Das Altpapier am 11. Juni 2018 Populismus gegen Populismus
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Die Debatte über Talkshows folgt selbst den Regeln einer Talkshow: Die Thesen steil, die Positionen verhärtet. Aber: Carolin Emcke hat auch den Text zur Diskussion geschrieben. Ein PR-Foto der Bundesregierung wird herumgereicht wie ein Nachrichtenfoto. Und: Öffentlich-Rechtliche und Verleger sollen sich geeinigt haben. Ein Altpapier von Klaus Raab.
Inhalt des Artikels:
"Kaum ein Foto hat sich am Wochenende so schnell um die Welt verbreitet wie die Aufnahme, die der Fotograf der Bundesregierung, Jesco Denzel, von der Schlussrunde der G-7-Verhandlung machte." Schreibt die Süddeutsche Zeitung heute auf der Seite 1, auf der, naheliegenderweise, das Foto dann auch gezeigt wird: Angela Merkel, beide Hände auf einen Tisch gestützt, neben sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, wie sie stehend Donald Trump fixiert, der, als einziger in der Runde, sitzt – mit verschränkten Armen auf der anderen Seite des Tisches.
Die Rede war schnell vom "Foto des Jahres", weil – so die SZ – "Henri Cartier-Bressons Grundregel der Fotografie vom 'entscheidenden Moment' perfekt umgesetzt" sei: "Da stimmt einfach alles: Bildkomposition, Licht, historischer Kontext und Posen der Figuren."
Ebenso schnell war allerdings die Rede davon, dass stets vom Standpunkt abhänge, wer in einer Situation als der Boss wahrgenommen werde. Fabian Reinbold von T-Online, zum Beispiel, twitterte das Foto zusammen mit drei anderen Bildern derselben Szene. Auf dem einen sieht man etwa Macron sprechen, auf dem anderen scheint Donald Trump, selbstbewusst sitzend, Angela Merkel zu diktieren, was Phase ist.
Während aber das eine Foto – das der Bundesregierung, das Angela Merkel in die Rolle der Anführerin der freien Welt befördert, "die den renitenten Donald Trump in die Defensive drängt" – – um die Welt geht als "das Foto", bleibt die Frage, was es eigentlich zeigt. Die SZ: "Mit der Wirklichkeit stimmt diese Projektion derzeit nicht überein."
Die Nachricht des PR-Fotos wäre also dem begleitenden Text nach nicht, was ist, sondern was die Projektion ist. Die Frage ist: Warum zeigt man es dann so prominent?
Ich will die Entscheidung gar nicht grundsätzlich infrage stellen: Neben dem Foto steht ja, nicht weniger prominent, die Einordnung seiner Entstehung und seine Interpretation. Aber es lohnt sich, auch in diesem Zusammenhang Carolin Emckes SZ-Kolumne vom Samstag zu lesen. Es geht darin um, so hieß das im Proseminar seinerzeit, die mediale Gemachtheit der Welt – von der nicht alle Journalismusschaffenden in jüngster Zeit den Eindruck erweckten, sie hätten von ihr schon einmal gehört. Sie schreibt:
"Wir bilden nicht einfach ab"
"Als Journalistinnen und Journalisten wählen wir aus, wir schenken den einen Aufmerksamkeit und den anderen nicht, wir erzeugen oder korrigieren Asymmetrien der Sichtbarkeit, wir bilden nicht einfach ab, wir entscheiden mit darüber, was als Abbild, was als typisch gilt und was nicht, wir erzeugen absichtlich oder unabsichtlich Verknüpfungen von Kollektiven mit Eigenschaften. Welche Bilder zu Ikonen werden, welche Praktiken als gewöhnlich, welche als ungewöhnlich wahrgenommen, welche Ängste aufgewertet und welche belächelt werden – das gestalten wir mit."
