Agenturmeldung bei FAZ.net:

"Trumps Fernbleiben beim Korrespondenten-Dinner im Weißen Haus illustriert abermals sein schwieriges Verhältnis zu Journalisten. Der Präsident betrachtet einen Großteil der amerikanischen Medien als Feinde. In einer E-Mail an potenzielle Spender schrieb er kürzlich: 'Warum sollte ich mit einem Haufen von Fake-News-Liberalen, die mich hassen, in einem Raum eingesperrt sein?'"

Die Aufregung in der US-Presse verursachte allerdings Comedienne Michelle Wolf. Ihr kritisches Stand-up, das die Hosts des Dinners jedes Jahr halten, kam nicht bei allen gut an. Eigentlich klar, denn dabei wird ja traditionell der Präsident und auch die Presse kritisiert, geneckt, verspottet, verhohnepipelt, gefoppt oder wie man es sonst auch nennen will.

Dafür gab es jetzt, nach mehr als einem Jahr Trump-Präsidentschaft, natürlich mehr als genug Anlass. Auf’s Korn genommen wurde z.B. die Position von Vice President Mike Pence zum Thema Abtreibung, die Spekulationen über Trumps Affäre mit der Pornodarstellerin Stormy Daniels, die Arbeit der Pressefrau Sarah Huckabee Sanders. Bei NBCnews heißt es z.B., Wolf

"delivered harsh and stinging remarks about Democrats, Republicans, President Donald Trump's adult children, White House adviser Kellyanne Conway and White House Press Secretary Sarah Huckabee Sanders." … "She compared Sanders to a ruthless figure in the dystopian show The Handmaid's Tale. She added that Sanders 'burns facts and then she uses that ash to create a perfect smoky eye,’ referring to her makeup.’

So weit, so treffend, würd' ich sagen. Dabei wurde niemand verschont, neben Trump und seinem Team kamen auch die Republikaner und Demokraten und natürlich auch die Journaille nicht ungeschoren davon, heißt es bei FAZ.net:

"auch Medienvertreter (…) verschonte Wolf in ihrer Rede beim Korrespondenten-Dinner nicht. 'Was niemand in diesem Raum zugeben möchte, ist, dass Trump euch allen geholfen hat', sagte Wolf. 'Er hat euch geholfen, eure Zeitungen und Bücher zu verkaufen. Ihr habt dieses Monster erschaffen und jetzt profitiert ihr davon."

Die Performance löste vor allem bei Twitter eine hitzige Diskussion aus. Wolf schlug viel Ablehnung für ihre Witze entgegen. Sogar Margaret Talev, Präsidentin der Correspondents' Organization, schwenkte nach anfänglichem Lob für Wolfs Auftritt um und verkündete:

"Last night's program was meant to offer a unifying message about our common commitment to a vigorous and free press while honoring civility, great reporting and scholarship winners, not to divide people," she said. "Unfortunately, the entertainer's monologue was not in the spirit of that mission."(nochmal NBCnews)

Die Frage ist: Mittlerweile ist doch wirklich jeder mit der Natur von Satire und Comedy vertraut. Warum sorgt dann ein kritischer aber nicht unangemessener Auftritt derart für Wirbel? Kann man in den USA etwa noch weniger über sich selbst lachen als in Deutschland? Bei der New York Times ordnet Michael M. Grynbaum ein:

"It was an earthy performance by Correspondents’ dinner standards, if nothing out of place in an average comedy club. But feedback from the political left and right quickly leapt to extremes."

Und:

"Roast-style humor is an odd fit for protocol-oriented Washington, and some comedians praised Ms. Wolf for discomfiting the audience of elite journalists and administration officials."

Die Medienkolumnistin der Washington Post, Margaret Sullivan, spricht sich jedenfalls für eine Abschaffung des Veranstaltung aus. Nicht wegen Wolf, sondern weil sie das ganze Spektakel nicht förderlich findet für die Glaubwürdigkeit des Journalismus:

"It never has been a particularly good idea for journalists to don their fanciest clothes and cozy up to the people they cover, alongside Hollywood celebrities who have ventured to wonky Washington to join the fun. But in the current era, it’s become close to suicidal for the press’s credibility. Trust in the mainstream media is low, a new populism has caught fire all over the Western world, and President Trump constantly pounds the news media as a bunch of out-of-touch elites who don’t represent the interests of real Americans."

Sullivan fordert bessere Ideen der Correspondents’ Association, um das Image von Journalisten wieder aufzupolieren und zu zeigen, was Journalisten wirklich machen, nämlich (Achtung, Weltkriegsmetapher) "that they are in the trenches digging out the truth".

"The White House Correspondents’ Association no doubt has good intentions. Its annual dinner is meant to recognize excellent reporting and raise money for scholarships. (…) But this festive night, always unseemly, is now downright counterproductive to good journalism’s goals. It only serves to reinforce the views of those who already hate the media elite."


