Das Altpapier am 4. Dezember 2018 Medienpreise sterben nie

... sondern werden immer mehr. Kaum wurden die Reporterpreise vergeben, kommt "Deutschlands 'Medien-Oscar'" auch wieder zum Vorschein. Der "Digital-Gipfel" steht ein bisschen im Schatten anderer Gipfel. Gelegenheit zu schauen, was aus der "wichtigsten Digitalveranstaltung in Deutschland" wurde. Und sollte Joseph Beuys' Begriff "Soziale Plastik" oder eher das Achtzigerjahre-Adjektiv "faschistoid" wiederbelebt werden? Ein Altpapier von Christian Bartels.

Eines der nicht sehr zahlreichen klassischen Medien-Genres, denen es blendend bis glänzend geht: Medien-Preise, also meist von und oft auch an Medien vergebene Preise. Am gestrigen Montagabend wurde in Berlin der #Reporterpreis verliehen, bzw. wurden Preise in den Kategorien "Sportreportage", "Wissenschaftsreportage", "Freier Reporter", "Lokalreportage", "Hauptstadt-Preis", "Investigation", "Datenjournalismus", "Multimedia" "Web-Video", "Kulturkritik", "Essay", "Interview" und natürlich "Reportage" vergeben. Viele herzliche Glückwünsche!

"Aus den 1864 eingereichten Arbeiten haben die 110 Vorjuroren in den 13 Kategorien insgesamt 142 Texte und Projekte nominiert", umschreibt reporter-forum.de die Vorarbeiten und nennt natürlich auch sämtliche Preisträger. Falls Sie ein bisschen Zeit zum Lesen mitgebracht haben: Zu zehn der dreizehn Kategorien stehen ebd. "Alle nominierten Texte zum Lesen" als zwischen 89 und 332 Seiten ("Die 15 nominierten Recherchen in der Kategorie 'Investigation'") starke PDF-Reader zum Download bereit.

Am Freitag ging das Fernsehfilmfestival zu Baden-Baden zu Ende, bei dem Steffen Grimberg für die taz "nicht ganz den Eindruck loswurde, dass die Jüngeren ihre mutigen, kritischen Sätze nach einem Blick über die im Saal versammelten Sender-RedakteurInnen wieder ein kleines bisschen zu entschärfen versuchten", und zwar mit der Preis-Verleihung. Wobei diese Preise nicht zu verwechseln sind mit denen der Deutschen Akademie für Fernsehen, die auch am Freitag, aber in Berlin vergeben wurden. Wobei diese DAfF-Preise wiederum nicht mit dem Deutschen Fernsehpreis zu verwechseln sind, der zwar mal von der prallvollen Agenda verschwunden war, aber inzwischen wieder drauf steht (jedoch erst im Januar; inzwischen übrigens mit einer Jury, in der keine Fernsehkritiker mehr vertreten sind – was beim paritätischen Verteilen der Preise unter den Ausrichtern, allen Fernsehsendern, durchaus helfen könnte).

Zurück zur Tagesaktualität: Noch so ein vorübergehend untoter Medienpreis kündigte gestern so überraschend wie zeitnah seine Auferstehung nach nur "einjähriger Pause" (meedia.de) an: "Deutschlands 'Medien-Oscar'" (horizont.net), die "Lead-Awards", bei denen immerhin jeder auf Anhieb versteht, warum ein doofer Anglizismus oft doch noch die vergleichsweise harmloseste Lösung ist. Ausrichter Markus Peichl hat einen prominenten Sponsor aus der Automobilindustrie gefunden. "Weitere Sponsoren sind unter anderem der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung, die FAZ, die Zeit und die DuMont Mediengruppe", zählt meedia.de auf. Die Spannung, ob in dieser illustren Runde womöglich bereits einzelne Preisträger-Medien stecken, muss nicht mehr sehr lange ausgehalten werden. Schon in genau einer Woche wird die Veranstaltung in Hamburg steigen. Was also heißt, dass die auch nicht unumfangreichen Vorarbeiten (leadacademy.de: "Eine zwölfköpfige Vorjury screent die kompletten Jahrgänge von rund 450 Magazintiteln, rund 70 Zeitungstiteln und rund 200 Onlineangeboten. Sie trifft eine Vorauswahl, die anschließend einer 30-köpfigen Expertenjury zunächst zur Entscheidung über die Nominierungen und anschließend über die Preisvergabe vorgelegt wird") längst laufen.