Und letztlich ist es ja auch das, was auch Talkshow-Redaktionen, die häufig genug Projektionen verhandeln, tun, wenn sie sich für dieses oder jenes Thema, diese oder jene Ankündigung und diese oder jene Diskussionsrichtung entscheiden.
Carolin Emckes Beitrag handelt vor allem von Talkshows. Aber das Beste an ihm ist, dass er sich nicht auf sie kapriziert, so als hätte man in ihnen endlich das schwarze Schaf gefunden, das man nur wegsperren muss, damit alles wieder in bester Ordnung ist, sondern dass er, ja, von der Medienproduktion insgesamt handelt. Für einen klugen Text wie ihren jedenfalls hat sich die zum Teil etwas überdrehte Talk-Diskussion der vergangenen Tage gelohnt.
"Das Mantra vom 'Wir versuchen nur darzustellen, was ist'" – das war vergangene Woche eine Verteidigungsstrategie von "Hart aber fair" – "zeugt keineswegs von selbstkritischer Objektivität, sondern von selbsthypnotischer Verantwortungslosigkeit", schreibt sie, um sich dann aber der fruchtbaren Journalistenbetrachtung und Selbstbefragung zu widmen:
"Welche Gespräche braucht es, um die globalisierte Welt zu verstehen? Welches Spektrum an Perspektiven braucht es, um der Vielfalt der Lebenswelten gerecht zu werden? Welche sozialen, ökonomischen, ökologischen Themen sind tatsächlich dringlich? Wie lassen sich Nachdenklichkeit und Zweifel zurückbringen ins Gespräch? Wie lassen sich jene komplexen Phänomene diskutieren, die sich einfachen Bildern und Urteilen entziehen? Wie lässt sich Desinformation und Lüge etwas entgegen setzen? Wie lässt sich Respekt vor menschlicher Würde kommunizieren? Das betrifft nicht nur die TV-Redaktionen und das, was sie neudeutsch 'Talk' nennen. Die journalistische Zunft, wir alle, müssen einmal mehr nachdenken, wie wir…" usw.
So viele Fragezeichen. Das ist der Spirit.
Eine Meta-Talkshow
Was in Teilen der Debatte über das Format der politischen Talkshow freilich in erster Linie und vielmehr zu bemerken ist: dass sie selbst den Gesetzen einer Talkshow folgt.
Ein mit markigen Worten und starken Thesen verhandelbares und immer wieder aufkommendes Thema von gesellschaftspolitischer Bedeutung, das viele auch emotional anspricht, wird durchgekaut, bis die nächste Sau am Dorfeingang steht. Die Talkshowdiskussion folgt zudem – schließt man Social Media mit ein – einer klaren Diskussionskonstellation, die an das von Erich Böhme 1994 einmal wie folgt umrissene Konzept von "Talk im Turm" anschließt: "Man braucht einen Fachmann dafür, einen dagegen, einen Laien, einen Narren im Spiel."
Es gibt immer gerade irgendwelche Aussagen von irgendjemandem, die die Diskussion rahmen und die man bekräftigen oder empört zurückweisen kann. Als tauglich erwiesen hat sich in dieser Hinsicht die Aussage von Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der den Talkshows im Ersten und im ZDF "eine einjährige Auszeit" empfohlen hat (Altpapier vom Freitag): "Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen", zitierte ihn die WAZ.
Ausgegangen wurde in der Talkshow-Diskussion vor dem und noch am Wochenende also von einer spezifischen Medienwirkung, allerdings unter weitgehender Ausblendung anderer Variablen. Diese Wirkung wird nun von den einen grob zurückgewiesen. Von den anderen wird die These geteilt und die Forderung nach Konsequenzen verschärft.
Zu den ersteren gehören Stefan Winterbauer, Meedia ("olle Unterstellung", "dieses allgemeine Pauschal-Bashing ist total daneben") oder Michael Hanfeld, FAZ, der ganz im Talkshowjargon aufgeht ("entspricht einem totalitären Verständnis von Öffentlichkeit").
