Das Altpapier am 19. Juli 2018 Öffentlich-rechtliches Werk und Gebührenzahlers Beitrag

Das Bundesverfassungsgericht urteilt über den Rundfunkbeitrag, und nicht alle so: Yeah. Gebhard Henke bestreitet, sexuell übergriffig gehandelt zu haben. Die gefälschten Hitler-Tagebücher sehen in echt ganz schön billig aus, und davon kann sich bald jeder überzeugen. Donald Trump ist kein Tellergericht. Brigitte bekommt Gesellschaft von Birgit. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Zugegebenermaßen: So, wie sich das Bundesverfassungsgericht das mit der Wortwahl gedacht hatte, konnte man es nicht lassen.

"Vorschriften zur Erhebung des Rundfunkbeitrages für die Erstwohnung und im nicht privaten Bereich verfassungsgemäß",

lautet die Überschrift der Pressemitteilung des Gerichts zur gestern zum Rundfunkbeitrag gefällten Entscheidung (Altpapier), und alles Folgende ("Der Gesetzgeber muss keinen Wirklichkeitsmaßstab wählen, sondern kann auch einen Ersatz- oder Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde legen und damit auch auf die tatsächlich überwiegende Nutzung in der Wohnung abstellen") wird nicht verständlicher.

Es bedurfte also der Übersetzung – und damit willkommen in der Kampfzone.

"BVG statt BVerfG, GEZ statt Beitragsservice, GEZ-Gebühr statt Rundfunkbeitrag. Qualitätsmedien",

twitterte Daniel Bouhs, sich auf FAZ-Tweet und Bild-Zeitung-Push beziehend.

"Ich benutze #GEZ ausschließlich als Hashtag, weil ich keinen anderen habe. Und den Schwachsinnsbegriff 'Beitragsservice' werde ich nicht schreiben, jedenfalls nie ohne extra entsetzte Anführungszeichen",

antwortete ihm Hendrik Wieduwilt, Berlin-Korrespondent der FAZ.

Falls Ihnen nach dem Ende der Fußball-WM beim Medienkonsum Emotionen gefehlt haben sollten: Hier sind sie. (Ebenso wie die bei derartigen Themen zu wiederholende Offenlegung: Das Altpapier erscheint bei mdr.de.)

BVerfG-Urteil: Info-Kasten

Kurzer Einschub: Was hat das Gericht überhaupt entschieden? Im Original nachzulesen ist das auf seiner Website. Da die Lektüre viel Zeit und Sprachtoleranz erfordert, hier eine Zusammenfassung:

  • Wer zwei Wohnsitze hat, muss entgegen der bisherigen Regelung nur einmal Rundfunkgebühr zahlen. Um das Gesetz entsprechend zu ändern, hat die Politik bis zum 30. Juni 2020 Zeit. Wer nicht so lange warten möchte, kann eine Befreiung beantragen.
  • Die Rundfunkgebühr ist keine Steuer.
  • Es ist okay, sie an die Wohnung zu knüpfen – auch wenn das bedeutet, dass Singles genauso viel zahlen wie eine 10er WG.
  • Auch die anteilige Gebühr, die Betriebe für ihre Standorte und Autos zahlen, geht in Ordnung.

Ein juristendeutsch-neutrales, aber verständliches FAQ hat zudem Frank Bräutigam für tagesschau.de erstellt.

BVerfG-Urteil: Die Echauffierten

Und jetzt: Männer, denen Rauchwolken aus den Ohren steigen, weil sie die Dreistigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, seines gut laufenden Erlösmodells sowie das diesen Status Quo bestätigende Urteil einfach nicht ertragen können.

Ganz oben auf der Palme sitzt Torsten Krauel, Chefkommentator bei Springers Welt und sowas von echauffiert, dass sich eine vollständige Lektüre seines Chefkommentars lohnt. An dieser Stelle nur ein Auszug, der sich an der Aussage der Richter aufhängt, die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender sei vielfältig.

"Der Autor dieses Kommentars ist parteigebunden, er ist bei einem privaten Medienkonzern angestellt, das gehört unbestritten ins Bild – aber WELT bietet bei dem aktuellen Streitthema Asyl mit Sicherheit ein vielfältigeres Meinungs- und Informationsbild als die Öffentlich-Rechtlichen.