Außer für die Beteiligten und die dann Prämierten ist die Sache auch gesamtgesellschaftlich schön, schließlich soll sie "vor dem Hintergrund von Fake-News-Debatte, Manipulationsvorwürfen und Hate-Post-Eskalationen als notwendiges Signal zur Stärkung einer freien, unabhängigen, couragierten Presse" fungieren:

"'In Zeiten, in denen Journalisten und Blattmacher angegriffen werden, in denen ihre Rolle in Frage gestellt und ihre Lauterkeit angezweifelt wird, halten wir es nur für logisch, sie als Personen in den Vordergrund zu rücken, sie persönlich auszuzeichnen und ihnen damit persönlich für ihre Leistung und Beharrlichkeit zu danken', sagt Markus Peichl, der die LeadAwards seit 18 Jahren leitet",

teilt die Academy mit. Ob es den von vielen Seiten auf ganz unterschiedliche und oft heftige Weise angegriffenen Medien außerhalb der Medienblase schnell viel hilft, wenn sie sich in kürzester Zeit sehr viele Preise mit pompösen Attributen verleihen, wird spannend zu beobachten sein.

Schalten wir noch rasch nach Schorndorf, wo am Sonntag der Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit vergeben wurde (Thema meiner aktuellen evangelisch.de-Medienkolumne). Über diesen Preis, der das Aufmerksamkeits-Manko hat, dass ihn nicht einheimische Leitmedien (oder Prominente) bekommen, sondern in diesem Jahr Journalistinnen aus Bosnien und dem Südsudan, berichten aktuell die Waiblinger und die Stuttgarter Zeitung. Es handelt sich – und das ist alles andere als normal im deutschen Lokaljournalismus – um unterschiedliche Berichte.

Auf dem Digitalgipfel ist Luft nach oben

Gestern war und heute ist noch deutscher Digitalgipfel in Nürnberg. Unten im Tal springt die Veranstaltung vielleicht noch nicht sehr ins Auge. Schließlich buhlen außerdem derzeit auch der noch viel existenziellere UN-Klimagipfel in Kattowitz, der deutsche Dieselgipfel und natürlich der G20-Gipfel (bzw. womöglich erzielte Ergebnisse) um die Aufmerksamkeit. Höchstens etwas erstaunlich, dass der Auftritt Horst Seehofers, den sich deutsche Medien eigentlich selten entgehen lassen, kaum mehr Aufsehen als ein paar dürre dpa-Zeilen erregte. Selbst die Nürnberger Nachrichten fahren lieber auf Doro Bärs Flugtaxi ab (inkl. nettem Chefredakteurs-Videointerview mit der leibhaftigen Digital-Staatsministerin).

Jedenfalls ist der Digitalgipfel eine bundespolitische Veranstaltung. Die vom Wirtschaftsministerium bereitgestellte "Mediathek des Digital-Gipfels" gibt einen brillanten Eindruck außer den Vorzügen der deutschen Digitalpolitik auch von der Luft, die noch nach oben bleibt.

Der Widerschein in den sog. soz. Medien ist schön divers. Zwar kritisierten wichtige Twitterinnen, fast schon erwartungsgemäß, das "Heer schwarzer Anzüge", lobten aber andererseits auch "Endlich mal viele Frauen auf dem Podium".

Größere Bilanzen werden wahrscheinlich erst gezogen, wenn der "Kurzbesuch" der Bundeskanzlerin (die schließlich auf allen Gipfeln vorbeischauen muss) absolviert sein wird. Das gibt an dieser Stelle Gelegenheit zu noch einem Blick auf die lange Zeit "wichtigste Digitalveranstaltung in Deutschland", die vergangene Woche sang- und klanglos eingegangen ist, weil sie "die eigene digitale Transformation nicht geschafft" hat.