Altpapierkorb (Belästigungsvorwürfe beim WDR, Dündar, Marx)

+++ Nachdem der WDR vergangene Woche die SPD-Politikerin und einstige Gewerkschafterin Monika Wulf-Mathies als externe Aufklärerin zu den Vorwürfen der sexuellen Belästigungen beim Sender eingesetzt hat, wurde nun ein weiterer Mitarbeiter freigestellt. Nicht unbedingt viel mehr Infos dazu gibt’s bei derWesten.de und Bild.de.

+++ In der Zeit schreibt z.B. Can Dündar, ehemaliger Chefred von Cumhuriyet, über schwierige Gewissensentscheidungen türkischer Journos. Bleiben, in diesem Land, dass es ihnen quasi unmöglich macht, ihre Arbeit so richtig zu machen? Oder ins Exil gehen, wie z.B. Dündar nach Deutschland? Er vergleicht die Lage mit einem Feuer, das es zu bekämpfen gilt: "Wir diskutierten wie bei einem Großbrand, ob wir uns hineinstürzen und die Freunde und Kollegen retten oder besser von außen Wasser herbeischaffen sollten. Wir rangen um die Entscheidung zwischen Haft und Exil. Im Ausland zu sein, während sie im Gefängnis säßen, wäre eine schwere moralische Bürde. Dazu käme noch die Last des Vorwurfs: 'Er hat sich davongemacht'."

+++ Beim Tagesspiegel bespricht Stephan Ruß-Mohl das neue Buch des ungarischen Medienforschers Gábor Polyák, "Medienpolitik in Osteuropa": "Der Autor zeichnet den Transitions- und Transformationsprozess der Medien in Zentral- und Osteuropa gründlich und pointiert nach." Und das Buch sei auch ein "Wink, wie sehr wir Westeuropäer Fehlentwicklungen in Europas Osten ignoriert oder zumindest vernachlässigt und damit vielleicht ja sogar erst möglich gemacht haben – unter Einschluss der Forscher, wobei es immerhin rühmliche Ausnahmen wie Susanne Fengler (Universität Dortmund) und den verstorbenen Kollegen Hans J. Kleinsteuber (Universität Hamburg) gibt."

+++ Harald Staun schreibt in der FAS zum 200. Geburtstag von Karl Marx auch über dessen Journalistentum und was sein Werk heute noch bedeutet: "Es ist ein Text, dessen Melodie man noch heute Journalisten vorspielen möchte: weil das Deutsch des jungen Marx nicht gealtert ist; und damit sie lernen, wie man Bewegung in Texte und Texte in Bewegung bringt. Und zugleich ist Marx hier mehr als ein Journalist, der seine Argumente herunterrattert. Vielmehr ist er ein Schriftsteller, der ein tiefes Bewusstsein davon hat, dass Wörter nicht bloß Werkzeuge sind und Sätze mehr als bloß die Vehikel für Bedeutungen. Die Sprache ist die Botschaft"

+++ Die Doku zum Marx-Geburtstag kam allerdings bei Zeit Online nicht so überragend gut an.

+++ Die Musikzeitschrift Intro wird eingestellt. Schade! Steffen Greiner bei taz.de: "Trotz des undurchsichtigen Umgangs mit ihren Anzeigen wird das Heft im Popdiskurs fehlen."

+++ Eine Talkshow-Nachlese zur Transatlantik-Diskussion bei Anne Will gibt’s bei FAZ.net von Frank Lübberding.

+++ Ein Medien-/Reiselesestück für den Feiertag findet man heute in der Süddeutschen: Auf Seite 9 (leider nicht frei online) gibt’s eine Reportage des 2007 verstorbenen SZ-Chefreporters Hans Ulrich Kempski, der als einer der ersten deutschen Journalisten China bereiste.

+++ Und noch ein bisschen Feiertagslektüre: Zwei Brüder aus Rheda-Wiedenbrück in Ostwestfalen machen’s anders als im Fernsehen. Bei FAZ.net (€) gab’s am Wochenende ein Porträt über die als Weinert Brothers bekannten Filmemacher des Bremer Y Kollektivs, die ja um die Welt reisen und Dokumentationen aus einem anderen Blickwinkel drehen, als viele es von den klassischen Medien gewohnt sind, und über Social Media Aufmerksamkeit für Krisengebiete schaffen wollen.

+++ Wer lieber Serien suchten statt schmökern möchte: Die zweite Staffel von Handmaid’s Tale ist beim US-Bezahlsender Hulu online. Meinungen dazu haben Jürgen Schmieder bei der Süddeutschen ("Tritt ins Gemächt") und Doris Priesching beim Standard ("Die Geschichte geht mit dem Reproduktionsthema ans Eingemachte").

+++ Ach, und um eines der heißdiskutiertesten Themen des Wochenendes, aufgedeckt von einem Reuters-Investigativ-Fotografen, nicht zu marginalisieren: Was mit Macrons Eiche am Weißen Haus passiert ist, lesen Sie unter anderem bei taz.de. Bei FAZ.net wird fleißig spekuliert. Ein gelber Fleck vorm Weißen Haus, Entführung per Nacht-und-Nebel-Aktion: Damit sprich vieles für eine Umsetzung des Stoffes zu einem Wes-Anderson-Film.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.