Das Altpapier am 20. November 2018 Die Inszenierung von Pressefreiheit

Jim Acosta hat seine Akkreditierung zurück, steht aber in der Kritik. Tut er der freien Presse mit seiner Show vielleicht doch keinen Gefallen? Das wäre die eine wichtige Frage heute. Eine weitere ist: Hat der NDR ein Rückenproblem? Und eine dritte: Kann Facebook den Lokaljournalismus retten? Ein Altpapier von Ralf Heimann.

Nach einer Klage seines Senders CNN hat Jim Acosta seine Akkreditierung für das Weiße Haus zurückerhalten (Altpapier). Auf den ersten Blick beginnt der Tag heute also mit einer guten Nachricht. Doch dann liest man die Meldung auf ZDF.de weiter, und im folgenden Absatz kommt auch schon der Dämpfer, denn dort steht:

"Allerdings müssen Acosta und seine Kollegen sich fortan an bestimmte Regeln halten. So dürfen Journalisten eine einzelne Frage stellen, wenn sie aufgerufen würden. Es bleibe dem Präsidenten oder anderen Vertretern des Weißen Hauses vorbehalten, ob der jeweilige Journalist Folgefragen stellen dürfe. Danach müsse das Mikrofon abgegeben werden."

In Gedanken entfaltet sich der Text auch nach dem Lesen noch etwas weiter.

"Ihre Frage können die Journalisten eine Stunde vor Beginn der Pressekonferenz in Zimmer B12 des Weißen Hauses nach Vorlage ihres Presseausweises abholen."

Doch noch ist das eine absurde Fantasie. So weit wird es vermutlich erst in einem halben Jahr kommen. Bis dahin können wir uns mit der Frage beschäftigen, ob Jim Acosta sich und seinen Kollegen durch seine öffentlichkeitswirksam ausgetragenen Auseinandersetzungen mit Donald Trump nicht einfach nur Stöcker zwischen die Beine wirft. So lautet nämlich der Vorwurf.

Nina Rehfeld schreibt auf der FAZ-Medienseite (45 Cent bei Blendle):

"Wiewohl die einstweilige Verfügung weithin als Sieg für die Pressefreiheit interpretiert wird, debattiert man in den Medien auch, inwiefern Acostas überaus sendungsbewusste Haltung dem Auftrag einer freien Presse eher schade. Der CNN-Mann, seit Anfang 2018 Chefkorrespondent des Trump besonders verhassten Nachrichtensenders, hat sich auch unter Kollegen einen Ruf als 'Showboat' gemacht; als einer also, der das Rampenlicht ausgiebig zur Selbstdarstellung nutzt. Dass nun ausgerechnet Donald Trump von der amerikanischen Presse 'Anstand' und angemessenes Verhalten einfordern kann, dafür hat Acosta in manchen Augen die Vorlage geliefert."

Man kann dem allerdings auch noch eine andere Perspektive entgegenhalten. Indem Journalisten das Spiel mitspielen und brav Fragen stellen, die beim Präsidenten möglichst nicht zu Wut oder Verstimmungen führen, geben sie der US-Regierung erst die Möglichkeit, die Illusion von Pressefreiheit erfolgreich weiter zu inszenieren.

Es sieht aus wie eine Pressekonferenz. Es hört sich an wie eine Pressekonferenz. Aber es ist keine, wenn die Journalisten nicht damit rechnen können, dass ihre Fragen wahrheitsgemäß beantwortet werden. Man kann das, was Jim Acosta nun als Selbstinszenierung zur Last gelegt wird, auch als Sabotageakt verstehen, der erst sichtbar macht, wie weit die Grenzen der Freiheit sich bereits verschoben haben.

Unterschwellige Anti-AfD-Botschaften

Die Vermutung, dass dies auch in Deutschland in vorauseilender Weise längst passiert sein könnte, nährt nun seit dem Wochenende ein weißer Fleck auf einem Magnetboard im Hintergrund einer Szene im Polizeiruf von vorletzter Woche. Dort war bei der Ausstrahlung des Krimis noch ein Anti-AFD-Aufkleber zu sehen. Wenn man sich den Film nun in der ARD-Mediathek anschaut, ist der Aufkleber verschwunden. Was ist passiert?

Der NDR gibt an, man habe den Aufkleber nach einer Presseanfrage entfernt.

"In Filmen mit einer frei erfundenen Handlung ist es üblich, keine real existierenden Parteinamen zu verwenden",

hat eine Sprecherin des Senders der dpa erklärt (hier etwa zu lesen).

War es also richtig den Aufkleber zu entfernen? Jürn Kruse findet, nicht. In der taz schreibt er, es sei "scheißegal, welche Partei in welchem Film angegriffen wird: Das ist Fiktion, das ist Kunstfreiheit."