Sascha Lobo widmete der Cebit, für die er einst einige Jahre "intensiv" und "fast ausschließlich mit Freude" gearbeitet hatte, einen lesenswerten Text, der (wie die meisten besten Lobo-Texte) nicht bei SPON erschien, sondern auf saschalobo.com:

"Die Geschichte vom Ende der Cebit ist eine interessante Geschichte, denn sie handelt davon, wie man im Wasser schwimmend verdursten kann. Genauer: Wie man trotz größter Nähe zur Digitalisierung glauben kann, irgendwie nicht so richtig davon betroffen zu sein",

leitet er ein und schildert dann vor der visuellen Pointe am Schluss mit gewohnt griffigen Formulierungen wie "die urdeutsche Überzeugung, dass die wirtschaftlichen Erfolgsrezepte von gestern und heute auch morgen noch funktionieren werden" oder der verbreiteten "Hoffnung, der Wandel werde alles verändern außer einem selbst", eine Problemlage, die hoffentlich auf dem Digitalgipfel auch etwas besprochen wird.

Die Verantwortung, um die es Lobo bei der Cebit auch geht, trägt nominell ja die Deutsche Messe AG, deren Name vielleicht einen Tick privatwirtschaftlicher klingt als das Unternehmen ist. Die AG gehört zu jeweils fast der Hälfte der Stadt Hannover und dem Land Niedersachsen. Und dass das Bundesland Niedersachsen von einer Großen Koalition der noch beiden ausreichend großen sog. Volksparteien regiert wird, die sich in erster Linie (und mit leidlichem Erfolg) darum bemüht, die fürs Bundesland sogar noch überdurchschnittlich wichtige Auomobilindustrie am Laufen zu halten, ließe sich hier auch noch erwähnen. Aber das Altpapier ist ja keine Politik-Kolumne.

Frische Buzzwords um die "Politische Schönheit"

Die "SOKO Chemnitz" ist, noch, keine ZDF-Krimiserie. Da gibt es im deutschen Osten bislang bloß die SOKOs in Wismar (frisch gekrönter Träger des Tourismuspreises des Landes Mecklenburg-Vorpommern übrigens!) und Potsdam.

Soko-chemnitz.de ist was Neues von den Aktivisten des "Zentrums für Politische Schönheit". Die Aktion "dürfte neue Debatten darüber auslösen, was Kunst darf und was nicht", meinte der Tagesspiegel vorsichtig.

Ja, die Debatten übers "Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld" laufen schon. "Aus drei Gründen richtig", meint die taz, "richtig so" Arno Frank bei SPON (und möchte den alten Joseph-Beuys-Begriff "Soziale Plastik" reanimieren).

"Soko-chemnitz.de erinnert an das Ich-verpetze-meinen-Lehrer-Projekt der AfD und wäre leicht auch in eine Anzeigeplattform gegen Ausländer oder Linke oder Schwule in der Nachbarschaft zu verwandeln. Sprachlich müsste man nicht viel ändern, das ZPS spricht von: 'Volksverrätern', 'Gesinnungskranken', 'Vaterlandsverrätern', 'rechten Deutschlandhassern', 'Drückebergern' und setzt diese in Gegensatz zu den 'Normalen'. Diese Sprache hätte man in den Achtzigerjahren 'faschistoid' genannt",

schreibt dagegen Jens Bisky über die "politische Dummheit" im SZ-Feuilleton.

Zumindest zeigt das "Zentrum für Politische Schönheit" unter großem Hallo, dass der diffuse und vermutlich deshalb gern benutzte Trendbegriff "Populismus" präfix-offen ist und ein "Links-" davor genauso gut wie ein "Rechts-" verträgt. Diese Erkenntnis könnte in einer Zeit, in der an Was-mit-Medien-Preisen Überfluss herrscht, fast schon wieder preisverdächtig sein.