Wenn die Vielfalt konstitutive Mitbedingung für die Haushaltsabgabe ist – dann bitte muss Schluss sein mit den öffentlich-rechtlichen Attacken auf die AfD und verwandte Gruppierungen. Dann muss Schluss sein mit der Praxis, in politische Talkshows keine AfD-Vertreter einzuladen, oder nur selten. Dann mögen die Öffentlich-Rechtlichen diese Konsequenz auch wirklich ziehen."

Die Beweise für die hier "mit Sicherheit" vorgetragenen Dinge würde ich gerne mal sehen. Noch verstörender als dieser Brustton der Überzeugung ist aber aus meiner Sicht Krauels Schulterschluss mit der AfD.

Geradezu emotionslos wirkt dagegen, was Michael Hanfeld zum Urteil zu sagen hat. Schon gestern Nachmittag bei faz.net kam er zu dem Schluss, es sei

"durch und durch wirklichkeitsfremd – so wirklichkeitsfremd und logisch angreifbar wie fast alle Entscheidungen zum Rundfunkbeitrag, die in den vergangenen Jahren vor Verwaltungsgerichten und Landesverfassungsgerichten gefallen sind."

"(N)achgerade komisch" sei etwa, dass das Gericht den Betrieben die Möglichkeit, Kunden und Mitarbeitern Radio oder Fernsehen einzuschalten, als ihren Vorteil verkaufte.

"Mit anderen Worten: Im ganzen Land, allüberall, in Büros, Werkstätten, Supermärkten oder auf dem Bau, läuft von morgens bis abends irgendein Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dass dies die Beschäftigten von der Arbeit abhalten, Betriebsabläufe behindern oder geradezu gefährlich sein könnte, kommt den Richtern nicht in den Sinn."

Im Print auf seiner Medienseite () fragt er sich zudem, warum ausgerechnet Menschen mit Zweitwohnung nicht doppelt zahlen müssen, wenn es doch "sowieso schon alle" (im Sinne von: Menschen mit Wohnung und Betrieb) tun.

"In dem Punkt soll­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt viel­leicht noch ein­mal nach­ar­bei­ten. Wenn schon wirk­lich­keits­fremd, dann doch bit­te kon­se­quent."

Geradezu subtil verpackt hingegen Heinrich Wefing bei Zeit Online seine Kritik, wenn er am Schluss seiner Analyse meint:

"Das heutige Urteil sichert den Rundfunkanstalten die Finanzierung. Aber es garantiert ihnen nicht das Vertrauen der Bürger. Das müssen sie sich jeden Tag erarbeiten. Das Geld dafür haben sie jetzt sicher, ziemlich reichlich sogar."

Ich frage mich ja immer, ob sich aus der Hassintensität gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern Rückschlüsse auf die ökonomische Verfasstheit eines Verlages ziehen lassen? Demnach müsste die Süddeutsche Zeitung in Einhornland leben – und damit zu den Kommentatoren, die dem Urteil Gutes abgewinnen können.

BVerfG-Urteil: Die Beruhigten

Dazu gehört Wolfgang Janisch, der ebenfalls schon gestern bei sueddeutsche.de erklärte, das Ergebnis sei

"zwar nicht unbedingt verfassungsrechtlich zwingend, aber es ist gesellschaftspolitisch richtig – jede andere Lösung hätte den Streit um das öffentlich-rechtliche System ohne Not aufs Neue entfacht".

So sieht das auch in der heutigen Printausgabe auf der Meinungsseite (derzeit nicht online) Laura Hertreiter, die zudem die Bedeutung von Journalismus durch das Urteil betont sieht.

"Es ist eben nicht egal, woher eine Nachricht stammt, die ins Netz gespült wird – ob von einem anonymen Blogger oder dem ZDF, das seit Jahren eine eigene Abteilung zur Verifizierung von Nachrichten, Bildern und Videos betreibt. Und auch wenn Geschenk schöner klingt als Gebühr: Journalismus kostet – das gilt nicht nur für das öffentlich-rechtliche Programmangebot. Im Grunde wissen das auch diejenigen, die über den 'Tatort' schimpfen, aber 'Tagesschau'-Eilmeldungen auf dem Smartphone empfangen. Oder jene Gebührenkritiker, die sich die Verkündung des Karlsruher Urteils live auf Phoenix anschauten."