Bei der ARD vermutet er ein sehr elastisches Rückgrat:

"Doch statt auf die Kunstfreiheit zu verweisen, knickt die ARD ein. Es ist und bleibt ebenjene ARD, deren IntendantInnen sich im vergangenen Jahr nicht zu einer gemeinsamen Aktion für die Freilassung des damals noch in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel durchringen konnten. Haltung wird von den einen gepredigt, Wirbellosigkeit von den anderen präsentiert."

Ich befinde mich nun in der blöden Situation, in einer Kolumne für einen öffentlich-rechtlichen Sender die Argumentation des NDR stützen zu wollen, womit ich mir möglicherweise den Vorwurf einhandle, dass wir hier alle unter einer Decke stecken.

Aber um die Sache wenigstens ein bisschen zu entkräften: Wenn es um die nicht zustandegekommene Aktion für Deniz Yücel geht, bin ich vollkommen einer Meinung. Im aktuellen Fall sehe ich allerdings auch dort Haltung, wo der Sender sich auf Prinzipien beruft, die dann, so finde ich, für alle Parteien gelten sollten.

Ob das in der Vergangenheit immer der Fall gewesen, kann ich nicht sagen. Aber den Vorwurf zu entkräften, man versuche den Zuschauern unterschwellig Anti-AfD-Botschaften unterzujubeln, halte ich für klüger, als sich in einem Fall, in dem man offenbar gegen eigene Prinzipien verstoßen hat, auf die Kunstfreiheit zu berufen.

Außerdem muss man diese Botschaften gar nicht unterschwellig streuen, man kann das sogar bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ganz offen tun. Ich persönlich zum Beispiel würde Ihnen raten: Wählen Sie die AfD nicht, denn ich halte sie für eine demokratiefeindliche Partei.

Nicht reflexhaft, sondern reflektiert

Damit wären wir auch schon bei der neuen Studie der Otto-Brenner-Stiftung mit dem Titel "AfD und die Medien – Erfahrungen und Lehren für die Praxis", über die unter anderem Kurt Sagatz im Tagesspiegel berichtet. Autor der Studie ist Bernd Gäbler, Medienwissenschaftler aus Bielefeld und früher Chef des Grimme-Instituts.

Und nun gleich zu den Ergebnissen. Kurt Sagatz schreibt:

"'Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Berichterstattung über die AfD besonders in den überregionalen Medien etwas besser geworden ist‘, sagte Gäbler bei der Vorstellung der Studie. Es werde weniger unfreiwillige PR für die AfD gemacht, zudem werde kontinuierlicher und weniger sprunghaft berichtet. Statt reflexhaft auf Äußerungen von AfD-Politikern zu reagieren, gebe es mehr Reflexion, also die bewusste Entscheidung, was berichtenswert ist und wie die Themen eingeordnet werden."

Ein gutes Beispiel für diese nicht reflexhafte, sondern reflektierte Berichterstattung ist übrigens die aufgrund des Lindenstraßen-Specials im Altpapier gestern noch nicht zum Zuge gekommene von sechs Reportern recherchierte Seite-drei-Reportage in der SZ vom Montag (€), in der es um die Hintergründe der AfD-Spendenaffäre geht.

Nicht so gut schneiden in der Studie Lokalzeitungen ab. Gäbler hat vor allem zwei in den Blick genommen, die Oberhessische Presse und die Nürnberger Nachrichten.

"Bei beiden Zeitungen ist die Politikberichterstattung stark zentralisiert, die Mantelteile werden von Redaktions-Netzwerken zugeliefert. In der Folge findet eine analytische Auseinandersetzung mit der AfD, deren Personal und Programm auf lokaler Ebene kaum noch statt."

Aber das ist kein Phänomen, auf das man nur in Hessen und Bayern stößt, sondern inzwischen eine Charaktereigenschaft vieler regionaler Agenturnachrichten-Aggregatoren, Entschuldigung, Zeitungsverlage.

Darauf weist auch Frank Überall hin, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, der im Text von Kurt Sagatz ebenfalls zu Wort kommt.

"Das Problem sei nicht auf die beiden untersuchten Blätter beschränkt, inzwischen seien viele Redaktionen personell ausgedünnt. Für eine angemessene Berichterstattung über die AfD brauche es aber Zeit und anständige Arbeitsbedingungen. Dies müsse jedoch nicht nur den Medienhäusern bewusst gemacht werden, sondern auch der Gesellschaft, sagte der Gewerkschaftsvertreter mit Blick auf die Umsonst-Kultur im Internet."