Altpapierkorb (Springer druckt bei Hürriyet, Junge Welt vs. Deutsche Post, Leichte Sprache, Sat.1 mal "richtig gut")

+++ Die Springer-Medien, für die u.a. ja Deniz Yücel arbeitet, gehören zu denen, die das herrschende türkische Regime oft und offen kritisieren. In der Hinsicht verdient etwas das Eren-Erdem-Interview ("BILD sprach mit einem Erzfeind des türkischen Präsidenten") Beachtung. +++ Was auch Beachtung verdient: dass Springer beim Preis-Drücken in seinem übriggebliebenen Druck-Geschäft mit Unternehmen aus dem unmittelbaren Erdogan-Umfeld kooperiert. Ja, sogar mit solchen Unternehmen, aus denen Springer auf autokratische Weise rausgedrängt wurde. Dass die Bild-Zeitung in Hessen nicht mehr bei der Frankfurter Societäts-Druckerei gedruckt wird, sondern in der Hürriyet-Druckerei der ehemaligen Dogan-Gruppe in Mörfelden, wodurch in ersterer Druckerei viele Arbeitsplätze wegfallen dürften, berichtete meedia.de.

+++ Noch ein Gegner der Presse: die Deutsche Post. Meint die Junge Welt, die ihre Existenz durch Portoerhöhungen und Umstrukturierungen von Gewichtsklassen (Es werden "acht Gewichtsstufen bis 100 Gramm zu einer einzigen zusammengefasst") gefährdet sieht. Da hat sie recht, findet das Handelsblatt/ dpa.

+++ Wegen der deutlichen Reduzierung der Facebook-Aktivitäten des ORF (AP gestern) hat die SZ bei ARD und ZDF nachgefragt – und Antworten erhalten, die im Rahmen der vorgesehenen Textbausteine bleiben. +++ Immerhin hatte ja eine im großen ARD-Verbund erscheinende, freilich nicht ungeheuer reichweitenstarke Medienkolumne im März ein kleines Zeichen gesetzt ...

+++ Ferner stellt die SZ kurz die promovierte Historikerin (!) vor, die neue MDR-Programmchefin wird. +++ Und kümmert sich um "Medienangebote in Leichter und Einfacher Sprache" ("Es gibt aber auch Kritik an dem Konzept. So spricht der Linguist Josef Bayer von der Universität Konstanz vom 'Pfuschkonstrukt [...] der 'leichten Sprache'').

+++ Beim neuen tvfueralle.de arbeitet der gemeinnützige Verein Sozialhelden "mit den Landesmedienanstalten, mit den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF sowie mit dem Verband Vaunet zusammen, zu dem private Sender gehören" (taz).

+++ Vorigen Dienstag konnte die FAZ-Medienseite den Sat.1-Thriller noch "leider nicht empfehlen". Aber diesen Dienstag findet Heike Hupertz "Jung. blond, tot – Julia Durant ermittelt" "richtig gut"! +++ Ebd. geht's außerdem  um einen Erfolg, den Sat.1 auf dem laangen Weg, die alte, aus diffus-medienföderalistischen Gründen immer noch notwendige Lizenzierung nicht mehr bei der rheinland-pfälzischen, sondern bei der Hamburg-schleswig-holsteinischen Medienanstalt beantragen zu dürfen, vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig errungen hat.

+++  "Der Himmel auf Erden war das ungarische Mediensystem nie; direkt oder indirekt waren die Eigentümer zahlreicher Medien mit Parteien verbunden. Jetzt ist aber die öffentliche Diskussion politischer Probleme in Ungarn mausetot", schreibt die ungarische Journalistin Kornélia R. Kiss im Tagesspiegel.

+++ Beide gestern hier erwähnte epd medien-Artikel – Thomas Gehringers Viva-Nachruf und Tabea Rößners Vorschlag, endlich mal eine "unabhängige Expertenkommission" zu Medien-Fragen einzuberufen – stehen inzwischen frei online.

+++ Lokalreporter zwischen Vorpommern und dem Bodensee befragte Deutschlandfunks "@mediasres" nach der "allgemein als schwierig" geltenden Beziehung zwischen Medien und AfD. "Also: Kommentare nur als Kommentare kennzeichnen, ansonsten versuchen, eine objektive Berichterstattung zu machen. Meiner Meinung nach der beste Weg. Die Partei entlarvt sich selbst", rät Südkurier-Lokalreporterin Stev Manzini.

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.