Zu den zweiteren gehört etwa Georg Diez, Spiegel Online-Kolumnist: "Jetzt, wo die Redaktionen der großen deutschen Talkshows bald in die Sommerpause gehen und sich auf die Schultern klopfen können für das, was sie in den vergangenen drei Jahren geleistet haben – den Rechtsruck herbeigetalkt, die Spaltungen in der Gesellschaft vertieft, das AfD-Reden im Alarmmodus reproduziert – sollte man mal überlegen, wie es danach weitergeht. Denn das Beste wäre, wenn es nicht ein Jahr Pause gäbe, sondern das Alte beendet und etwas Neues begonnen würde."
Was dann bleibt, wenn man die Diskussion an der Wirkung von Medien aufhängt, ist das Gefühl von Leere. Die einen sagen so, die anderen sagen so, und so kann man dann glauben, was man will, ist also exakt so weit wie vorher.
Interessant wurde die Diskussion dort, wo sie aus dem Rahmen der Wirkungsfrage herausgenommen wurde. Claudia Tieschky etwa schrieb in der Süddeutschen Zeitung über die Forderung des Kulturrats:
"Zimmermann wird viel Zuspruch bei allen finden, denen sowieso zu viel getalkt wird – dazu zählen sogar Intendanten der ARD. Und Ablehnung bei allen, die 'Geh in die Ecke und schweig' für repressiv halten. In Schutz nehmen muss man ARD und ZDF vor solchen Zwischenrufen nicht. Das ist keine staatliche Intervention. Der Vorschlag ist eine Stimme aus den viel zitierten gesellschaftlichen Gruppen, die den Rundfunk kontrollieren sollen und es viel zu selten tun. Kaum vorstellbar ist allerdings, dass Frank Plasberg, Anne Will, Sandra Maischberger und Maybrit Illner nach einem Jahr Schweige-Sabbatical geläutert für einen neuen Versuch zurückkommen. Sagen wir es so: Zimmermanns Vorschlag ist Populismus gegen Populismus."
Er hätte ihn insofern vielleicht auch bei "Hart aber fair" oder "Maischberger" unterbreiten können.
Wenn man aber weiß, dass man keine Talkshow braucht, um ihn zu unterbreiten, bleibt ein schrecklicher Verdacht: dass, selbst wenn alle politischen Talks in eine Pause gingen, es noch Möglichkeiten genug gäbe, den Diskurs mit Gesabbel vollzumachen, über den dann tagelang diskutiert wird, als würde man nicht auf einen weichen Keks beißen, sondern hätte den Stein der Weisen gefunden.
Pointe der Woche: Die bei Twitter womöglich meistgelobte Sendung der Woche war dann ebenfalls eine Talkshow – "Anne Will" vom Sonntagabend.
PS: Aber dann fällt einem montagmorgens um neun noch dieses Welt-Interview mit dem ARD-Talkkoordinator Rainald Becker vor die Füße, der die Kritik unter dem Strich empört zurückweist, aber ohne einen einzigen überzeugenden Gedanken zu formulieren, aus dem die tiefe Beschäftigung mit den Vorwürfen spricht ("Allein, ich habe für diese Thesen noch keinen schlüssigen Beweis gefunden").
Becker redet, als wäre es einfach wurscht, ob man, wenn es um Fluchtbewegungen geht, über ihre Gründe oder ihre Chancen spricht oder ob es "zuverlässig um deren negative Auswirkungen und Möglichkeiten ihrer Begrenzung" geht (wie Arno Frank im Deutschlandfunk kritisiert).
Und so steht jetzt am Ende halt dann doch dieser Gedanke: dass es mit den Talkshows auf keinen Fall die Falschen trifft.