Und, da wir gerade bei kleinen Seitenhieben Richtung Kritiker sind, noch einmal Janisch:

"Zwar kann man die ARD und noch deutlicher das ZDF mit guten Gründen wegen der Verflachung des Programms durch allzu seichte Unterhaltung kritisieren oder wegen einer kreativfeindlichen Bürokratie. Aber darum ging es in diesem Verfahren nicht, es ging allein um eine eventuelle Nachjustierung eines vergleichsweise moderaten Beitrags. Dafür eine Grundsatzdebatte anzuzetteln, das hätte niemand verstanden."

BVerfG-Urteil: Die "Ja, aber"-Sager

Die beiden Extreme sind behandelt. Können wir zum größten Team der Verarbeitenden des Urteils kommen. Es sind diejenigen, die das System an sich begrüßen, aber dennoch Reformbedarf sehen. (Zählen Sie mich ruhig dazu).

Beginnen wir mit dem allgemeinen Ruf nach Erneuerung, den Harry Nutt in der Frankfurter Rundschau formuliert:

"Der technokratisch geprägte Geist in den Sendern hat die Gebührenreform von 2013 vor allem als Fundament der Existenzsicherung verstanden. Es sollte nun darauf ankommen, die Regieanweisung aus Karlsruhe als Anstoß für eine kreative Erneuerung aufzufassen, die im Dienst der Abbildung von gesellschaftlicher Komplexität steht. Strategen populistischer Vereinfachung gibt es derzeit genug."

Geht das nicht konkreter? Durchaus, durchaus.

"Es ist in der Tat nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, die Medienlandschaft in Deutschland neu zu zeichnen, auch wenn es maßgeblich daran mitgewirkt hat, diese zu erschaffen. Das ist eine politische Frage",

schreibt Reinhard Müller auf der FAZ-Titelseite im Leitartikel (). Als einen Schritt in die richtige Richtung erklärt er daraufhin die noch durch die Länderparlamente zu bestätigende Reform des Telemedienauftrags (Altpapier), die ARD und ZDF u.a. Textlastigkeit im Internet austreiben möchte. Müller:

"Nötig ist keine öffentlich-rechtliche Zeitung im Netz, sondern Freiheit für die freie Presse."

Worüber ich mich jetzt schon wieder aufregen könnte, denn es klingt wie ein "Entweder - oder", und wann erreicht deutsche Verlage eigentlich die Einsicht, dass das öffentlich-rechtliche System eher so ein mittelkleines Problem darstellt im Vergleich zu abwandernder Aufmerksamkeit und Werbeeinnahmen, an denen sich nur beispielsweise Google und Facebook erfreuen? Doch ich schweife ab bzw. hiermit zurück zu noch konkreteren Vorstellungen – Kurt Sagatz im Tagesspiegel:

"Die Intendanten der Sender sind gut beraten, das Urteil nicht zu ausgelassen zu feiern. Es hält zwar trotz der Korrektur an den Grundsätzen der Finanzierung fest, dass heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass die Sender daraus weitere Forderungen ableiten können. Die Rundfunkkommission der Länder hat den Sendern bereits mitgeteilt, dass die von ARD, ZDF und Deutschlandradio vorgeschlagenen Sparanstrengungen nicht ausreichen. Diesen Druck muss die Politik aufrecht erhalten. Vorschlägen von Senderseite, den Beitrag automatisch per Inflationsausgleich zu erhöhen, ist zu widersprechen."

Bei der Politik ist dieser Wunsch angekommen, wie die rheinland-pfälzische Staatssekretärin und Länder-Medienpolitik-Koordinatorin Heike Raab im Gespräch mit Stefan Fries bei "@medieasres" formuliert:

"Wir sind mitten in einem Reformprozess und das seit 2016. Auftrag und Struktur müssen in der digitalen Welt weiterentwickelt werden und wir haben von den Anstalten einige Sparvorschläge, Reformvorschläge vorgelegt bekommen im September des letzten Jahres. Die sind als erster wichtiger Schritt von uns immer eingestuft worden, aber wir Länder sind grundsätzlich auch in der Diskussion, wie der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiterentwickelt werden muss."