Wobei mir nicht ganz klar ist, ob das Wort "Umsonst-Kultur" ein Zitat ist oder eine Beschreibung, die Sagatz hier angefügt hat. In jedem Fall halte ich es vor allem für eine irreführende Behauptung, die das kollektive Versäumnis einer Branche wie einen unveränderlichen Umstand aussehen lässt, der durch eine kulturelle Fehlentwicklung verursacht wurde. Die vermeintliche "Umsonst-Kultur" befeuern Verlage allerdings auch weiterhin, indem sie ihre Preise im Netz an ihren überteuerten Print-Produkten orientieren und den Kunden die Bezahlung so schwer wie möglich machen.

Die verhinderte Vierte Gewalt

Bleiben wir beim Thema und blicken über den Atlantik. Peter Weissenburger hat am Samstag in der taz-Serie zur Printkrise in den USA über die Online-Zeitung "Texas Tribune" geschrieben. Auch diesen Text habe ich möglicherweise dem Lindenstraße-Special gestern zu verdanken.

Der Artikel behandelt ein grundsätzliches Problem von Journalismus in seiner Funktion als Vierte Gewalt.

"Weil profitorientierte Medienunternehmen immer mehr auf klickbaren Content achten, leidet die regelmäßige Berichterstattung – die dokumentarische Arbeit, die Journalist*innen in den Hauptstädten der Bundesstaaten, in Stadtverwaltungen und Gerichten leisten. 'Accountability Journalism' heißt das in den USA. 'Accountability' von 'Rechenschaft'. Selten sind das die spannendsten und preisverdächtigsten Texte, aber es sind mit die wichtigsten."

Das Modell sieht nun so aus, dass die Zeitung sich durch Spenden finanziert. Eine Million Euro sind so zusammengekommen. Ein Problem ist möglicherweise, dass die Spenden auch von örtlichen Unternehmen kommen, denn ob es nun Anzeigenkunden oder Spender sind, an deren Tropf die Zeitung hängt, macht wahrscheinlich keinen Unterschied, wenn es um die Frage geht, was in der Zeitung stehen darf und was nicht.

Über Modelle dieser Art liest man zurzeit öfter. Guardian-Chefredakteurin Katharine Viner hat vor einer knappen Woche verkündet, dass ihre Zeitung dank der Unterstützung von einer Million Lesern wirtschaftlich wieder auf einem guten Weg sei. Und ein bisschen Ähnlichkeit hat auch das Programm, das Facebook sich überlegt hat, um zu verhindern, dass in Zukunft in Großbritannien in ehemaligen Verbreitungsgebieten von verschwundenen Lokalzeitungen nur noch langweilige Selfies, Katzenwitze und russische Propaganda durch die Timelines gondeln. Das Unternehmen will 4,5 Millionen Pfund spenden, um 80 Lokalzeitungsjobs zwei Jahre lang zu finanzieren, wobei es sich um "community journalists" handeln soll, was ich so interpretieren würde, dass sie ihre Recherchen und Berichte dann vor allem bei Facebook veröffentlichen sollen. Das geht aber, wenn ich nichts überlesen habe, nicht aus dem Artikel hervor. Das Problem dabei wird aber schon benannt:

"Charlie Beckett, professor of media at the London School of Economics, broadly welcomed the idea but warned newspaper groups could become dependent on the Facebook cash. He said such a move would change the relationship between publishers and the tech company."

Was das bedeuten würde, kann man überall dort beobachten, wo man das Wort "Medienpartnerschaft" in der Zeitung liest. Das bedeutet nämlich meistens: unkritische Berichterstattung gegen Geld.

Ungefähr das sagt auch der Tübinger Medienprofessor Bernhard Pörksen in einem sehr lesenswerten Interview in der Eßlinger Zeitung:

"Studien zeigen: Je abhängiger der Journalismus, desto korruptionsanfälliger eine Gesellschaft – einfach weil die Instanz der Beobachtung und der legitimen Skandalisierung fehlt." 

Und er erklärt auch, warum die Idee der Tageszeitung bei allem Staub und Modergeruch gesellschaftlich vielleicht doch wichtiger sein könnte, als viele denken, die sich in das Internet verliebt haben: 

"Die Tageszeitung hat, so altmodisch das Medium manchen auch erscheinen mag, einen besonderen Charme: Sie liefert gebündelte Information, überrascht, weil man findet, wonach man nicht gesucht hat. Und sie ist, so würde ich sagen, idealerweise eine Art Spagat-Medium, bringt also Menschen und Milieus einander näher, die sonst gar nicht in Kontakt kämen. Dies ist in Zeiten aggressiver Polarisierung ganzer Gesellschaften wichtiger denn je."