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+++ Die Mediennachricht des (gestrigen) Tages hat Ulrike Simon bei Horizont: "(N)un ist das Unerwartete passiert: Die Verleger und die Intendanten haben sich geeinigt. Wenige Tage vor dem Treffen der Ministerpräsidenten in Berlin ist damit der Weg frei für die Gesetzesnovelle." Es geht um den Telemedienauftrag: ARD, ZDF und Deutschlandradio sind demnach bereit, "das Verbot der Presseähnlichkeit zu akzeptieren. Lange Texte ohne Sendungsbezug würde es in ihren Digitalangeboten damit nicht mehr geben." Außerdem ist von einer gemeinsamen Schiedsstelle mit den Zeitungsverlegern die Rede.
+++ ZDF-Intendant Thomas Bellut liefert im Tagesspiegel in einem Gastbeitrag den Spirit dazu: "Öffentlich-rechtliche Anstalten müssen auch im Netz stark sein, aber sie sollen den Verlagen den Freiraum für ihre neuen Geschäftsmodelle lassen. In diesen bewegten Zeiten sollten sich die Qualitätsmedien respektieren und nicht gegenseitig schwächen", schreibt er. Wobei die Verleger sich zuletzt auch eher mit der ARD in der Wolle hatten.
Zentral ist in Belluts Text zudem die Verteidigung des Vollprogramms: "Für den Erfolg des 'heute journals' gibt es zwei Voraussetzungen: Eine sorgfältig gemachte, handwerklich saubere und perfekt präsentierte Sendung. Die zweite Bedingung: Ein erfolgreicher, oft auch unterhaltender Vorlauf. Wer also einen Wegfall von Sport und Unterhaltung im ZDF und in der ARD fordert, der muss eine Reduzierung der Reichweite von Informationssendungen einkalkulieren, am Ende die schrittweise Verspartung der großen Vollprogramme."
+++ Wenn es stimmt, was turi2 schreibt und Daniel Bouhls im RBB-"Medienmagazin" andeutet (Minute 38), dann will ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky "nicht in einer Sendung auftauchen, in der Medienjournalist Daniel Bouhs spricht – und nimmt deshalb nicht Stellung zur kommenden WM-Berichterstattung. Bouhs hatte zuvor über umstrittene Nebentätigkeiten von ARD-Sport-Moderatoren berichtet" (Turi2). Bouhs wollte Balkausky für den Beitrag zur ARD-Expertentätigkeit von DFB-Angestellten wie Stefan Kuntz befragen.
+++ Der am Freitag hier bereits erwähnte Reformplan von sechs Bundesländern zur Veränderung der Rundfunkbeitragsberechnung, über den die Medienkorrespondenz berichtete, wird in der FAZ und im Tagesspiegel ausführlich diskutiert. "Die Festsetzung der Beitragshöhe würde entpolitisiert. Das wäre nichts weniger als die Kapitulation der Rundfunkpolitik vor der notwendigen Prüfaufgabe, ob die wohlproportionierten Sender nicht zum weiteren Geldausgeben, sondern zum weiteren Sparen angehalten werden müssen", schreibt Joachim Huber. Und Michael Hanfeld bei FAZ.net: "Das Modell der sechs Länder ist ein ganz neuer Ansatz – allerdings nur zur Berechnung der Höhe des Rundfunkbeitrags, an dem System an sich, dass pro Haushalt und in den Betrieben nach Zahl der Mitarbeiter und der Liegenschaften und für Autos gezahlt werden muss, ändert sich nichts."
+++ Stefan Niggemeier legt bei Übermedien eine Mathias-Döpfner-Rede auseinander, in der er, zu Gast bei der österreichischen Medienenquete, Österreich als eines von drei Ländern bezeichnet habe, die dem "Trend zum Populismus trotzten". Österreich, klar. "Döpfner hofft sehr darauf, dass die österreichische Regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr Entscheidungen im Interesse Springers und der Presseverleger durchsetzt."
Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.