Auf der anderen Seite darf sich ruhig auch der Rundfunk selbst ein paar Gedanken machen, wie er mit nun zugesicherter ökonomischer Sicherheit etwas für mehr Akzeptanz beim Beitragszahler tun kann. Meint zumindest Lutz Hachmeister, interviewt von Mario Dobovisek für den Deutschlandfunk:

"Aber ich glaube, dass das Gericht da so undercover einen kleinen Hinweis gegeben hat, dass die Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schon die ist, etwas zu produzieren, etwas zu senden, was der Markt ansonsten nicht hergibt. Das bedeutet nicht, nur Nischenprogramme zu machen, aber sich doch etwas stärker darauf zu konzentrieren, das zu tun, was kommerzielle Anbieter nicht leisten können oder wollen."

Gerade das sieht BR-Intendant und ARD-Vorsitzender Ulrich Wilhelm jedoch anders, wie ein Interview mit Hans Hoff für sueddeutsche.de zeigt, in dem er sagt:

"Wenn wir wirklich für die Demokratie wesentlich sind, wie es Vizepräsident Ferdinand Kirchhof formuliert hat, dann können wir diesen Auftrag nicht in einer Nische erfüllen, sondern müssen über die ganze Breite unserer Angebote das Gesamtpublikum erreichen."

Der Streit um den Rundfunkbeitrag ist tot. Es lebe der Streit um den Rundfunkbeitrag! Ihn weiter als Zwang, Steuer und GEZ zu bezeichnen ist dabei jedoch ebenso wenig hilfreich wie sich zurückzulehnen und zu glauben, es ginge einfach weiter so.

Altpapierkorb (Henkes Dementi, Hitlers Tagebücher, Birgits Zeitschrift)

+++ Seinen Job ist er los (Altpapier), jetzt kämpft Gebhard Henke, nun ehemaliger Fernsehspielchef des WDR, um seinen Ruf. "Es gab keine Übergriffe, keine sexuellen Annäherungen, gar noch verbunden mit dem Versprechen, das Eingehen auf meine angeblichen Avancen mit Jobs zu belohnen", sagt er im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit (online für Abonnenten, als Vorabmeldung sowie als Zusammenfassung bei DWDL und Meedia) – und damit dem gleichen Medienhaus, das im Mai sehr konkrete Vorwürfe gegen Henke, vorgetragen von Charlotte Roche, veröffentlicht hatte.

+++ Das Nachrichtenmagazin (???) Stern will die gefälschten Hitler-Tagebücher ausstellen, hat Chefredakteur Christian Krug ebenfalls der Zeit erzählt. "Sie fühlen sich noch billiger an, als sie auf Fotos aussehen. Wie ein Klingelschild in einer Reihenhaussiedlung. Das hätte einen doch stutzig machen können!"

+++ "Man kann über Kotze nicht berichten wie über ein misslungenes Tellergericht. Man muss sagen, dass es Kotze ist." Meint Sascha Lobo in seiner Spiegel-Online-Kolumne und kritisiert damit die "Wir tun, als sei es essbar und okay"-Berichte deutscher Medien über Donald Trump.

+++ "Ich gestehe eine gewisse Eifersucht in Richtung Silicon Valley oder anderer digitaler Hubs, in denen ein kleines Samenkorn gesät wird und ein ganzes Biotop daraus erwächst. Wir gießen manchmal Wasser in die Wüste. Ich sehe darin aber auch eine reizvolle Herausforderung. Denn es gibt ja Oasen." Das ist nur der Einstiegsabsatz eines langen Interviews, das Mathias Döpfner Georg Altrogge und Marvin Schade von Meedia zum Journalismus im Allgemeinen und das von ihm geführte Auch-noch-was-mit-Medien-Unternehmen im Speziellen gegeben hat.

+++ Zuletzt eine wichtige Durchsage für alle, die bei Zeitschriften mit Prominenten-Namen auf dem Laufenden bleiben wollen: Burda setzt auf Birgit. Schrowange, der Vollständigkeit halber.

Frisches Altpapier gibt es morgen wieder.