Altpapierkorb (ein Rechtsinfluencer in Erklärungsnot, ein TV-Sender der Liebe und ein Nachruf ganz ohne Häme)

+++ Karsten Schmehl hat für Buzzfeed Deutschland den "Rechtsinfluencer" Henryk Stöckl interviewt, der sich selbst "mal ungelernter Privat-Journalist, mal Aktivist, mal neutraler Berichterstatter, mal Kommentator" nennt, dessen Spezialgebiet aber im Grunde einfach Hetze und Falschmeldungen sind. Auf die Frage, woher er denn wisse, dass es sich bei der Vergewaltigung neulich in Freiburg um die "größte Gruppenvergewaltigung des Jahrzehnts" handle, sagt Stöckl denn auch: "Also, diese Frage, die lassen wir mal lieber raus."

+++ Der Sender Tele5 stellt gerade sein neues Programm vor. Das würde ich hier gar nicht erwähnen, wenn Senderchef Kai Blasberg auf seiner PR-Tour nicht den wahrscheinlich extra fürs Interview gedichteten Satz gesagt hätte: "Tele 5 ist ein letzter kleiner Ort der Liebe inmitten des eiskalt gewordenen TV-Geschäfts." Oder in anderen Worten: Der kleine Sender Tele5 möchte gern aus dem Fernsehgeschäft abgeholt werden.

+++ Eine Petition gegen die geplanten Upload-Filter hat zwar noch nicht viel erreichen können, aber sie hat immerhin schon einen Rekord gebrochen. Mehr als zwei Millionen Menschen haben unterschrieben, berichtet Futurezone.

+++ Jugendliche machen es einem auch nicht leicht. Einerseits können sich sie das Leben ohne Internet nicht vorstellen. Nach einer repräsentativen Studie des Bundesfamilienministeriums des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit, über die unter anderem das ZDF berichtet, geben sogar über zwei Drittel der Jugendlichen an, das Internet mache sie glücklich. Andererseits wollen sie in Zukunft weniger online sein. Es ist wie verhext.

+++ Zwischendurch eine Personalie: Jürn Kruse leitet das Medienressort der taz in Zukunft zusammen mit Saskia Hödl, wie unter anderem Turi2 berichtet.

+++ Apple-Chef Tim Cook ist für mehr Datenschutz. Ich gehe davon aus, dass Sie den ersten Satz jetzt schon zwei Mal gelesen haben, aber es stimmt wirklich. Ich schwöre. Im Interview mit der Nachrichtenseite Axios sagt er: "'I'm a big believer in the free market. But we have to admit when the free market is not working. And it hasn't worked here. I think it's inevitable that there will be some level of regulation,' Cook added. 'I think the Congress and the administration at some point will pass something.'" Spiegel Online liefert eine Zusammenfassung.

+++ Der Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia steht kurz vor der Aufklärung, berichtet Matthias Rüb auf der FAZ-Medienseite (45 Cent bei Blendle).

+++ Einen Text, der sich von den übrigen Nachrufen auf den am Wochenende gestorbenen Auswanderer Jens Büchner wohltuend abhebt, hat Imre Grimm fürs Redaktionsnetzwerk Deutschland geschrieben. "Er wurde Dauergast im Trash-Zirkus – im Dschungelcamp, im 'Sommerhaus der Stars', als selbstironischer Schlagersänger ('Arme Sau') –, weil er perfekt das repräsentierte, was seine Zielgruppe in der Tiefe eint: der Kampf gegen alle Stöcke in den Speichen des Lebens, zur Not auch unter Nichtwahrung der eigenen Würde. Büchner, der "Jenser", war ein irrlichternder Chaot, der als Leitstern im Leben am Ende nur noch ein Licht kannte: das der Scheinwerfer. Als er sich dann auch noch das Logo des TV-Kanals auf den Arm tätowieren ließ, war das wie ein Eingeständnis: Ich bin euer Geschöpf. Ich bin eine Vox-Figur. Vox brauchte ihn, er brauchte Vox und beide zusammen das Publikum. Auch 'Mallorca-Jens' muss gespürt haben: Niemand ist eine Insel."

+++ Wenn Lokalzeitungsrecherchen es beim Henri-Nannen-Preis in die engere Auswahl schafften, dann waren die Nominierungen meistens das Äußerste, was zu erreichen war, weil die Bedingungen unter denen die Reportagen entstehen, sich doch sehr von denen unterscheiden, unter denen ähnliche Geschichten bei überregionalen Zeitungen oder Magazinen entstehen. Deshalb soll es in Zukunft auch einen Preis für investigative Leistungen in der Regionalpresse geben, wie unter anderem Meedia berichtet.

Neues Altpapier gibt's am Mittwoch.